Anfang einer neuen Zeit (eBook)
496 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7590-6 (ISBN)
Tabea Rompf (Jg. 2002) lebt in Ludwigshafen am Rhein und schreibt seit ihrem vierzehnten Lebensjahr Geschichten. Sie ist Studentin und besucht regelmäßig eine überkonfessionelle Freikirche in ihrer Region. Wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade selbst schreibt, liest sie gerne. www.tabearompf.de
Tabea Rompf (Jg. 2002) lebt in Ludwigshafen am Rhein und schreibt seit ihrem vierzehnten Lebensjahr Geschichten. Sie ist Studentin und besucht regelmäßig eine überkonfessionelle Freikirche in ihrer Region. Wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade selbst schreibt, liest sie gerne. www.tabearompf.de
PROLOG
Königsberg, Ostpreußen
29. August 1944
Die Sirenen des Fliegeralarms rissen die Einwohner von Königsberg aus den Betten.
Emma Hoffmanns Herz raste, als sie schnell aus dem Bett sprang, sich ein Kleid überwarf und dann nach ihren Halbschuhen griff. Verärgert biss sie die Zähne aufeinander. Vor drei Tagen hatte es bereits einen Luftangriff durch die Royal Air Force gegeben. Sie hatten immer noch nicht alle Toten geborgen und viele Straßen waren noch von Trümmern übersät und unpassierbar. Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie nicht in der Lage war, ihre Schuhe zuzubinden. Sie stopfte die Schnürsenkel seitlich in den Schuh und hoffte, dass das halten würde. Im Dunkeln tastete sie nach ihrem handlichen Notfallkoffer, als die Tür aufflog und ihre Schwester hereinstürmte.
»Wenn du noch länger brauchst, können wir auch gleich hierbleiben!«, schimpfte Charlotte und griff nach Emmas Arm.
»So wie du hereingestürmt bist, dachte ich schon, dass du ein Brite bist oder gar ein Russe«, gluckste Emma, auch wenn ihre Lippen und ihre Stimme vor Angst zitterten.
Ihre Schwester knurrte verärgert. »Darüber macht man keine Witze«, stieß sie hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. »Außerdem würden sie wohl kaum in ihrem eigenen Bombenabwurfgebiet rumlaufen.«
Gezwungenermaßen musste Charlotte an der Treppe langsamer gehen und den Arm von Emma loslassen, um sich am Geländer festzuhalten, damit sie im Dunkeln nicht hinunterfiel. Es sollten keine Lichter angezündet werden und es brannten auch keine Straßenlaternen. Zusammen mit den anderen Menschen, die aus ihren Häusern strömten, rannten sie in Richtung des Luftschutzbunkers zwei Straßen weiter. Hier draußen waren die Sirenen noch lauter und schmerzten in den Ohren.
Emma schnappte nach Luft und hielt sich mit einer Hand die stechende Seite. Die Angst machte ihr bereits das Atmen schwer und das Rennen verschlimmerte das noch. Sie und Charlotte blieben dicht zusammen. Trotz ihres Altersunterschieds von sechs Jahren hatten sie ein enges Verhältnis, das auch nicht von Charlottes Heirat gestört worden war.
»Emma!« Charlotte winkte ihre Schwester zu sich. Vor ihr stand in einem Hauseingang ein kleines Mädchen und weinte bitterlich.
»Hey, Kleine«, sagte Charlotte schnell atmend und ging vor dem Mädchen auf die Knie. Sonst schien es niemand wahrzunehmen. »Wo ist deine Mama?« Sie musste schreien, damit man sie über das Heulen hinweg hören konnte.
Das Kind, das kaum älter als acht Jahre sein konnte, hatte engelsblonde Haare und blaue Augen.
Das perfekte arische Kind, dachte sich Emma leicht spöttisch, die neben ihrer Schwester zum Stehen gekommen war.
»Mama. Mama«, schluchzte das Kind immer wieder.
