Recht gegen rechts (eBook)

Report 2024
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491854-9 (ISBN)

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Recht gegen rechts -  Recht gegen rechts
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Wie entschlossen treten Politik und Justiz der wachsenden Gefahr von rechts entgegen? Bereits zum vierten Mal deckt der Report »Recht gegen rechts« rechtsextreme Tendenzen in der Rechtssprechung auf. Wo nutzt die Justiz ihre Instrumente zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt nicht ausreichend? Was tut sie zum Schutz derer, die sich für unsere Zivilgesellschaft engagieren? Mehr als 30 prominente Autor*innen beschreiben die wichtigsten Fälle aus dem vergangenen Jahr. Eine offensive Analyse des Versagens der Justiz und eine kritische Chronik erfolgreicher rechtlicher Gegenstrategien. Es geht unter anderem um folgende Themen: Das Itzehoer KZ-Verfahren. Sexismus in der Rechtsprechung. Das überzogene Vorgehen des Rechtsstaats gegen die »Klimakleber«. Die Verharmlosung der Neonazi-Legende von einem alliierten »Bombenholocaust« durch die sächsische Justiz. Mit Beiträgen u.a. von der Rechtsprofessorin Katrin Höffler, dem Opferanwalt Onur Özata, dem Bundesbeauftragten gegen Antiziganismus Mehmet Gürcan Daimagüler und der Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold. Der Report wird herausgegeben von Nele Austermann, Andreas Fischer-Lescano, Heike Kleffner, Kati Lang, Maximilian Pichl, Ronen Steinke und Tore Vetter. Die Herausgeber*innen sind Journalist*innen und kritische Jurist*innen, die sich von einer Grundeinsicht leiten lassen: Rechtsextreme verstehen das Recht als Arena ihrer politischen Kämpfe und versuchen, es für ihre Zwecke auszunutzen. Wenn alle diese Versuche dokumentiert und bewertet werden, ist ein wichtiger Schritt getan, um sich besser wehren zu können. 

Nele Austermann, geb. 1988, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen und Vorstandsmitglied des Vereins Demokratischer Juristinnen und Juristen. Sie promoviert zum Thema »Europäisches Migrationsmanagement«. Andreas Fischer-Lescano, geb. 1972, ist Professor für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Rechtstheorie an der Universität Bremen. Er ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik und Ko-Herausgeber der Zeitschrift »Kritische Justiz«. Heike Kleffner, geb. 1966, ist freie Journalistin und Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Seit den 1990er Jahren publiziert sie über Rechtsextremismus, zuletzt erschienen von ihr, gemeinsam mit Matthias Meisner herausgegeben, die Bücher »Extreme Sicherheit: Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz« sowie »Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen«. Kati Lang, geb. 1979, vertritt als Rechtsanwältin Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten, u. a. im Verfahren gegen die rechtsterroristische »Gruppe Freital« sowie in Verfahren anlässlich des Rohrbombenanschlags auf die Dresdner Moschee und des antisemitischen Attentats von Halle. Sie hat zum Umgang der Justiz mit vorurteilsmotivierter Gewalt promoviert. Maximilian Pichl, geb. 1987, hat Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft studiert. Er forscht an der Universität Kassel und der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ronen Steinke, geb. 1983, ist Jurist, Autor und Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Zuletzt erschien im Berlin Verlag sein Buch »Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz«. Tore Vetter, geb. 1992, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik der Universität Bremen. Er promoviert zum Thema »Eigenverfassung von Versammlungen«.

Warum »Recht gegen rechts«?


Prolog

Das Jahr 2024 ist ein Superwahljahr. Im Frühjahr wird das neue Europäische Parlament gewählt. In Europa und in Deutschland ist die Rechte auf dem Vormarsch. In Brüssel hoffen rechte Parteien, beflügelt von vielen Regierungsbeteiligungen in den Mitgliedstaaten, deutlich mehr Einfluss auf die Gesetzgebung zu erhalten – sofern es gelingt, die internen Streitigkeiten im rechten Lager beizulegen. Viele rechte Parteien wollen nicht mehr nur den Austritt ihres jeweiligen Staates aus der EU, sondern zielen auf ein autoritäres und nationalistisches Europa ab. Dabei ist es ein bewährtes Vorgehen der extremen Rechten, sich wie aktuell in der Flüchtlingsfrage als Bezwinger jenes Chaos zu inszenieren, das sie teils gemeinsam mit konservativen Parteien selbst zu verantworten haben – wie die Krise der Infra- und Verwaltungsstrukturen und der sozialen Ungleichheit.

