Die Naturgeschichte des Immunsystems (eBook)

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2022 | 1. Auflage
270 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-2403-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Naturgeschichte des Immunsystems -  Clemens G. Arvay
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Von Amöben und Algen über Korallen und urzeitliche Fische bis zu den ersten Wirbeltieren und Primaten: Clemens Arvay zeichnet die faszinierende Evolutionsgeschichte unseres Immunsystems nach. Und er macht dabei deutlich, wie sehr unsere Gesundheit von dem Zustand unserer Lebensräume abhängt. Seine Botschaft: Um langfristig gesund zu bleiben, brauchen wir einen Paradigmenwechsel hin zur Ökoimmunologie. Diese junge Wissenschaft untersucht, welchen Einfluss Umweltfaktoren, Ernährung und Lebensstil auf Krankheiten und deren Verläufe haben. So lernen wir etwa, warum wir in gewissen Lebenssituationen besonders anfällig für Infekte sind, warum Impfungen manchmal besser und manchmal schlechter anschlagen und warum winzige Lebewesen in unserem Darm eine wichtige Rolle für unsere Abwehrfunktionen spielen.

Nur wenn wir die Vergangenheit unseres Immunsystems kennen, verstehen wir, was es braucht, um auch in der Zukunft gesund zu bleiben.



Clemens G. Arvay ist Biologe und Autor mit dem Schwerpunkt Gesundheitsökologie. Mit seinem Spiegel-Bestseller Wir können es besser hat er eine umfassende Abhandlung über die Corona-Pandemie aus ökologischer Sicht vorgelegt. Er erforscht die Bedeutung kranker und gesunder Ökosysteme für den Menschen und ist im österreichischen Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU) für den Bereich "Biodiversität und Gesundheit" zuständig.

Clemens G. Arvay ist Biologe und Autor mit dem Schwerpunkt Gesundheitsökologie. Mit seinem Spiegel-Bestseller Wir können es besser hat er eine umfassende Abhandlung über die Corona-Pandemie aus ökologischer Sicht vorgelegt. Er erforscht die Bedeutung kranker und gesunder Ökosysteme für den Menschen und ist im österreichischen Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU) für den Bereich "Biodiversität und Gesundheit" zuständig.

EINLEITUNG


Eine immunbiologische Spurensuche

Über das Immunsystem wurden bereits viele Bücher geschrieben. Die meisten von ihnen behandeln überwiegend Wie-Fragen, die zum Beispiel so klingen: Wie läuft die Bildung von Antikörpern gegen Viren, Bakterien und andere Pathogene ab? Wie spüren unsere Abwehrkräfte Krankheitserreger oder potenzielle Krebszellen auf und entfernen sie aus dem Körper? Wie kommuniziert unser Immunsystem mit dem Nervensystem? Wie beeinflusst die Psyche unsere Immunfunktionen und umgekehrt? Wie wirken sich die Mikroorganismen des Darms auf unsere Gesundheit aus?

All das sind Fragen, die auf die »einfachen Probleme« der Immunbiologie abzielen. Ich möchte damit nicht behaupten, dass es sich um banale Fragestellungen handelt, die leicht und mühelos zu beantworten seien. Alle diese klassischen Wie-Fragen sowie die Antworten, die man darauf geben kann, sind ohne Zweifel unerlässlich für die wissenschaftliche Erforschung von Krankheit und Gesundheit und erfordern ein fundiertes Fachwissen sowie hoch spezialisierte Forschungsmethoden und Experimente.

»Einfach« sind die Wie-Fragen lediglich im Vergleich zu den großen Warum-Fragen, die sich auf die »schwierigen Probleme« der Immunbiologie beziehen. Das sind jene, die uns zu einem umfassenden und tiefen Verständnis des komplexen Immunsystems führen. Hier eine Kostprobe davon, wie immunbiologische Warum-Fragen gestellt werden können: Warum besitzen wir die Fähigkeit, Antikörper gegen Viren oder Bakterien zu bilden? Warum ist unser Immunsystem in der Lage, Krankheitserreger aufzuspüren und zu eliminieren? Warum kommuniziert unser Immunsystem mit dem Nervensystem? Warum beeinflussen psychische Vorgänge unsere Immunfunktionen und umgekehrt? Warum spielt das Mikrobiom im Darm eine wesentliche Rolle bei der Abwehr von Infektionskrankheiten und der Gesunderhaltung des gesamten Organismus?

