Unsterblich sind nur die anderen (eBook)

Roman

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2022 | 1. Auflage
265 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77429-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Unsterblich sind nur die anderen -  Simone Buchholz
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Who wants to live forever?

Drei Männer verschwinden spurlos auf der MS Rjúkandi, einer Nordatlantikfähre. Zwei Frauen machen sich auf den Weg, um nach ihren verschollenen Freunden zu suchen - und sie besteigen das Schiff nach Island in der festen Überzeugung, bald wieder zu Hause zu sein. Aber schon in den ersten Tagen an Bord fallen ihnen merkwürdige Dinge und die seltsame Atmosphäre auf: Die Crew ist überirdisch gutaussehend, der Kapitän scheint bei aller Erhabenheit und Coolness stets einen Sack voll Schuld mit sich herumzuschleppen, und was zur Hölle ist eigentlich mit der Barfrau los?

In unnachahmlicher Lakonie erzählt Simone Buchholz von Freundschaft und Liebe, von der Endlichkeit des Lebens und der Unendlichkeit des Ozeans, und von Iva und Malin, die sich plötzlich in einer Parallelwelt ohne Ausgang wiederfinden, in der alles, was sie im Leben für wichtig hielten, plötzlich nicht mehr zählt.



<p>Simone Buchholz, geboren 1972 in Hanau, zog 1996 nach Hamburg, wegen des Wetters. Sie wurde auf der Henri-Nannen-Schule zur Journalistin ausgebildet und schreibt seit 2008 Kriminalromane. Ihre Reihe um die Staatsanwältin Chastity Riley wurde vielfach ausgezeichnet. Simone Buchholz wohnt auf St. Pauli und schreibt regelmäßig die Kolumne »Getränkemarkt« im <em>SZ-Magazin</em> sowie Texte für <em>Die Zeit</em>.</p>

Lichtinstallationen


Sie waren so gut wie allein auf der Straße nach Norden, in der Ferne glühten die Rücklichter des einzigen anderen Autos. Gleich hinter der dänischen Grenze war links und rechts der Autobahn Nebel über die Landschaft gekrochen, inzwischen deckte er alles zu, die Welt dahinter war wie verschluckt.

Das Wetter legte sich um Ivas Gedanken, sie steckte sich noch einen Keks in den Mund.

Malin saß neben ihr, hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest und bewegte den Kopf zur Musik. Zu Ivas Füßen stand die Tasche mit dem Proviant. Chips, Nüsse, Kekse, Obst, Schokolade, Gummizeug. Bier und Wein für später.

Freitagabend, Mitte November.

»Da«, sagte Malin, »Aalborg.«

Für ein paar Sekunden war im Nebel ein Schild aufgetaucht, jetzt war es schon wieder verschwunden.

»Dreiviertelstunde noch.«

Iva sah ihre Freundin an, und eine warme Welle flutete ihren Bauch. Malin liebte es, die Zeit einzuteilen, statt sie einfach nur laufen zu lassen. Vielleicht weil es ihr das Gefühl gab, diejenige zu sein, die entscheidet. Sie sang eine halbe Songzeile aus dem Radio mit, während sie freundlich, aber bestimmt auf die weiße Wand aus Nebel zufuhr.

»Hier«, sagte Iva und hielt Malin die Kekspackung unter die Nase. »Nimm noch einen.«

Die blaue Leuchtreklame des Hotels war exakt genauso hoch wie der zweistöckige Bau, dem sie aus dem Kopf wuchs. Das Teil schüttete kaltes Licht über den Strand und über die erste Reihe der Wellen. Der Nebel hatte sich verzogen, die Luft war klar und knisterte auf den Lippen.

»Desperate Rooms.« Iva zog an ihrer Zigarette und tippte mit dem Mittelfinger an Malins Stirn. »Ernsthaft?«

»Die anderen Hotels hier in dem Kaff hatten alle so schlimme Bewertungen«, sagte Malin. »Und das war das Einzige, zu dem niemand irgendwas geschrieben hatte.« Sie zog nochmal an ihrer Zigarette, trat sie aus und nahm ihren Rucksack in die Hand. »Außerdem stand da einfach nur Hotel. Das fand ich gut.«

»Da steht Hotel Desperate Rooms«, sagte Iva.

»Na ja, das haben die da halt so hingeschrieben«, sagte Malin. »Aber komm, es sieht doch echt okay aus, oder?«

Iva fand, dass es sogar mehr als okay aussah. Ein hellgraues, pragmatisches und nicht zu großes Quadrat mit zweimal vier weißgerahmten Fenstern, vier im Erdgeschoss, vier im oberen Stockwerk. Warmes, gelbes Leuchten an der Rezeption gleich hinter der Glastür. Dann noch die eisige Schrift auf dem Dach und der Sternenhimmel.

Überall lag Seegras herum, und der Wind spielte ein bisschen damit, als hätte er es höchstpersönlich von den Dünen herübergeweht. Iva spürte den Sand unter den Stiefeln und ließ ihre Zigarette fallen.

