KOMMANDO AJAX (eBook)
256 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3580-0 (ISBN)
Ein Roman, so schnell erzählt wie »Kill Bill« von Tarantino.
Ein spektakulärer Kunstraub. Verschollene Gemälde. Eine kurdische Hochzeit. Ein Scharfschütze, der einen Schuss abfeuert. Eine Familie zwischen den Niederlanden und Kurdistan, für die nichts mehr ist, wie es war. Im Stil eines Actionfilms mit schnellen Cuts erzählt Cemile Sahin die Geschichte eines Verrats, von Liebe, Freundschaft und Leben im Exil, so auf der Höhe der Zeit, wie nur sie es kann.
»Es gibt wenige Autorinnen, die so liebevoll und ernst vom Schicksal ihrer Helden erzählen und gleichzeitig ein so ausgeprägtes Gefühl für absurde Komik haben.« FAS.
»Cemile Sahin verwandelt filmische Unmittelbarkeit in mitreißende Literatur. Das Buch vermisst, trauert, liebt und ist dabei rasend schnell.« DER SPIEGEL.
»So temporeich, unverfroren und leichtfüßig erzählt gerade niemand über Migration, Flucht und alte sowie neue Heimaten.« DEUTSCHLANDFUNK BÜCHERMARKT.
»Ein kluges, aktuelles und wirklich witziges Meisterwerk.« MDR.
Cemile Sahin ist Autorin und Künstlerin und wurde 1990 in Wiesbaden geboren. Sie hat in London und Berlin studiert und ist ars viva-Preisträgerin für Bildende Kunst. »TAXI« war ihr Debütroman, »ALLE HUNDE STERBEN« ihr zweiter, »KOMMANDO AJAX« ihr dritter Roman. Für ihr Schreiben wurde Cemile Sahin mit der Alfred Döblin-Medaille ausgezeichnet. Sie lebt in Berlin.
Cemile Sahin ist Autorin und Künstlerin und wurde 1990 in Wiesbaden geboren. Sie hat in London und Berlin studiert und ist ars viva-Preisträgerin für Bildende Kunst. »TAXI« war ihr Debütroman, »ALLE HUNDE STERBEN« ihr zweiter, »KOMMANDO AJAX« ihr dritter Roman. Für ihr Schreiben wurde Cemile Sahin mit der Alfred Döblin-Medaille ausgezeichnet. Sie lebt in Berlin.
2005 Rotterdam
Ort: Fatmas Wohnung, Siedlung, Feyenoord
Personen: Fatma, Leyla, Arîn, Muro
Jeder Morgen beginnt in Fatmas Leben zur selben Zeit. Montag bis Sonntag. Um 5:00 Uhr klingelt ihr Wecker. Sonntag bis Montag. Niemals wacht sie auf der Seite im Bett auf, auf der sie sich schlafen gelegt hat.
Wir hören: Die Bettdecke, die sie am Fenster ausschüttelt.
Wir hören: Die Kleiderschranktür, die sie schließt.
Wir hören: Das Lied »Elqajîye« von Mikaîl Aslan.
Fatma wäscht ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Elqajîye, Elqajîye. Ihre Haare sind zu einem Dutt gebunden. Fatma riecht nach Seife. Oh weh, Leid und Kummer. Fatma riecht nach Chlor. Heute trägt sie eine rote enge Hose. Ein lila T‑Shirt. Fragst du nach dem Leid. An ihrer linken Hand baumeln zwei Goldarmbänder. Das, was von ihrer Mutter Zere übrig ist. 585er Gelbgold. 375er Gelbgold. Ich sagte, komm lass gehen.
Der Name ihres Sohnes:
Muro
ist auf die Innenseite ihres linkes Handgelenk tätowiert. Auf ihrem rechten Handgelenk steht in derselben Schrift:
Keko
In einen blauen Putzeimer lässt Fatma Wasser laufen, bis der voll ist. Sie wirft einen gelben Lappen hinein.
Warum hast du unsere Welt verdunkelt? Oh weh, Leid und Kummer. Dein Leid hat mich zerfressen. Etwas Spülmittel, bis es schäumt.
Mikaîl Aslan singt: Warum hast du unsere Welt verdunkelt?
Fatma antwortet: Weil Mezra in Flammen aufgegangen ist.
