Die Gruppe 47 (eBook)

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2022 | 1. Auflage
160 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01627-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Gruppe 47 -  Heinz Ludwig Arnold
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Die Gruppe 47 hat die Aufbaujahre der Bundesrepublik begleitet und geprägt. 1947 gründete Hans Werner Richter diesen losen, aber einflussreichen Verbund von Schriftstellern und Kritikern. Über zwei Jahrzehnte lang verfolgte die Gruppe ihr hochgestecktes Ziel: eine radikale Erneuerung der Literatur und des politisch-gesellschaftlichen Lebens. Nahezu alle deutschsprachigen Autoren von Rang nahmen an einzelnen Treffen der Gruppe teil - von Ingeborg Bachmann und Paul Celan über Heinrich Böll, Martin Walser und Günter Grass bis zu Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Heinz Ludwig Arnold, geboren 1940 in Essen, war freiberuflicher Publizist und Honorarprofessor der Georg-August-Universität Göttingen. Mitglied des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Im Oktober 2011 wurde er, kurz vor seinem Tod, in Göttingen mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für seine «besonderen Verdienste um die deutsche Literatur» ausgezeichnet. Herausgeber der Zeitschrift «TEXT + KRITIK» (seit 1963), des «Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur» (KLG, seit 1978) sowie des «Kritischen Lexikons zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur» (KLfG, seit 1983) und der 3., völlig neu bearbeiteten Auflage von «Kindlers Literaturlexikon» (2009). Zahlreiche weitere Veröffentlichungen, unter anderem die elfbändige Anthologie «Die deutsche Literatur seit 1945» (1995 ff.). Zuletzt erschien: «Da schwimmen manchmal ein paar gute Sätze vorbei» (Hg., 2001), «Die Gruppe 47. Zwei Jahrzehnte deutscher Literatur» (Hörbuch, CD und MC, 2002), «Was bin ich? Über Max Frisch» (2002), «Arbeiterlyrik 1842-1932» (Hg., 2003), «Von Unvollendeten. Literarische Porträts» (2005), «Ein abenteuerliches Herz. Ernst-Jünger-Lesebuch» (Hg., 2011).

Heinz Ludwig Arnold, geboren 1940 in Essen, war freiberuflicher Publizist und Honorarprofessor der Georg-August-Universität Göttingen. Mitglied des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Im Oktober 2011 wurde er, kurz vor seinem Tod, in Göttingen mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse für seine «besonderen Verdienste um die deutsche Literatur» ausgezeichnet. Herausgeber der Zeitschrift «TEXT + KRITIK» (seit 1963), des «Kritischen Lexikons zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur» (KLG, seit 1978) sowie des «Kritischen Lexikons zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur» (KLfG, seit 1983) und der 3., völlig neu bearbeiteten Auflage von «Kindlers Literaturlexikon» (2009). Zahlreiche weitere Veröffentlichungen, unter anderem die elfbändige Anthologie «Die deutsche Literatur seit 1945» (1995 ff.). Zuletzt erschien: «Da schwimmen manchmal ein paar gute Sätze vorbei» (Hg., 2001), «Die Gruppe 47. Zwei Jahrzehnte deutscher Literatur» (Hörbuch, CD und MC, 2002), «Was bin ich? Über Max Frisch» (2002), «Arbeiterlyrik 1842–1932» (Hg., 2003), «Von Unvollendeten. Literarische Porträts» (2005), «Ein abenteuerliches Herz. Ernst-Jünger-Lesebuch» (Hg., 2011).

Der weite Blick zurück


Ich muß ein wenig ausholen: Das war im Frühjahr 1955, ich war damals Schüler bei Karl Hartung am Steinplatz an der Hochschule für Bildende Künste, also Bildhauer und Grafiker, und kannte eigentlich nur Bildhauer und Grafiker, schrieb aber schon Gedichte. Und diese Gedichte haben meine Frau und meine Schwester eingereicht für einen Wettbewerb des Süddeutschen Rundfunks, und ich bekam den dritten Preis. Das war mein erster Flug, von Berlin nach Stuttgart und zurück. Wieder in Berlin, wir lebten damals in einer Kellerwohnung in der Königsallee, fand ich dort ein Telegramm vor: «Gruppe 47 tagt. Haus Rupenhorn. Bitte kommen. Manuskript mitbringen.»

Ich bin da hingefahren, die machten gerade eine Kaffeepause. Da kam eine Kellnerin auf mich zu und sagte: «Sind Sie auch Dichter?» Ich sagte: «Ja.» Dann bekam ich auch Streuselkuchen und Kaffee. Und dann kam der Richter auf mich zu und sagte: «Sind Sie der, der mir empfohlen wurde? Wie war nochmal der Name?» Ja, dann war ich in diesem Kreis. Jemand las etwas vor. Das fand ich literarisch ganz interessant. Und dann fielen sie über ihn her, und es blieb wenig übrig. Und dann las eine Frau, die kannte ich, erstens kannte ich Texte von ihr, und ihr Ansehen war mir auch vertraut durch damals schon eine Titelnummer des «Spiegel» – es war Ingeborg Bachmann. Die hatte Mühe mit dem Manuskript, immer fielen ihr die Haare vor die Augen, und sie war kurz vorm Weinen. Und ich dachte, das ist ein wichtiger Impuls, wenn sie die auch so zerreißen, dann meldest du dich zu Wort, aber die wurde nicht zerrissen, es ging immer mehr so: «Also, Ingeborg Bachmann hat sich verändert gegenüber der letzten Lesung.» «Nein, die ist sich treu geblieben.» Es ging so hin und her, und es kam so ein Ritual der Kritik hinein.

