Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) -  Christian Stiglmayr

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) (eBook)

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2023 | 1. Auflage
145 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-036268-0 (ISBN)
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Mitte der 1990er Jahre gelangte die DBT aus den USA in die deutschsprachigen Länder und etablierte sich rasch als am besten evaluierte Methode zur Behandlung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Aufgrund ihrer Einsatzbreite und ihres modularen, sehr klaren Aufbaus wird sie nunmehr auch für die Behandlung anderer Störungen eingesetzt, wie z.B. Essstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung oder Suchterkrankungen. Der Autor - selbst DBT-Verfechter der ersten Stunde - gibt in diesem Buch einen kompakten und gleichzeitig fundierten Überblick über die Hintergründe und Inhalte der DBT, veranschaulicht anhand praktischer Umsetzungsbeispiele.

PD Dr. Christian Stiglmayr, psychologischer Psychotherapeut (VT) mit eigener Niederlassung, Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Wissenschaftliche Psychotherapie (AWP) Berlin, Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Präsident des Dachverbands DBT e.V.

PD Dr. Christian Stiglmayr, psychologischer Psychotherapeut (VT) mit eigener Niederlassung, Leiter der Arbeitsgemeinschaft für Wissenschaftliche Psychotherapie (AWP) Berlin, Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin, Präsident des Dachverbands DBT e.V.

3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen


3.1 Die Weltsicht der DBT


Es gibt drei philosophische Grundannahmen, die der DBT zugrunde liegen:

  • Alle Dinge sind miteinander verbunden: diese Aussage bedeutet, dass jeder und jedes miteinander in Verbindung steht. Die Gesamtheit der Einzelteile ergibt das Ganze. Demnach kann das Einzelne nicht ohne das Andere existieren und genauso umgekehrt; kurzum: wir brauchen einander.

  • Veränderung ist beständig und unvermeidlich: Veränderung ist ein notwendiger Bestandteil des Lebens. Alles befindet sich in Veränderung, in einem beständigen Transformationsprozess. Diesen Umstand fasste bereits der Philosoph Heraklit mit den Worten »Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung« zusammen. Dieser Grundannahme zufolge gibt es keinen leidvollen Zustand der für immer anhält.

  • Gegensätze ergeben etwas Neues: Alles setzt sich aus Gegensätzen zusammen, die gleichzeitig wahr sind. Diese Aussage fußt auf den Annahmen der Dialektik. Hierbei geht es beständig um die Auflösung von Widersprüchen mit dem Ziel, aus der zwischen den Widersprüchen existierenden Spannung etwas Neues zu schaffen.

Auf den letzten Punkt soll nachfolgend näher eingegangen werden.

Bezeichnet das »Behavioral« im Titel der Methode deren grundlegende verhaltenstherapeutische Ausrichtung, steht »Dialektisch« für die dahinterstehende Weltsicht. Linehan bezieht sich dabei auf das hegelsche Verständnis der Dialektik: Die These ist in sich unvollständig und fordert so ihre Verneinung – die Antithese. Dieser Konflikt findet seine Auflösung in der Synthese. Die Synthese bildet nachfolgend die neue These, die wiederum nach einer neuen Antithese verlangt. Ziel dieses Prozesses ist nach Hegel die Einigkeit des Menschen in der Liebe. Wenn Menschen Hilfe z. B. in Form von Therapie aufsuchen, stecken sie dieser Sichtweise zufolge in diesem Prozess fest, finden keine Auflösung von These und Antithese in der Synthese. Genau an diesem Punkt setzt die DBT an: Sich widersprechende Wahrheiten (z. B. »Das Leben ist so, wie es gerade ist, nicht lebenswert« vs. »Jegliche Veränderung fühlt sich existenziell bedrohlich an«) werden nebeneinandergestellt, um mit der sich daraus generierenden Spannung den Prozess zur Synthese neu in Gang zu setzen (z. B. »Ich kann mich auch bewegen, wenn ich sehr viel Angst habe«). Oder anders formuliert: »Sich widersprechende Wahrheiten löschen sich nicht notwendigerweise gegenseitig aus ... Sie stehen nebeneinander und fordern zur Beteiligung und zum Experimentieren auf.« (Goldberg 1980, S. 295 – 296). Gleichzeitig achtet der Therapeut beständig darauf, dass der Patient in der Lage verbleibt, sich diesem Prozess stellen zu können; d. h.: Wann immer der Patient sich in einem Zustand befindet, in dem er nicht mehr klar denken und handeln kann (Dissoziation, hohe Anspannungszustände), sorgt er durch den Einsatz von konkret zu vermittelnden Fertigkeiten dafür, dass er wieder handlungs- und arbeitsfähig wird. Sobald der Patient wieder in der Lage ist, an dem Prozess teilzunehmen, verbleibt dem Therapeuten die Aufgabe der wohlwollenden und herzlichen Begleitung des individuellen Prozesses bei gleichzeitiger Vermittlung weiterer Fertigkeiten, die für ein lebenswertes Leben notwendig sind.

