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Irgendwas mit Menschen (eBook)

Biografisches einer Psychotherapeutin
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
344 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-7278-5 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
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Psychotherapeutinnen und Therapeuten erleben keine Krisen oder Probleme. Scheinbar macht sie berufliches Wissen unverletzlich. So oder ähnlich lauten mitunter die irrtümlichen Annahmen von Hilfesuchenden. In ,Irgendwas mit Menschen' erzählt Dr. Irmgard Hülsemann nach mehr als 40 Jahren Tätigkeit als Psychotherapeutin von ihrem Lebensweg, von Krisen, von Konflikten, von Lernprozessen und dem Umgang mit schmerzlichen Verlusten. Es enthält Gespräche mit der Mutter, eine Spurensuche, in denen die Prägung von Weiblichkeit zwischen ihnen erhellt wird. In der Liebesbeziehung zu Dr. Dr. Wilfried Wieck, dem langjährigen Gefährten entsteht die Auseinandersetzung mit den eigenen Geschlechterrollen, die in der gemeinsamen Arbeit zur Entwicklung einer feministischen Psychotherapie führt. Die Autorin, die weiter in Berlin praktiziert, hat zahlreiche erfolgreiche Bücher veröffentlicht, u. a. ,Das Leben der Lou Andreas Salome' und ,Sein Herz war ein blauer Vogel' - über den Abschied von meinem Mann. Das vorliegende Buch kann Leserinnen und Leser anregen, sich den eigenen Lebens - und Beziehungsfragen zuzuwenden.

Dr. Irmgard Hülsemann wurde am Niederrhein geboren. Sie machte in Münster die Ausbildung zur Kindergärtnerin, anschließend zur Sozialarbeiterin und studierte schließlich an der FU Berlin Psychologie. Einen Teil ihrer tiefenpsychologisch fundierten Therapieausbildung erhielt sie bei Professor Dr. Dr. Josef Rattner, später folgte die Aneignung weiterer Therapiemethoden. Bis 2000, zwn plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten Dr. Dr. Wilfried Wieck, der das Buch ,Männer lassen lieben' veröffentlichte, lebten und arbeiteten sie 32 Jahre in eigener Praxis und hielten Vorträge, u. a. an der Lessing Hochschule Berlin. Beide veröffentlichten zahlreiche Bücher.

Aufbruch


Mit einem harmlosen Satz fing alles an. „Tu’s doch mir zuliebe“ ist das Erbe meiner Kindheit. Einer weiblichen Kindheit. Der Satz stammt von meiner Mutter. Ich brauchte viele Jahre, um den Zwang und die Gewalt dieser magischen Zauberformel zu entlarven ...

Je älter ich wurde, desto mehr wurde das Band unserer Verbundenheit durch mein Eigensein- und Andersseinwollen gefährlich strapaziert ... das Produkt ihrer Erziehung glitt ihr aus den Händen und zerrte ungeduldig an dieser Kette aus Liebe, Gehorsam und Verbundenheit.

Mit neun Jahren wusste ich, dass ich ein anderes Leben als meine Mutter und die Frauen im Dorf führen wollte.

AUS: IHM ZULIEBE? – ABSCHIED VOM WEIBLICHEN

GEHORSAM; VON IRMGARD HÜLSEMANN

1964. Ich bin sechzehn Jahre alt und im Haus Mariengrund in Gievenbeck bei Münster angekommen, um hier im Laufe eines Jahres die praktische Mittlere Reife zu erwerben.

Das Haus, ein heller moderner Bau, schön in der Natur gelegen, ist ein Zentrum für Erwachsenenbildung. Gruppen oder einzelne Menschen machen hier Exerzitien, verbringen sogenannte Einkehr- und Besinnungstage. Lehrern und Lehrerinnen, aber auch Theologen werden eigens für sie zusammengestellte Fortbildungen in mehrtägigen oder wöchentlichen Seminaren angeboten.

Meist sind circa zweihundert Gäste im Haus. Am Wochenende kommt mitunter zu später Stunde der Bischof von Münster. Er wird stets mit besonderer Aufmerksamkeit und Fürsorge mit seinen Lieblingsgerichten bewirtet. Die Mädchen, die hier mit mir lernen und arbeiten, sind westfälische Bauerntöchter. Die Leitung des Hauses, zu dem auch eine kleine Kapelle gehört, wird von Schönstatt-Schwestern geleitet.

