Eisenhans (eBook)

Ein Buch über Männer

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00977-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eisenhans -  Robert Bly
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Robert Blys Eisenhans ist keine Hilfspredigt, keine allein selig machende Doktorin - im Gegenteil, das Buch ist ein Angebot an den Leser, sich mit dem Problem der Männlichkeit auseinander zu setzen, zu erkennen, dass es keine Automatik gibt, die aus Jungen Männer macht, sondern dass dies durch einen Prozess erreicht wird, der nicht immer auf jeder Stufe glückt. Eisenhans zeigt einen Weg auf, den Männer nehmen und den Frauen verstehen können.

Robert Bly, Jahrgang 1926, ist ein amerikanischer Schriftsteller und Protagonist der US-amerikanischen Männerbewegung.

Ulrike Wasel und Klaus Timmermann arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich als Übersetzerteam. Zu den von ihnen übersetzten AutorInnen zählen Michael Crichton, Zadie Smith, Scott Turow, Dave Eggers und Tana French. 2012 wurden sie mit dem Albatros-Literaturpreis ausgezeichnet. Sie leben in Düsseldorf. Robert Bly, Jahrgang 1926, ist ein amerikanischer Schriftsteller und Protagonist der US-amerikanischen Männerbewegung. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich als Übersetzerteam. Zu den von ihnen übersetzten AutorInnen zählen Michael Crichton, Zadie Smith, Scott Turow, Dave Eggers und Tana French. 2012 wurden sie mit dem Albatros-Literaturpreis ausgezeichnet. Sie leben in Düsseldorf.

Kapitel eins Das Kissen und der Schlüssel


Wir befassen uns ständig mit «dem amerikanischen Mann», als ob es eine unveränderliche Qualität gäbe, die über Jahrzehnte oder auch nur über ein einziges Jahrzehnt hinweg gleich bliebe.

Die hier und jetzt lebenden Männer haben sich sehr weit von dem saturnischen, traditionsbewussten, stolz-verschlossenen Farmer entfernt, der 1630 den Boden von Neuengland betrat, stets bereit, drei Gottesdienste hintereinander in einer ungeheizten Kirche über sich ergehen zu lassen. Im Süden entwickelte sich der aufgeschlossene, auf die Mutter hin orientierte Typ des Südstaatenkavaliers, und keiner dieser beiden «amerikanischen Männer» ähnelte dem machtversessenen Eisenbahnunternehmer, der sich später im Nordosten herausbildete, oder den verwegenen Ich-schaff’s-auch-ohne-Kultur-Siedlern im Wilden Westen.

Selbst in unserer Epoche hat sich das allgemein akzeptierte Modell drastisch verändert. So trat im Laufe der fünfziger Jahre ein amerikanischer Typus in Erscheinung, der zu einem Modell der Männlichkeit wurde, das viele Männer übernahmen: der klassische Mann der fünfziger Jahre.

Er ging früh zur Arbeit, rackerte sich pflichtbewusst ab, versorgte Frau und Kinder, und Disziplin ging ihm über alles. Reagan ist eine Art mumifizierte Ausgabe dieses zähen Typs. Diese Sorte Mann nahm die Seele der Frau nicht so genau zur Kenntnis, aber er schätzte ihren Körper; sein Verständnis von Kultur und von Amerikas Beitrag dazu war jugendhaft-optimistisch. Er besaß viele starke und positive Eigenschaften, doch hinter dem Charme und dem Schein verbargen sich, und verbergen sich noch immer, eine große Isolation, Deprivation und Passivität. Wenn er keinen Gegner hat, fühlt er sich nicht wirklich lebendig.

Von dem Mann der fünfziger Jahre wurde erwartet, dass er sich für Football interessierte, aggressiv war, sich rückhaltlos zu den Vereinigten Staaten bekannte, nie weinte und stets gut für die Seinen sorgte. Doch dieses Männerbild bot keinen Platz für Offenheit oder Intimität. Der Persönlichkeit fehlte ein Gefühl für das Veränderliche. Mangelndes Mitgefühl ermöglichte die wahnwitzige Fortsetzung des Vietnamkrieges, so wie später Reagans Kleingeistigkeit dazu führte, dass er gegen die ohnmächtigen Menschen in El Salvador genauso gefühllos und brutal vorging wie gegen die alten Leute in den USA, die Arbeitslosen, die Schulkinder und gegen die Armen schlechthin.

