Spur 33 (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-29562-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spur 33 -  Christa Bernuth
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Ein Mordfall. Drei Tote. Eine unfassbare Wahrheit.
Ein grausames Verbrechen erschüttert die Stadt am See: Die angesehene Familie Rheinfeld wird nachts in ihrem Haus regelrecht hingerichtet. Der Verdacht fällt auf den heranwachsenden Sohn Leon, der erst seine Eltern und dann sich selbst getötet haben soll. Er war psychisch krank und - zur Verzweiflung seiner machtlosen Eltern - fasziniert von Waffen. Doch dann stellt sich heraus, dass Leons enger Freund Ben in den Fall verstrickt zu sein scheint: die ermittelnden Polizisten entdecken auf seinem Handy ein Video der drei Leichen. Stimmt seine Aussage, dass er einen Amoklauf verhindern wollte, den Leon geplant hatte? Oder handelt es sich gar um einen Auftragsmord? Je tiefer die Ermittler graben, desto unglaublichere Erkenntnisse bringen sie ans Licht. Bis sie auf Spur 33 stoßen ...

Christa von Bernuth ist Schriftstellerin und Journalistin. Ihre Romane »Die Stimmen«, »Untreu«, »Damals warst du still« und »Innere Sicherheit« wurden mit Mariele Millowitsch und Hannah Herzsprung in den jeweiligen Hauptrollen verfilmt und in mehrere Sprachen übersetzt. Mit »Tief in der Erde« hat sie erstmals einen Kriminalroman veröffentlicht, der von einer wahren Begebenheit inspiriert wurde. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in München.

2


Sechs Wochen vor der Tat


Auf Barbaras Nachttisch stand ein Foto von ihr und Markus am Gardasee. Beide strahlten, beziehungsweise Barbara strahlte, und Markus zeigte sein typisches schiefes, ein bisschen widerwilliges Grinsen, das er immer vor der Kamera aufsetzte, falls er sich überhaupt mal fotografieren ließ. Die Aufnahme war einundzwanzig Jahre alt, Barbara war damals noch nicht schwanger mit Leon oder wusste noch nicht, dass sie es war, und es war ein zauberhafter Tag gewesen, voller Liebe und Sonne (und vielleicht war Leon sogar hier entstanden, ganz genau ließ sich das nicht sagen).

Sie hatten sich ein paar Tage in einem Luxushotel in Sirmione geleistet, eine prächtige Villa in Sonnengelb und Cremeweiß, bewachsen mit einer leuchtend pinken Bougainvillea, die sich üppig neben dem säulenbewehrten Eingang hochrankte. Es hatte nur ein bisschen Krach gegeben, weil Markus trotz der vielgepriesenen Gourmetküche keinen einzigen Abend im Hotelrestaurant essen wollte. Seine Begründung – die Kellner taten ihm zu vornehm und zu servil, er fand das dekadent – überzeugte Barbara nicht, sie hätte sich gern einmal von vorne bis hinten bedienen lassen. Und was war gegen Silberbesteck, Stoffservietten und superfreundliche Bedienungen einzuwenden?

Aber das blieb die einzige Unstimmigkeit in diesem Kurzurlaub, ansonsten hatten sie eine fantastische Zeit, und manchmal sehnte sich Barbara so sehr danach zurück, also nicht unbedingt nach Sirmione selbst (ein hübscher, aber überfüllter Touri-Ort), aber an die Stimmung in diesem Hotel. An die Liebe und die Unbeschwertheit in der Zeit vor Leon.

Leon war ein Wunschkind gewesen, daran konnte es nicht gelegen haben. Er war so willkommen im Leben von Barbara und Markus gewesen, er war die Krönung ihrer noch jungen zweiten Ehe, der Höhepunkt nach Jahren voller Enttäuschungen und Kummer, der Beweis, dass alle Kämpfe sich gelohnt hatten, und vielleicht hatte ihn gerade das überfordert.

Diese freudigen Erwartungen, diese übertriebenen Hoffnungen. Welcher Säugling konnte die schon einlösen?

Nun war er jedenfalls da, unübersehbar, unüberhörbar, er wuchs und gedieh, und man musste mit ihm zurechtkommen, denn er würde nicht wieder verschwinden. Leon, Sternzeichen Löwe, ein kraftvoller und besonderer Mensch, mittlerweile ein junger Mann von außergewöhnlicher Intelligenz und mit extrem starken Gefühlen und Ängsten und – ja – auch Aggressionen. Begabt, aber schwierig. Wie so viele Genies passte er in keine Schublade, sprengte jedes Raster, war ein Naturereignis, lieb und böse, großartig und schlimm, hoffnungsvoll und verzweifelt, und manchmal alles zusammen, so wie an diesem Samstag Anfang Dezember.

