Die Frankfurter Schule (eBook)

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2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02057-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Frankfurter Schule -  Rolf Wiggershaus
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Die Frankfurter Schule steht für ein Spektrum von Intellektuellen, die langfristig oder zeitweilig dem 1924 in Frankfurt am Main gegründeten Institut für Sozialforschung und dessen Projekt einer kritischen Theorie der Gesellschaft verbunden waren. Rolf Wiggershaus zeichnet die Geschichte der Frankfurter Schule nach. Sein Buch gibt Aufschluss über das so spannungsreiche wie ergiebige Zusammenwirken einflussreich gewordener Intellektueller wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Jürgen Habermas, Herbert Marcuse und Erich Fromm, Oskar Negt und Axel Honneth.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Rolf Wiggershaus, geboren 1944 in Wuppertal. Studium der Philosophie, Soziologie und Germanistik in Tübingen und Frankfurt am Main. Promotion 1974. Seit den 1970er Jahren als Philosoph, Publizist und Dozent tätig. Lebt bei Frankfurt/Main.

Rolf Wiggershaus, geboren 1944 in Wuppertal. Studium der Philosophie, Soziologie und Germanistik in Tübingen und Frankfurt am Main. Promotion 1974. Seit den 1970er Jahren als Philosoph, Publizist und Dozent tätig. Lebt bei Frankfurt/Main.

Ein Neubeginn am Frankfurter Institut für Sozialforschung


Wie so vieles hat auch die sogenannte Frankfurter Schule ihren Namen erst bekommen, als es sie schon längere Zeit gab, nämlich Ende der 1950er Jahre. Was man seitdem so nennt, hat einen genau datierbaren Anfang. Am 24. Januar 1931 hielt Max Horkheimer seine Öffentliche Rede bei Übernahme des Lehrstuhls für Sozialphilosophie und der Leitung des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Diese Rede wurde zu einem Gründungsdokument, auf das in späteren Selbstdarstellungen des Instituts immer wieder zurückgegriffen wurde, auf das Horkheimer sich auch 1951 bei der Feier zur Wiedereröffnung des aus dem US-amerikanischen Exil zurückgekehrten Instituts wieder berief und auf das bis heute von Repräsentanten des Instituts Bezug genommen wird.

Es war die Rede eines – wie der Vortragende sich selbst bezeichnete – jungen und unbekannten Mannes, der seinen Vorgänger, den seit einem Schlaganfall arbeitsunfähigen neunundsechzigjährigen österreichischen wirtschaftlichen Staatswissenschaftler und Sozialdemokraten Carl Grünberg, als einen großen Gelehrten würdigte, der, in der Tradition der historischen Schule der Nationalökonomie stehend, hauptsächlich die Geschichte der Arbeiterbewegung gepflegt, neben reichem Archivmaterial eine einzigartige Spezialbibliothek mit ungefähr 50000 Bänden aufgebaut und in der Schriftenreihe des Instituts hervorragende wissenschaftliche Werke von Forschern verschiedenster Einstellungen publiziert habe.

Der fünfunddreißigjährige Horkheimer kündigte nun an, die Arbeiten des Instituts auf neue Aufgaben zu richten und insbesondere die von seinem Vorgänger so genannte Diktatur des Direktors zu nutzen, um wenigstens im engsten Rahmen gemeinsam mit meinen Mitarbeitern eine Diktatur der planvollen Arbeit über das Nebeneinander von philosophischer Konstruktion und Empirie in der Gesellschaftslehre zu errichten.[2] Für einen Augenblick klang es so, als wollte der neue Leiter sich ein Beispiel an der von Lenin begonnenen und von Stalin fortgesetzten sowjetischen planwirtschaftlichen Entwicklungsdiktatur nehmen. Doch was Horkheimer dann ausführte, ließ eher an Wiener Kreis und Positivismus denken.

