Glaube, Hoffnung und Gemetzel (eBook)

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2022 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31038-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Glaube, Hoffnung und Gemetzel -  Nick Cave,  Sean O'Hagan
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»Glaube, Hoffnung und Gemetzel« ist ein Buch über Nick Caves Innerstes. Das Buch entstand während mehr als 40 Stunden persönlicher Gespräche zwischen Nick Cave und Sean O'Hagan und es zeigt, was Nick Cave wirklich antreibt. Es stellt die Fragen nach den großen Themen wie Hoffnung, Kunst, Musik, Freiheit, Trauer und Liebe und spannt den Bogen von der frühen Kindheit bis heute. 

Nick Cave, 1957 in Australien geboren, steht seit über 40 Jahren auf der Bühne, u. a. als Songwriter und Sänger von Nick Cave & The Bad Seeds. »Ghosteen«, das aktuelle Album der Band, gilt als ihr bislang bestes. Caves Werk umfasst verschiedene Disziplinen, wie etwa Filmmusik und diverse Romane. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt »The Sick Bag Song / Das Spucktütenlied«. Bei seinen jüngsten »Conversations With Nick Cave«-Abenden und auf seiner Website Red Hand Files sucht er ungewöhnlich tiefen und direkten Kontakt zu seinen Fans.

Nick Cave, 1957 in Australien geboren, steht seit über 40 Jahren auf der Bühne, u. a. als Songwriter und Sänger von Nick Cave & The Bad Seeds. »Ghosteen«, das aktuelle Album der Band, gilt als ihr bislang bestes. Caves Werk umfasst verschiedene Disziplinen, wie etwa Filmmusik und diverse Romane. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt »The Sick Bag Song / Das Spucktütenlied«. Bei seinen jüngsten »Conversations With Nick Cave«-Abenden und auf seiner Website Red Hand Files sucht er ungewöhnlich tiefen und direkten Kontakt zu seinen Fans. Sean O'Hagan führt seit 40 Jahren Interviews mit vielen wichtigen Künstlern, Musikern und Schriftstellern. Zurzeit arbeitet er für den Observer und den Guardian. Christian Lux studierte Buchwissenschaft und Literatur in Mainz. Danach Herausgeber des Insel Almanachs, Verleger des Luxbooks Verlags und freier Übersetzer. Seit Jahren betätigt er sich als Vermittler anglo-amerikanischer Literatur.  Zuletzt Bände von Amy Hempel, Stevie Smith, Leonhard Cohen.

Inhaltsverzeichnis

2 Die Nützlichkeit des Glaubens


Können wir uns nun grundsätzlich über das Spirituelle unterhalten?

Wo möchtest du anfangen?

Als ich mal deine späteren Songs hinsichtlich ihrer Form und ihrer Themen als ›spirituell‹ bezeichnet habe, hast du das sofort mit dem Wort ›religiös‹ gekontert. Ich fand das recht vielsagend.

Das Wort ›Spiritualität‹ ist etwas zu amorph für meinen Geschmack. Es kann alles Mögliche bedeuten, wohingegen das Wort ›religiös‹ einfach präziser ist, vielleicht sogar konservativ, es hat mehr mit Tradition zu tun.

Weil Religion eine stärkere Hingabe erfordert und an den Gläubigen spezifische Anforderungen stellt?

Religion ist eine mit Strenge einhergehende Spiritualität, nehme ich an, und ja, sie stellt Anforderungen an uns. Für mich bedeutet das ein Ringen mit der Idee des Glaubens – dieser rote Faden eines Zweifels, der sich durch die meisten glaubwürdigen Religionen zieht. Dieser Kampf mit der Vorstellung des Göttlichen bildet die Wurzel meiner Kreativität.

Vielleicht können wir das später etwas ausführlicher besprechen. Aber sagst du damit, dass du hinsichtlich deines Glaubens und deiner Überzeugungen in der Essenz konservativ bist?

Ja, das war immer schon so und nicht nur hinsichtlich meines Glaubens. Ich glaube, vom Temperament her bin ich eher konservativ.

Das ist ein recht aufgeladenes Wort.

Nun, für dich mag es aufgeladen sein.

Definitiv. Aber meinst du damit, dass du Traditionalist bist?

