Der Winterkrieg (eBook)

Die Chronik der Sarmaten (1) - Historischer Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
432 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-30951-0 (ISBN)

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Der Winterkrieg -  Tim Leach
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173 n. Chr. An den Ufern der zugefrorenen Donau versammeln sich die Clans der Sarmaten. Der Winter in der kargen Ebene war hart, und um zu überleben müssen sie den gefrorenen Fluss überqueren. Doch auf der anderen Seite des Eises liegt das Römische Reich, und vor ihnen steht eine ganze Legion. Die Sarmaten sind mit einer starken Kavallerie angerückt, darunter der junge Krieger Kai. Nach Jahren des Krieges ist das stolze sarmatische Volk der einzige Stamm, der den Römern noch die Stirn bietet. Doch diesmal haben sie keine Chance. Nach heftigen Kämpfen erwacht Kai auf einem blutigen Schlachtfeld. Verletzt und gezeichnet von der Schmach der Niederlage begibt er sich auf eine beschwerliche Reise in sein Heimatdorf. Doch dort erwartet ihn die bittere Erkenntnis, dass sich die Römer nicht mit dem Sieg zufriedengeben ...

Tim Leach ist Absolvent des Warwick Writing Programme, wo er mittlerweile als Assistenzprofessor unterrichtet. Band 1 der Trilogie »Die Chronik der Sarmaten«, »Der Winterkrieg«, war für den Historical Writers' Association Gold Crown Award nominiert.

1


Aus der Ferne hätte die Armee aus Statuen bestehen können. Oder aus Toten.

Sechstausend Reiter auf einer weiten Ebene aus Eis und Schnee, in einem Land, das nicht so aussah, als könnte dort etwas überleben. Der Wind schüttelte ihre langen Speere wie ein Sturm, der durch einen Winterwald fegt, die Pferde aber rührten sich nicht, und unterhalb der eng sitzenden Helme und dicken Fellkapuzen lagen die Augen der Männer scheinbar leblos in dunklen Höhlen. Aus einiger Entfernung mochte man sie für ein gewaltiges Monument halten, aus dem Fels gehauen für einen vergessenen König oder für die Armee eines längst vergessenen Krieges, durch Zauber oder Fluch an diesen Ort gebunden und dazu verdammt, auf ewig stillzustehen und auf einen Befehl zu warten, der niemals kommen würde.

Erst bei näherer Betrachtung waren die kleinen Wirbel aus Atemluft erkennbar, die von ihren Lippen aufstiegen, und hier wie dort einzelne Pferde, die den Kopf zurückwarfen oder im Schnee aufstampften. Noch näher, und auch das leise, ungeduldige Wiehern und Schnauben der Pferde war zu hören, die erpichter auf den Kampf zu sein schienen als die Männer auf ihren Rücken. Die Tiere dachten nur an die brausende Freude des Angriffs, an die Woge aus Hufen und Muskeln, denn anders als die Männer, die sie trugen, hatten sie keine Vorstellung vom Tod. Ihre Reiter starrten stumm auf den gefrorenen Fluss und warteten darauf, dass die Römer das Eis überquerten.

Ein Stück weiter in der ersten Reihe neigte sich ein Speer, als ein Krieger die Waffe auf dem Nacken seines Tieres ablegte. Die Stute schnaubte protestierend. Sie und ihr Reiter waren in Rüstungen aus schillernden Horn- und Knochenschuppen gehüllt, die wie eine zweite Haut saßen. Als der Reiter jedoch seine Handflächen auf den Speerschaft legte und ihn über ihren Widerrist rollen ließ, verstummte der Protest. Die Stute gab sich der Berührung hin und erschauderte vor Wonne.

Der Reiter daneben schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Kai, du liebst dieses Pferd mehr als meine Frau mich.«

»Und warum nicht?«, gab der Angesprochene zurück. »Meine Stute hat ja auch mehr Liebe verdient als du. Sie ist tapferer. Und deutlich hübscher.« Er schlug die Fellkapuze zurück und entblößte seine Zähne zu einem freundlichen Grinsen.

Gelächter, um die Stille zu brechen – leise zwar und halb verkniffen, aber doch hörbar, wie es durch die Reihen lief. Selbst mancher, der den Scherz nicht gehört haben konnte, grinste schnell, tätschelte sein Ross oder reckte den Speer, um die kalten Muskeln geschmeidig zu machen. Für einen kurzen Moment war die Armee zu neuem Leben erwacht.

