Am Alten Markt zu Posen -

Am Alten Markt zu Posen (eBook)

Roman aus der deutschen Ostmark

Steffen Großpietsch (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
218 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-8980-2 (ISBN)
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"Am Alten Markt zu Posen" von Max Berg ist ein zeitgenössischer Roman, dessen dramatische Handlung zum Ende der preußischen Provinz Posen spielt. Aufkeimender polnischer Nationalstolz und Deutschenhass spalten selbst die polnischen Familien in dieser Zeit, bildlich beschrieben, ist dieser Roman auch ein Zeitzeugnis aus einer fast vergessenen Provinz. Liebe, Hass und Nationalitätenkonflikt spielen eine ebenso große Rolle, wie die Treue zum Kaiser.

I.
„Wenn ich ihn nur habe,
Wenn er mein nur ist,“


zitierte Cosima, als die drei Sahnekuchen gebracht worden waren.

Dann bemühte sie sich nicht weiter um die Fortsetzung der Verse von Novalis, sondern füllte ihren Kuchenlöffel schleunigst bis an den Rand mit Schlagsahne und schob die süße Masse behaglich in ihren kleinen Mund.

„Psiakrew!“1) rief Frida begeistert.

Nur weniger polnischer Ausdrücke war die kleine geborene Berlinerin mächtig; sie gebrauchte diese besonders gern in Gegenwart ihrer temperamentvollen Freundin Jadwiga2 der hübschen Polin.

Jadwiga quittierte denn auch sofort über Fridas Anulkerei, indem sie von ihrem Kuchenteller einen Löffel voll Schlagsahne nach dem Gesicht der Berlinerin schleuderte.

Der Schuß traf gut; auf der Nasenspitze, einem Teil der rechten Wange und der Oberlippe klebte die Süßigkeit. Doch wurde sie von Fridas kleinen, dicken Fingern von dort entfernt und in den lachenden Mund geschoben.

Das sah sehr komisch aus. Die drei jungen Mädchen bezeugten ihre helle Freude hierüber.

Sie waren Freundinnen geworden auf der Höheren Töchterschule in der Provinzialhauptstadt Posen. Die Drei besuchten zurzeit dort die erste Klasse und standen im Alter zwischen fünfzehn und sechzehn Jahren. Ihr enges Zusammenhalten hatte insofern etwas sehr bemerkenswertes, als sie von verschiedener Abstammung und Konfession waren. Sie gehörten den drei Religionsgemeinden an, die Posen in Stadt und Land bevölkern. 3 Cosima Mannstein, die jüngste, aber gelehrteste der drei Schulfreundinnen, war Jüdin; Frida Mulleg vertrat unten ihnen den deutschen Protestantismus; Jadwiga Kochanowska fühlte sich als polnische Katholikin.

Ein derartiges Freundschaftsbündnis konnte dortzulande als eine große Merkwürdigkeit angesehen werden. Sicher gab es in Posen auch viele Leute, die den engen Verkehr zwischen der Polin, der Jüdin, der Lutheranerin nicht begriffen, ihn sogar aufs heftigste missbilligten. Immerhin wohnten dort aber auch Individualitäten, die nicht nur große Befriedigung über die Freundschaft zwischen der drei jungen Vertreterinnen derartig verschiedener Herkunft bezeigten, sondern auch dieses Verhältnis als vorbildlich für die gesamte Bevölkerung anzuempfehlen geneigt waren.

Über diese voneinander so sehr abweichenden Ansichten ihrer Mitbürger ließen sich die drei jungen Mädchen jedoch, wie man zu sagen pflegt, keine grauen Haare wachsen. Vorderhand lachten sie so ausgelassen und glücklich, wie man es gewöhnlich nur in solchem Lebensalter fertig bringt.

Cosima Mannstein, Jadwiga Kochanowska, Frida Mulleg befanden sich als einzige Gäste in dem kleinen Zimmer einer großen wohlbekannten Konditorei der Provinzialhauptstadt Posen. Die Drei bildeten den Vorstand und die sämtlichen Mitglieder eines hochachtbaren, nicht eingetragenen Vereins, des „Donnerstag-Klubs“. Mit regem Eifer verzehrten sie ihre Süßigkeiten.

Plötzlich fiel es der Polin schwer aufs Gewissen, dass sie vorhin jenen Löffel voll Schlagsahne zu leichtsinnig an die Berlinerin verschleudert habe. Um die Sache wettzumachen, langte sie daher mit ihrem Löffel auf Fridas Teller und wollte ihn wieder gefüllt zurückziehen, als ihre kleine räuberische Hand von Cosimas strafendem Kuchenlöffel getroffen wurde.

Auf diese Weise versuchte die Jüdin den Eingriffen der polnischen Katholikin in deutsch-protestantisches Recht zu steuern.

„Ruppige Puppe!“ rief lachend Jadwiga Kochanowska.

Sie hatte diesen Ausdruck von der kleinen geborenen Berlinerin übernommen. Das R hatte Jadwiga dabei wie im Polnischen gerollt. Sie gebrauchte ebensogern Berliner Redensarten, wie die Berlinerin polnische; waschecht klang es bei beiden nicht.

Die Heiterkeit der Schulfreundinnen war wieder angeschwollen.

„Ach Gott, Kinder!“ seufzte Cosima, als sie ihren geleerten Teller bei Seite geschoben hatte. „Heute Abend muss ich noch Klavier üben... schrecklich!“.

