Liebe und andere Heimlichkeiten (eBook)
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46559-2 (ISBN)
Michaela Küpper wurde im niederrheinischen Alpen geboren und ist in Bonn aufgewachsen. In Marburg studierte sie Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Dann zog es sie zurück ins Rheinland, wo sie nach einem Volontariat viele Jahre lang als Projektmanagerin in einem Verlag tätig war. Heute arbeitet sie als freie Autorin, Redakteurin und Illustratorin. Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Website: www.michaelakuepper.de
Michaela Küpper wurde im niederrheinischen Alpen geboren und ist in Bonn aufgewachsen. In Marburg studierte sie Soziologie, Psychologie, Politik und Pädagogik. Dann zog es sie zurück ins Rheinland, wo sie nach einem Volontariat viele Jahre lang als Projektmanagerin in einem Verlag tätig war. Heute arbeitet sie als freie Autorin, Redakteurin und Illustratorin. Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Website: www.michaelakuepper.de
3.
KERSTIN, 2022
Es gibt ein Lied von einer Band, deren Sängerin auch eine begnadete Texterin ist. Intelligent und humorvoll beschreibt sie das Dilemma, sich unsterblich in einen Schweiger vor dem Herrn zu verknallen.
Es lief heute Morgen im Radio, unmittelbar nach dem Aufstehen, und ließ mich nicht mehr los. Melodien und Gerüche haben ja die magische Fähigkeit, dich durch Zeit und Raum zu katapultieren und vor langer Zeit Erlebtes wieder fühlbar zu machen.
Der Song ist alt, doch Uwe und ich sind noch älter. Als er herauskam, waren wir bereits zehn Jahre zusammen und verheiratet. Voller Begeisterung darüber, dass jemand so schön in Worte fasste, was meinen Mann für mich so anziehend gemacht hatte, kaufte ich die CD, um sie ihm vorzuspielen. Aber Uwe verstand nicht recht, was dieses Lied mit ihm zu tun haben sollte. Er erkannte sich nicht wieder, im Gegenteil.
»Ich? Schweigsam? Weiß nicht. Es kann ja immer nur einer reden, und das bist gewöhnlich du, Kerstin.« Was ich nicht abstreiten konnte und kann. »Außerdem warst du doch die Anstifterin«, schob er damals mit einem Grinsen hinterher, und auch das stimmte. Ich hatte meine Freundin Ina überredet, Uwe zu ihrer Geburtstagsfete einzuladen – wir sagen immer noch Fete, ein Ausdruck, der bei unserer Tochter Jule mitleidsvolles Stirnrunzeln hervorruft. Wie dem auch sei, wäre ich zuvor nicht bereits über Uwes Zeltschnüre gestolpert, hätte ich Ina nicht gebeten, ihn einzuladen. Und ich hätte mich nicht dazu entschlossen, André zu verlassen. Ina und André konnten einander nicht ausstehen, weshalb an jenem Abend keine Gefahr bestand, dass er bei ihr aufkreuzte. Freie Bahn sozusagen. Volle Kraft voraus. Die guten Startbedingungen an jenem Abend wusste ich zu nutzen. Seitdem waren Uwe und ich ein Paar.
Enttäuscht darüber, dass Uwe das Kompliment, das ich ihm mit der CD eigentlich hatte machen wollen, nicht recht annahm, ließ ich das Thema fallen. Ein Songtext war nicht das Leben, die Metaphern erschienen mir plötzlich überspannt. Wenn wir unterwegs waren und das Stück gerade im Radio lief – die Sender spielten es noch jahrelang –, wurde mir das gemeinsame Hören sogar ein bisschen peinlich; wir sprachen nicht mehr darüber, ignorierten es quasi.
Dabei mochte ich den Song nach wie vor, schon allein weil er gewisse Erinnerungen in mir wachrief. Zu jener Zeit war unsere Beziehung bereits in ein Stadium getreten, in dem es manchmal notwendig wurde, sich die Gründe für unser Zusammensein in Erinnerung zu rufen.
Anfangs hat mir das nichts ausgemacht, dass Uwe kein großer Redner war, im Gegenteil. Es war ein angenehmes Schweigen, das ihn umgab, weder von Schüchternheit herrührend noch von allgemeiner Maulfaulheit, vielmehr schien es Ausdruck seiner gefestigten Persönlichkeit zu sein, seines In-sich-Ruhens, das nicht vieler Worte bedurfte. So kam es mir zumindest vor.