Dann läuft sie zu ihrer Kammer und greift nach einem anderen Eimer, in den sie Lederlappen, Tücher zum Wischen, Tücher zum Abtrocknen und verschiedene Putzmittel hineinpackt. Dann steht Fatma wieder im Flur. Im Flur hängen Bilder von ihrer Familie an der Wand, aber an der Wand hängt kein einziges Bild von Fatma. Sie greift nach dem vollen Eimer mit Wasser, den sie bereits an die Wohnungstür gestellt hat, packt dann den leeren Eimer mit den Putzmitteln und schlüpft dabei in ihre lila Keilabsatzschuhe.
Zoom auf das Treppenhaus. Wände gelb. Treppe grün. Es ist 5 Uhr 29, und Fatmas Keilabsatzschuhe quietschen mit jeder Treppenstufe, die sie hinunterläuft. Wir befinden uns in einer Wohnsiedlung im Rotterdamer Stadtteil: Feyenoord.
Wie sieht die Siedlung aus?
Im Sommer kalt.
Im Winter kälter.
Jedes Jahr dasselbe.
Zoom auf die Siedlung. Vier Wohneinheiten in einer geschlossenen U‑Form. Beton. Backsteine. Braun. Rot. Ein Spielplatz in der Mitte. Keine Schaukel. Sand. Gras. Vier Bänke. Kinder werden geboren. Kinder wachsen hier auf. Kinder werden Erwachsene, arbeiten in den Berufen ihrer Eltern und bleiben hier. Kalt. Deprimiert.
Zoom zurück auf Fatma. Fatma ist Putzfrau. Jobtechnisch hat es Fatma in der Asylantenwelt weit gebracht. Sie hat die Transformation von einer normalen Putzfrau, die Toiletten, Boden, Fenster putzt, während die Chefs neben ihr rumstehen und ihr beim Putzen zusehen, zu einer Premium-Putzfrau geschafft, die Toiletten, Boden, Fenster putzt, während die Chefs nicht mehr neben ihr rumstehen und ihr beim Putzen zusehen.
Wir haben das Jahr 2005. Das Jahr, in dem Youtube gegründet wurde. Das Jahr, in dem »Batman Begins« von Christopher Nolan in die Kinos kam. Das Jahr, in dem ein Premium-Putzfrauen-Job für alle Asylanten-Frauen in der Siedlung ein erstrebenswerter Beruf ist. Warum? Weil eine Premium-Putzfrau eine Frau ist, der die Schlüssel zu den Putzräumlichkeiten anvertraut werden. Das bedeutet: Sie muss nicht mehr klingeln oder klopfen und putzen, sondern sie öffnet die Tür mit dem Schlüssel in ihrer Hand und fängt an zu putzen.
Aber auch im Premium-Putzfrauen-Business gibt es zwei Level:
-
Level: Premium-Putzfrau (PP): arbeitet Montag – Freitag, erst ab 19 Uhr
-
Level: Premium-Premium-Putzfrau (PPP): arbeitet Samstag – Sonntag, wann immer sie möchte
Fatma ist bereits Premium-Premium-Putzfrau, weil sie seit zwei Jahren einen Putzjob hat, den sie am Wochenende nach Lust und Laune ausführen kann.
Zeitsprung. Rückblende.
Hillegersberg-Schiebroek. Nordwesten von Rotterdam. Close‑up auf eine offene Handinnenfläche. Zwei Schlüssel. Schlüssel eins ist silber. Schlüssel zwei auch. Ein Holländer steht vor Fatma. Fatma steht im weißen Flur des Adidas-Headquarters. Der Holländer trägt keinen Adidas-Anzug, sondern ein weißes Hemd und eine Jeans und weiße Samba Sneakers. Fatma trägt, was sie immer trägt, wenn sie putzt. Eine weite Hose und ein weites langärmliges Shirt. Der Holländer führt sie durch die Büroräume. Er zeigt auf die Tische. Auf die Fenster. Den Boden. Auf die Mülleimer. Fatma nickt. Der Holländer nickt auch. Dann überreicht er ihr die Schlüssel.
Fatma hat Tränen in den Augen, denn für Fatma ist dieser Moment ein wertvoller Moment.
Zeitsprung. Rückblende vorbei.