Bahadur, der zweite Reiter, versetzte Kai einen Schlag auf den Hinterkopf, ein Kuss aus Leder und Bronze, erwiderte aber auch das Lächeln. Dann beugte er sich vor, kam nahe genug, dass Kai jede Linie der Tätowierungen auf seinen Wangen erkennen und die grauen Haare in seinem Bart zählen konnte. »Bring sie noch mal zum Lachen, wenn du kannst. Viele haben Angst.«

Das letzte Wort wirkte wie ein Zauber, denn kaum war es ausgesprochen, schien die Luft wieder dünn und kalt zu werden wie auf einem hohen Pass in den Karpaten. In ihrem Volk wurde nichts und niemand so verehrt wie ein Krieger, kein Handwerk bewundert, nur das mit Speer und Pferd, kein Tod für süßer erachtet als jener, der in der Spitze einer Schwertklinge lauert. Und trotzdem hätte sich nur ein Wahnsinniger in dieser Situation nicht gefürchtet, denn die Sarmaten wussten zu gut, was ihnen über das Eis der Danu entgegenkam.

Kai spähte über den zugefrorenen Fluss, schützte seine Augen mit einer behandschuhten Hand vor dem feinen Flockenflug. Kaum was zu sehen da draußen, selbst wenn sich der Nebel gelichtet hätte. Im Sommer hätte man vielleicht Boote auf dem Fluss erblickt, Händler, die kamen, um Wein und Düfte, Felle und Bernstein einzutauschen. Oder Fischer, die sich um den Segen des Flussgottes bemühten, damit ihre Familien keinen Hunger leiden müssten. Doch sogar im Sommer schlichen sich die Händler wie Diebe über das Wasser, und die Fischer wagten nicht, lange zu verweilen. Denn die Danu war eine Grenze, und jenseits des Stroms lag mehr als nur ein anderes Land. Dort lag eine andere Welt.

Am anderen Ufer dieses Flusses begann das Römische Reich. Mit dem Gold eines Häuptlings am Hals einer jeden Frau und einem Schatz aus Eisen in der Hand eines jeden Mannes. Viel wichtiger aber: mit genug Weizen und Vieh, um alle Stämme der Sarmaten gleich doppelt zu ernähren. Für diese, die dank kränklicher Viehherden und verdorbener Ernte in diesem Winter schon halb verhungert waren, gab es auf der anderen Seite des Wassers schlicht Leben; Leben so nah, dass sie es fast berühren konnten.

Fast. Denn jenseits des Eises wartete der Feind. Ein Feind, dessen Name ihnen als Warnung für Kinder oder als finsterer Fluch gegen rivalisierende Stämme diente. Kai hatte diesen Feind in der Schlacht besiegt gesehen, seinen General bei lebendigem Leib aufgeschlitzt, aufgespießt und schreiend den Aasvögeln überlassen als Abschreckung für dessen Volk. Trotzdem waren die Römer zurückgekommen. Die Markomannen, ein anderer Stamm, hatten Kastelle und Städte niedergebrannt und den Kampf fast bis in Sichtweite Roms getragen, dennoch waren die Legionen unerschrocken zurückgekehrt. Selbst die Götter hatten vor einigen Jahren die Römer mit einer Pest verflucht. Die Leichenfeuer hatten bis in den Himmel gelodert und ganze Armeen verschlungen, bis es schien, als könnte es westlich der Danu kein menschliches Leben mehr geben. Und trotzdem saßen sie da in ihren Kastellen, kaum zwei Meilen entfernt, irgendwo jenseits des Eises. Denn offenbar konnten selbst die Götter diese Männer nicht töten.

»Wir sind die Letzten«, sagte Kai.

»Was?«

»Die Letzten, die noch gegen Rom kämpfen. Die Markomannen haben ihren König verloren. Die Quaden haben Rom nach dem Wunder des Regens den Treueeid geleistet. Die Daker …« Bei deren Erwähnung murmelte Bahadur eine finstere Verwünschung, und Kai sagte nichts weiter über sie, stattdessen stellte er fest: »Außer uns ist niemand mehr übrig, um die Römer zu bekämpfen. Was hat das zu bedeuten?«

Unter Kapuzenumhang und Helm war Bahadurs Miene nicht zu lesen. Nur seine Augen blitzten hell auf – war es aus Wut oder Trauer eingedenk Kais letzter Worte, dieser Worte, aus denen um ein Haar ernster Zweifel gesprochen hatte?