In allen ostdeutschen Bundesländern finden im Frühjahr 2024 die Kommunalwahlen statt, im Herbst desselben Jahres werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Landtage gewählt. Die rechtsextreme AfD profitierte im Spätsommer 2023 in Umfragen jeweils mit teils über 30 Prozent der prognostizierten Wähler*innen-Stimmen von der Diskursmacht ihrer Themen und Narrative. Doch rechtsextreme Einstellungen und entsprechende Wahloptionen sind ein gesamtdeutsches Problem. Jede zwölfte Person in Deutschland teile ein »manifest rechtsextremes Weltbild«, diagnostizierte die »Mitte-Studie« der Friedrich-Ebert-Stiftung 2023. Die Zustimmung zu rassistischen Aussagen ist deutlich auf über ein Drittel der Befragten gestiegen. Kurzum: Das Wähler*innenpotenzial für rechte Politik weitet sich aus, nachdem es jahrelang stagnierte.

Der deutsche Rechtsradikalismus hat sich seit den »Baseballschlägerjahren« der 1990er Jahre und dem kurzen Höhenflug der NPD nach der Jahrtausendwende wieder erfolgreich in die Parlamente gehetzt und geprügelt. Zehn Jahre nach Gründung der AfD erscheint ihre Präsenz im Bundestag, den Landtagen und Talkshows dieses Landes heute unerträglich normal. Die Wahl des AfD-Politikers Robert Sesselmann in Thüringen zum ersten rechtsextremen Landrat seit 1945 löste 2023 erst breites Entsetzen in der Öffentlichkeit aus – und war kurz darauf doch bloß nur noch Teil eines neuen Status quo: Auf eine Phase der Eskalation folgt die nächste.

Es gibt nichts zu beschönigen. In Deutschland besteht heute die ernsthafte Gefahr der Regierungsmitwirkung oder -beteiligung einer rechtsextremen Partei, zumindest auf Länderebene. Doch auch ohne direkte Regierungsverantwortung können Rechtsextreme aktiv an der Gesetzgebung mitwirken, den Staatsapparat umbauen und auf die Justiz einwirken. Etwa wenn in Thüringen die AfD als möglicherweise stärkste Fraktion im Richter*innenwahlausschuss des Landtags jede Ernennung von Richter*innen blockieren oder durchsetzen kann. Politiker*innen der AfD könnten auch politische Dienstherr*innen der Exekutive werden, mitverantwortlich für Polizei- und Migrationsbehörden, mitverantwortlich für den Verfassungsschutz.

Wie also schützt der Rechtsstaat seine Bürger*innen und Institutionen vor dem zu befürchtenden antidemokratischen Umbau? Wie schützen wir als Bürger*innen die offene Gesellschaft und diejenigen, die besonders im Fokus der extremen Rechten stehen? Und wie groß oder klein sind die Zeiträume, die noch bleiben? Diese Fragen bewegen überall in Europa und in Deutschland angesichts des Vormarschs der parlamentarischen Rechtsextremen viele Menschen. Auch wenn unter den Herausgeber*innen des Reports »Recht gegen rechts« – wie vielerorts – die Debatte um ein Verbot der rechtsextremen AfD durchaus kontrovers geführt wird: Gerade weil die Gefahr für marginalisierte Gruppen und für die Institutionen des Rechtsstaats so groß ist, müssen die Antragsberechtigten – Bundestag, Bundesregierung und/oder Bundesrat – ein solches Verbotsverfahren jetzt in Gang setzen. Das legt auch ein Gutachten des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) nahe.

Als Herausgeber*innen des Reports »Recht gegen rechts« sind wir überzeugt, dass es darum zu tun ist, das Wiedererstarken faschistischer Tendenzen in der Gesellschaft, das der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno schon 1967 beobachtete, auch durch juristische Mittel – die Mittel der Demokratie, des Grundgesetzes – zurückzudrängen. Nur durch die Wachsamkeit einer kritischen Öffentlichkeit und nur, wenn auch die Justiz ihre Instrumente zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt nicht verstauben und verrosten lässt, werden wir den rechten Marsch durch die Institutionen verhindern können.

Deshalb sind in unserem diesjährigen Report auch wieder Beispiele für gelungene Formen der juristischen Auseinandersetzung mit der Gefahr von rechts enthalten. Valentina Chiofalo und Amelie Röhling zeigen beispielsweise in ihrem Beitrag über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wie rechte Akteur*innen aus gesellschaftlichen Räumen, zum Beispiel Sportvereinen, ausgeschlossen werden können. Maximilian Steinbeis demonstriert, dass es auch gegen Parteien wie die AfD Möglichkeiten gibt, um ihrer Beteiligung in Ausschüssen entgegenzuwirken. Und Jannik Rienhoff erläutert, wie eine engagierte Nebenklage auf Prozesse rund um LGBTQIA*-Hatecrimes einwirken kann.