Der Mann an der Rezeption war der Typ argentinischer Pilot, hart geschnittenes Gesicht, bisschen angeknackste Nase, dichtes, dunkles Haar, er hatte es mit glänzendem Zeug aus der Stirn gestrichen. Seine braunen Augen waren enorm wach, sie zerschnitten die Luft, gleichzeitig schien in seinen Wimpern eine große Traurigkeit hängenzubleiben und ihm die Lider schwer zu machen. Das war ein Blick der Kategorie 1A, der immer ins Schwarze traf, in jedes Herz, das er vor sich hatte, ob es offen war oder verschlossen. Er kriegte sie alle mit seinem Blick, das war offensichtlich.

Iva und Malin zahlten im Voraus, der Typ gab ihnen die Schlüssel zu ihrem Zimmer, dann gingen sie an der kleinen Bar vorbei, sein Blick in Ivas Nacken baute Druck auf, aber das Gefühl ließ auch schnell wieder nach.

Die Bar wirkte behelfsmäßig. Als wäre sie gerade erst gebaut worden. Am Tresen saß eine Frau mittleren Alters, ihr Gesicht war nicht unbedingt schön, aber doch anziehend, sie trank Flaschenbier und sah ihnen hinterher. Sie trug Jeans, goldene Stiefeletten, ein weißes Hemd und einen Trenchcoat. Ihr schulterlanges Haar hatte die Farbe von Kastanien. Sie wirkte, als wäre sie die Chefin von allem.

Das Zimmer lag im ersten Stock, mit Blick aufs Meer. Iva saß am Fenster, draußen waren die Dünen und das blaue Licht, die schwarze Nordsee griff nach dem Himmel. Malin lag auf dem Bett und krümmte sich ein bisschen.

»Ich hab Eisprung.«

»Ich auch«, sagt Iva und stellte ihr Wasserglas aufs Fensterbrett. »Rutsch rüber.«

Malin rutschte, Iva legte sich hinter sie auf die frei gewordene Hälfte des Betts und legte die Arme um ihre Freundin, die Naturwissenschaftlerin, die allein war auf der Welt, ohne Eltern, ohne Geschwister, ohne Kinder. Auf den ersten Blick so zerbrechlich, in Wahrheit aber kraftvoll und stabil. Malins glatte, weizenblonde Haare flossen übers Kissen und ein paar Strähnen auch in Ivas Gesicht. Iva, die ihre dunklen, störrischen Locken seit Ewigkeiten zu einem festen Knoten band, der eigentlich unlösbar war, fand es faszinierend, wie offen Malin ihre Haare mit sich herumtrug, ohne dass sie Probleme machten.

»Arschlöcher«, sagte Malin, »verdammte Arschlöcher.«

Iva war gedanklich noch bei Malins Haaren und wusste nicht so recht.

»Was?«

»Na, die.«

»Wer die?«

»Na, weil die sich einfach so verpisst haben.«

»Ach die.«

»Am Ende hängen sie kiffend an irgendeinem Fjord rum. Und Tarik hat mich vergessen.«

»Das ist Quatsch, Malin, das weißt du.«

»Weiß nicht.«

»Das haben wir auch schon tausendmal besprochen, dass das ganz bestimmt nicht so ist.«

Malin stöhnte.

»Und wenn du mir jetzt nochmal damit kommst«, sagte Iva, »pack ich meine Klamotten und nehm den nächsten Zug nach Hause.«

»Mach das nicht.«

»Natürlich mach ich das nicht.«

Sie strich ihrer Freundin über die Haare. Klar, dass sie lieber wütend war auf Tarik, als sich Sorgen um ihn zu machen. Aber dass er sich abgesetzt haben könnte, war Bullshit. Iva kannte Tarik nicht halb so gut, wie Malin ihn kannte, doch er war keiner, der sich verpisste. Er war nicht der Typ, der die Dinge mal eben so hinschmiss. Er hatte über Jahre gekämpft und geackert, um da hinzukommen, wo er war, er war stolz auf seinen festen Job bei dieser Zeitung. Er war inzwischen stellvertretender Irgendwas, er bezahlte die Miete für die Wohnung seiner Eltern, und nebenbei kümmerte er sich um seinen Bruder, der Probleme hatte, in der Welt klarzukommen. Wie oft er von dem schon angerufen worden war, mitten in der Nacht, wenn sie in Malins Küche saßen oder in einer Kneipe, und wie er dann tatsächlich jedes Mal gesagt hat: Sorry, ich muss los. Iva war da manchmal fast ein bisschen beleidigt gewesen, weil sie sich versetzt gefühlt hatte, obwohl es ja überhaupt nicht um sie gegangen war.

Tarik ließ niemanden hängen, und schon gar nicht Malin. Sie waren wie Geschwister und gleichzeitig ein Liebespaar – wenn es eben gerade mal passte, manchmal passte es monatelang.

Sie kannten sich aus der Schule, aus der Zehnten oder so, auf jeden Fall ewig.