Der typische Mann der fünfziger Jahre hatte eine klare Vorstellung davon, was ein Mann war und was männliche Verantwortungen bedeuteten, doch die Isoliertheit und Einseitigkeit seiner Vorstellung waren gefährlich.

Im Laufe der sechziger Jahre tauchte eine andere Sorte Mann auf. Angesichts der Sinnlosigkeit und Brutalität des Vietnamkrieges stellten Männer sich die Frage, was einen erwachsenen Mann wirklich ausmachte. Wenn Männlichkeit gleichbedeutend war mit Vietnam, wollten sie dann daran teilhaben? Mittlerweile forderte die feministische Bewegung die Männer dazu auf, sich die Frauen richtig anzusehen, zwang sie, sich die Sorgen und das Leiden bewusst zu machen, denen der Mann der fünfziger Jahre immer ausgewichen war. Während die Männer sich nun anschickten, weibliche Geschichte und weibliche Sensibilität genauer zu studieren, entdeckten einige mit der Zeit ihre eigene sogenannte weibliche Seite und schenkten ihr mehr Aufmerksamkeit. Dieser Prozess dauert bis heute an, und ich möchte behaupten, dass die meisten Männer unserer Tage auf die eine oder andere Weise darin eingebunden sind.

Diese Entwicklung hat etwas sehr Positives – ich meine den Umstand, dass Männer ihr eigenes «weibliches» Bewusstsein annehmen und pflegen. Das ist wichtig – und doch habe ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. In den letzten zwanzig Jahren ist der männliche Mensch nachdenklicher, freundlicher geworden. Doch dieser Prozess hat ihn nicht freier gemacht. Er ist ein netter Kerl, der es nicht nur seiner Mutter recht machen will, sondern auch der jungen Frau, mit der er zusammenlebt.

In den siebziger Jahren entdeckte ich im ganzen Land immer häufiger ein Phänomen, das wir als den «weichen Mann» oder den «Softie» bezeichnen könnten. Selbst heute, wenn ich mir meine jeweilige Hörerschaft genauer ansehe, ist ungefähr die Hälfte der jungen Männer genau das, was ich mit dem Wort «Softie» meine. Es sind liebenswerte, wertvolle Menschen – ich mag sie– , sie wollen weder der Erde Schaden zufügen, noch wollen sie Kriege beginnen. Ihr ganzes Wesen und ihr ganzer Lebensstil strahlen eine freundlich-sanfte Einstellung zum Leben aus.

Doch viele dieser Männer sind nicht glücklich. Man spürt schnell, dass es ihnen an Energie fehlt. Sie sind lebenerhaltend, aber nicht gerade lebenspendend. Ironischerweise sieht man diese Männer oft an der Seite starker Frauen, die spürbar Energie ausstrahlen. Da haben wir also einen sensiblen jungen Mann, seinem Vater ökologisch weit voraus, in Einklang mit der umfassenden Harmonie des Universums, doch er selbst hat kaum Vitalität zu bieten. Die starken oder lebenspendenden Frauen, die die sechziger Jahre sozusagen absolvierten oder die spirituell bewusster waren, haben bei der Hervorbringung dieses Typs, des lebenerhaltenden, aber nicht lebenspendenden Mannes, eine wichtige Rolle gespielt.

Ich erinnere mich an einen Autoaufkleber aus dieser Zeit, auf dem zu lesen war: FRAUEN SAGEN JA ZU MÄNNERN, DIE NEIN SAGEN. Wir wissen, dass viel Mut dazu gehörte, sich dem Einberufungsbefehl zu widersetzen, ins Gefängnis zu gehen oder nach Kanada auszuwandern, so wie Mut dazu gehörte, der Einberufung Folge zu leisten und nach Vietnam zu gehen. Doch vor zwanzig Jahren sagten die Frauen ganz klar, dass sie den weicheren, rezeptiven Mann bevorzugten.

Dadurch wurde die Entwicklung der Männer ein wenig in diese Richtung beeinflusst. Nichtrezeptive Männlichkeit wurde mit Gewalt gleichgesetzt, rezeptive Männlichkeit wurde belohnt.

Wie damals wünschen sich heute, in den neunziger Jahren, energische Frauen mitunter noch immer weiche Männer als Liebhaber und, in gewisser Weise, vielleicht auch als Söhne. Die Neuverteilung der «Yin-Yang»-Energie bei Paaren war kein Zufall. Aus unterschiedlichen Gründen wollten junge Männer härtere Frauen, und Frauen fingen an, weichere Männer zu begehren. Eine Zeit lang schien das Ganze gut zusammenzupassen, doch mittlerweile haben wir lange genug damit gelebt, um sagen zu können, dass es nicht funktioniert.