Barbara hatte sich morgens ausgedacht, mittags zum vorzeitigen Nikolaus-Familienbrunch einzuladen, und war dann, ohne sich mit Markus abzustimmen, in aller Herrgottsfrühe losgefahren, um in einem Feinkostladen die entsprechenden Delikatessen einzukaufen. Das gab dann den ersten Ärger des Tages, weil Markus ein Problem damit hatte, wenn über seinen Kopf hinweg bestimmt wurde. Aber wie immer, wenn Barbara sich etwas spontan ausdachte, entwickelte sie eine derart freudige Energie, dass es praktisch unmöglich war, sie einzubremsen. Markus hatte sie angeschrien, was ihr eigentlich einfiele, Steffi versuchte es auf sanfte Art – »Sehr geile Idee, Mam, aber ich muss für die Prüfungen lernen, und Jo fliegt morgen auf einen Neurologen-Kongress nach New York und hat noch nichts gepackt« – und kam genauso wenig damit durch, weil Barbara, bereits gestählt durch Markus’ Gebrüll, alle Einwände einfach weglachte.

Eine kleine Geschäftsreise, also bitte, und lernen könne Steffi auch morgen noch, und so ging das hin und her, bis Steffi nach offenbar resignierter Rücksprache mit Jo doch zusagte.

»Wir können aber nicht lange bleiben, das weißt du.«

»Ich freu mich auf euch!«, sagte Barbara und überhörte absichtlich das »Aber«.

»Ja. Okay.«

»Mach dich nicht immer so rar, Schätzchen«, ermahnte sie ihre Tochter, während leiser Ärger in ihr hochstieg.

»Mam, bitte. Wir haben uns vor ’ner guten Woche gesehen, schon vergessen?«

»Sag ich ja!«

Nach solchen Gesprächen fühlte sich Barbara manchmal erschöpft, ein bisschen wie Sisyphos, der mit allen Kräften schob und schob, sich abrackerte und kämpfte und vermutlich schon ahnte, dass wieder das letzte Quäntchen Kraft fehlen würde, um den Stein über den Berg zu rollen. Ihre Physiotherapeutin und Craniosacral-Expertin Anne arbeitete sich seit Jahren an Barbaras Verspannungen im Nacken ab, die laut Anne ein Symptom ihrer Sehnsucht nach jemandem sei, der ihr Arbeit abnahm, statt ihr noch mehr Lasten aufzubürden.

»Man kann auch zu stark sein«, sagte Anne immer, und Barbara stimmte ihr zu, zu hundert Prozent. Sie war zu stark, zu leistungsfähig, sie verführte ihr Umfeld dazu, alles bei ihr abzuladen: Sie war im Grunde selber schuld. Es gab immer wieder Phasen, wo ihr das klar wurde, also so richtig klar wurde, nicht nur im Kopf, sondern auch mit dem Bauch und dem Herzen, und dann beschwerte sie sich schon mal. Was natürlich nichts änderte, es gab höchstens eine Riesenschreierei mit Markus und – falls alles ganz schlecht lief – auch mit Leon. Aber irgendwie hatten sie sich doch immer wieder zusammengerauft, oder nicht? Und Leon war in einer guten Phase, das stand fest, es gab Anlass zur Hoffnung. Er machte eine Ausbildung, genau die, die er wollte, und das war ein harter Kampf gewesen. Aber er blieb dran, und das war das Wichtigste, auch wenn Büchsenmacher nicht gerade der Beruf war, den sie sich für ihren Sohn gewünscht hätte.

Sie hörte das trockene Rattern einer Maschinenpistole und horchte nach unten, wo Leon nach eigenen Angaben ein Video drehte. Das war immer so, wenn unten im Werkzeugkeller geschossen wurde, dann durfte ihn niemand stören, sonst gab es eine Riesenaufregung. Gottverfickte Scheiße, hau ab, verfickte Scheiße, stör mich nicht, wenn es knallt. Sie verdrehte die Augen. Heute war es besonders laut; Dauerfeuer auf eine Aluplatte, vermutete sie, das machte richtig Lärm. Letzte Woche hatte sie schon ein komplett durchlöchertes Exemplar entsorgt. Der Sinn dieser Aktion erschloss sich ihr nicht, und sie hatte schon längst aufgegeben, Leon zu fragen, was er da eigentlich tat und wozu das gut sein sollte. Warum schoss man auf eine Metallplatte? War das so was wie ein Kunstprojekt?

