Charles Dickens (eBook)

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2023 | 1. Auflage
160 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02049-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Charles Dickens -  Johann N. Schmidt
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Charles Dickens (1812-1870) gehört zu den bedeutendsten Erzählern des 19. Jahrhunderts. Seine Romane wie «Oliver Twist» und «David Copperfield» haben neue Maßstäbe gesetzt für die Vermittlung von Sozialkritik in populärer, nicht selten humoristischer Form. Die Unnachahmlichkeit seiner oft skurrilen Figuren, seine ausschweifende Erzählfantasie und eine meisterhafte Verbindung von komischen und melodramatischen Elementen machen Dickens' Rang in der Weltliteratur bis heute aus. Nicht zuletzt mit seinen Weihnachtsgeschichten hat er viele Generationen von Leserinnen und Lesern berührt und begeistert.   Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Johann N. Schmidt, 1945 in München geboren. Ab 1965 Studium der Anglistik, Romanistik und Germanistik in München und Swansea (Großbritannien), 1970 und 1971 Lektor an der Universität Southampton. 1974 Promotion, 1983 Habilitation. Unterrichtete bis 2010 als ordentlicher Professor am Seminar für Englische Sprache und Kultur der Universität Hamburg.Veröffentlichungen: Aufsätze zur Shakespeare-Rezeption, zu Problemen der Satire, zur Literaturverfilmung und zur linguistischen Analyse poetischer Texte. Übersetzungen von Edmund Wilson und Simon Gray. «Satire: Swift und Pope» (Diss., Stuttgart 1977), «D. H. Lawrence: ?Sons and Lovers?» (München 1984), «Ästhetik des Melodramas» (Habil., Heidelberg 1986). Für die Reihe «rowohlts monographien» schrieb er 1978 den Band über Charles Dickens (rm 50262).

Johann N. Schmidt, 1945 in München geboren. Ab 1965 Studium der Anglistik, Romanistik und Germanistik in München und Swansea (Großbritannien), 1970 und 1971 Lektor an der Universität Southampton. 1974 Promotion, 1983 Habilitation. Unterrichtete bis 2010 als ordentlicher Professor am Seminar für Englische Sprache und Kultur der Universität Hamburg. Veröffentlichungen: Aufsätze zur Shakespeare-Rezeption, zu Problemen der Satire, zur Literaturverfilmung und zur linguistischen Analyse poetischer Texte. Übersetzungen von Edmund Wilson und Simon Gray. «Satire: Swift und Pope» (Diss., Stuttgart 1977), «D. H. Lawrence: ‹Sons and Lovers›» (München 1984), «Ästhetik des Melodramas» (Habil., Heidelberg 1986). Für die Reihe «rowohlts monographien» schrieb er 1978 den Band über Charles Dickens (rm 50262).

Frühe Ängste


Charles Dickens’ Kindheit und Jugend haben einen Einfluss auf seine spätere Entwicklung ausgeübt, der über die bloße Aufnahme und Verarbeitung erster Erfahrungen weit hinausreicht. In autobiographischen Fragmenten und vor allem in den Romanen selbst werden die frühen Jahre so schmerzlich-intensiv wiedererlebt, gewinnen eine so große emotionale Macht über den Autor, dass die kindliche Seh- und Fühlweise zur vielleicht wichtigsten Perspektive des erwachsenen Dickens wird. Nicht zufällig sind die «Helden» vieler seiner Romane und Erzählungen Kinder: Oliver Twist, Little Nell (Der Raritätenladen), Paul und Florence Dombey, David Copperfield, Esther Summerson und Jo der Straßenfeger (Bleak House) und der kleine Pip in Große Erwartungen. Durch sie wird ein Ausschnitt auf eine Welt freigegeben, in der noch nichts selbstverständlich geworden ist und gerade deshalb jede staunend wahrgenommene Einzelheit nur darauf wartet, beschrieben zu werden. Als erzählerisches Gestaltungselement schlägt sich dies nieder in der Konzentration auf stark typisierende Eigenschaften eines Menschen, der Lust am Nachahmen von sprachlichen Ticks, der Verschmelzung scheinbar widersprüchlicher Empfindungen (etwa in der Groteske mit ihrer Mischung aus Grauen und Komik) und einem vom erwachsenen Normbewusstsein unbeschädigten Gespür für das Absonderliche, nicht Alltägliche. Dickens ist angelastet worden, dass seine Kindergestalten blass, passiv leidend und idealisiert seien, gleichsam Spiegelungen eines prüde-viktorianischen Wunschdenkens. Sicher trifft dies zu, doch bringt ihre Passivität auch zur konkreten Anschauung, wie das wehrlos-unschuldige Bewusstsein einer Umgebung ausgeliefert ist, die nur das Realitätsdenken eines Erwachsenen bewältigen kann – und meist auch dieses nicht, weil die alten Wünsche und Ängste nur notdürftig verdeckt sind. Dieser lebensgeschichtliche Konflikt, wie er in Dickens’ Büchern immer wieder auftritt, findet eine Entsprechung in der Biographie des Autors, den die Erinnerung an seine Kindheit bis zum Tod nicht mehr verließ.

