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Das verschwundene Einser-Tram (eBook)

Der erste Fall für Leo Känzig
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
208 Seiten
Atlantis Literatur (Verlag)
978-3-7152-7536-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
14,99 inkl. MwSt
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Kurz vor Schichtende überkommt Leo Känzig, Tramfahrer bei den Verkehrsbetrieben Zürich, die Müdigkeit. Träumt er, oder lag da gerade wirklich ein regloser Mann vor dem Bahnhof Enge? Passanten sind um diese Uhrzeit keine mehr unterwegs. Die Station ist nur spärlich beleuchtet, und die letzten beiden Fahrgäste in Känzigs Tram scheinen nichts Ungewöhnliches bemerkt zu haben, sie hängen immer noch dösend in den Sitzen. Bevor er nach Zürich kam, war Känzig Chefermittler bei der Kriminalpolizei Uster. Einmal Polizist, immer Polizist, und ein Polizist sieht nicht weg. Er steigt aus. Auf dem Bahnhofsvorplatz: kein Mann, dafür Blutspuren und ein Schlüssel zu einem Schliessfach. Känzig kontaktiert die Polizei und wird am nächsten Tag zur Befragung auf die Urania-Wache bestellt. Unzählige Stunden hat er in Verhörräumen verbracht, bislang war aber immer er derjenige gewesen, der die Fragen stellte. Als Zeuge ist es seine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Aber kann er seiner Erinnerung trauen? Hat da wirklich ein Mann gelegen? Tot? Wer hat seine Leiche weggeschafft? Und wohin führt der Schlüssel? Um nicht selbst auf dem Abstellgleis zu landen, ermittelt Känzig bald schon auf eigene Faust.

Beat Grossrieder, geboren 1967, ist Kulturwissenschaftler und Journalist, schrieb u.a. für Die Zeit, Tages-Anzeiger und NZZ. Er sammelte Erfahrungen in Forschung und Lehre und arbeitete in den Bereichen PR und Kommunikation. Seit April 2020 ist Grossrieder Redaktor beim Magazin Bioaktuell. Er lebt in Zürich, ist Vater einer Tochter und spielt als Schlagzeuger in einer Band. Grossrieders Texte bewegen sich im Spannungsfeld zwischen beschreibender Dokumentation und recherchierter Narration. Dabei geht es oft um Alltagsthemen aus der Schweiz mit besonderem Fokus: Wie hat sich der kalifornische Summer of Love in Zürich manifestiert? Was war der Beitrag der Schweiz am Gelingen der ersten Mondlandung? Warum werden Maggiwürfel aus dem zürcherischen Kemptthal an der Elfenbeinküste kopiert und wieder in die Schweiz importiert? Abschließende Antworten sucht der Autor nicht, wohl aber unbequeme Anstöße zum Nachdenken - im Bewusstsein der von Oscar Wilde spitz formulierten Grenzen der Rezeption: »Journalismus ist unlesbar, und Literatur wird nicht gelesen.«

Beat Grossrieder, geboren 1967, ist Kulturwissenschaftler und Journalist, schrieb u.a. für Die Zeit, Tages-Anzeiger und NZZ. Er sammelte Erfahrungen in Forschung und Lehre und arbeitete in den Bereichen PR und Kommunikation. Seit April 2020 ist Grossrieder Redaktor beim Magazin Bioaktuell. Er lebt in Zürich, ist Vater einer Tochter und spielt als Schlagzeuger in einer Band. Grossrieders Texte bewegen sich im Spannungsfeld zwischen beschreibender Dokumentation und recherchierter Narration. Dabei geht es oft um Alltagsthemen aus der Schweiz mit besonderem Fokus: Wie hat sich der kalifornische Summer of Love in Zürich manifestiert? Was war der Beitrag der Schweiz am Gelingen der ersten Mondlandung? Warum werden Maggiwürfel aus dem zürcherischen Kemptthal an der Elfenbeinküste kopiert und wieder in die Schweiz importiert? Abschließende Antworten sucht der Autor nicht, wohl aber unbequeme Anstöße zum Nachdenken – im Bewusstsein der von Oscar Wilde spitz formulierten Grenzen der Rezeption: »Journalismus ist unlesbar, und Literatur wird nicht gelesen.«