Im Grunde hätte sie sich spätestens jetzt schon denken können, dass das mit dem Brunch heute keine gute Idee war. Aber hey, no risk, no fun, wie Leon manchmal grinsend sagte, und das hatte er ja vielleicht von ihr, diese Waghalsigkeit, sich in irgendwas reinzustürzen, ganz egal, was dabei rauskam.

Sie ging in die Küche, wo das Rattern aus dem Keller weniger hörbar war, lehnte sich an die Arbeitsplatte neben dem Herd, dachte nach, wobei sie unbewusst die Arme vor der Brust kreuzte, als müsste sie sich vor irgendwas schützen, irgendwen abwehren. Sie überlegte, sich ein Glas Prosecco außer der Reihe einzuschenken, und verwarf den Gedanken wieder.

Dann nahm sie doch ein Fläschchen aus dem Kühlschrank und holte sich ein Glas aus der Vitrine. Et voilà, die richtige Entscheidung. Nach ein paar Schlucken war alles gar nicht mehr so schlimm, und dann fielen sogar ein paar zarte Sonnenstrahlen durch das Fenster, vertrieben die trübselige Wolkendecke, die seit Tagen über dem See hing und alles in winterliches Grau getaucht hatte. Jetzt leuchtete das feurig rote und senfgelbe Herbstlaub im Garten und erinnerte Barbara daran, dass sie den Rasen davon befreien musste, damit er atmen konnte.

Aber das hatte noch Zeit. Barbara, ausnahmsweise entspannt und untätig, ließ den Blick schweifen. Er streifte den altmodischen Elektroherd, den man nicht mehr sauber kriegte, die müffelnde Kunststoffarbeitsplatte in Holzoptik, die an den Rändern schon Risse aufwies, und verweilte schließlich missmutig auf den tannengrünen Hängeschränken. Wie sie diese schweren Dinger hasste, wie sehr sie sich eine neue Küchenzeile wünschte – ohne Hängeschränke, ganz in Weiß, mit einer eleganten Kücheninsel in der Mitte, ihretwegen auch gern von IKEA. Hauptsache neu, Hauptsache anders.

Manchmal hatte Barbara Angst vor diesem Haus. Seit über zwanzig Jahren lebte sie hier, und dennoch fühlte sie sich nie daheim, das hatte sie neulich einer Freundin gestanden. Die Fenster waren zu klein, die Decken zu niedrig und die Atmosphäre auf undefinierbare Weise zäh. Als wäre die Luft hier dicker, als würden sich Gerüche länger halten. Selbst Lüften half nicht wirklich. Und dann war es selbst bei strahlendem Sonnenschein immer zu dunkel für ihren Geschmack. Selbst im verglasten Wintergarten wurde es nie so richtig hell, was unter anderem daran lag, dass der Garten nach Nordosten ging, weshalb auch der Rasen selbst dann vermooste, wenn sie ihn jährlich vertikutierte. Etwas an diesem Haus erdrückte sie. Hinderte sie daran, frei zu atmen, Dinge beherzt in die Hand zu nehmen und zu verändern. Oh, wie sehr sehnte sie sich nach Veränderung! Frischen Wind und mehr Helligkeit! Das brauchte sie!

Egal.

Sie kippte den Rest Prosecco herunter und stellte anschließend fest, dass der schwarz-weiße Linoleumboden schon wieder voller Krümel und anderen klebrigen Ekelhaftigkeiten war, obwohl sie ihn gestern erst gesaugt und gewischt hatte. Zwei Männer im Haus waren eindeutig einer zu viel, vor allem wenn es sich um jene berüchtigten Exemplare handelte, die sich keinen Deut um...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • Büchsenmacher • Deutsche Autorin • Dreifachmord • eBooks • Familiendrama • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • krimi und thriller • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Paperback • RTL Doku • spannend • Spannung • Starnberg • Starnberger See • True Crime • TV-Doku • Waffennarr • Wahrer Fall
ISBN-10 3-641-29562-9 / 3641295629
ISBN-13 978-3-641-29562-2 / 9783641295622
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