Wann immer wir eine Frage stellen, die mit dem Wort »Warum« beginnt, wollen wir den Dingen auf den Grund gehen. In der Biologie bedeutet das, dass wir uns der Evolution zuwenden müssen. Keine immunbiologische Warum-Frage lässt sich beantworten, ohne sich damit zu befassen, wie es im Laufe der Naturgeschichte des Lebens zu bestimmten Notwendigkeiten, Entwicklungen, Anpassungen und dadurch zu bahnbrechenden evolutionären Neuerungen gekommen ist, die sich bis heute gehalten haben und bei unterschiedlichen Familien, Gattungen und Arten von Lebewesen zu finden sind. Um die Warum-Fragen der Immunbiologie zu beleuchten, müssen wir bis in vergangene Erdzeitalter zurückblicken.

In diesem »Warum?« steckt also eine Reihe anderer Fragen der folgenden Art: Wodurch kam es im Laufe der Naturgeschichte zu bestimmten Anpassungen und evolutionären »Erfindungen«, zu Meilensteinen und Durchbrüchen in der Entwicklung der Immunsysteme verschiedener Lebensformen? Wie kam es zum ersten Mal in der Geschichte des Lebens zum Auftreten von Antikörpern? Welche Lebensformen waren die Pioniere dieser Neuerungen, die heute noch im menschlichen Immunsystem verwirklicht sind? Welche Konsequenzen hat die naturgeschichtliche Vergangenheit unserer Abwehrfunktionen für die Beziehung zu unserer Umwelt, den natürlichen Lebensräumen und der gesamten Biodiversität, also zur Arten- und Naturvielfalt, mit der wir durch unsere evolutionäre Vergangenheit biologisch verwoben sind? Diesen komplexen und vielschichtigen, eben »schwierigen Problemen« der Immunbiologie können wir uns nur nähern, indem wir den Dingen naturgeschichtlich auf den Grund gehen.

In den vor Ihnen liegenden Kapiteln dreht sich alles um das große »Warum« des Immunsystems. Eine Naturgeschichte des Immunsystems aber hat sich folglich nicht nur mit dem menschlichen Immunsystem, sondern auch mit jenem in fremdartigen Organismen von den Einzellern über die Pflanzen bis zu den Tieren zu befassen. Aus der Betrachtung der Entwicklungsgeschichte vielfältiger Lebensformen erwächst das tiefere Verständnis unserer eigenen Abwehrkräfte, denn wir befinden uns in einer evolutionären Entwicklungslinie mit anderen Gattungen und Arten.

Diese Abstammung reicht zurück bis zu urzeitlichen Einzellern als Vorfahren aller Lebewesen. Sogar Bakterien, von denen einige im menschlichen Organismus selbst zu Pathogenen werden können, verfügen häufig über ein einfaches Immunsystem. Mikroskopisch kleine Einzeller wie Amöben, die frei im Wasser leben oder Kolonien bilden, schützen sich durch effiziente Abwehrfunktionen vor äußeren Einflüssen. Beispielsweise bilden sie mikroskopisch kleine Netze, mit denen sie Bakterien und Viren abtöten. Dieselbe Strategie setzen unsere Immunzellen, etwa die natürlichen Killerzellen, im Kampf gegen Krankheitserreger ein.

Amöben sind in der Lage, sich die bakteriellen Erreger »einzuverleiben« und zu verdauen, ähnlich wie die Fresszellen der angeborenen Immunsysteme von Menschen und vielen Tieren. Amöben sind also evolutionäre Vorläufer unserer Fresszellen, und doch können sie auch selbst zu Krankheitserregern werden und Menschen sogar den Tod bringen. Sie sind in der Lage, Entzündungen des Gehirns und der Gehirnhäute auszulösen, die sogenannte Amöben-Enzephalitis. Eine Infektion des Magen-Darm-Trakts, genannt Amöben-Ruhr, geht ebenfalls auf diese naturgeschichtlich sehr alten einzelligen Lebensformen zurück.

Dieses Buch befasst sich nicht nur mit der Naturgeschichte des Immunsystems selbst, sondern auch mit dessen evolutionären Wechselbeziehungen zu anderen Organismen – Krankheitserregern, Parasiten oder Symbionten. Die letztgenannte Gruppe, die Symbionten, spielte während der gesamten Naturgeschichte des Immunsystems eine wichtige Rolle. Korallen, Quallen, Süßwasserpolypen und Seeanemonen – sie alle gehören zu den Nesseltieren – beherbergten in ihrem Organismus bereits vor mehr als 500 Millionen Jahren einzellige Algen, die sie zu ihrem gesundheitlichen Nutzen kultivierten. In ihrer Verdauungshöhle, einer naturgeschichtlich gesehen einfachen Frühform unserer Magen-Darm-Organe, siedelten sich Einzeller an und beteiligten sich an der Verdauung und Aufbereitung der Nahrung sowie an grundlegenden Funktionen der Gesunderhaltung. In dieser symbiotischen Tradition des Lebens steht auch unser Mikrobiom im Darm, das für die Funktion unseres Immunsystems eine wichtige Rolle spielt: Mikroorganismen werden hier zu einem funktionellen Teil unserer Abwehrkräfte. Mittlerweile erforscht die Wissenschaft neben Bakterien auch zahlreiche Viren als wichtige evolutionäre Symbionten, die unserem Wohlergehen dienen. In diesem Zusammenhang ist vom »Virobiom« oder »Virom« die Rede. Auch diese evolutionäre Tradition wurde vor Jahrmillionen von scheinbar primitiven Lebensformen begründet.