Okay, dann halt Traditionalist, wenn dir das Wort lieber ist. Ich bin nicht so sehr an den eher esoterischen Ideen von Spiritualität interessiert. Ich werde eher von dem angezogen, was man gemeinhin als traditionelle christliche Vorstellungen bezeichnen würde. Die Bibel fasziniert mich besonders und darin vor allem das Leben Christi. Das war auf die eine oder andere Weise von Anfang an ein wichtiger Einfluss auf meine Arbeit.

Und dennoch wird relativ wenig darüber gesprochen, wenn Kritiker über dein Werk sprechen. Glaubst du, Journalisten neigen dazu, dem Thema auszuweichen?

Oh Gott, ja! Na klar. Ich erinnere mich an ein Interview mit einer Musikzeitschrift, das etwa dreißig Jahre her ist, da hat sich der Journalist hingesetzt und gesagt: »Bevor wir anfangen … mein Chefredakteur hat mir gesagt: ›Frag ihn bloß nichts zu Gott!‹«

Geht dieses Interesse an traditionellen Aspekten der Religion auf deine Kindheit zurück?

Es gibt gewiss einige nostalgische Elemente dabei, das gebe ich zu, und das geht vermutlich auf die Zeit zurück, als ich das erste Mal diese Geschichten aus der Bibel gehört habe. Als ich jung war, war ich mehrmals wöchentlich in der Kirche, da ich Mitglied des Kirchenchors war. Und ich habe in der Kirche viel gelernt. Ich wurde vertraut mit den Geschichten der Bibel und habe sie wirklich geliebt. Die ganze Sache hat mich einfach angezogen. Ich erinnere mich, im Andenkenladen der Kirche ein kleines hölzernes Kreuz mit einem kleinen silbernen Jesus gekauft zu haben, um es am Hals zu tragen. Da war ich elf Jahre alt. Daran war ein Stück Papier befestigt, auf dem stand: »Hergestellt aus dem Holz des Wahren Kreuz Christi«, und ich dachte: ›Wow, das Wahre Kreuz.‹

Ah, schon damals also haben sie dich belogen!

Ha! Ja. Und ich fragte meine Mutter: »Mama, ist das aus dem echten Kreuz gemacht, an dem Jesus gestorben ist?« Und sie sagte: »Kann sein, Liebling«, und zwar sagte sie es so, dass ich wusste, dass es nicht stimmte, aber es weiterhin seine Aura des Mysteriösen behalten konnte.

Der springende Punkt ist, dass ich immer schon eine Veranlagung für diese Dinge hatte. Und später, als ich begann, mich für Kunst zu interessieren, waren es oft vor allem die religiösen Werke, mit denen ich mich beschäftigte. Ich hatte das Gefühl, dass sie über eine Art zusätzlicher Kraft verfügten, die über die Kunst selbst hinausging. Das war ein weiterer Zugang.

War es also schon damals ein Zeichen für ein tieferes Interesse am Göttlichen, als du in deinen jungen, wilden Tagen biblische Bildwelten als Material verwendet hast?

Nun, ich war umgeben von Menschen, die null Interesse an spirituellen oder religiösen Themen hatten, beziehungsweise wenn sie es hatten, lag es daran, dass sie vehement antireligiös waren. Ich habe mich, um es milde auszudrücken, in einer gottlosen Welt bewegt, da war also keinerlei Nährboden für diese Ideen. Aber ich habe immer mit der Vorstellung von Gott gerungen und hatte gleichzeitig das Gefühl, an etwas glauben zu müssen.

Ich muss sagen, dass das nicht immer sofort ersichtlich war.

Nein, das war es wohl nicht! Aber ich glaube, dass die Menschen einfach sahen, was sie sehen wollten. Ich meine, die ersten Auftritte von Birthday Party waren auf ihre eigene Weise religiös, dieses Rollenspiel auf der Bühne, Dämonen austreiben und in Zungen sprechen. Das war altmodische, gottesfürchtige Religion! Oder zumindest eine Beschäftigung mit religiösen Themen. Aber ich hatte natürlich auch einen großen Hunger nach Chaos. Mein Leben war extrem chaotisch und meine Musik natürlich auch. Dennoch habe ich immer versucht, irgendeine Form von spirituellem Zuhause zu finden. Vielleicht war das Chaos einer der Gründe für meine darunterliegende Sehnsucht nach einer tieferen, substanzielleren Bedeutung, aber das weiß ich nicht genau. Die Vorstellung, dass es keinen Gott oder nichts Göttliches gäbe – keinerlei spirituelle Geheimnisse, über die man sprechen könnte, nichts, das über das hinausginge, was die Welt der Ratio uns zu bieten hat – das war eine Vorstellung, die ich nicht akzeptieren konnte.