1


Leo Känzig stutzte, als er sich in der Führerkabine des Siebner-Trams nach hinten zu seiner Jacke umdrehte, die am Haken beim Fenster zum Passagierraum baumelte. Bald würde er sie überziehen und in den verdienten Feierabend entschwinden können. Ihm war, als hätte er soeben durchs Seitenfenster etwas Unerhörtes gesehen. Seine Beobachtung hatte er nur flüchtig aus dem Augenwinkel und in der Vorbeifahrt gemacht.

Weil es bereits auf eins in der Früh zuging, waren alle Gassen und Plätze um den Bahnhof Enge dunkel und menschenleer. Doch auch als sein Tram 2000 über die vielen Weichen auf den Bahnhofplatz holperte und ihn wieder ein wenig wachrüttelte, wollte ihm das Bild nicht aus dem Kopf gehen: Da hatte doch ein Mann auf dem Gehsteig gelegen! Er war dunkel gekleidet gewesen, hatte einen Arm steif von sich gestreckt und das Gesicht nach unten gerichtet.

Passanten hatte Känzig dort keine entdeckt. Auch nicht an der Haltestelle des Dreizehners etwas weiter oben, wo ein Lichtschein über den vom letzten Regen noch feuchten Asphalt schimmerte und diesen zum Glitzern brachte, als wäre er Teil der Lucy-Weihnachtsbeleuchtung in der Bahnhofstrasse.

Oder hatte er geträumt? Machte sich das Schlafmanko, das ihn seit der Geburt seiner zweiten Tochter Laura vor einem knappen halben Jahr plagte, in Form von Halluzinationen bemerkbar? Die Känzigs führten eine egalitäre Ehe, seine Frau Simone hatte ihm noch vor dem ersten Zungenkuss das Versprechen abgenommen, er müsse sich in der Betreuung des Nachwuchses ebenso engagieren wie sie. Simone hatte Kinder gewollt, mindestens zwei, lieber noch mehr. Aber das Windelwechseln und Zubettbringen wollte sie hübsch halbiert haben.

Leo und Simone kannten sich seit über zwanzig Jahren, seit ihrer Zeit am Gymnasium, wo sie Parallelklassen besucht und sich auf einer Studentenparty ineinander verliebt hatten. Leo liebte seine Simone und seine Töchter Luisa und Laura, auch wenn der Alltag mit ihnen schon sehr fordernd war. Und ihn ab und zu von seinen Leidenschaften abhielt. Vom Radfahren mit seinen Kollegen etwa. Oder vom Kältebaden, das er im Winterhalbjahr so gut wie täglich praktizierte.

Es ist nicht immer leicht, eine Familie zu haben, dachte Känzig, als er am Bahnhof stoppte und die Türen des Trams öffnete. Aber keine Familie zu haben, wäre erst recht nicht leicht. Was würde er tun ohne seine drei Lieben? Wofür würde er hier bei den Verkehrsbetrieben der Stadt Zürich VBZ Geld verdienen, wenn nicht für Frau und Kind? Dabei war sein Job teils gar nicht so familienfreundlich. Seine Nachtschichten und Wochenenddienste ließen sich nicht so einfach in die Familienagenda einfügen, die Simone immer auf der Küchenablage griffbereit hatte und die lückenlos zu befüllen sie niemals vergaß. Geburtstage, Hochzeiten, Ferienwochen, Großelternbesuche, Zahnarztvisiten – alles immer drin. Bereits in seinem früheren Job als Chefermittler bei der Kantonspolizei in Uster hatte er viele unregelmäßige Dienste gehabt, was die Planbarkeit des Familienlebens ebenfalls stark tangiert hatte.

