Breaking (eBook)
300 Seiten
Sieben Verlag
978-3-96782-055-3 (ISBN)
Kapitel 1
Xander
„Ich weiß, dass es schwierig ist und Sie heute Abend viel durchgemacht haben, aber wenn ich Ihnen ein paar Fragen zu dem stellen könnte, woran Sie sich erinnern, wäre das sehr hilfreich.“
Blinzelnd versuchte ich mich auf den Mann zu konzentrieren, der mit mir sprach – ich glaube, sein Name ist Detective Nichols –, aber es war so gut wie unmöglich, mich bei der Kakofonie an Geräuschen, die im Wartezimmer der Notaufnahme auf mich einstürmten, zu konzentrieren.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich hier schon stand – zehn, zwanzig, dreißig Minuten? Aber es war lange genug, um zu begreifen, dass, was immer hinter den Doppeltüren geschah, durch die sie Sean vorhin geschoben hatten, nichts Gutes sein konnte.
„Mr. Thorne?“
Mein Name war nur ein Echo in meinem Kopf, und ich fing an, auf und ab zu gehen. Die sich wiederholende Bewegung war etwas, auf das ich mich konzentrieren konnte, um mich von der Tragödie abzulenken, die mich überhaupt hierher gebracht hatte.
Vor und zurück. Vor und zurück. Vor und …
Kühle Finger legten sich um meine und hielten mich auf. Und als ich in das vertraute Gesicht sah, das mich anstarrte, blieb ich abrupt stehen. Bailey.
Irgendwo zwischen dem Fairmont Hotel und dem University Hospital hatte ich die Geistesgegenwart besessen, ihn anzurufen. Und als ich ihn jetzt ansah, konnte ich seine Gesichtszüge kaum erkennen.
Seine Lippen waren wie in Stein gemeißelt, wahrscheinlich, weil er nicht den Kummer herausschreien wollte, den er bestimmt empfand. Seine Augen waren vom Weinen rotgerändert, und als er seine Finger um meine schloss, sah ich auf die blutbefleckten Manschetten meines weißen Anzughemds hinunter und musste an das letzte Mal denken, als Sean dasselbe getan hatte.
„Xander?“ Baileys Stimme schien das Einzige zu sein, was meinen tranceartigen Zustand, in dem ich mich seit meiner Ankunft hier befand, durchdringen konnte. „Warum setzt du dich nicht?“
Ich warf einen Blick auf den leeren Platz rechts von Bailey, schüttelte aber den Kopf. Ich musste mich bewegen. Ich musste aktiv bleiben. Wenn ich zur Ruhe kam, überfluteten mich Erinnerungen. Erinnerungen, an die ich lieber nicht denken wollte, wie zum Beispiel das ganze Blut … Seans Blut.
„Denken Sie, er könnte das etwas später erledigen? Er hat heute Abend viel durchgemacht.“
Henri. Das hatte Henri gesagt, und als ich mich umdrehte, um den Detective anzusehen, schaute er mich mitfühlend an.
„Ja, wir können warten“, sagte Detective Nichols und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder Henri zu. „Ich bleibe sowieso in der Nähe, bis wir etwas über Seans Zustand hören. Wenn ihm nach Reden ist, lasst es mich wissen.“
„Machen wir. Ich glaube, er muss einfach wissen, dass es Dick – Sean – gut geht, bevor er sich auf etwas anderes konzentrieren kann.“
„Ja, das verstehe ich. Glauben Sie mir.“
„Danke. Wir halten Sie auf dem Laufenden.“
Die beiden schüttelten sich die Hände, und als der Detective den Wartebereich verließ, kam Henri zu Bailey und mir zurück.
„Wann immer du dich dazu in der Lage fühlst, muss er wirklich mit dir reden.“
Das wusste ich, aber ich war nicht sicher, ob ich es jemals schaffen würde, im Geist noch mal alles durchzumachen, was heute Abend geschehen war. Ich verstand, dass der Detective eine Aussage brauchte und wahrscheinlich eine Menge Fragen über den Mann hatte, der getötet worden war. Aber im Augenblick konnte ich kaum atmen, ganz zu schweigen davon, Fragen zu beantworten.
„Hör mal“, sagte Henri. „Es wird eine lange Nacht. Wie wäre es, wenn wir uns irgendwo einen Automaten suchen und einen Kaffee holen?“
Bailey nickte und stand auf. Doch als sie mich ansahen, schüttelte ich den Kopf.
„Ich gehe nicht weg.“
„Das verlange ich auch nicht von dir. Hol dir nur einen Becher Kaffee oder etwas zu essen.“ Henri legte einen Arm um Baileys Schultern, und ich musste den Blick von dem Bild abwenden, das sie abgaben. Es war zu schmerzlich, denn der Mensch, dessen Arme ich um mich spüren wollte, war im OP.
„Es würde dir guttun, wenn du mal eine Weile hier raus kämst. Du hast dich seit vier Stunden kaum hingesetzt.“
So lange dauerte es also schon. Warum war niemand herausgekommen, um uns zu sagen, wie es Sean bisher ging?