Die zierliche Cosima war sehr zum Leidwesen ihrer Mutter keine Musikfreundin. In allen Schulfächern glänzte sie dagegen als die Erste ihrer Klasse. Cosimas Mutter, Frau Rebekka, hegte jedoch eine gewaltige Musikschwärmerei und wollte diese unter allen Umständen auch auf ihre Tochter übertragen. Da gab es für Cosima manchmal bittere Stunden.

Sie war das einzige Kind von Isidor Mannstein, einem der reichsten Geschäftsleute in Posen. In seiner Jugend hatte Isidor Mannstein als armer Handlungsgehilfe die Provinzialhauptstadt zum ersten mal betreten; heute besaß er ein bedeutendes Vermögen, dessen Vermehrung er sich sehr angelegen sei ließ.

Seine Tochter liebte er fast abgöttisch, für sie schaffte er in erster Linie; doch ihr bei ihrer Abneigung gegen das Klavierspielen tatkräftige Hilfe zu leisten, war er Frau Rebekka gegenüber zu schwach. Nur in der Theorie stand er vollständig auf der Seite seiner Tochter und nur in Abwesenheit seiner Gattin wagte er hierüber offen zu sprechen.

Seinem Dablotower Jugendfreunde Isidor Heimann erzählte er einstmals sehr charakteristisch:

„Hat sie´s von mir, die Cosima. Meine beste Musik ist, wenn klappern die Dukaten!“

Dazu hatte der tüchtige Geldmann verschmitzte kleine Augen gemacht, beide Daumen in die Armlöcher seiner Weste gesteckt und sich vorsichtig nach allen Seiten umgeschaut. Als er gewiss war, unbelauscht zu sein, hatte er das Geständnis abgelegt:

„Meine Rebekka ist ganz musik-meschugge.. aber sag's nicht weiter, Heimann. „

Der Freund aus Dablatowo hatte denn auch versprochen, diese Tatsache streng verschwiegen zu halten, aber auch gleichzeitig der Meinung Ausdruck verliehen, Frau Rebekka könne sein musik-meschugge, soviel sie wolle, immer bleibe sie die Frau von reichen Isidor Mannstein in Posen.

Dieser unerbittlichen Logik seines Freundes hatte sich denn auch der gute Isidor Mannstein nicht zu entziehen vermocht; dagegen war er für die folgende Einschränkungen gewesen:

„Soll sie – kann sie – aber main Kind muss sie verschönen mit solchem Gesaires. Wenn meine Cosima nicht will machen Musik laut aufm Klavier, soll sie auch nicht zu brauchen üben. Laß main Kind, maine gute, kluge Cosima, doch studieren ihre Bücher, die sie so gern liest von den großen Dichtern und Gelehrten. Davon kann sie sich auch unterhalten nachher mit dainem Moritz.“

Isidor Heimann, der Vater dieses Moritz, der jetzt in Breslau das medizinische Studium begonnen hatte, beugte sich vollständig den klugen Erwägungen seines reichen Jugendfreundes. Immerhin darf nicht verschwiegen werden, dass er auch offen die Ansicht vertrat, Cosima könne klavierüben oder nicht, in den gelehrten Bücher lesen oder diese verstauben lassen – unter allen Umständen bleibe sie die Tochter vom reichen Isidor Mannstein in Posen. –

Jadwiga Kochanowska und Frida Mulleg äußerten sich zu der Klage ihrer Freundin Cosima Mannstein in tröstendem Sinne. Die Polin erwähnte, sie möchte sogar noch freiwillig die Geige spielen lernen – bei einem wunderschönen Musiker, Herrn Czraczki. Die Berlinerin meinte, ihr sei das Klavierüben gar nicht so sehr unangenehm. Nur ihr Lehrer müsste nicht Fräulein Klimpert heißen. Die Dame rieche nämlich manchmal aus dem Munde. Am liebsten, so gestand die kleine Berlinerin offenherzig, möchte sie schon klavierüben mit dem schönen Leutnant von den schwarzen Husaren.

Cosima versicherte, dass es keinen einzigen Mann auf der Welt gäbe, der ihr den Musikunterricht erträglich machen könne. Da beschlossen die beiden anderen, ihr die Klavierstunden gänzlich zu erlassen, und zwar zugunsten des dauernden Literaturunterrichts bei Herrn Struckner, dem schlanken, blonden Oberlehrer. Damit bezeigte sich nur Cosima Mannstein durchaus einverstanden; den schönen Literaturlehrer Erich Struckner in dieser Angelegenheit zu interpellieren, musste allerdings vorläufig unterbleiben.

Während man diese Lebensfragen erörterte, öffnete sich die Tür, und Fräulein Marina, das Konditorfräulein, schaute aus dem Hauptraum in dieses kleine Nebenzimmer. Vertraulich sagte sie:

„Soll ich vielleicht jetzt schon bringen?“

Fräulein Marina, die wichtige Beschützerin des Donnerstag-Klubs, sprach deutsch; ihrem Dialekt war jedoch anzuhören, daß sie polnischer Zunge.

„Ach ja!“ riefen die drei Schulfreundinnen wie aus einem Munde.

Für einige Augenblicke verschwand nun das Konditorfräulein; dann erschien sie wieder mit einem Tablett, auf dem drei Gläser mit Wasser und drei mit Likör standen. Die Wassergefäße waren große, die Likörgläschen recht kleine.

Der Donnerstag-Klub ging also jetzt statutengemäß zu Benediktiner über – einem feinen Schnaps, den man in Polen sehr geschickt nach berühmtem Muster zu bereiten und zu trinken...

Erscheint lt. Verlag 30.12.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7557-8980-9 / 3755789809
ISBN-13 978-3-7557-8980-2 / 9783755789802
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