Hast du also Religion als eine Möglichkeit gesehen, deinem Leben einen gewissen Grad an Ordnung zu verleihen?

Nein, ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich hatte einen Riesenhunger nach Verwüstungen – aber ich hatte auch noch andere Dinge im Kopf, echte Sorgen und problematische Situationen. Ich konnte in Hotelzimmern aufwachen und umgeben sein von den Trümmern einer wilden Nacht – leere Flaschen, Drogenutensilien, vielleicht jemand Fremdes in meinem Bett – all diesen Mist –, aber eben auch eine aufgeschlagene Ausgabe der Gideon-Bibel mit unterstrichenen Passagen. So war es ständig.

Damals ging ich davon aus, dass die Bibel für dich einfach eine Inspirationsquelle für deine Songs war, so wie du auch zu Schriftstellern wie William Faulkner, Flannery O’Connor und der ganzen Tradition des Southern Goth hingezogen warst.

Ein großer Teil der Anziehung, die diese Autoren auf mich hatten, bestand darin, dass sie ebenfalls mit religiösen Ideen beschäftigt waren. Und die Bibel ist eine unglaubliche Quelle für Bildwelten und großes, lehrreiches menschliches Drama. Schon die Sprache selbst ist außergewöhnlich. Ich glaube, dass da immer schon eine Sehnsucht in mir nach etwas anderem war, nach etwas, das über mich hinausging und von dem ich mich ausgeschlossen fühlte. Selbst in den chaotischsten Zeiten, als ich mit meiner Sucht kämpfte, schienen mir immer jene bewundernswert, die eine religiöse Dimension in ihrem Leben hatten. Ich hatte eine Art spirituellen Neid, eine Sehnsucht nach Glauben angesichts der Unmöglichkeit zu glauben, was eine grundlegende Leere in mir ansprach. Diese Sehnsucht hatte ich immer schon.

Ich habe das Gefühl, dass du derzeit dieser Sehnsucht geradezu proaktiv nachgibst.

Hauptsächlich wohl deshalb, da ich nun, da ich älter geworden bin, erkannt habe, dass die Suche selbst die eigentliche religiöse Erfahrung ist – der Wunsch zu glauben und die Sehnsucht nach Bedeutung, die Bewegung in Richtung des Unbeschreiblichen. Vielleicht ist es das, was von wesentlicher Bedeutung ist, trotz der damit einhergehenden Absurdität. Oder vielleicht sogar aufgrund dieser Absurdität des Ganzen.

Im Kern ist Glaube vielleicht lediglich eine Entscheidung wie alle anderen auch. Und Gott ist möglicherweise die Suche selbst.

Der Zweifel ist aber weiterhin Teil deines Glaubenssystems, wenn ich es so nennen darf?

Zweifel ist eine Energie, ganz gewiss, und vielleicht bin ich eine Person, die sich niemals ganz der Vorstellung von der Existenz Gottes unterordnet, aber interessanterweise denke ich, dass ich es sein könnte oder dass ich diese Person immer schon gewesen bin.

Allerdings ist es zutiefst menschlich zu zweifeln, findest du nicht?

Das stimmt. Und die starre und selbstgerechte Gewissheit einiger religiöser Menschen – übrigens auch einiger Atheisten – ist etwas, das ich abstoßend finde. Die Hybris darin. Diese Scheinheiligkeit. Dafür kann ich mich nicht erwärmen. Je unbeweglicher die Überzeugungen einer Person sind, desto kleiner scheint sie mir zu werden, da so jemand aufgehört hat, Fragen zu stellen, und dieses Nicht-infragestellen geht bisweilen einher mit einem Gefühl moralischer Überlegenheit. Der selbstgefällige Dogmatismus der gegenwärtigen Kultur unterstreicht das geradezu. Ein bisschen Demut würde nicht schaden.

Verstehe ich das also richtig, dass du deine Zweifel gern hinter dir...

Erscheint lt. Verlag 3.11.2022
Übersetzer Christian Lux
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Autobiografisch • Bad feeds • Der Tod des Bunny Munro • Glaube • Interview • Kunst • Musik • Observer • Schicksalsschlag • Sean O`Hagen • Stranger than kindness • Tod eines Kindes • Tragödie • Trauer
ISBN-10 3-462-31038-0 / 3462310380
ISBN-13 978-3-462-31038-2 / 9783462310382
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