»Es bedeutet, dass wir hier heute gewinnen müssen«, sagte der Ältere, »falls wir in diesem Winter noch etwas zwischen die Zähne bekommen wollen. Falls wir weiter frei sein wollen. Was glaubst du denn, was es sonst zu bedeuten hat?«

»Dass unsere Großväter Skythien niemals hätten verlassen sollen. Dass unser Volk tief im Osten im Grasmeer hätte bleiben sollen.«

»Selbst dort hätten sie uns irgendwann heimgesucht. Nur ein bisschen später, das ist alles.«

»Dann sollten wir sie besser jetzt bekämpfen«, sagte Kai. »Bevor es unsere Kinder an unserer statt tun müssen.«

Ein kurzer Aufschrei erklang nach diesen Worten – nicht von Bahadur, sondern von dem Reiter hinter ihm, einem Jungen, der zusammengesunken auf seinem Pferd saß und zitterte und weinte. Er war zu jung für die Kriegsmeute, verschwand fast in seiner Rüstung und hätte mindestens noch einen weiteren Sommer haben sollen, ehe er sich mit seinem Speer zu ihnen gesellte. Aber ihre Reihen waren voll von solchen wie ihm, die eigentlich nicht kämpfen sollten – von grauhaarigen Alten, die ihre Speere kaum noch halten konnten, und von Burschen, die sich besser in der Steppe um ihre Schafherden gekümmert hätten. Es war Bahadurs Sohn Chodona, der mit seinen Tränen Scham auf sich lud, aber sein Vater legte den Arm um ihn, zog ihn an sich und wirkte den wortlosen Zauber, mit dem ein Vater die Angst seines Kindes vertreiben kann.

Kai betrachtete die beiden und spürte die feige Hoffnung aufkeimen, die Römer könnten nicht auftauchen. Sollten sie doch in ihren Kastellen jenseits des Flusses bleiben, damit der Junge zu einem Mann heranwachsen durfte.

Aber die Hoffnung war vergebens. Ein Geräusch hallte über die Danu, rollte durch den Nebel. Zuerst hielt Kai es für das Brechen und Knacken des Eises oder für das Echo eines fernen Sturms, der dröhnend über das weite Land fegte. Doch bald gab es keinen Zweifel mehr, worum es sich handelte.

Saß man abends am Lagerfeuer, erzählten Mütter ihren Kindern mit leiser Stimme Geschichten von diesem Geräusch. Krieger sprachen davon, wie sie sich gefühlt hatten, als sie es zum ersten Mal hörten; als wäre ein gewaltiges Monster aus den Abgründen einer anderen Welt emporgeklettert, um auf zehntausend Füßen durchs Land zu kriechen. Wohin auch immer es sich wandte, überall hinterließ es Berge aus Leichen, zu viele Tote, um sie alle zu ehren und mit Eisen und Gold ins nächste Leben zu schicken. Und für all jene, die überlebten, hielt das Monster eine andere Art von Tod bereit. Den Tod durch Unterwerfung und Sklaverei.

Eine Armee im Gleichschritt. Der Klang einer marschierenden Legion.

Das Geräusch traf die Reiter wie ein Fluch. Die leisen, ermutigenden Worte, die Prahlereien und die bösen Scherze – nichts davon war mehr zu hören. Die Reiter zogen ihre Umhänge enger, selbst die stolzen Pferde gaben keinen Laut mehr von sich. Auch sie hatten diesen Lärm schon oft gehört. Hart erkämpfte Siege, bittere Niederlagen; Rückzüge, die sie weit über Steppe und Ebene verstreut hatten. Ob Sieg oder Niederlage, nichts änderte etwas daran, dass die Legion weitermarschierte.

Kai hörte, wie Bahadur sich neben ihm auf dem Pferd zurechtsetzte. Die Schuppen...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2023
Reihe/Serie Die Sarmaten-Trilogie
Übersetzer Julian Haefs
Sprache deutsch
Original-Titel A Winter War. The Sarmatian Trilogy, book 1
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 2023 • Amazone • a winter war • barbarians • Donau • eBooks • Erstmals auf Deutsch • Historische Romane • Historischer Roman • Kampf gegen Rom • Krieger • Neue Reihe • Neuerscheinung • Osteuropa
ISBN-10 3-641-30951-4 / 3641309514
ISBN-13 978-3-641-30951-0 / 9783641309510
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