„Vielleicht sollten wir einen Geschenkeladen suchen, um dir ein sauberes Shirt oder einen Sweater zu kaufen?“, schlug Bailey vor, und sein Blick wanderte an mir auf und ab.
Ich sah an meinem blutverschmierten Hemd herunter, zog mein Jackett zu und schloss die Knöpfe. „Ich brauche nichts“, sagte ich, denn ich würde nirgendwohin gehen.
„Xander …“ Die Traurigkeit in Baileys Stimme brachte meine Augen zum Brennen, und als ich sie zusammenkniff, schlang Bailey die Arme um mich. Ich versteifte mich bei dem Körperkontakt, weil ich das Gefühl hatte, diesen Trost nicht zu verdienen. Aber das war Baileys Art. Sein sanftes, fürsorgliches Wesen strahlte einfach von ihm aus, und wenn ich mich dagegen wehrte, würde ich einen Mann verletzen, der mir viel bedeutete.
„Es ist okay, für ein paar Minuten …“
„Ich gehe nicht“, sagte ich neben seinem Ohr.
Er löste sich von mir, strich mit einer Hand über meine Wange, und der Blick aus seinen blauen Augen bohrte sich in meinen. „Es ist nicht deine Schuld. Das weißt du, oder?“
Nein, das wusste ich nicht. Wie konnte ich auch? Sean war heute Abend meinetwegen bei dieser Preisverleihung gewesen. Er hatte meinetwegen gegen diesen Mann gekämpft. Und jetzt war er im OP und verblutete – meinetwegen.
„Okay, wenn du nicht mit uns kommen willst, setz dich wenigstens hin. Dann muss ich mir zumindest keine Sorgen machen, dass ich dich ohnmächtig auf dem Boden finde, wenn wir zurückkommen.“
Ich verkniff mir das reflexartige mir geht es gut und ließ mich von Bailey zu den Stühlen im hinteren Bereich des Wartezimmers führen.
Ich ließ mich auf einen Stuhl in einer Ecke sinken, machte es mir bequem und verschränkte Arme und Beine. Ich konnte immer noch die Ärzte und Schwestern sehen, die durch die Doppeltüren kamen und gingen. Als ich aufsah und bemerkte, dass Bailey mich musterte, griff ich nach seiner Hand und sagte: „Geh.“
„Bist du sicher?“
Nein. „Ja. Ich … Ich brauche nur Zeit, um das Ganze zu verarbeiten. Das ist alles.“
Bailey kaufte mir das nicht eine Sekunde ab, denn er runzelte die Stirn, sagte aber: „Wir kommen bald zurück.“
„Okay.“
Bailey nickte, doch bevor sie gingen, streckte Henri die Hand aus und tätschelte meinen Arm. „Vergiss nicht, das da drin ist Dick. Wenn irgendjemand stur genug ist, das zu überstehen und heil herauszukommen, dann ist es diese Nervensäge.“
Ich wusste, dass er helfen und die Stimmung aufhellen wollte, und vor ein paar Wochen hätte es wahrscheinlich funktioniert. Aber, als die beiden gingen, konnte ich nur daran denken, wie Sean gewesen war, als ich ihn das letzte Mal sah, ihn das letzte Mal berührte, und mir brach erneut das Herz.
„Mr. Thorne? Mr. Thorne? Sie müssen mit mir kommen.“
Die feste Stimme und eine Hand an meinem Ellenbogen halfen mir auf die Füße. Ich sah zu, wie die Sanitäter sich um Sean scharten, der still, reglos und blutend auf dem Boden des Ballsaals lag.
Das konnte nicht passieren. Es konnte nicht real sein. Aber als ich auf meine Hände hinuntersah, sagten mir die Blutflecke darauf, wie real alles war. Es war Seans Blut auf meinen Händen, Seans Blut auf meinem Hemd, und als diese Tatsache meinen Schock durchdrang, begann ich am ganzen Körper zu zittern.
„Mr. Thorne? Hören Sie mich? Sie müssen mit mir kommen.“
Der Griff um meinen Arm wurde fester, und ich wurde von dem Chaos weggezogen – weg von Sean – aber ich würde nirgendwohin gehen. Dafür müsste er mich schon hochheben und aus dem Raum tragen.
„Lassen Sie mich los.“ Meine Stimme klang schwach, selbst für meine eigenen Ohren. Aber wer immer dieser Mann auch war, er ging weiter, bis ich den Kopf schüttelte und mit mehr Entschlossenheit sagte: „Lassen Sie mich los.“
Sein Griff um meinen Arm lockerte sich, und als ich herumwirbelte, um Sean wiederzufinden, schwankte...
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2022 |
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Reihe/Serie | Prime Time Trilogie |
Prime Time Trilogie | |
Übersetzer | Sylvia Pranga |
Verlagsort | Brensbach |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bodyguard • gay • Liebe • Romance • Romantik • Schwul |
ISBN-10 | 3-96782-055-6 / 3967820556 |
ISBN-13 | 978-3-96782-055-3 / 9783967820553 |
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