Charles John Huffam Dickens wurde am 7. Februar 1812 als zweites von acht Kindern in Landport bei Portsmouth, einem Seehafen an der englischen Südküste, geboren. Seine Eltern lernt man – besser als auf den zeitgenössischen Porträts – in den überpointiert gestalteten Figuren von Mr. Micawber (David Copperfield) und Mrs. Nickleby (Nicholas Nickleby) kennen. Der Vater, John Dickens, war ein liebenswerter, loyaler, gutmütiger Mann mit einer Schwäche für gedrechselt-pompöse Redensarten und joviale Gesten. Seine großzügige und gesellige Lebensführung überstieg freilich immer wieder die finanziellen Möglichkeiten, die ihm sein Beruf als Marinezahlmeister erlaubte. Regelmäßige Schulden – später vom erfolgreichen Sohn beglichen – bedrohten zeitlebens seinen sozialen Status. Seine Frau Elizabeth war die Tochter des wohlhabenden Marineleutnants Charles Barrow, und obgleich das Marinezahlamt den Hintergrund für die Verbindung abgab, war es für John Dickens doch ein gewaltiger Sprung über festgezogene Klassenschranken. Denn seine Eltern hatten es zwar zu respektierten Hausangestellten bei einem Marquis gebracht, doch für eine vornehme Einheirat war seine Abkunft keineswegs standesgemäß. Von ihrem Sohn wird Elizabeth Dickens nur selten und dann nicht ohne Unbehagen erwähnt. Ihre Bevormundungen und wirkungslosen Versuche, den finanziell gefährdeten Haushalt in den Griff zu bekommen, ließen vermutlich kein besonders herzliches Verhältnis zu ihrer Familie aufkommen. So verrät der Bericht des reifen Dickens über die alterskranke Mutter in seiner absurden Komik einen eklatanten Mangel an Mitgefühl: Meine Mutter, die ich ebenfalls erbte, als mein Vater starb (ich erbte immer nur Verwandte), befindet sich in einem höchst merkwürdigen Geisteszustand, der vom senilen Verfall herrührt; und die Unmöglichkeit, ihr beizubringen, was um sie hervorgeht, verbunden mit ihrem Drängen, in Schwarz gekleidet zu werden wie ein weiblicher Hamlet, beleuchtet die düstere Szene mit einer grauenhaften Sinnlosigkeit, die den Haupttrost darstellt, den ich darin finden kann.[11]

Dass der kleine Charles seinen Großvater mütterlicherseits nie zu Gesicht bekam, war mit ständigem Auslandsaufenthalt dieser unabkömmlichen Person zwar richtig, aber schamhaft erklärt: Nachdem er neun Jahre lang die Abrechnungskonten systematisch gefälscht hatte, musste Charles Barrow 1810 das Land verlassen und beendete sein Leben auf der Isle of Man. Die Gefährdung bürgerlicher Existenz durch ein Familienmitglied (die gefürchtete Leiche im Keller) und die Flucht vor der moralischen Katastrophe sollten bei Dickens zu immer wiederkehrenden Romanmotiven werden. Zudem bedrohte der Verlust mühsam erreichter Positionen auch die Eltern, die zuerst in Portsmouth, später in Chatham jeweils innerhalb desselben Ortes in billigere, ungeräumigere Häuser umziehen mussten.