Känzig wusste, dass Simone deshalb heimlich erleichtert gewesen war, als er vor zwei Jahren seinen Polizeihut an den Nagel hängen musste. Er hatte bei den Ermittlungen im Fall des »Todesengels von Uster« übers Ziel hinausgeschossen und illegal Abhörwanzen und Videoüberwachungen eingesetzt. Damit wollte er den Krankenpfleger überführen, den man für eine rätselhafte Häufung von Patiententoden verantwortlich gemacht hatte. Auch dass er im Berufsalltag zwingend mit einer Schusswaffe unterwegs sein musste, hatte Simone immer sehr beunruhigt. Sie hatte gehofft, dass er einen neuen Job finden würde, der weniger gefährlich und nervenaufreibend war. Und in Sachen Arbeitszeiten etwas mehr in Richtung Nullachtfünfzehn zielte. Endlich wären die Sondereinsätze und nächtlichen Verhörmarathons vorbei, die bei seinen Polizeiermittlungen in Uster öfters vorgekommen waren. Das hatte in Simones Agenda nicht nur einmal für wüste Radiergummischlieren, durchgestrichene Vorfreudenotizen und frustriert herausgerissene Seiten gesorgt.

Aber, ehrlich gesagt, war es im neuen Job nicht viel besser. Als Tramfahrer hatte Leo Känzig genauso zahlreiche unregelmäßige Einsätze zu absolvieren. Nachtschichten und Wochenenddienste gehörten zu seiner Arbeit wie der Senf zur Wurst am Sternengrill. Immerhin waren diese Sonderschichten meist weit im Voraus festgelegt. Und er hantierte im neuen Job zwar nicht mehr mit einer Pistole, aber gerade ungefährlich war es auch nicht, ein fast vierzig Meter langes Tram mit einem Gewicht von beinahe vierzig Tonnen durch die Stadt zu bugsieren. Der Bremsweg einer solchen Komposition war bei nassen Straßen mindestens dreimal so lang wie der eines Autos. Scherzhaft sagte Leo gegenüber seiner Frau und seinen Kollegen, dass es in Zürich nur wenige Dinge gebe, die immer Vortritt hätten: erstens Polizei und Feuerwehr, zweitens der Krankenwagen und drittens das Tram.

Auf seinen privaten Wegen durch die Stadt nahm Känzig jedoch fast nie das Tram oder den Bus. Er war ein eingefleischter Fahrradfahrer, der sich weder von Graupelschauer und Eisregen noch von Steigungen wie Albisgüetli oder Zoo einschüchtern ließ. Er war der festen Überzeugung, mit dem Fahrrad in aller Regel schneller als mit dem ÖV ans Ziel zu kommen. Außerdem hielt ihn das Fahrrad fit, was er mit seinen 45 Jahren gut gebrauchen konnte. Er sehe gut aus für sein Alter, hörte er nicht nur von seiner Simone, sondern auch von den Männern seines Velogrüppchens und von den befreundeten Berufskollegen. Er war groß, schlank, hatte immer noch volles Haar, das nur an den Schläfen leicht ergraut war. Meistens trug er Jeans und Langarmshirts, dazu Lederschuhe und Vintagejacken. Seine Kleider wie auch seine Fahrräder und die meisten seiner sonstigen Besitztümer stöberte er mit viel Geduld und geschultem Jagdinstinkt auf Flohmärkten, in Secondhandläden sowie auf Plattformen wie Etsy, Ricardo und Tutti auf.

Im Rückspiegel erkannte Leo Känzig, dass in seinem Siebner nur noch zwei Passagiere an Bord waren. Sie mussten angetrunken sein und hingen krumm wie Bananen in ihren Sitzen. Bei den Zeitungsboxen am Bahnhof Enge war bereits der Spediteur vorgefahren, um das Gratisblatt für den nächsten Tag einzufüllen.

Dieser Bote weiß vermutlich wenig darüber, welche Schreckensmeldungen das Blatt für den nächsten Morgen bereithält, dachte Känzig. Nur so ließ sich erklären, weshalb der Mann ein fröhliches Lied summte, während er die Zeitungen stapelweise in die Boxen schob. Dann fuhr er mit seinem Elektrowagen wieder in die Nacht hinaus. Vollkommen lautlos, wie er gekommen war, was gespenstisch wirkte.

