Hickory Hills (eBook)
416 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-797-2 (ISBN)
Elizabeth Musser wuchs in Atlanta auf. Seit dem Abschluss ihres Studiums englischer und französischer Literatur an der Vanderbilt Universität in Tennessee ist sie als Missionarin tätig. Heute lebt sie mit ihrem Mann Paul in der Nähe von Lyon in Frankreich. Die beiden haben zwei Söhne. www.elizabethmusser.wordpress.com Instagram: elizabeth.musser Facebook: Elizabeth Musser
1. Allie
Atlanta, Georgia
Donnerstag, 5. März 2020
»Sensationsfund in Buckhead: Dinosaurierknochen im Garten!«
Die Zeitungsmeldung war einfach nur zum Lachen. Wahnsinn ... Dinosaurierknochen!
Normalerweise hätte ich bei solchen Zeilen in der Online-Ausgabe der Atlanta Journal-Constitution laut losgeprustet. Stattdessen brach ich in Tränen aus. Ich wusste genau, um wessen Garten es ging und wem die Knochen gehörten. Es handelte sich jedenfalls nicht um Dinosaurier.
Ich hatte das Gefühl zu sterben. Ich wollte schreien, weil irgendein verrückter Bagger mein ganzes Leben exhumierte – Vergangenheit und Zukunft zugleich. Konnte er bitte, bitte damit aufhören?
Mein Mobiltelefon holte mich mit einer vertrauten Tonfolge aus meiner morbiden Stimmung.
»Hey, Schwesterchen. Schätze, du hast den Artikel in der AJC gesehen.«
»Jep.«
»Ich musste zig Mal ungläubig blinzeln, als ich das gelesen habe. Das waren fast wortwörtlich deine Worte, vor zwanzig Jahren. Weißt du noch? ›Eines Tages wird jemand im Rondell graben und glauben, dass sie in Nana Dales Garten Dinosaurierknochen gefunden haben!‹«
»Natürlich weiß ich das noch. Damals fand ich es ungeheuer lustig. Ein Witz! Und jetzt wird er Realität und mir dreht sich der Magen um!«
»Hey, fang jetzt nicht an, dir Vorwürfe zu machen. Dich trifft keine Schuld. Du hast gekämpft wie ein T-Rex.«
»Ha. Danke, Brüderchen.« Aber meine Worte klangen leer. Ich wusste, dass Wick irgendwo in Frankreich auf die Onlineausgabe des Artikels starrte. Ich dachte an meinen monatelangen Kampf und wie Wick sich geärgert hatte, dass er so weit weg wohnte.
Wick liebte Ahnenforschung, seit er herausgefunden hatte, dass er nach unserem Urgroßvater mütterlicherseits, Jeremiah Wickliffe Butler, benannt worden war. Vor Kurzem hatte er seinen Master in Denkmalpflege gemacht und diese beiden Fähigkeiten häufig auf ungewöhnliche Weise verknüpft, zuletzt mit einem einjährigen Zeitvertrag im Louvre. Er war bereits für Nana Dales Beerdigung und Testamentseröffnung im Dezember zurück in die Vereinigten Staaten gekommen. Er konnte jetzt nicht schon wieder verreisen.
»Ich wünschte, du wärst hier«, sagte ich trotzdem. »Du könntest mir helfen, dieses ganze Chaos zu entwirren.«
»Es wurde bereits im Januar entwirrt. Es ist nicht mehr dein Problem.«
»Aber das ist es ja gerade. Es ist mein Problem, dass es nicht mehr mein Problem ist. Das war mein Traum, mein Lebensziel. Alles.« Ich schluchzte in mich hinein, weil ich nicht am Telefon meinem Bruder etwas vorheulen wollte. »Und mehr noch: Es war auch ihr Traum. Es war ihr Wille, dass ich ihn fortführe.«
»Hey, tut mir leid. Ich weiß, das ist großer Mist, aber du kannst nun mal nichts dran ändern. Ist das Haus inzwischen geräumt?«
Danke für das Mitgefühl.
»Fast«, log ich. Ich hatte noch nicht eine einzige Kiste gepackt.
Aber Wick kannte mich. Er seufzte theatralisch. »Hör mal, wenn du nicht die Sachen durchgehst und das raussuchst, was wir behalten wollen, wird alles verkauft oder verschenkt werden. Bitte.«
»Ja, mache ich noch. Versprochen.«
»Und lass dir von der Immobilienagentur helfen. Das meine ich ernst.«
»Ich vertraue denen nicht.«
»Es ist nicht ihre Schuld. Oder die unseres Anwalts. Das weißt du.«
Ich schwieg.
»Komm schon. Lass dir von jemandem helfen.«
Ich war froh, dass er das Gespräch nicht auf Austin brachte.
»Ich werde die Knochen besuchen!«, sagte ich und versuchte verzweifelt, das Thema zu wechseln.
»Was?«
»Die Dinosaurierknochen.« Ich lachte kurz. »Ich wette, sie haben die Hälfte noch gar nicht gefunden.«
»Himmel noch mal, lass es einfach! Du hast doch genug lebende Dinge, um die du dich kümmern solltest, ohne auch noch ...« Er zögerte. »Ohne auch noch dem Reporter von der AJC dabei zu helfen, das Rätsel der Dinosaurierknochen zu lösen.«
Ich verdrängte den Gedanken an Kindheitsspiele und die schwülen Sommertage, an denen unsere Eltern uns bei den Großeltern abgesetzt hatten, um sich in der Welt herumzutreiben. »Ich muss los«, sagte ich.
»Keinen Blödsinn machen, Schwesterchen. Versprochen?«
Ich sagte nichts und wusste, dass Wick das nicht überraschte.
