Transatlantik (eBook)
560 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60292-1 (ISBN)
Volker Kutscher, geboren 1962, arbeitete nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte als Tageszeitungsredakteur und Drehbuchautor, bevor er seinen ersten Kriminalroman schrieb. Er lebt als freier Autor in Köln und Berlin. Mit dem Roman »Der nasse Fisch« (2007), dem Auftakt seiner Krimiserie um Kommissar Gereon Rath im Berlin der Dreißigerjahre, gelang ihm auf Anhieb ein Bestseller, dem bisher acht weitere folgten. Die Reihe ist die Vorlage für die internationale Fernsehproduktion »Babylon Berlin«, deren erste drei Staffeln auf Sky und in der ARD zu sehen waren. Die vierte Staffel folgt im Frühjahr 2023 in der ARD. OLYMPIA, der achte Band der Reihe, verkaufte sich weit über 150.000-mal. Mit den von Kat Menschik illustrierten, im Rath- Universum angesiedelten Erzählungen »Moabit« und »Mitte« gelangen ihm ebenfalls Bestseller.
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 49/2023) — Platz 19
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 48/2023) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 47/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Taschenbuch (Nr. 46/2023) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 04/2023) — Platz 18
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 03/2023) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 02/2023) — Platz 14
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 01/2023) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 52/2022) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 51/2022) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 50/2022) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 49/2022) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 48/2022) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 47/2022) — Platz 4
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 46/2022) — Platz 4
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 45/2022) — Platz 4
Volker Kutscher, geboren 1962, arbeitete nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte als Tageszeitungsredakteur und Drehbuchautor, bevor er seinen ersten Kriminalroman schrieb. Heute lebt er als freier Autor in Köln und Berlin. Mit »Der nasse Fisch« (2007), dem Auftakt seiner Krimiserie um Kommissar Gereon Rath im Berlin der Dreißigerjahre, gelang ihm auf Anhieb ein Bestseller, dem bisher sieben weitere folgten. Die Reihe ist die Vorlage für die internationale Fernsehproduktion »Babylon Berlin«. OLYMPIA, der achte Band der Reihe, verkaufte sich weit über 150.000-mal. Mit der von Kat Menschik illustrierten Erzählung "Moabit" gelang ihm ein weiterer Bestseller, dem im November 2021 die illustrierte Erzählung "Mitte" folgte.
Dass sie sich auf hoher See befanden, war hier drinnen kaum zu spüren, der holzgetäfelte Salon hätte auch in einen gediegenen britischen Gentlemen’s Club gepasst. Die Stirnseite schmückte ein Relief, irgendetwas Antikes, ein Ochsenkarren voller Weintrauben, angeführt von einem Flötenspieler im dünnen Hemdchen. Und auf dem Ochsen saß nicht etwa Europa, wie man es auf einem Schiff dieses Namens hätte erwarten sollen, sondern ein zweiter halbnackter Kerl, der blöde besoffen grinste. Marion Goldstein kannte sich nicht so aus mit griechischen Sagen, sie hatte keine Ahnung, wen oder was das darstellen sollte, aber dass das nicht Europa war und auch kein göttlicher Stier, das sah ein Blinder mit Krückstock.
Sie hielt ihre Zigarette nun schon eine ganze Weile in der Hand, doch niemand machte Anstalten, der ganz in schwarz gekleideten Dame Feuer zu geben, keiner der Stewards, die hier ebenso flink wie dezent durch die Tischreihen huschten, noch einer der distinguierten Herren, die in den weichen Lederpolstern saßen und rauchten. Niemand würdigte die blonde Witwe auch nur eines Blickes. Marion kannte das bereits: Der Rauchersalon der ersten Klasse war, auch wenn dies nirgends geschrieben stand, den Herren der Schöpfung vorbehalten.
Es war ihr nicht wichtig, dass ein Kavalier ihr eilfertig sein Feuerzeug unter die Nase hielt, doch sie genoss es, die Herren ein wenig schwitzen zu lassen, diese Feiglinge, die nicht wussten, ob sie ihrer guten Erziehung folgen sollten oder ihrem Dünkel. Abe hätte die Männer allesamt verachtet. Er hätte sich einen Scheiß um ungeschriebene Gesetze geschert oder darum, was die anderen denken mochten; er hätte sich zu der einsamen Dame gebeugt, hätte ihr sein Lächeln gezeigt und ihr Feuer gegeben. Mit genau jenem Feuerzeug, das seine Witwe nun aus der Handtasche holte.
Sie hatte es mit an Bord genommen, Abes Zippo. Seinen Glücksbringer, als solchen hatte er das solide Sturmfeuerzeug immer bezeichnet. In jener Nacht aber, in jener verhängnisvollen Nacht vor genau zwölf Tagen hatte er es, warum auch immer, im Hotel zurückgelassen.
Nach Abes Tod hatte sie sich geschworen, das Feuerzeug niemals mehr aus den Augen zu lassen. Des Nachts lag es neben ihrem Bett und verbreitete einen dünnen Benzindunst, den sie mit in ihre Träume nahm. Meist waren es schöne Träume, meist traf sie Abe dort, und ihr Herz lernte wieder fliegen. Schlimm war nur das Aufwachen jeden Morgen, wenn ihr langsam klarwurde, was das leere Bett neben ihr zu bedeuten hatte: dass er nicht da war. Nie wieder da sein würde.
Das Feuerzeug war ein kleiner Trost. Als sei es ein Teil von ihm, als sei er nicht ganz fort. Als sie es ihm geschenkt hatte, ein Jahr, nachdem er sie aus Berlin mit in die Staaten genommen hatte, waren sie bereits verheiratet.
Sie hätten niemals zurückkehren dürfen, nicht für einen einzigen Tag, nicht für die dämliche Olympiade und nicht für die anderen Dinge, die Abe in Berlin plante. Denn eines stand fest: Abraham Goldstein würde noch leben, wären sie vor gut einem Monat, als die Manhattan nach Europa aufbrach, nicht an Bord gegangen.
Das Feuerzeug flammte auf, und die Glut fraß sich mit leisem Knistern in die Zigarette hinein. Marion nahm einen tiefen Zug und pustete den Rauch weit in den Raum hinein. Sie ließ die Klappe zurückschnappen, und ein metallisches Klacken zerschnitt die ledergepolsterte Stille. Einige Herren schraken zusammen, andere vergaßen für einen Augenblick den unausgesprochenen Vorsatz, den weiblichen Eindringling zu ignorieren, und drehten sich um. Aber niemand sagte etwas. Vielleicht war die schwarze Trauerkleidung Grund für ihre Zurückhaltung, vielleicht hatte sich auch herumgesprochen, welchen Mann die blonde Witwe betrauerte. Fast war es, als säße Abe im leeren Sessel neben ihr und hielte jeden, der irgendetwas zu meckern hatte, auf Abstand.
Marion Goldstein wusste nicht viel von den Plänen, die ihren Mann nach Berlin getrieben hatten. Das meiste hatte sie erst erfahren, als sie am Abend seines Todes alles, auch die abgeschlossenen Schubladen in ihrer Suite im Bristol, leergeräumt hatte. Ein Unbekannter, einer von Abes Berliner Kontakten, hatte sie angerufen und gewarnt, und sie hatte eiligst alles ausgeräumt und beiseitegeschafft. Als sie vom Lehrter Bahnhof zum Hotel zurückkehrte, hatten sie bereits damit begonnen, ihre Suite zu durchsuchen. Zwei Bullen in Zivil. Staatspolizei. Ihr Mann, der jüdische Kriminelle Abraham Goldstein, habe ein Attentat auf Reichsminister Hermann Göring geplant, so hatten sie erzählt, und Marion hatte es keine Sekunde geglaubt, die deutschen Sicherheitskräfte hätten den feigen Attentäter jedoch rechtzeitig gestellt und außer Gefecht gesetzt. Außer Gefecht gesetzt. Sie hatten ihn erschossen, diese Schweine!
Dass Abe kein Attentäter war, hatte Marion von Anfang an gewusst. Aus welchen Gründen er jedoch in Berlin gewesen war, hatten ihr erst die Dinge verraten, die er vor ihr verborgen gehalten und die sie vor der Polizei in Sicherheit gebracht hatte: Frachtpapiere, mit denen sie nicht viel anfangen konnte, eine Packung originalverpacktes Heroin mit dem Kreuz der Firma Bayer sowie eine Fahrkarte des Norddeutschen Lloyd für eine Atlantikpassage auf dem Schnelldampfer Europa von Bremerhaven nach New York am 21. August 1936, ausgestellt auf einen Doktor Werner Ferber aus Elberfeld im Rheinland.
Also hatte auch sie sich am 21. August auf der Europa eingeschifft. Zusammen mit Doktor Ferber, der, wie sich herausstellte, ein Chemiker der Eberfelder Bayer-Werke war, dem man wegen seines mosaischen Glaubens gekündigt hatte. Abe hatte dem jungen Doktor die Überfahrt in die Staaten besorgt, damit er dort neu anfangen könnte. Sie und Doktor Ferber teilten sich keine Kabine, selbstverständlich nicht, gleichwohl verbrachten sie an Bord viel Zeit miteinander, so viel, dass dies den übrigen Passagieren der ersten Klasse ausreichend Gelegenheit zum Tuscheln und Naserümpfen bot.
Sie hatte nicht vor, mit dem jungen Chemiker anzubändeln, ihr ganzes Interesse galt dem Sinn und Zweck seiner Überfahrt. Doktor Ferber war in dieser Sache sehr offen, handelte es sich bei Marion Goldstein doch um die Witwe seines Auftraggebers. Er war so offen, dass sie ihm klarmachen musste, dass diese Offenheit ihr gegenüber zwar angebracht sein mochte, anderen gegenüber aber unter allen Umständen zu vermeiden war. Sie sicherte ihm zu, Abes Abmachung einzuhalten: Doktor Ferber werde das Labor bekommen, das Abe ihm versprochen habe.
Wie sie das anstellen sollte, wusste sie noch nicht. Sie würde Verbündete brauchen, die Frage war nur, wem sie trauen konnte. Wenn sie an die Menschen dachte, die sie in New York erwarteten, Sally Epstein, Doktor M. oder Jack Helferich, dann wurde ihr klar, dass ihr aus Abes Umfeld nur Menschen einfielen, denen sie nicht traute.
Ein kaum hörbares Raunen wanderte durch den Saal, ein Raunen, das unmöglich ihr gelten konnte, denn sie saß still und friedlich in ihrem Sessel und rauchte. Sie schaute auf. Eine weitere Frau hatte den Rauchersalon betreten. Die Amerikanerin mit dem straff zurückgekämmten Haar und dem strengen, beinahe Angst einflößenden Blick war ihr schon beim Einschiffen in Bremerhaven aufgefallen, weil sie die Einzige in der ersten Klasse war, die ebenfalls schwarz trug.
Auch die amerikanische Witwe ließ sich regelmäßig mit einem Mann an ihrer Seite blicken, und bei den beiden war der Altersunterschied noch frappanter als bei Marion und Doktor Ferber. Nun aber war sie allein. Die Amerikanerin machte sich nichts aus dem Getuschel der Mitreisenden, und noch weniger schien sie das Geraune im Rauchersalon zu stören, im Gegenteil: Jeden ihrer Schritte, der sie weiter in diese Männerwelt hineintrug, kostete sie aus wie einen guten Schluck Cognac. Die Kombination aus schwarzem Abendkleid, hochhackigen Schuhen und kurzem Bolero war für eine Witwe schon fast zu elegant, der Hut hatte sogar einen kleinen schwarzen Schleier. Marion, die durchaus auf Kleidung achtete, war schmuckloser angezogen. Allerdings hatte sie auf die Auswahl des schwarzen Kleides bei Gerson auch nicht viel Zeit verwenden können, sie hatte Wichtigeres zu tun.
An Marions Tisch befanden sich nicht die einzigen freien Sitzgelegenheiten, doch an allen anderen Tischen wandten sich die Herren derart demonstrativ ab oder legten Taschen und Zeitungen auf die freien Sessel, dass der Neuen...
Erscheint lt. Verlag | 27.10.2022 |
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Reihe/Serie | Die Gereon-Rath-Romane |
Die Gereon-Rath-Romane | Die Gereon-Rath-Romane |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Babylon Berlin • Berlin • Berlin 30er Jahre • Charly Ritter • Gereon Rath • Gereon-Rath-Roman • Hindenburg • Kriminalroman • Lakehurst • Nationalsozialismus • Transatlantik • Zeppelin |
ISBN-10 | 3-492-60292-4 / 3492602924 |
ISBN-13 | 978-3-492-60292-1 / 9783492602921 |
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Größe: 6,2 MB
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