Känzig selbst las fast keine Zeitungen mehr. Die gedruckte Ausgabe im Briefkasten hatten sie abbestellt, als sie vor vier Jahren Luisa bekommen hatten und die freie Zeit immer knapper geworden war. Das digitale Abo hatten sie Jahr für Jahr stets ein wenig unmotivierter erneuert. Aber am Handy oder am Bildschirm las er selten ganze Berichte. Meistens überflog er nur die Schlagzeilen, um über das Wichtigste informiert zu sein. So hatte er letztes Jahr auch eher zufällig beim Surfen in den News davon erfahren, dass der »Todesengel von Uster« tatsächlich jener Pfleger gewesen war, den er verdächtigt und observiert hatte. Der Mann war in flagranti ertappt worden, hatte ein Geständnis abgelegt und saß nun für ein Jahrzehnt im Gefängnis. Das war für Känzig eine späte Genugtuung gewesen. Auch wenn er durch diese Verurteilung sein Ausscheiden aus dem Polizeicorps nicht hatte rückgängig machen können.

Schon wollte er den Arm ausstrecken und den Kippschalter betätigen, mit dem die Tramtüren geschlossen wurden, als ihm seine Hand den Gehorsam verweigerte. Eine Stimme in seinem Innersten befahl ihm, jetzt ultimativ nachschauen zu gehen und zu klären, ob dort ein Mann auf dem Gehsteig lag oder nicht. Einmal Polizist, immer Polizist; er konnte an einem potenziellen Tatort doch nicht einfach vorbeischlendern wie ein trocken-therapierter Alkoholiker an einem Liquor Shop. Früher, als Polizist, hätte er keine Sekunde gezögert und wäre der Sache nachgegangen. Und nun? Nun hatte er Familie, war eingespannt in die Betreuung der Kinder und die Beziehung zu seiner Frau. Und seinen Karriereknick in Uster hatte er auch noch nicht richtig verdaut, wie er sich eingestehen musste. Der unschöne Abgang dort beschäftigte ihn noch immer. Trotzdem: Stand er nicht doch irgendwie in der Pflicht zu handeln? Weil er zufällig Zeuge eines womöglich tragischen Vorfalls geworden war? Falls der Mann tatsächlich dort liegen sollte, bräuchte er bestimmt Hilfe. Würde er diese verweigern, könnte er sich am Ende strafbar machen.

Er griff zum Funkmikrophon, stellte die Verbindung zur Leitstelle her und ließ sich mit seinem Freund Sam Gröbli verbinden, von dem er wusste, dass er an diesem Sonntagabend Ende September Nachtdienst hatte. Tatsächlich hörte er nach einem Knacken und einem Rauschen die vertraute Stimme von Sam, der fürs Leben gern selbst Trams pilotiert hätte, dies aufgrund eines Rückenleidens aber nicht konnte. Nun steckte er seine ganze Leidenschaft für die Schienenfahrt in seine Arbeit auf der Leitstelle. Känzig hatte ihn kennengelernt, nachdem er in Zürich seine Ausbildung begonnen hatte und sie bei einem Mitarbeiterturnier im Tischfußball als Siegerteam den Pokal abgeräumt hatten. Denn Sam Gröbli hatte auch davon geträumt, Profifußballer zu werden, was erneut sein Rücken nicht zugelassen hatte. So hatte er sich zum virtuosen Tischkicker emporgearbeitet, der in den einschlägigen Bars von Zürich für seine Dribblings und Hammerschüsse gefürchtet war.

»Sam, hier Leo,...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2024
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bahnhofstrasse • Bellevue • Central • Leiche • Mord • ÖPNV • ÖV • Polizei • Schließfach • Schweiz • Tram • Zürich
ISBN-10 3-7152-7536-7 / 3715275367
ISBN-13 978-3-7152-7536-9 / 9783715275369
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