Heute denke ich anders über dieses Schweigen. Wenn mit den Jahren die freundliche Zugewandtheit nachlässt, mit der junge Paare einander bedenken, wenn sich dazu ein Quäntchen allgemeiner Unmut gesellt, dann wächst sich das Schweigen schnell zur Verstocktheit aus. Es wirkt abweisend und kalt und macht einsam. Da hilft alles Gegenreden nicht. Stille Wasser müssen nicht unbedingt tief sein. Trotzdem kann man drin ersaufen.
Merkwürdig, dass dieses Lied ausgerechnet jetzt wieder gespielt wurde. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht liegt die Merkwürdigkeit eher darin, dass es mich so traurig gemacht hat.
Halb drei Uhr nachmittags. Ich habe der Arbeit im Büro gerade den Rücken gekehrt und den häuslichen Kram noch vor der Brust, als es an der Tür klingelt.
Es klingelt immer, wenn ich mich gerade mit vollem Wäschekorb ins Obergeschoss hinaufgeschleppt habe. Also wieder runter.
Draußen steht ein Mann. Mittelgroß, mittelalt, schlanke Figur, breites Lächeln. Ich kenne ihn nicht.
»Guten Tag. Wohnt hier Kai-Uwe Wagner?«
»Jawohl.«
»Das freut mich.« Der Mann lächelt wieder, schüttelt dann den Kopf über sich selbst. »Unsinn! Ich meinte, dass es mich freut, die richtige Adresse gefunden zu haben. Mein Name ist Alexander Hild.«
Ich sage nichts darauf. Gleich wird er mir erklären, er habe übers Internet einen Harley-Davidson-Lenker, ein Getriebe, einen Auspuff oder was auch immer bei Uwe gekauft. Das Übliche. Normalerweise sind die, die hier vor der Tür stehen, weniger höflich und weniger umständlich, aber auch unter Bikern gibt es solche und solche.
Und dafür renne ich extra die Treppe runter, denke ich ärgerlich und fasse mir an die schmerzende Hüfte.
Jetzt kann ich das von Uwe verscherbelte Zeug auch noch suchen gehen und herschleppen. Wann kümmert er sich endlich selbst um seinen Kram?
Aber Alexander Hild sagt nichts dergleichen, druckst nur ein wenig herum. »Wie soll ich anfangen?«, fragt er mit treuherzigem Augenaufschlag. »Am besten kurz und bündig, nicht wahr?«
»Ich bitte darum.«
»Also gut. Höchstwahrscheinlich bin ich ein Cousin Ihres Mannes.«
Ich horche auf. »Höchstwahrscheinlich?«
Er nickt. »Allerhöchstwahrscheinlich. Das heißt, ich bin mir sogar ziemlich sicher.«
»Hild? Alexander Hild, sagen Sie?« Ich mustere ihn noch ein bisschen genauer. »Tut mir leid, ich kann mich nicht erinnern, dass mein Mann Ihren Namen schon einmal erwähnt hätte.«
»Das glaube ich gern«, räumt dieser Alexander Hild bereitwillig ein. »Er kennt mich nämlich nicht. Oder allenfalls vom Hörensagen. Möglicherweise weiß er auch nicht einmal, dass es mich gibt.« Wieder dieses Lächeln, entschuldigend diesmal. »Sicher hört sich das jetzt alles recht merkwürdig an für Sie.«
Kann man durchaus so sagen.
»Ich fände es jedenfalls merkwürdig«, ergänzt er. »Aber wenn ich mit Ihrem Mann sprechen dürfte, würde sich die Sache sicher klären.«
»Mein Mann ist nicht da.«
»Ach so. Tja, schade.« Dieser Alexander Hild wirkt ehrlich enttäuscht. Er könnte ein Trickbetrüger sein, so sympathisch und offen, wie er rüberkommt. Schon fast zu sympathisch. Womöglich will er uns um Geld anpumpen, von wegen Verwandtschaft.
»Soll ich meinem Mann etwas ausrichten?«, biete ich an und kann mir Uwes Reaktion auf den angeblichen Cousin bereits lebhaft vorstellen. Alexander wer? Nie gehört, nie gesehen. Du hast ihn doch hoffentlich nicht reingelassen?
»Vielleicht komme ich einfach ein andermal wieder«, sagt Alexander Hild, und plötzlich bin ich diejenige, die es schade fände, wenn er einfach so wieder gehen würde. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass er ein Betrüger ist. Ins Haus lasse ich ihn trotzdem nicht. Allerdings ist das Wetter schön. »Wir können uns einen Moment setzen«, schlage ich vor. »Draußen. Auf der Terrasse. Das wollte ich zumindest gerade tun.« Wollte ich nicht. Ich wollte Wäsche einsortieren, aber die kann warten.