Dann legte ich mein Handy ab und stand abrupt auf. Maggie, meine Katze, sprang erschrocken von meinem Schoß. Sie funkelte mich mit ihren grünen Augen an und meine schwarze Leggins zeigte Spuren ihres flauschigen Fells. Absicht, natürlich.
Ich schnappte mir den Schlüssel zu meinem Hyundai, verließ meine Wohnung im elften Stock mit Ausblick auf Buckheads Peachtree und East Paces Ferry Road und fuhr die zehn Minuten zur Nancy Creek Road und dem Viertel, in dem so viele meiner Erinnerungen und Träume wohnten.
Die Menschen, die einst wie meine Großmutter in Buckhead gewohnt hatten, hatten ihre Häuser mit eigenen Händen errichtet, als Atlanta nach dem Sezessionskrieg wiederaufgebaut werden musste und die Straßen noch unbefestigt waren. Sie hatten schwer geschuftet, waren gerade so über die Runden gekommen und hatten ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn unterhalten. Aber jetzt war das Viertel eine Mischung aus Wohlhabenden und Neureichen und gerissenen Bauunternehmern, die wunderschöne Häuser dem Erdboden gleichmachten, um Reihenvillen auf Land zu errichten, auf dem einst Herrenhäuser mit Säulen und Pferdeställen gestanden hatten.
Vor dem Haus meiner Großeltern bremste ich ab, dem Haus, das eigentlich mein Haus sein sollte. Es stand weit ab von der Straße, versteckt hinter großen Hickorybäumen, und man musste durch eine Fülle von jungen Frühlingsblättern spähen, um die Schönheit aus rotem Backstein zu sehen, die sich hinter einem kleinen, mit gepflegtem Ziergras bewachsenen Hügel erhob. Ich fuhr an der Kieseinfahrt und dem Haus zu meiner Rechten vorbei und bog in eine zweite Kieseinfahrt ein.
Mein kleiner Hyundai hoppelte einen steilen Abhang herunter, der schließlich wieder den Hügel hinaufführte, gesäumt von alten Hickorybäumen, Hartriegelbäumchen und Eichen. Anheimelnd, dunkel, tief die Wälder, die ich traf, zitierte ich im Stillen aus dem berühmten Gedicht von Robert Frost, als ein Eichhörnchen über den Weg und auf einen Baum huschte. Der buschige graue Schwanz flüchtete auf einen wartenden Ast wie eine wild wehende Fahne. Mir krampfte sich der Magen zusammen. Wie ich diese Bäume und die Tiere liebte, die unbeschwert und glücklich auf diesem Grundstück lebten!
»Um Himmels willen, lasst ja die guten Bäume stehen!«, hatte meine Großmutter angeordnet – so die Geschichte –, als ein Eissturm 1973 ein Dutzend davon umgeweht hatte, zusammen mit den Oberleitungen überall in der Stadt, lange, bevor ich geboren war.
»Und jetzt werden sie alles hier plattmachen, Nana Dale«, flüsterte ich, als ich auf einer gerodeten Lichtung hielt. Ich schüttelte den Ärger ab und beschloss stattdessen, auszusteigen und auf dem Weg zu meiner Linken den Hügel hinaufzusteigen, einen Morgen oder zwei hinter dem Haus, anstatt mich nach rechts auf den flachen, steinigen Pfad zur Scheune zu machen.
Ich erreichte den Reitplatz, wo ein Bagger stand, das stählerne Maul leer neben einem Berg aus für Georgia typischer roter Erde. Ich starrte die abgeflachte Ebene an, wo der Holzzaun, die Hindernisse, die Koppeln und die Bäume gestanden hatten.
Dinosaurierknochen. Von wegen.
Der Baggerführer beachtete mich nicht. Er trug schlammige Arbeitskleidung, hatte mir den Rücken zugewandt und trat eine Zigarette im lehmigen Boden aus. Und während sein Rauch gelangweilt durch die Luft wirbelte, dachte ich an Nana Dales häufige Warnung: »Streichhölzer an der Scheune sind tabu!«
»Wie können Sie es wagen, hier zu rauchen!«, rief ich. »Das könnte hier alles Feuer fangen!«
Er drehte sich langsam um, mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, zog die Augenbrauen hoch und deutete auf den feuchten roten Tonboden, der sich meterweit um uns herum erstreckte. »Das halte ich für unwahrscheinlich, Miss Allie.«
Ich schnappte nach Luft. »Barnell!«
Ich ging zu ihm und schlang die Arme um seine gebeugten Schultern.
»Miss Allie«, wiederholte er, ein aufrichtiges Lächeln im Gesicht, die Fältchen von einem dichten grauen Bart verdeckt. »Eigentlich darfst du gar nicht hier sein, das weißt du, oder?«
»Ja, aber es ist mir egal. Wie hast du das angestellt? Dass du hier alles ausgraben darfst? Kennst du den Bauunternehmer?«
Barnell verzog das Gesicht. »Jeder kennt den Bauunternehmer. Und vor allem seinen Ruf.« Er zuckte die Achseln. »Tut mir echt leid, dass deine Großmutter es an diesen Halunken verkauft hat. Dachte mir, dass ich dann wenigstens hier die Erdarbeiten durchführe.«
»Danke. Was für eine schöne Überraschung an so einem furchtbaren Tag. Du bist extra deswegen aus dem Ruhestand zurückgekommen, oder?«
Er nickte voller Mitgefühl. »Das alles tut mir wirklich leid.«
»Haben sie die Knochen schon abtransportiert?« Die Frage kam zu barsch heraus, aber als ich Barnell ansah, lachte er....
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2023 |
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Übersetzer | Julian Müller |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-96362-797-2 / 3963627972 |
ISBN-13 | 978-3-96362-797-2 / 9783963627972 |
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