Der strenge Tagesablauf beginnt um sechs Uhr früh mit der heiligen Messe, anschließend wird das Frühstück eingenommen, Arbeit bis zum Mittagessen, eine Stunde Pause, dann geht es bis zehn Uhr abends weiter. Mein kleines Zimmer liegt unter dem Dach. Ich habe mir ein Poster mit einer Landschaft von Cézanne an die Wand gehängt, meine Bücher in einem Regal untergebracht und höre in den Pausen immer wieder Klassikschallplatten, die ich von zu Hause mitnehmen durfte. Mozart ist immer noch mein Lieblingskomponist.

An diesem Ort lerne ich tatsächlich, wie man einen Aufnehmer richtig auswringt, ihn nicht, wie ich, zu einem Klumpen formt, sondern jeweils die Enden nimmt, wringt und dann richtig putzt. Lerne Geschirr von Hunderten Leuten systematisch zu stapeln und in die Spülmaschine zu füllen. Lerne, wie Betten gemacht und Zimmer aufgeräumt werden. Lerne, abends Hefeteig für zweihundert Personen anzusetzen, um am nächsten Morgen Butter- und Streuselkuchen auf großen Blechen zu backen.

Alle diese Aufgaben verrichte ich eher spielerisch und im vollen Bewusstsein, dass diese Tätigkeiten nur vorübergehend, zeitlich begrenzt sein werden.

An einem Tag im späten Frühjahr stehe ich in der Großküche, rolle Teig auf ein Blech, schaue durchs Fenster und sehe plötzlich meinen Vater dort stehen. Mein Herz macht Sprünge vor unsagbarer Freude. Als ich nach draußen renne, ist da niemand. Fassungslosigkeit. Sinnestäuschung aus Sehnsucht. Wieder drinnen fällt mir das Blech vom Tisch. Ich kratze den Teig mit tränennassen Augen vom Boden, klatsche den verschmutzten Teigklumpen wieder zurück auf das Blech, streue Streusel und Zucker darüber und wuchte es in den Backofen.

Im Spätsommer kommt die Mutter für ein paar Tage zu Besuch. Sie fragt die Schwester Oberin, eine kleine, stets wach und präsent wirkende Frau, wie ich mich denn so mache. Diese lächelt fein und antwortet: „Frau Hülsemann, Irmgard gibt sich wirklich sehr viel Mühe, aber eine Hausfrau wird sie nicht. Ihr Weg wird anders sein.“

Als ich für eine Weile auf dem sogenannten „Stock“ arbeite, Treppenhäuser und Zimmer putze, die Betten der Gäste mache, ist Schwester Rosarius für meine Anleitung zuständig. Sie ist sehr groß. Sehr dünn und sehr falsch. Meine Fröhlichkeit kann sie nicht leiden, und sie mag schon gar nicht, dass ich während der Putzarbeit stets singe. Einmal wirft sie mir gallig vor, dass ich immer zu spät aus den Pausen komme.

Über diesen ungerechtfertigten Vorwurf bin ich so wütend und empört, dass ich darauf bestehe, mit ihr sofort zur Oberin zu gehen, um die Sache zu klären. Mit einer solchen Reaktion hat sie nicht gerechnet. Sie will mich zurückhalten, aber ich lasse nicht locker. Schließlich muss sie sich bei mir entschuldigen. Ab sofort kann ich in der Küche arbeiten. Mit der bösen Giftspritze habe ich nichts mehr zu tun.

Auch wenn die Eltern Respekt und Gehorsam erwarteten, verinnerlichte ich doch sehr deutlich, dass man mit mir freundlich und gut umgehen müsse, ich mich bei Unrecht selbstverständlich zur Wehr setzen dürfe. Wenn sie selbst etwas Verletzendes gesagt oder getan hatten, entschuldigten sie sich so, wie sie es auch von mir und dem Bruder erwarteten.

Ihr festes Grundvertrauen in mich und die Erlaubnis, vielmehr die Berechtigung, den eigenen Gefühlen vertrauen dürfen, war der beste, kostbarste Schutz, den sie mir auf meine Reise ins Leben mitgeben konnten.

An meinen freien Tagen entdecke ich Münster. Neugierig streife ich durch die schöne Stadt. Spaziere am Aasee, lerne den Prinzipalmarkt mit seinen Bögen kennen, besichtige das berühmte Rathaus, den Dom und die zahlreichen umliegenden Kirchen. Endlich kann ich ins Kino gehen, wann immer ich möchte. Einer der ersten Filme, die ich sehe, ist ein aufregend spannender Krimi, „Die Wendeltreppe“, den ich sieben Jahre später Wilfried in unserer ersten gemeinsamen Nacht erzähle, weil auch er ein begeisterter Filmfan ist.