»Sehr gern.« Alexander Hild folgt mir um die Hausecke herum durch unseren handtuchgroßen Garten hin zur Sitzgruppe unter dem Sonnenschirm.
»Bitte sehr.« Ich weise auf den erstbesten Stuhl, zertifiziertes Teakholz. Halten hundert Jahre, entsprechende Pflege vorausgesetzt, so der Verkäufer aus der Gartenabteilung. Dann werden sie uns sicher überleben, habe ich gescherzt, und er hat pflichtschuldig gelacht.
»Bin gleich wieder da.« Die Terrassentür steht offen. Ich durchquere das Wohnzimmer, gehe in die Küche, setze den Kaffeeautomaten in Gang. Vom Fenster aus kann ich meinen Gast draußen sitzen sehen. Er hockt still da, verändert dann ein wenig seine Position, hält wieder still. Zwei Tassen, zwei Löffel, Milchtüte, Zucker, Tablett. Bitte sehr.
Alexander Hild bedient sich, rührt in seiner Tasse, legt mit einer grazilen Bewegung den Löffel zur Seite. Hände wie ein Klavierspieler, fährt es mir durch den Sinn. Und keine Ölränder unter den Nägeln.
»Vielleicht lege ich einfach mal los.« Er führt die Fingerkuppen zusammen, schenkt mir wieder dieses sanfte Lächeln. »Wie gesagt, ich bin Alexander Hild. Meine Mutter war Ilse Hild, geborene Schoops. Ilse wiederum war die Schwester von Evelyn Schoops, spätere Wagner. Die Mutter Ihres Mannes also.« Ich nicke zum Zeichen, dass ich ihm bis hierher folgen kann. »Meine Mutter ist vor einem halben Jahr gestorben«, erzählt er dann.
»Das tut mir leid.«
»Kannten Sie sie vielleicht doch?«, fragt er hoffnungsvoll.
»Nein. Der Name sagt mir nichts. Trotzdem. Es ist traurig, wenn die Mutter stirbt.«
Er nickt und presst dabei die Lippen aufeinander, ohne dass sich sein Lächeln gänzlich verliert. »Ja, es ist traurig, wenn die Eltern sterben. Aber so ist der Lauf der Dinge, nicht wahr? Mein Vater ist schon lange tot, jetzt bin ich sozusagen ein Waisenkind. Genauer gesagt: ein verwaistes Einzelkind. Das wiegt noch mal ein bisschen schwerer.« Wieder nickt er versonnen.
Ich denke kurz über seine Worte nach, empfinde sie als sehr treffend. Auch ich bin ein Einzelkind. Nach dem Tod meiner Eltern – erst der Vater, dann die Mutter, wie bei ihm – habe ich mich sehr einsam gefühlt. Und bin es noch.
»So als frischgebackenes Waisenkind fiel mir auf, dass ich herzlich wenig über meine Familie weiß«, erzählt der Mann, der angeblich Uwes Cousin ist, und lächelt sanft dabei. Er hält kurz inne, schaut mich an. »Wissen Sie, im Nachhinein kann ich selbst kaum glauben, dass ich nie genauer nachgefragt habe. Aber so war es, und nun ist es nicht mehr zu ändern. Also habe ich zu recherchieren begonnen und bin dabei auf Ihren Mann gestoßen. Ich hatte gehofft, wir könnten uns einmal unterhalten. Ein bisschen austauschen. Vielleicht...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2024 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 50er Jahre • 60er Jahre • Affäre und Leidenschaft • Arbeitsunfall • Ausbrechen • Außereheliche Affären • Beständigkeit • Chef/Angestellter • Die Bedeutung der Ehe • Dorf • Ehekrise • Ehe und Familie • Erinnerungen • Familie • Familiengeheimnisse • Familienroman • Frauenroman • Geheimnisse und Lebenslügen • Historische Liebesgeschichte • Historischer Roman • innere Verpflichtung • innere Zerrissenheit • Kinder • Kindheit • Landmaschinen • Lebenslügen • Liebe • Liebe und Treue • Liebe und Verliebtheit • Liebe vs. Verliebtheit • manisch-depressiv • Mental Load • Mutterschaft • Nachkriegsdeutschland • Nachkriegsgeneration • Nachkriegsjahre • Persönliches Wachstum • Reperaturwerkstatt • Selbstfindung • spielt in Gegenwart • Tagebucheinträge • Transgenerationales Trauma • Veränderung • Verlässlichkeit • Zerrissenheit |
ISBN-10 | 3-426-46559-0 / 3426465590 |
ISBN-13 | 978-3-426-46559-2 / 9783426465592 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |

Größe: 3,6 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich