Germany, oh Germany (eBook)

Ein Brite auf Spritztour durch die deutsche Geschichte

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
528 Seiten
Pantheon (Verlag)
978-3-641-29636-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Germany, oh Germany -  Simon Winder
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Der amüsante Bestseller erzählt Deutschlands Geschichte aus der Sicht eines Engländers
Kaum ein Engländer betritt freiwillig deutschen Boden, ohne dafür berufliche Gründe zu haben. Ein Fehler, meint Simon Winder. Er selbst ist regelrecht besessen von Deutschland. So nimmt er uns mit auf eine höchst unterhaltsame Reise durch unser Land und dessen Vergangenheit. Nebenbei stopft er Bildungslücken, von denen Sie nicht einmal wussten, dass Sie sie hatten. Winder fasziniert dabei besonders das Ungewöhnliche und das, das man davon heute noch sehen kann: Er zeigt uns die schönsten Altstadtkerne, führt uns in Museen, Schlösser und Kirchen. Und erzählt von Künstlernaturen und Kriegswirren, von Wagner und Wald, von Erbfolgen, Einsamkeit und Erfindergeist.

Simon Winder, geboren 1963 in London, ist Cheflektor des englischen Verlags Penguin Books. Dort betreut er unter anderem die Bücher vieler bedeutender Historiker. 2010 erschien sein Bestseller »Germany, oh Germany: Ein eigensinniges Geschichtsbuch«, 2014 »Kaisers Rumpelkammer: Unterwegs in der Habsburger Geschichte« (Neuausgabe unter dem Titel »Die Habsburg-Saga«), 2019 folgte »Herzland. Eine Reise durch Europas historische Mitte zwischen Frankreich und Deutschland«.

Aus dem Land der düsteren Wälder


Besonders gut kann man über die Mythen der altehrwürdigen Ursprünge Deutschlands nachdenken, wenn man dem Vorspiel zum 2. Akt des Siegfried lauscht. Binnen weniger Minuten entsteht vor einem ein wild wuchernder, wegloser, düsterer Wald – es dräut Gefahr (namentlich in Gestalt eines schlafenden Drachen) –, die Spannung steigt und man ahnt, wie viele Jahre die Zwerge und Götter mit den Fingern getrommelt und gewartet haben, dass die großen (wenn auch weiß Gott albernen) Ereignisse ins Rollen kommen.

Schade, aber auch wieder gut, dass Nichtdeutsche zu Wagners Musik keine unmittelbare Beziehung haben. Natürlich gibt es unter ihnen viele heftig Wagner-Begeisterte und große -Interpreten, doch die Wurzeln des Dramas und sein Bedeutungsgehalt fallen geradewegs in den Zuständigkeitsbereich der Deutschen. An diesem Vorspiel im Walde ist mehreres für die deutsche Kultur sehr typisch: Englische Wälder hat man so schnell durchquert, dass man sie verpassen könnte, und darin spazieren zu gehen gilt eher nicht als sportliche Betätigung. Alle zehn Meter oder so kommt ein Kinderspielplatz, eine Imbissbude oder eine Schautafel. Aber in Deutschland kann man immer noch auf einem Hügel stehen und, so weit das Auge reicht, nichts als wogende Bäume sehen – und doch sind das nur Reste des uralten Waldes, heute top gepflegt. Auch der Drache, die Zwerge und die Götter wirken gerade in diesem Land überzeugend, wie Geschöpfe aus einer Spielzeugkiste, die in den Bergen und Wäldern schlummern und von Generationen von Sprach- und Volkskundlern oder Komponisten immer wieder hervorgeholt, neu bemalt und in den Mittelpunkt zahlloser Festspiele und Kinderbücher gestellt werden.

Die Deutschen haben mit ihrer weit zurückliegenden Vergangenheit erheblich mehr Aufwand betrieben als die Engländer. Deren Neugierde auf ihre Ursprünge war immer gebremster. Die beiden Länder lagen lange unter derselben urzeitlichen Eisplatte, doch mit deren Schmelzen gingen sie getrennte Wege. (Süddeutschland war nicht von Eis bedeckt, womit es dummerweise selbst im Pleistozän schon anders wurde.) Die historischen Anfänge Englands sind oft einfach nur peinlich. Als römische Kolonie war Britannien ein Härteposten und eine ziemliche Lachnummer. Schön wäre es, wenn die Römer uns wenigstens eine edle Stirn oder ein Gen für die Liebe zum klassischen Bildungsgut hinterlassen hätten, aber allein der Mangel an überlieferten Informationen über die Provinz besagt schon, wie wenig ihre Besitzer sie wertschätzten. Und während sich Europa im 19. Jahrhundert obsessiv mit der grauen Vorzeit beschäftigte, mussten die Briten ihre Überlegenheitsgefühle aus anderen Quellen beziehen. Nach Abzug der Römer wurde ihr Land nämlich auch noch zum Tummelplatz, wo sich jeder dahergelaufene Eindringling austoben konnte. Welle um Welle vergnügungssüchtiger Nordgermanen, Dänen und Norweger brandete heran; sie schwangen ihre Kampfbeile, bis das Land dann, als letzte Schmach, von den Normannen erobert wurde. In all diesem blutigen Gerangel tauchen immer wieder Arthur und Alfred auf – Ersterer von französischen Dichtern erfunden, Letzterer unter all den nachfolgenden Marodeuren so wenig auszumachen, dass man sich fragt, ob das moderne England überhaupt etwas mit ihm zu tun hat.

Weil England also als Betätigungsfeld für hackwütige Immigranten galt, taugt seine frühe, eher schmähliche Geschichte so gut wie nicht für ein erbauliches Narrativ. In Deutschland hat die sehr weit zurückliegende Vergangenheit allerdings auch immer eine zerstörerische, verhängnisvolle Wirkung gehabt. Wie viel schiefgehen kann, wenn man der vermeintlichen eigenen Geschichte zu viel Bedeutung beimisst, sieht man nirgends besser als daran, wie Deutschland seine allerersten Anfänge verstanden und verarbeitet hat. Da mögen diese in Opern ästhetisch noch so lustvoll daherkommen.

Überall im Lande haben Maler und Schriftsteller, teilweise getrieben von den gleichen Obsessionen wie Wagner, teilweise von ihm erst inspiriert, in dem historisch nicht gesicherten Abraum Mitteleuropas herumgestochert, um ein paar Hinweise darauf zu finden, woher sie kommen. Das einzige echte Dokument, das sich dann auch gleich sehr unglücklich auf die europäische Geschichte ausgewirkt hat, war Tacitus’ Schrift Über Ursprung und geografische Lage der Germanen, bekannt als die Germania. Das einzige Exemplar davon fand man in dem hessischen Kloster Hersfeld und verbrachte es 1455 nach Rom, wo man nach und nach die eigentliche Bedeutung des Textes begriff. Er ist im Übrigen weit umfangreicher und interessanter als der Agricola, die Beschreibung Britanniens vom selben Autor, und immer wieder hat man ihn Satz für Satz auseinandergenommen. Einige Leute versuchten ihr Leben lang auch noch das letzte Fitzelchen ungesicherter Information herauszufiltern, zunächst italienische Humanisten, die mit großem Aufwand den wenig dienlichen Mythos von den Urgermanen in den Wäldern erfanden und ihre Mitmenschen nördlich der Alpen mit diesem verheerenden Geschenk beglückten. Dass die Germania überhaupt noch existierte, war erstaunlich. Die um 100 n. Chr. geschriebene, allem Anschein nach kenntnisreiche, sehr genaue Schilderung fasst zusammen, was das Römische Reich über die Germanen wusste, und überlebte im Gegensatz zu vielen anderen Werken des Autors fast dreizehnhundert Jahre lang nicht nur Brände und die Unbilden des Wetters, sondern auch die Launen von Klosterbibliothekaren und -kopisten.

Bekanntlich gelang es den Römern, die ihre nördliche Grenze entlang Rhein und Donau befestigten, nie, die Germanen zu unterwerfen. Auch deshalb betrachteten deutsche Nationalisten die Germania als Gründungsdokument der Nation – einer Nation, in der »ein reiner, nur sich selbst gleicher Menschenschlag von eigner Art« lebte, um Tacitus’ fatale Worte zu benutzen. Er verglich die Tugenden der Germanen mit den Schwächen ihrer verweichlichten, unmoralischen, Toga tragenden Nachbarn und schilderte sie als robust, hitzköpfig, schlicht, ehrenhaft und gute Kämpfer. Sobald sie aber so dumm waren, sich auf eine offene Feldschlacht mit den Römern einzulassen, zogen sie den Kürzeren. Tacitus hielt eine feine Balance zwischen den Behauptungen, dass die Germanen einerseits so furchterregend waren, dass es jedem einleuchtete, warum sie außerhalb des Römischen Reiches lebten, und andererseits so barbarisch, dass es sich doch auch gar nicht lohnte, sie in die Knie zu zwingen. Im Ton klingt es ähnlich, wie britische Anthropologen bis vor kurzem noch die Afrikaner darstellten und ihnen das gleiche frappierend enge Spektrum typischer Aktivitäten zuschrieben: raufen, feiern, sich begatten und danach faul herumliegen.

Freilich ist die Germania in vielerlei Hinsicht ein Ammenmärchen, doch weil sie das einzige Zeugnis dieser Art ist, werden wir nie wissen, wie sehr. Sie stellt Germanien zum Beispiel als geografisch und ethnisch eindeutig definierten Teil der Welt dar, woraufhin man seit Kenntnis des Textes jahrhundertelang – und manchmal mit schrecklichen Resultaten – versucht hat, an der Einheit eines Landes festzuhalten, das sich in Wirklichkeit aufreizend beharrlich einer Festlegung entzogen hat. Außerdem spricht Tacitus nur deshalb von den Tugenden der Germanen, samt unheilvoller Reinheit, um es dem seiner Meinung nach korrupten, sexuell promisken Drunter und Drüber in Rom entgegenzuhalten; keineswegs wollte er das im Jahr 100 des Herrn in einem nur vage verstandenen, unwirtlichen Teil Europas lebende Volk damit ernsthaft beschreiben. Wir werden nie unterscheiden können, wann Tacitus uns Informationen gibt, die er aus zuverlässiger Quelle hat – er selbst ist nie auch nur in der Nähe Germaniens gewesen –, und wann er den Seinen daheim nur geschickt etwas unterjubeln will. Also: Liebten die Germanen ihre Gattinnen tatsächlich und waren sie ihnen treu, oder stichelt Tacitus nur gegen seine Freunde?

Allerdings vermittelt die Germania einen lebendigen Eindruck davon, dass die Einwohner des gleichnamigen Gebiets doch sehr anders sind als die des Imperiums, und das muss den Tatsachen entsprochen haben. Im Imperium Romanum lebte eine sesshafte Bevölkerung, die Straßen benutzte, Steuern zahlte und sich zentral regieren ließ, während jenseits des Rheins unstete, mordlustige, halb anarchische Gesellen in lockeren Banden auf Lichtungen in unendlichen, dünn besiedelten Wäldern hausten und keine Straßen brauchten. Die Römer hassten diese Wälder – immerhin erlitten sie in einem Wald eine der berüchtigtsten militärischen Niederlagen ihrer Geschichte: in der Schlacht im Teutoburger Wald, in der Arminius, Hermann der Cherusker, mal eben zwanzigtausend Legionäre und ihre Befehlshaber niedermetzelte. Hermann taucht dann auch folgerichtig im neunzehnten Jahrhundert immer wieder mit dichtem Schnauzbart und angestrengt rechtschaffenem Stirnrunzeln in Gemälden und als Statue auf.

Wie sehr die Römer Germania verabscheuten, setzt Ridley Scott in seinem Film Gladiator wunderbar in Szene. Er beginnt mit den Feldzügen Kaiser Mark Aurels gegen die Germanen. Vor der großen Schlacht fährt die mit einem besonders grauen Graufilter ausgestattete Kamera in einen gespenstischen, eisigen, nebelumwaberten Wald, und spätestens, wenn das Wort »Germania« ins Bild springt, wissen wir nun, zweitausend Jahre danach, dass der Schatten des Römischen Reiches lang ist. Und wir sehen hier keinen deutschen Wald, in dem Vöglein zwitschern und Scharen älterer Herrschaften idyllische schöne Wanderwege beschreiten, sondern einen finsteren Albtraum, so wie sich Menschen aus dem Land der Zitrusfrüchte am...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2022
Übersetzer Sigrid Ruschmeier
Sprache deutsch
Original-Titel Germania
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 2022 • Deutsche Geschichte • Deutschland • Drittes Reich • eBooks • Friedrich der Große • Germanen • Geschichte • Goethe • Heiliges Römisches Reich • Humor • Kaiserpfalz • Karl der Große • lustig • lustige • Mittelalter • Mitteleuropa • Neuerscheinung • Neuschwanstein • Oktoberfest • Ratskeller • Romantik • Wartburg
ISBN-10 3-641-29636-6 / 3641296366
ISBN-13 978-3-641-29636-0 / 9783641296360
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