Bevor das Jahr endet, reist die Mutter erneut an. Sie will mit mir die Direktorin der Westfälischen Wohlfahrtschule aufsuchen, die sich in der Piusallee befindet. Dort will ich mich für die Ausbildung zur Fürsorgerin anmelden.

Frau Dr. Hoerkens, eine attraktive Kölnerin mit tiefer verrauchter Stimme und einem wilden dunklen Haarschopf, empfängt in ihrem Büro, hört unserem Anliegen aufmerksam zu und meint dann aber, den Kopf nachdenklich hin und her wiegend, dabei immer wieder an einer Zigarette ziehend: „Sie sind noch viel zu jung, aber in zwei Jahren können sie wiederkommen. Dann nehme ich sie sehr gerne auf.“

Fassungslos enttäuscht, vor allem ratlos reagiere ich mit der Frage: „Und was soll ich bis dahin machen?“ Worauf sie erwidert: „Besuchen Sie doch jetzt erst einmal das Seminar für Kindergärtnerinnen, danach sehen wir uns hier.“

Mit dem Gefühl, eine Zeit von zwei Jahren überbrücken zu müssen, lande ich also am Kindergärtnerinnenseminar. Es liegt in der Neubrückenstraße, in unmittelbarer Nähe vom Stadttheater mit der Picasso-Skulptur davor.

Da ich immer schon einmal Internatsleben kennenlernen wollte, entscheide ich mich dafür, kein Zimmer in der Stadt zu suchen, sondern eines der wenigen Zimmer, die der Schule angegliedert sind, zu beziehen. Ich teile es mit Regina H., einer eher stillen, aber freundlichen Westfälin. Es gibt nur drei weitere Doppelzimmer. Alle sind mit Schülerinnen von auswärts belegt. Wir verstehen uns gut. Mit Irmgard Schüller, die aus Bad Driburg nach Münster gekommen ist und zwei Zimmer weiter wohnt, freunde ich mich rasch näher an.

Es gibt eine kleine Küche, in der wir Mahlzeiten nach Wunsch zubereiten können. In den zwei Jahren ernähre ich mich mangels Kochkünsten überwiegend von Broten mit jungem Gouda, Milch, Kakao, Reis und Rührei. Ab und zu gehe ich mit Freundinnen im Restaurant Kiepenkerl essen und Altbierbowle trinken.

Die Schule untersteht der Obhut von Vorsehungsschwestern – im Spaß sagen wir mitunter, „vor denen man sich vorsehen muss“. Die Mehrzahl der zahlreichen Fächer wird von Dozentinnen und Dozenten außerhalb des Ordens unterrichtet. Die Lehrinhalte sind interessant und anregend. Zum ersten Mal komme ich mit Themen der Psychologie und Pädagogik in Berührung und bin von dem angebotenen Wissensstoff sofort total fasziniert. Mir imponiert, dass die Dozentin, Frau Dr. Bruhns, uns erzählt, dass sie ihr Studium durch Kellnern verdient hat. Zum ersten Mal bereue ich es wirklich, kein Gymnasium besucht, kein Abitur gemacht zu haben und daher keine Möglichkeit zu haben, einmal Psychologie zu studieren.

Das Künstlerische Gestalten, der Umgang mit verschiedenen Materialien wie Ton, Holz, Metall und Schiefer, macht große Freude. Ebenso der stete Zuwachs an Kenntnissen der Kunstgeschichte und die Beschäftigung mit Jugendliteratur.

Anders geht es mir mit den Erfahrungen aus den praktischen Einsätzen, die jede Woche mehrstündig in einem Kindergarten zu leisten sind. Sie machen mir rasch klar, dass ich nicht längerfristig in diesem Beruf arbeiten möchte, obwohl ich die Kinder sehr mag. Der Umgang mit ihnen ist streng geregelt und kommt mir teilweise so künstlich vor, dass mir die kleinen lebendigen Wesen leidtun. Um zehn Uhr morgens ist Toilettengang. Alle müssen aufs...

Erscheint lt. Verlag 13.7.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Gestaltung von Partnerschaft • Liebe • Sinnsuche • Umgang mit Konflikten und Verlusten • weiblicher Lebensentwurf
ISBN-10 3-7562-7278-8 / 3756272788
ISBN-13 978-3-7562-7278-5 / 9783756272785
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