Trotz des beunruhigenden gesellschaftlichen Schwebezustands, in dem sich die Familie befand, waren für Charles die Schrecken der Kindheit zunächst mehr in der Vorstellungswelt als in der Realität verborgen. Das animistische Reich viktorianischer Spielzeugmasken von Schurken, Dämonen und feuerspeienden Zwergen lag im Kampf mit den Mächten des Guten, was die Grenze zwischen vergnüglichem Spiel und sanftem Terror nur allzu oft verwischte. Das Puppentheater erweckte die Lust an dramatischen Effekten, der Dickens zeitlebens nachgab, weil sie ihn für mancherlei hässliche Alltagsdramen entschädigte. Vom Kindermädchen Mary Weller wurden ihm Märchen mit wundersamen Geschehnissen, aber auch phantastischen Schauerlichkeiten erzählt, wie etwa die Geschichte vom «Kapitän Mörder», der seine Frauen in Fleischpasteten verarbeitet, bis er durch das ihm vom nächsterwählten Opfer verabreichte Gift vom Boden bis zur Decke anschwillt und schließlich platzt. Gleich einem Erzähler mit Realismusanspruch vergaß Mary nicht, genüßlich zu erwähnen, dass die sinistren Ereignisse ihren engsten Bekannten zugestoßen seien. Die junge Frau hatte ein teuflisches Vergnügen an meinen Ängsten[12], erinnerte sich Dickens, der in seinen Romanen immer wieder das Schreckenerregende in den Bereich des Möglichen rückte, um so der vertrauten Wirklichkeit einen irrealen Anflug des Grauens zu verleihen. Das Elternhaus bot freilich auch harmlosere Vergnügungen: die Laterna magica, zusammen mit den Geschwistern eingeübte Possen, komische Duette, dramatische Rezitationen und Pantomimen. Als Achtjähriger hatte Charles in Chatham den großen Clown Grimaldi erlebt, dessen Memoiren er später herausgeben sollte. Der Clown, Inbegriff des Tragikomischen, rührt das Publikum mit pathetisch großen Gebärden und erheitert es durch seine Naivität in einer Welt der Tücken. Die so geschaffene Zwiespältigkeit der Gefühle ist keinem Dickens-Leser unbekannt.

Die Lektüre der großen pikaresken Romane des 18. Jahrhunderts (Fielding, Smollett, Lesage) führt den jungen Charles in eine abenteuerlich-bunte Landschaft, in der sich gutmütige Schelme gewitzt durchs Leben schlagen und manchem zeitgenössischen Kodex eine lange Nase machen. Diese Bücher, erinnert sich Dickens’ Alter Ego David Copperfield, hielten meine Einbildungskraft am Leben und meine Hoffnung auf etwas anderes jenseits dieses Ortes und dieser Zeit – wie auch Tausendundeine Nacht und die Geschichten von den Genji –, sie alle fügten mir keinen Schaden zu; denn was auch an Schädlichem für mich in den Büchern sein mochte, für mich war es nicht da; ich wußte nichts davon[13]. Vor allem im Frühwerk Dickens’, von den Pickwickiern bis Martin Chuzzlewit, werden die pikaresken Elemente noch einmal belebt. Nachprüfbar ist dies an der episodenhaften Erzählstruktur, dem Motiv der Reise und der daraus folgenden Vielfalt von Szenarien, der Konfrontation des blauäugigen Helden mit einer nicht stets freundlichen Umwelt sowie an allerlei unmotiviert eintretenden Konfliktlösungen. Dickens, oft etwas pauschal der realistischen Erzählkunst des 19. Jahrhunderts zugerechnet, war anfangs noch ganz den großen Vorbildern einer Romantradition verpflichtet, die ins vorindustrielle England der Postkutschen, Landkneipen und einer geordneten Ständehierarchie zurückweist. Das Peterloo-Massaker (1819), jene brutale Niederschlagung unbewaffneter Aufständischer durch ein Kavallerieregiment, hatte in diesem England keinen Platz, und als davon die Kunde ins idyllische Chatham drang, empfand der siebenjährige Charles ein Gefühl des Schreckens, das mich im Bett erzittern ließ, nachdem ich dafür gebetet hatte, daß die Radikalen möglichst schnell ergriffen und gehängt werden möchten[14]. Eine kindliche Reaktion, gewiss, doch nicht untypisch für die Ängste des frühviktorianischen Bürgertums. Dickens’ «Revolutionsromane» Barnaby Rudge und Die Geschichte zweier Städte sollten beide unentschieden zwischen der Faszination gerechten sozialen Protests und der Abscheu vor der organisierten Masse schwanken – wie auch ihr Autor.

Als Dickens’ Vater 1822 nach London versetzt wurde, war die glückliche Zeit in der ländlichen Idylle Nordkents unwiderruflich vorbei. Charles brachte noch das Schuljahr zu Ende und wurde dann in eine Postkutsche verfrachtet, um seinen Eltern nachzufolgen: Niemand begleitete mich darin, ich verzehrte meine belegten Brote in einsamer Trostlosigkeit, es regnete die ganze Reise in Strömen und ich fand das Leben matschiger, als ich es erwartet...

Erscheint lt. Verlag 14.11.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte David Copperfield • Eine Weihnachtsgeschichte • England • Journalist • Monografie • Oliver Twist • Schriftsteller
ISBN-10 3-644-02049-3 / 3644020493
ISBN-13 978-3-644-02049-8 / 9783644020498
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