Ich hörte zum ersten Mal den mit mir gleichaltrigen jungen – ich war 27 Jahre alt – Joachim Kaiser sprechen, erstarrte vor Bewunderung, wie jemand so fließend, und die Zitate kamen ihm, und so eloquent reden konnte, etwas ostpreußisch, was wieder anheimelte. Und dann kam ich ran und war danach umringt von Verlegern, die flüsterten so Wunderworte wie «Fischer Verlag» und «Suhrkamp Verlag», und ich dachte, jetzt bricht das Goldene Zeitalter an. Aber ich war auch mißtrauisch.

Als ich dann von der Tagung weg wollte, stand draußen jemand, der sich ein Taxi gerufen hatte, und sagte: «Wo wollen Sie hin?» Und als wir dann losfuhren, sagte er: «Höllerer mein Name. Ich würde einige von den Gedichten drucken.» Ich dachte mir: Rede du mal. Der war der einzige. Von den anderen Verlagen habe ich lange nichts mehr gehört, bis dann der Luchterhand-Verlag kam. Und ein Jahr später kam dann mein erster Gedichtband. Aber die wirklich literarische erste Adresse war für mich Walter Höllerer.[1]

Das, wovon Günter Grass hier so erinnerungsselig erzählt, war sein erster Besuch bei der Gruppe 47, jener legendären Schriftstellergruppe, die 1947 entstand und zwanzig Jahre später, 1967, aufhörte zu existieren, ohne freilich je ganz zu verschwinden aus der deutschen Literatur. Diese Gruppe 47 hat in der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine deutliche Spur markiert: Einige Jahrzehnte lang und bis ins neue Jahrhundert hinein bestimmten Kritiker wie Hans Mayer, Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser, Reinhard Baumgart und Walter Jens, Fritz J. Raddatz und Hellmuth Karasek und noch in den 1980er Jahren Helmut Heißenbüttel und Walter Höllerer die literarischen Debatten der Republik entscheidend mit, und um zentrale Autoren der Gruppe 47 wurden noch immer die spektakulärsten Schlachten im deutschen Feuilleton- und Literaturbetrieb geschlagen: um Günter Grass und Martin Walser, um Hans Magnus Enzensberger und Peter Rühmkorf. Auch Siegfried Lenz, Dieter Wellershoff, Gabriele Wohmann, Peter Härtling, Jürgen Becker, Peter Handke, Peter Bichsel, Günter Kunert, F.C. Delius, Carl Amery, Ingrid Bachér, Ernst Augustin haben mit vielen anderen, die zur Gruppe 47 gerechnet werden, die deutsche literarische Landschaft auffällig geprägt, sodass noch in den achtziger Jahren jüngere Schriftsteller über die Rolle der Gruppe 47 klagten: Der Nimbus der Gruppenzugehörigkeit überstrahle unverdientermaßen vieles, was sie lange nach dem Vergehen der Gruppe geschrieben hätten. Und wie eine Bestätigung dessen liest sich, was Hans Magnus Enzensberger 1989 in einem Rundschlag gegen die Lyrik der achtziger Jahre schrieb: «Doch selbst die bescheidene deutsche Nachkriegsliteratur kommt einem, gemessen an dem, was heute der Fall ist, geradezu glanzvoll vor: Eich und Bachmann, Bobrowski und Celan, Rühmkorf und Jandl …»[2] Das waren, mit Ausnahme Ernst Jandls, allesamt Autoren, die bei Tagungen der Gruppe 47 gelesen hatten. Und am letzten Tag der alten Bundesrepublik, am 2. Oktober 1990, stand unter einem groß aufgemachten Bild in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», das die Gruppe 47 bei einer Tagung in Berlin zeigte, der Satz: «Bis zuletzt und ungeachtet aller Veränderungen wurzelte die Identität des Landes in den Texten des Jahres 1960.»