Als die effektivste Fertigkeit zur Auflösung zweier sich widersprechender Pole beschreibt Linehan das Konzept des »Wise Mind«. Wise Mind meint die Synthese aus »rationalem« und »emotionalem« Verstand. Linehan bezeichnet damit den Ort der inneren Weisheit – ein Ort, über den jedes Lebewesen verfügt. Im Wise Mind findet sich demnach das intuitive Wissen, was für ein Lebewesen in welcher Situation die richtige Entscheidung darstellt. Gelegentlich ist allerdings der Zugang zum Wise Mind durch starke Emotionen oder Grundannahmen (z. B. »Ich darf nicht schwach sein.«) verstellt; dann ist die therapeutische Aufgabe, diese Verbindung wieder zu (re)‌aktivieren, um darüber sicherzustellen, dass der Patient den für ihn persönlich zutreffenden Weg einschlägt (»Wenn Sie mal in sich hineinhorchen: Was sagt Ihr Wise Mind zu dieser Situation?«).

Merke

Wann immer eine Entscheidung zwischen dem emotionalen und dem rationalen Verstand »festhängt«, kann das Wise Mind als dritte Instanz die ausgewogensten Antworten liefern.

Gerade in den letzten Jahren wurde der zentrale Fokus im Rahmen dieses dialektischen Prozesses genauer definiert. Im Verständnis der DBT stellen Emotionen und die dahinterliegenden Bedürfnisse die Grundlage für die Identität einer Person dar. Emotionen und Bedürfnisse geben Auskunft über das, was einem guttut oder schädlich ist und stellen die Grundlage für Lebensziele und Werte dar. Demnach kann die Reise zu sich selbst – und nichts anderes stellt Psychotherapie dar – nur über die eigenen primären Emotionen und die dahinterliegenden Bedürfnisse gelingen (zur Definition von adaptiven/maladaptiven primären bzw. sekundären Emotionen ▸ Kap. 5.3). Die adaptiven primären Emotionen stellen hierbei eine Art individuellen Leitfaden bzw. Kompass dar, welcher stets eine klare Orientierung sowohl für den Patienten wie auch Therapeuten im therapeutischen Prozess gibt. Aufgrund dieses beständigen und die Therapie begleitenden Fokus hat sich die DBT im Wesenskern als eine auf die Emotionen fokussierende Therapie etabliert. Da die meisten Patienten jedoch ausgesprochen Emotions- und damit Selbst-phobisch sind, ist es daher die zusätzliche Aufgabe des Therapeuten, Vermeidungsverhalten des Patienten zu benennen (NSSV, Dissoziation, Drogen- und Alkoholkonsum, sekundäre Emotionen etc.) und ihm dabei zu helfen, dieses zu unterbinden. Durch die dadurch entstehende Konfrontation mit den bislang vermiedenen, weil schmerzhaften Emotionen entsteht zwangsläufig Leid und Not. Um dem Patienten zu ermöglichen, den damit einhergehenden aversiven Zuständen konstruktiv begegnen zu können, wird die Praxis des Selbstmitgefühls vermittelt und eingeübt.