Er distanzierte sich sowohl von einem abstrakten und daher schlecht verstandenen Hegel – die Ideen seien das Primäre, das materielle Leben das Sekundäre – wie von einem abstrakt und daher schlecht verstandenen Marx – menschliche Psyche, Recht, Kunst, Philosophie seien das bloße Spiegelbild der Wirtschaft. Abgesehen davon, daß in solchen Thesen eine unkritische, veraltete und höchst problematische Scheidung von Geist und Wirklichkeit naiv absolut gesetzt […] wird, sind solche Aussagen, sofern sie in dieser Abstraktheit ernstgenommen werden, grundsätzlich jeder Kontrolle entzogen: alle haben es unterschiedslos leicht, immer recht zu behalten. […] Anders verhält es sich, wenn man die Frage in folgender Weise genauer stellt: welche Zusammenhänge lassen sich bei einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, in einer bestimmten Zeitspanne, in bestimmten Ländern nachweisen zwischen der Rolle dieser Gruppe im Wirtschaftsprozeß, der Veränderung in der psychischen Struktur ihrer einzelnen Mitglieder und den auf sie als Gesamtheit im Ganzen der Gesellschaft wirkenden und von ihr hervorgebrachten Gedanken und Einrichtungen? Dann tritt die Möglichkeit der Einleitung wirklicher Forschungsarbeiten in den Blick, und diese sollen im Institut in Angriff genommen werden. Dabei, so Horkheimer in einer berühmt gewordenen Passage seiner Rede, komme es darauf an, aufgrund aktueller philosophischer Fragestellungen Untersuchungen zu organisieren, zu denen Philosophen, Soziologen, Nationalökonomen, Historiker, Psychologen in dauernder Arbeitsgemeinschaft sich vereinigen und das gemeinsam tun, […] was alle echten Forscher immer getan haben: nämlich ihre aufs Große zielenden philosophischen Fragen anhand der feinsten wissenschaftlichen Methoden zu verfolgen, die Fragen im Verlauf der Arbeit am Gegenstand umzuformen, zu präzisieren, neue Methoden zu ersinnen und doch das Allgemeine nicht aus den Augen zu verlieren.[3] Erst nach der Darlegung des wissenschaftlich-methodologischen Interesses folgte die Angabe einer Art Testobjekt, nämlich die besonders wichtige und kennzeichnende gesellschaftliche Gruppe der qualifizierten Arbeiter und der Angestellten.

Grünberg hatte sich zum Marxismus bekannt, am Institut jedoch keine aktuelle Gesellschaftsforschung betrieben. Horkheimer vermied jegliches öffentliche Bekenntnis zum Marxismus, nutzte nun aber den Apparat des Instituts für theoretische und empirische gegenwartsbezogene Forschungen über Mentalität und politisches Bewusstsein von Arbeitern und Angestellten. Dementsprechend trat an die Stelle von Grünbergs «Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung» seit 1932 die Zeitschrift für Sozialforschung. Für das Programm, das Horkheimer damals entwarf, bürgerte sich die Bezeichnung «interdisziplinärer Materialismus» ein. Das ist – richtig verstanden – eine treffende Prägung. Denn die Konnotationen «historischer Materialismus», «dialektischer Materialismus» und «Marxismus» sind nicht fehl am Platz. Aber der Zusatz «interdisziplinär» macht deutlich: Es geht nicht um Materialismus als Weltanschauung, sondern um eine für neuere wissenschaftliche Entwicklungen offene Untersuchung der realen Probleme der Gesellschaft. Im ersten Heft der Zeitschrift für Sozialforschung, dem neuen Organ des Instituts, hieß es 1932 in Horkheimers Eröffnungsaufsatz Bemerkungen über Wissenschaft und Krise:

Wenn aber der Idealismus nicht in [einer] fragwürdigen Metaphysik, sondern vielmehr in dem Bestreben gesehen wird, die geistigen Anlagen der Menschen wirklich zur Entfaltung zu bringen, dann entspricht die materialistische Theorie der Unselbständigkeit des Ideellen besser diesem Begriff der klassischen deutschen Philosophie als ein großer Teil der modernen Metaphysik; denn der Versuch, die gesellschaftlichen Ursachen der Verkümmerung und Vernichtung menschlichen Lebens zu erkennen und die Wirtschaft wirklich den Menschen unterzuordnen, ist jenem Streben angemessener als die dogmatische Behauptung einer vom Lauf der Geschichte unabhängigen Priorität des Geistigen.[4]