Es war das Jahr, in dem die von der Gruppe 47 beförderte neue deutsche Literatur in Deutschland wirklich angekommen war: mit Heinrich Bölls Erzählungen und Romanen, mit Günter Grass’ Blechtrommel, Martin Walsers Halbzeit, Uwe Johnsons Mutmassungen über Jakob, mit Ingeborg Bachmanns und Hans Magnus Enzensbergers Gedichten. ‹Außerdem›[3] waren da natürlich auch die Bücher Arno Schmidts und Wolfgang Koeppens, Hans Erich Nossacks und Marie Luise Kaschnitz’, um nur die Bekanntesten zu nennen von jenen vielen, die nicht zur Gruppe 47 gehörten und gleichwohl das Bild der jungen deutschen Literatur mitgeprägt haben; aber selbst die Kaschnitz und Koeppen hatten Berührungen mit der Gruppe, und Arno Schmidt hatte damals noch nicht jene öffentlich wirkende Statur, die bald so wuchs wie später das Format seiner Bücher.

Freilich hat die Literatur der Gruppe 47 erst in der Mitte der 1960er Jahre jene traditionelle Literatur ganz verdrängt, die noch bis zur Mitte der 1950er Jahre das literarische Feld beherrschte: die Erzählungen, Romane und Gedichte von Werner Bergengruen und Georg Britting, Rudolf Alexander Schröder und Ina Seidel, Friedrich Georg Jünger und Wilhelm Lehmann, Reinhold Schneider und Hermann Kasack, um auch hier nur ein paar Beispiele zu geben. Aber man dürfe, so der Schriftsteller Hermann Kinder, die Gruppe 47 weder zu einer Größe der 1950er Jahre verkleinern noch sie «zum alles Andere niederdrückenden A und O jedweder Literatur seit 1945 hochjubeln»[4]. Immerhin verweist Kinder auch darauf, dass mit dem Erfolg der edition suhrkamp Mitte der 1960er Jahre «sich gegenüber den heterogenen Strömungen der Fünfziger eine mit der Gruppe 47 verbundene zeitgemäße westdeutsche Kultur durchzusetzen beginnt. Und was für eine Revolution, als erstmals noch zaghaft Mitte der Sechziger auch im germanistischen Studium Namen wie Grass, Walser, Bichsel fielen. Jetzt ist die Allpräsenz der Gruppe 47 wirklich erreicht.»[5]

Auf andere Weise hat Hermann Kinder auch die Essenz der FAZ-Bildlegende von 1990 formuliert, als er 1992 auf den Vorwurf antwortete, die Literatur der 1980er Jahre sei zusammenhanglos, disparat und gebe kein prägendes Bild ab – und er hat damit die kulturgeschichtlichen und gesellschaftlichen Gründe benannt, aus denen die Gruppe 47 entstanden ist und mit denen sie bedeutend werden konnte: Die Literatur der Gruppe 47 habe «Bedingungen der Homogenität gehabt, die historisch nicht wiederholbar sind: die feste Einbindung der Literatur in den Meinungsbildungsprozeß und einen oppositionellen Konsens, der sich aus der Ablehnung obsoleter Mentalitäten, insbesondere der mangelnden Überwindung des faschistischen Erbes ergab»[6].

Die Meinungen über die Gruppe 47 unter den jüngeren, also den Nicht-Gruppe-Autoren sind selbst ziemlich disparat[7] und reichen von Zustimmung zu ihrer historischen Rolle über die skeptische Analyse ihrer Entwicklung bis zur vehementen Ablehnung. So nannte zum Beispiel Elfriede Jelinek aus großer Distanz und innigstem Hass die Gruppe eine «Sadistenvereinigung, an der ich nicht einmal unter Todesdrohung teilgenommen hätte»; Hanns-Josef Ortheil rechnete die Gruppe zur «Steinzeit der Nachkriegsliteratur»; und Maxim Biller schrieb: «Die Gruppe 47 war ein Kleinbürger-Stammtisch, eine Art entnazifizierte Reichsschrifttumskammer, eine Vereinigung ehemaliger Nazi-Soldaten und HJler, von denen kein einziger Kraft gehabt hatte, zuzugeben, daß er für Hitler getötet und oder zumindest gehaßt hat. Diese Söhne waren genauso verlogen, apodiktisch und kleinbürgerlich-ängstlich wie ihre Väter, und sie sprachen über Literatur wie jene über das Wirtschaftswunder: stolz, ironielos und ohne Selbstzweifel.»[8]

Billers Urteil scheint mir ebenso zutreffend wie gleichermaßen stolz, ironielos und ohne Selbstzweifel gesprochen. Vor allem aber ist es ein Urteil aus unendlicher Distanz, unberührt vom Geruch der 1950er und 1960er Jahre, aber genährt vom Wissen späterer Zeit: Denn natürlich hatten die Schriftsteller, die sich 1947 in der Gruppe 47 zusammenfanden, eine Vergangenheit innerhalb des «Dritten Reichs». Die meisten waren unter Hitlers Befehl in den Krieg gezogen, davon handelten dann auch viele ihrer Bücher. Und einige hatten damals bereits geschrieben,...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 47 • Bannwaldsee • Der Ruf • Deutsche Literatur • Deutschland • Hans Werner Richter • Junge Autoren • Monografie • Nachkriegszeit • Preis der Gruppe 47 • Treffen
ISBN-10 3-644-01627-5 / 3644016275
ISBN-13 978-3-644-01627-9 / 9783644016279
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