Zum ersten Mal erfuhr ich von den Ängsten «weicher» Männer, als sie mir bei frühen Männertreffen ihre persönlichen Geschichten erzählten. 1980 bat mich die Lamaistische Gemeinde in New Mexico, ein Symposion nur für Männer zu leiten. Es war ihr erstes, und ungefähr vierzig Männer nahmen daran teil. Jeden Tag konzentrierten wir uns auf einen griechischen Gott und auf eine alte Geschichte, und am Spätnachmittag versammelten wir uns dann zum Gespräch. Wenn die jüngeren Männer sprachen, kamen ihnen nicht selten schon nach fünf Minuten die Tränen. Das Ausmaß an Kummer und Angst in diesen jüngeren Männern verblüffte mich.

Ein Teil ihres Kummers kam aus der Distanz zu ihrem Vater, die ihnen schmerzlich bewusst war, doch zum Teil litten sie auch unter Problemen in ihren Ehen oder Beziehungen. Sie hatten gelernt, rezeptiv zu sein, doch diese Rezeptivität reichte nicht aus, um ihre Ehen durch schwierige Zeiten zu führen. Jede Beziehung braucht hin und wieder etwas Wildes: Der Mann braucht es, und die Frau braucht es. Doch gerade dann, wenn dieses Element gefragt war, fühlte sich der junge Mann häufig überfordert. Er war zwar fürsorglich, doch irgendetwas anderes war gefordert – für seine Beziehung, ja für sein Leben.

Der «Softie» konnte sagen: «Ich kann deinen Schmerz fühlen, und ich halte dein Leben für ebenso wichtig wie meins, und ich werde für dich da sein und dich trösten.» Aber er konnte nicht sagen, was er wollte, und dazu stehen. Eine solche Entschlossenheit war etwas ganz anderes.

In der Odyssee weist der Götterbote Hermes Odysseus an, er solle, wenn er sich Circe nähere – sie steht für eine bestimmte Art matriarchalischer Kraft– , sein Schwert erheben oder es zeigen. In diesen frühen Sitzungen fiel es vielen der jüngeren Männer schwer, das Zeigen des Schwertes nicht damit gleichzusetzen, jemanden zu verletzen. Einer von ihnen, der auf seine Weise die Inkarnation bestimmter spiritueller Haltungen jener Jahre war und der tatsächlich ein Jahr lang auf einem Baum außerhalb von Santa Cruz zugebracht hatte, sah sich nicht imstande, seinen Arm auszustrecken, wenn er ein Schwert hielt. Er hatte so gut gelernt, niemandem wehzutun, dass er die Waffe nicht heben konnte, noch nicht einmal, um das Sonnenlicht darin einzufangen. Doch ein Schwert zu zeigen bedeutet nicht unbedingt Kampf. Es kann auch auf eine sehr zu begrüßende Entschlossenheit hindeuten.

Die Reise, die viele amerikanische Männer angetreten haben, hin zur Weichheit, zur Rezeptivität oder zur «Entwicklung der weiblichen Seite» ist ungeheuer nützlich, aber sie ist noch nicht zu Ende. Keine Etappe ist die Endstation.

Die Entdeckung des Eisenhans

Eines der Märchen, die von einer dritten Möglichkeit für Männer erzählen, einer dritten Seinsweise, ist die Geschichte vom Eisenhans. Obwohl von den Brüdern Grimm erst im Jahre 1850 schriftlich niedergelegt, könnte diese Erzählung zehn- oder zwanzigtausend Jahre alt sein.

Zu Beginn der Geschichte erfahren wir, dass in einer entlegenen Gegend des Waldes hinter dem Königsschloss...

Erscheint lt. Verlag 30.1.2024
Übersetzer Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Geschlechterrolle • Männerbewegung • Männerrolle • Männliche Archetypen • Männlichkeit
ISBN-10 3-644-00977-5 / 3644009775
ISBN-13 978-3-644-00977-6 / 9783644009776
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 7,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Rat und Hilfe für Angehörige von zwangskranken Menschen

von Michael Rufer; Susanne Fricke

eBook Download (2023)
Hogrefe AG (Verlag)
21,99