Nur sehr verhalten war in Horkheimers öffentlicher Antrittsrede eine Empörung über gesellschaftliches Unrecht spürbar. In zwischen 1926 und 1931 entstandenen Notizen und Aphorismen verlieh er ihr indes teilweise drastischen Ausdruck. Die Notizensammlung Dämmerung erschien 1934 im Züricher Verlag Oprecht und Helbling unter dem Pseudonym Heinrich Regius, als Horkheimer bereits nicht mehr in Europa war. Sie wirkt wie eine in Europa hinterlassene Erläuterung dessen, was Horkheimer, kaum begonnen, in Deutschland und Europa hatte abbrechen und aufgeben müssen. Sie wirft aber auch ein Licht auf den für Horkheimer charakteristischen Konflikt zwischen radikalem Denken und ängstlichem Verhalten.

Er wollte auf keinen Fall zu denen gehören, die durch eine skeptisch einschränkende Anerkennung der Marx’schen Theorie zur Einrichtung im Bestehenden beitrugen. Die Übersetzung des Marxismus in den akademischen Stil, so erklärte er in einer Notiz über Die Urbanität der Sprache, wirkte im Nachkriegsdeutschland als ein Schritt, den Willen der Arbeiter zum Kampf gegen den Kapitalismus zu brechen. Solchen als berufene Vertreter der Menschheit agierenden und Sprengminen entschärfenden Professoren wollte er nicht zugerechnet werden. Andererseits ist aber das Licht der Sprache unentbehrlich für den Kampf der Unterdrückten selbst. Sie haben Grund, die Geheimnisse dieser Gesellschaft an den Tag zu bringen und sie so verständlich, so banal wie möglich auszudrücken. Sie dürfen nicht ruhen, die Widersprüche dieser Ordnung in die öffentliche Sprache zu fassen.[5] Das aber verlange, so Horkheimer im Aphorismus Kategorien der Bestattung, Vorsicht gegenüber der heute beliebtesten Form, eine Theorie unschädlich zu machen, indem nämlich Fachleute Begriffe der revolutionären Theorie in ihre Darstellungen gleichsam selbstverständlich einweben und ihren ideologischen Bestrebungen dienstbar machen. So läßt man Voltaire, Rousseau, Lessing, Kant und ihre Nachfahren bis in die moderne Literatur und Wissenschaft hinein als große Köpfe, tiefe Denker und Feuergeister gelten, aber ihre Gesinnung, die Triebe und Motive, welche sie beseelten, der Sinn ihrer Lehren, ihre Unversöhnlichkeit mit dem herrschenden Unrecht werden zurückgewiesen und verlacht, für armselig, flach, einseitig erklärt, im Ernstfall verfolgt und ausgerottet, wo man sie antrifft.[6]

Horkheimers Notizen aus den späten Jahren der Weimarer Republik machten deutlich: Dass er mit dem Bekenntnis zum Marxismus und mit der Berufung auf Marx zurückhaltend war, geschah nicht nur aus Vorsicht, zu der er sich durchaus ebenfalls bekannte, sondern mindestens ebenso sehr, um plakative Etikettierungen und eine die Erfahrungs- und Ausdrucksfähigkeit einschränkende statt steigernde Funktion von Theorien zu vermeiden. Manche Menschen, heißt es in einem Aphorismus über Gefahren der Terminologie, beruhigten sich bei der Feststellung eines Übels durch den Besitz einer Theorie, die es erkläre. Ich denke dabei auch an manche Marxisten, welche angesichts des Elends rasch dazu übergehen, es zu deduzieren. Man kann auch mit dem Begreifen zu rasch...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2024
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Frankfurt am Main • Institut für Sozialforschung • Kritische Theorie • Monografie • Philosophen • Wissenschaftler • Zeitschrift für Sozialforschung
ISBN-10 3-644-02057-4 / 3644020574
ISBN-13 978-3-644-02057-3 / 9783644020573
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