Doch reicht es, das Recht im Kampf gegen rechts zu schärfen und zu sensibilisieren, um die Resilienz der verwundbaren Demokratie sicherzustellen? Was bringt es, die Behörden und Gerichte zum konsequenten Einschreiten gegen Rechtsextreme und zur Verteidigung der Menschenwürde, der Gleichheit aller Menschen, der offenen Demokratie und des Rechtsstaats aufzurufen, wenn immer größere Teile der Bevölkerung den Rechten ihre Stimme geben, die gerade diese Werte angreifen? Wie geht man mit einer Justiz um, die rechte Tendenzen und Gewalt herunterspielt, wie im Falle der Nichtverfolgung antisemitischer Straftaten, die Julia Gelhaar und Nils Kohlmeier in ihrem Beitrag diskutieren? Wie lange können Grund- und Menschenrechte noch der Maßstab sein, wenn selbst in der bürgerlichen Mitte Menschenrechtskonventionen als aus der Zeit gefallen gelten und individuelle Verfahrensrechte angegriffen werden? Was passiert, wenn die Verteidiger*innen von Menschenrechten ins Visier des Staates geraten, wie Clara Bünger in ihrem Beitrag zu den Schlepperei-Verfahren gegen Seenotretter*innen in Griechenland darstellt?

»Recht gegen rechts« ist im liberalen Rechtsstaat immer auch die Mahnung, der Versuchung zu widerstehen, blind jenem starken Staat zu vertrauen, der zu oft Teil des Problems war und ist. Das gilt insbesondere bei unbestimmten rechtlichen Instrumenten wie der »Freiheitlich Demokratischen Grundordnung«, zu deren Gefahren Sarah Schulz in diesem Report anlässlich der AfD-Landratswahl im thüringischen Sonneberg ausführlich Stellung nimmt.

Zugleich gilt es, an das Recht keine falschen Erwartungen zu stellen. Die beste Verfassung ist nichts wert, wenn sie nicht täglich mit Leben gefüllt wird, wenn ihre Verteidiger*innen nicht wissen, was und warum sie die Verfassung verteidigen. Kein Zweifel – im Kampf gegen rechts kommt dem Recht eine wichtige Rolle zu. Aber es greift zu kurz, nein, es wäre geradezu fahrlässig, sich nur auf juristische Instrumente zu verlassen. Im demokratischen Rechtsstaat kann die Abwehr der Gefahr von rechts nicht ausschließlich dem Recht übertragen werden. Demokratien brauchen Demokrat*innen.

Das Grundgesetz, so hielt das Bundesverfassungsgericht es 2009 in seiner berühmten Wunsiedel-Entscheidung fest, ist nicht wertneutral, sondern ein Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Regime, das ihm voranging. Es steht in der Hoffnung, die Welt zu bewahren vor jenem Ungeist, der erst zum Schleifen der Weimarer Demokratie und dann zu Krieg und millionenhaftem Massenmord führte. Doch diese Hoffnung ist fragil. Bertolt Brecht mahnte schon 1941 im finnischen Exil – noch vor dem erhofften Sieg gegen Nazi-Deutschland: »Dass keiner uns zu früh da triumphiert – Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

Diese Sprichwort gewordene Warnung ist heute aktueller denn je. Denn es scheint, dass nicht nur der Rechtsstaat seine Instrumente gegen rechts hat verstauben lassen – nein vielmehr, als habe diese Gesellschaft selbst ihre demokratischen Grundlagen, das Grundgerüst dieser Demokratie vernachlässigt. Bedrohlich wird es auch dann, wenn kritische Stimmen aus den Staatsapparaten mundtot gemacht werden, wie Jan-Felix Sengespeik-Braun in seinem Beitrag zur politischen Agenda der Polizeigewerkschaften mahnt. Die Rechten profitieren heute auch von einer paradoxen Schwäche der parlamentarischen Demokratie. Während einerseits die demokratischen Institutionen etabliert sind wie nie zuvor in der Geschichte, erleben wir andererseits nicht nur bundesweit, sondern global eine eigentümliche Resignation auf das, was manchmal als politische Kultur, als Kultur des demokratischen Streites bezeichnet wird. Wir sehen das in der Gewalt, die Aktivist*innen der »Letzten Generation« aus großen Teilen der Bevölkerung entgegenschlägt, einer Wut, in deren Windschatten längst nicht nur offene Rechtsextreme sich daranmachen, Institutionen der im Grundgesetz verfassten Zivilgesellschaft – Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit – zum Erodieren zu bringen. Katrin Höffler verweist in ihrem Beitrag zum zivilen Ungehorsam genau auf diesen Autoritarismus, der sich im Umgang mit den...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Antisemitismus • Antiziganismus • Corona-Leugner • Demokratiefeindlichkeit • Diskriminierung • Fremdenfeindlichkeit • Grundgesetz • Hate speech • Klima-Aktivistin • LGBTQ • Neonazis • Polizeigewalt • Querdenker • Rassismus • rechtsextreme Chatgruppen • Rechtsterrorismus • Rechtstextremismus • Sexismus • Verfassungsschutz • Wehrhafte Demokratie • Ziviler Ungehorsam
ISBN-10 3-10-491854-6 / 3104918546
ISBN-13 978-3-10-491854-9 / 9783104918549
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