In Malins Küche hing ein Foto von ihr und Tarik, es zeigte sie im Garten von Malins Eltern, ein paar Jahre vor dem beschissenen Verkehrsunfall, Malin und Tarik mit Pfirsichhaut, Teenager halt, fast noch Kinder. Malins Vater im Hintergrund am Grill, die Mutter das Foto von der Seite mit einer Grimasse bombend, aufgeblasene Wangen und Kulleraugen.

»Das passt echt überhaupt nicht zu ihm«, sagte Iva, »dass er sich nicht mehr meldet. Es muss irgendwas passiert sein, der kann sich nicht melden.«

Da fiel es ihr auf.

Sie schluckte.

»Aber tot ist er nicht, Malin.«

»Ich weiß, dass er nicht tot ist«, sagte Malin und setzte sich auf. »Wir sind zwei in eins. Wenn er tot wäre, Alter, das wüsste ich aber.«

Die blonden Haare fielen ihr über die Schultern. Iva hatte Lust auf eine Zigarette, aber keine Lust, sich ans Fenster in die kalte Luft zu stellen. Sie atmete tief ein und wieder aus. ...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • auf See • Bestseller-Autorin • Black Conch • bücher neuerscheinungen • Dänemark • Fähre • Faröer • Fliegender Holländer • Fluch der Karibik • Freundschaft • Geisterschiff • Geschenke Mütter • Geschenk Frauen • Island • Johnny Depp • Liebe • matrjoschka • Meerjungfrau • Mystery • Neuerscheinungen • neues Buch • Nixen • Ozean • Parallelwelt • Schiffsreise • Segelsex • #segelsexbuch • Segelsexbuch • Segelsex-Buch • Sirenen • ST 5276 • ST5276 • ST 5368 • ST5368 • suhrkamp taschenbuch 5276 • suhrkamp taschenbuch 5368 • Zur See
ISBN-10 3-518-77429-8 / 3518774298
ISBN-13 978-3-518-77429-8 / 9783518774298
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4 Du kannst niemals raus

von (Potsdam), am 11.10.2022

Beim Lesen von Simone Buchholz‘ neuem Roman musste ich immer an das Lied „Hotel California“ von den Eagles denken: „You can check out any time you like,
but you can never leave“ (Du kannst jederzeit auschecken, aber du kannst niemals gehen …)

Die beiden Freundinnen Iva und Malin begeben sich auf die Spur ihrer drei vermissten Freunde, von denen sie vier Wochen lang nichts mehr gehört haben, seit diese auf der MS Rjúkandi eingecheckt haben. Die MS Rjúkandi ist eine Nordatlantikfähre, die von Hirtshals, Norddänemark, startet, die norwegische Küste entlangfährt, ab Stavanger auf die offene Nordsee zusteuert, die Shetlands nordwestlich passiert, Tórshavn, Färöer anläuft und dann ihr Ziel an der isländischen Ostküste erreicht: Seydisfjördur. Bei der gesamten Route dürfte es sich (nur auf dem Hinweg) etwa um zweitausendvierhundert Kilometer handeln. (Route, Seite 34)

Schon das Hotel Desperate Rooms in Hirtshals, wo die beiden Freundinnen für die Nacht vor der großen Fahrt einchecken, ist sehr merkwürdig. Sie sind die einzigen Gäste, alles wirkt recht mysteriös. Es gibt nur eine Frau, die die Bar bedient und einen Mann an der Rezeption.

An Bord finden die beiden Freundinnen letztendlich die drei vermissten jungen Männer wieder. Aber ganz anders, als gedacht. Tarik, Flavio und Mo sehen blendend aus, sind bestens gelaunt und gut untergebracht, aber es ist ihnen nicht möglich, die MS Rjúkandi zu verlassen.

Ganz langsam greift der unbeschwerte Geist an Bord auch auf die Sinne der beiden jungen Frauen über. Bei Musik, Tanz und reichlich Zigaretten lässt sich gut feiern und der Alkohol fließt in Strömen. Auch der Sex kommt nicht zu kurz.

Malin genießt die Zeit (nicht nur) mit Tarik, Iva verliebt sich in Richard, den geheimnisvollen Kapitän. Alle verstehen sich prächtig, die Schiffsroute von Hirtshals nach Seydisfjördur, zurück und wieder von vorn wird nie langweilig. Passagiere kommen und gehen. Der Bordmusiker Ola spielt auf. Alles könnte für immer und ewig so bleiben, wenn, ja wenn nicht Lilo, Ivas kleine Tochter, an Land wäre, die sie so schrecklich vermisst ….

SB spielt hier genreübergreifend ein ungewohntes Spiel, verlässt ihr bisher übliches Krimiterrain und siedelt anteilig im Reich der Fantasy, den unsterblichen Mysterien der Unterwasserwelten und erschafft für uns hier eine paradiesische Parallelwelt, die wir nicht gern wieder verlassen.

Fazit: Hotel California auf See: Ich habe am Ende nur ungern wieder ausgecheckt. Und auch wenn der Roman sicher nicht jedermanns Sache ist, meine war’s schon. Dafür gibt’s verdiente vier Sterne.
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