»Kommen Sie oder wollen Sie Kanonenfutter werden?«, schrie ihnen ein vorüberrennender Mann zu, der sein Tempo allerdings nicht drosselte. Emma warf einen sorgenvollen Blick Richtung Himmel und dann die Straße hinunter. Bis zum Bunker war es nicht mehr weit, aber wenn sie nicht bald weitergingen, würde das auch nichts bringen. Noch waren keine Flugzeuge zu sehen.
»Charlotte«, drängelte sie unruhig. Ihre Schwester warf ihr einen mahnenden Blick zu, der dafür sorgte, dass Emma die Augen verdrehte.
»Wohnst du hier, Kleine?«
Das Kind nickte.
Charlotte hob das Mädchen hoch und drückte es Emma in die Arme, die es perplex entgegennahm. »Geh zum Bunker! Ich schaue nur nach, ob noch jemand im Haus ist! Die Mutter wird wohl kaum ohne sie weitergerannt sein!«, schrie Charlotte und stieß die Haustür auf.
»Du bist verrückt! Lass das! Charlotte!«
Charlotte nahm sich nur eine Sekunde Zeit, um über ihre Schulter zu schauen. »Bring Sie in Sicherheit«, sagte sie, bevor sie zaghaft lächelte und ins Haus verschwand.
Emma blickte sich um. Auf einmal war die Straße wie leer gefegt. Sie schlang den Arm fester um das Mädchen und rannte. Ihre Lungen brannten und sie sah erneut zum Himmel empor. Doch diesmal suchte sie nicht nach Bombern, sondern betete, dass ihre Schwester rechtzeitig wiederkommen möge. Das Kind in ihren Armen zitterte und drückte schwer auf Emmas Hüfte. Selbst wenn die erste Detonation sie nicht treffen sollte, würde das Beben der Erde ihr wortwörtlich den Boden unter den Füßen wegreißen. Mit dem Kind, das sich fest an sie klammerte, konnte das fatale Folgen haben. Eine Verletzung würde es ihr unmöglich machen, Schutz zu suchen. Sie hatte im Lazarett Menschen gesehen, die ein Bombardement überlebt hatten. Es waren höllische Schmerzen, die kaum gelindert werden konnten, und als wäre es nicht schon genug, dass die Menschen durch die Hölle gingen, würden sie früher oder später auch sterben. An einer Infektion oder einer der anderen tausend Möglichkeiten.
Endlich erreichten sie das Gebäude, auf dessen Außenwand mit weißer fluoreszierender Farbe der Hinweis LSR für Luftschutzraum angebracht war. Sie folgte dem weißen Pfeil um die Hausecke und erreichte dann den Eingang zum Bunker.
Emma holte Luft und als sie die sichere, dicke Tür durchquert hatte, setzte sie ihren Koffer und die Kleine ab, die sich die ganze Zeit über die Ohren zugehalten hatte. Doch sofort schlang das Mädchen ihre Arme um Emmas Beine. Ihr Zittern steckte Emma an.
»Wie heißt du?«, fragte sie mit heiserer Stimme und versuchte, sich von dem Gedanken abzulenken, dass jeden Moment die Bomben fallen konnten.
»Eva.«
Emma zwang sich zu einem Lächeln. »Ich heiße Emma.«
Plötzlich fiel ihr Blick auf drei Männer, die mit vereinten Kräften die schwere Schutztür zuzogen.
»Halt! Meine Schwester kommt noch nach, sie müsste jeden Augenblick …« Sie deutete während des Sprechens in die Richtung, aus der sie gekommen war.
»Tut uns leid, Fräulein, aber sie hatte lange genug Zeit, wir können nicht länger warten.«
Emma schaute den Mann fassungslos an und musste hilflos zusehen, wie die Tür verriegelt wurde. Sie schluckte ihren Unmut herunter und kämpfte gegen die Tränen der Wut und der Angst an, als sie die Hand von Eva nahm und sich einen Platz zwischen den vielen anderen Menschen suchte. Evas Weinen war in einen Schluckauf übergegangen. Immer noch flossen heiße Tränen über ihre Wangen, die Emma immer wieder abwischte. Am liebsten hätte sie mit eingestimmt.