Für Fatma bedeutet Leben Arbeit. Sie kennt nichts anderes. Schon in Mezra hat Fatma nur gearbeitet. In Holland funktioniert Arbeiten anders, weil Fatma Asylantin ist. Aber Fatma wird auch nie vergessen, wie sie auf dem gelblichen Bett mit den gelblichen Bettbezügen im Asylantenheim saß und hörte, wie sich die Asylanten mit dem Weinen abwechselten. Warum? Sicherlich, weil sie Schmerzen empfanden. Schmerzen weswegen? Wegen des Exils. Im Exil dachte Fatma zum ersten Mal über ihr Leben nach, weil sie so weit weg wie nie zuvor von Mezra war. Da wollte sie sich auch umbringen.
Aber Fatma lebt noch und ist jetzt am Putzen. Geld ist Arbeit. Arbeit ist Geld. Arbeit bedeutet aufstehen und sterben. Geld bedeutet sterben und aufstehen. Aber das Geld muss bar auf die Hand verdient werden, weil Asylanten eine Erlaubnis für nichts haben. Ihr Leben ist der Hals, und der Staat ist der Strick.
Ihren Sohn Muro nahm Fatma am Wochenende immer mit zum Putzen. Jeden Samstag waren sie am späten Nachmittag im Headquarter von Adidas und putzten Büroraum für Büroraum:
BÜROTISCHE = BÜROSCHRÄNKE = BODEN = PFLANZEN GIESSEN = EINMAL IM MONAT DIE FENSTER = DRAUSSEN UND DRINNEN.
Muro liebte seine Mutter, aber er liebte das Putzen nicht. Während Fatma direkt mit der Arbeit loslegte, lief Muro durch die verschiedenen Büroräume und öffnete alle Schränke der Schreibtische und begutachtete, was er vorfand.
Manchmal ließ Muro etwas mitgehen:
die er dann für sehr wenig Geld, weil er kein guter Geschäftsmann war, auf dem Schulhof in der Pause an seine Mitschüler verkaufte. Fatma bemerkte nie, dass ihr Sohn manchmal Dinge aus den Büroräumen stahl.
Das bedeutet: Er war sicherlich ein guter Dieb.
Wahrscheinlich hatte Fatma auch einen Schutzengel, weil niemand von den Chefs im Adidas-Headquarter bemerkte, dass etwas in ihren Büroräumen fehlte.
Also muss das auch bedeuten: Er war ein außerordentlich guter Dieb.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Dinge, die Muro stahl, nichts damit zu tun haben, dass er ein Dieb sein wollte. Ganz im Gegenteil. Für Muro bedeutete stehlen: Not. Mangel. Leere. Die Dinge, die er stahl, hatten für ihn eine andere Bedeutung:
BEUTE = GELD = MITTEL ZUM ZWECK.
Und was war der Zweck? Essen. Gut essen. Fleisch essen. Die Lücke, die sein Vater hinterließ, zu schließen. Seiner Mutter Geschenke zu kaufen. Den Kindern in der Siedlung, die so wie er keinen Vater hatten, ihre Väter vergessen lassen. Muro kaufte ihnen Spielzeuge. Fahrräder. Klamotten. Muro verkaufte Schuhe auf dem Schulhof und kam mit Lammkoteletts nach Hause.
Fatma: Von wem hast du das Fleisch?
Muro: Von Bas.
Fatma: Wer ist Bas?
Muro: Sein Vater ist Metzger.
Fatma wunderte sich zwar über die Nettigkeit von Bas seinem Vater, aber sie war auch dankbar und gerührt und bereitete die Lammkoteletts so zu, wie Muro sie liebte. Ihre Kochkünste waren hervorragend. Das wussten die Holländer leider nicht, weil Fatma nie für sie kochte, sondern immer nur putzte....
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | action • Actionfilm • Alle Hunde sterben • Amsterdam • Berlin • Cemile Sahin • Diebstahl • Filmisch • Freunde • Freundschaft • Gegenwartsliteratur • Kill Bill • Komik • Kunstraub • Kunstwerke • Kurdistan • Literatur • migrantisch • Raub • Rotterdam • Tarantino • Taxi • Verräter • Zusammenhalt |
ISBN-10 | 3-8412-3580-8 / 3841235808 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3580-0 / 9783841235800 |
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Größe: 3,6 MB
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