Die Auflösung dichotomer Betrachtungsweisen und damit ein tiefes inneres Annehmen von sich selbst und der eigenen Umgebung stellt damit das attraktive Endziel der DBT dar.

Merke

Die DBT ist eine auf die Emotionen fokussierende Therapie und weniger eine kognitive Therapie.

3.2 Das ätiologische Modell in der DBT


Mit der biosozialen Theorie hat Marsha Linehan ein dialektisches Modell zur Störungsgenese entwickelt, auf welchem das therapeutische Vorgehen fußt. Die biosoziale Theorie postuliert zwei ursächliche Pole für das Zustandekommen der psychischen Störung: zum einen biologische Unregelmäßigkeiten und zum anderen dysfunktionale Umweltbedingungen. Durch deren Interaktion kommt es in der Folge zu einer Störung des emotionsregulierenden Systems – dem Kernmerkmal der BPS, aber auch zahlreicher weiterer Störungen.

Bei diesem Modell wird davon ausgegangen (▸ Abb. 3.1), dass die Betroffenen mit einer genetisch bedingten oder später erworbenen neurobiologischen Unregelmäßigkeit zu kämpfen haben, die sie sensibler und stärker auf emotionale Stimuli reagieren lässt. Gleichzeitig wachsen sie in einer Umgebung auf, die entweder nicht in der Lage ist, angemessen auf die genetisch bedingten Unregelmäßigkeiten zu reagieren oder/und aufgrund ihrer Aversivität zu den entsprechenden neurobiologischen Veränderungen führt. Der Betroffene wächst also in einer subjektiv traumatisierenden Umgebung auf, da er entweder emotionale Stimuli, die für andere normal sind, genetisch bedingt als unkontrollierbar und damit traumatisch erlebt oder aber tatsächliche schwerwiegende Traumata erfahren musste. Es kann davon ausgegangen werden, dass in vielen Fällen beide Bedingungen zutreffen. Die aktuelle Studienlage zeigt, dass in der Tat bis zu 50 % der Betroffenen von schwerwiegenden Kindheitstraumata inklusive sexuellem Missbrauch und etwa 95 % von emotionaler Vernachlässigung berichten (Scheiderer et al. 2015).

Abb. 3.1:Die biosoziale Theorie

Die resultierende Emotionsregulationsstörung ist durch die Unfähigkeit gekennzeichnet, emotionsspezifische Verhaltensweisen funktional zu steuern. Hierzu zählt die Wahrnehmung emotionaler Schlüsselreize, die emotionale Erfahrung inklusive dem emotionsspezifischen Handlungsimpuls sowie die daraus resultierende Handlung inklusive des verbalen, mimischen und gestischen Ausdrucks. In der Folge haben die Betroffenen:

  • 1.

    eine prinzipiell erhöhte negative emotionale Baseline,

  • 2.

    eine erhöhte Sensitivität für emotionale...

Erscheint lt. Verlag 8.11.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Nina Heinrichs, Rita Rosner, Günter H. Seidler, Carsten Spitzer, Rolf-Dieter Stieglitz, Bernhard Strauß
Zusatzinfo 3 Abb.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Borderline • Borderline-Persönlichkeitsstörung • Borderline-Störung • Dialektisch Behaviorale Therapie • Persönlichkeitsstörung • Psychotherapeutische Verfahren • Psychotherapie
ISBN-10 3-17-036268-2 / 3170362682
ISBN-13 978-3-17-036268-0 / 9783170362680
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