»Ihre Schwester findet sicherlich Zuflucht in einem Keller oder einem anderen Bunker«, sagte auf einmal ein Mann, der neben ihr saß. Er hatte ein Knie angezogen, den Kopf gegen die Wand gelehnt und ein aufmunterndes Lächeln auf den Lippen. Er war attraktiv. Ein Mann, mit dem Emma ohne zu zögern tanzen würde, wenn er sie dazu auffordern würde. Sein Kinn zeigte vereinzelte Bartstoppeln, während ihm sein etwas zu langes schwarzes Haar in die Stirn fiel. Er war schätzungsweise Mitte oder Ende zwanzig.
»Ich hoffe es«, murmelte Emma.
Als die erste Bombe fiel, der kalte Boden erschüttert wurde und ein Krachen ertönte, presste sie fest die Lippen aufeinander. Ihre Schwester würde in so einer Situation anfangen zu beten, und vermutlich tat sie in diesem Moment genau das, denn natürlich war sie noch am Leben und im Nachhinein würde Emma sich über ihre alberne Angst lustig machen – das zumindest redete sie sich ein. Besonders für ihren Mann Louis, der Franzose war und für sein Land kämpfte, betete Charlotte immer. Seit Beginn des Krieges hatten die beiden sich nicht mehr gesehen. Sechs verdammte Jahre.
»Ist das Ihre kleine Schwester?«, fragte der Mann.
Sofort musste Emma daran denken, dass sie selbst Charlottes kleine Schwester war – die sich wahrscheinlich gerade irgendwo da draußen in großer Gefahr befand.
Auch Eva schien die Frage gehört zu haben, denn sie hörte auf zu schluchzen, offenbar, um der Konversation folgen zu können.
»Nein«, sagte Emma nur und strich über das blonde Haar von Eva. Die Kleine kuschelte sich eng an sie.
Nach einem Moment des Schweigens fragte der Fremde: »Woher kennt ihr euch?«
Die Frage überraschte sie genauso wie die Tatsache, dass er sie plötzlich duzte. Doch als sie aufschaute, sah sie, dass sein Blick auf Eva und nicht auf ihr ruhte. Emma hätte sich niemals getraut, diese Frage an Eva zu richten, doch der Mann schien sehr direkt zu sein.
»Diese Frau wollte nach meiner Mama sehen«, begann Eva schüchtern zu erzählen. »Und ich sollte mit Emma schon in den Bunker gehen.«
»Sie stand weinend und allein in einem Hauseingang«, fügte Emma leise hinzu und musste schlucken, um den dicken Kloß in ihrem Hals loszuwerden.
»Warum ist deine Mama denn nicht mit dir rausgegangen?«
»Sie ist nicht aufgewacht. Dabei hat sie immer gesagt, sobald das Geheule losgeht, müssen wir sofort aufstehen.«
Emma erstarrte. Sie warf dem Mann neben sich einen Blick zu und sah, dass er anscheinend dieselben Rückschlüsse gezogen hatte wie sie. Evas Mutter wäre nicht die erste Person, die wegen des Krieges Selbstmord begangen hätte. Auch wenn Emma nicht verstand, wie man sein Kind völlig allein zurücklassen konnte.
»Vermutlich ist sie in den Keller eures Hauses gegangen, nachdem meine Schwester ihr gesagt hat, dass du hier in Sicherheit bist«, versuchte Emma die Kleine zu beruhigen.
Eva nickte. Sie schien das Zittern in Emmas Stimme nicht bemerkt zu haben.
»Und wie ist dein Name, kleines Fräulein?«, fragte der dunkelhaarige Mann. Er lehnte sich beim Sprechen wieder in Evas Richtung.
»Eva.«
»Ich habe hier etwas, ich glaube, das könnte dir gefallen, Eva«, entgegnete er in einem sanften Tonfall. Er kramte in seinem Rucksack, sodass es raschelte. Dann faltete er Papier auseinander und zum Vorschein kam eine...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2023 |
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Verlagsort | Holzgerlingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | Flüchtlinge • Moskau • Nachkriegszeit • Rote Armee • Russische Gefangenschaft • Russland • Sowjetunion • Spionage • UdSSR • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-7751-7590-3 / 3775175903 |
ISBN-13 | 978-3-7751-7590-6 / 9783775175906 |
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