Der Zusammenhang zwischen Nerven- und Immunsystem ist, außer bei uns Menschen, auch bei vielen anderen Lebensformen zu finden und lässt sich entwicklungsgeschichtlich ebenfalls bis zu den bereits genannten Nesseltieren zurückverfolgen. Diese sind nämlich »Pioniere des Nervensystems«. Sie sind die ältesten mehrzelligen Lebensformen mit einem einfachen Nervennetzwerk. Schon bei diesem uralten Tierstamm beeinflusste das Nervensystem das Immunsystem und umgekehrt. Die biologischen Phänomene, welche die Psychoneuroimmunologie untersucht, also das gegenseitige Wechselspiel des Nervensystems und der Psyche mit dem Immunsystem, nahmen vor über 500 Jahrmillionen mit dem Auftreten der Nesseltiere auf der Weltbühne ihren Anfang.

Nesseltiere sind darüber hinaus auch Pioniere der Hintergrundimmunität. Das ist das angeborene Immunsystem, das auf der Aktivität evolutionär erprobter Abwehrzellen und Immunproteine beruht. Es kommt noch ohne die Bildung von Antikörpern und anderen erworbenen Immunfunktionen aus. Bei uns Menschen und anderen Säugetieren ebenfalls zu finden, blickt diese lebenswichtige Hintergrundimmunität auf eine lange Naturgeschichte zurück, die mehr als 500 Millionen Jahre andauert und nicht nur bei Nesseltieren, sondern quer durch das gesamte Tierreich zu finden ist – sogar bei Insekten. Die Erforschung wichtiger Funktionen der Hintergrundimmunität an Taufliegen und Zebrafischen hat beispielsweise auch zu bahnbrechenden neuen Erkenntnissen in der Humanmedizin geführt. Dazu gehören unter anderem Mechanismen, bei denen Zellen des Immunsystems krank machende Bakterien erkennen und die Erreger anschließend »auffressen«. Dieser Vorgang wird Phagozytose genannt.

Noch grundlegendere Funktionen der Hintergrundimmunität, die auch in uns Menschen am Werk sind, wurden sogar in Pflanzen nachgewiesen. Dazu zählt unter anderem der programmierte Zelltod. Das ist eine Art zellulärer »Reinigungsprozess«, bei dem alternde Zellen, deren Funktion sich verschlechtert und die zu einer potenziellen Krebsgefahr führen, aus eigener Motivation absterben, abgebaut werden und Platz für neue Zellen machen. Auch Viren wurden erstmals in Pflanzen entdeckt. Immunproteine, die Krankheitserreger erkennen und eine Immunreaktion auslösen können, sind bei den pflanzlichen Lebensformen ebenfalls gut erforscht. Das sind alles Vorgänge, die im menschlichen Organismus in vergleichbarer Form wie bei Pflanzen zu den grundlegenden, permanent ablaufenden gesundheitsschützenden Funktionen gehören.

Im Diskurs über Infektionskrankheiten, um ein Beispiel zu nennen, wird die Hintergrundimmunität unseres angeborenen Immunsystems, die schon beim ersten Erregerkontakt einen Schutzwall aufbaut, häufig vernachlässigt. Doch ist diese Hintergrundimmunität bei vielen ansteckenden Krankheiten ausschlaggebend dafür, ob eine Infektion abgewehrt werden kann oder nicht beziehungsweise ob sie einen milden oder schweren Verlauf nimmt. Auch bei der Abwehr von...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Studium Querschnittsbereiche Infektiologie / Immunologie
Naturwissenschaften Biologie
Schlagworte Biophilia-Effekt • Corona-Impfstoffe • Corona-Impfstoffe: Rettung oder Risiko? • Evolution • Gesundheit • Gesundheitspolitik der Zukunft • Heilungscode der Natur • Immunfunktionen • Lebensräume • Natureinflüsse • Ökoimmunologie • Ökosysteme • Regelkreisläufe der Natur • Rettung oder Risiko • Schlüsselsystem unserer Gesundheit • Umweltfaktoren und Gesundheit • Wir können es besser
ISBN-10 3-7517-2403-6 / 3751724036
ISBN-13 978-3-7517-2403-6 / 9783751724036
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