Um unsere Webseiten für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend zu verbessern, verwenden wir Cookies. Durch Bestätigen des Buttons »Akzeptieren« stimmen Sie der Verwendung zu. Über den Button »Einstellungen« können Sie auswählen, welche Cookies Sie zulassen wollen.

AkzeptierenEinstellungen

Der stille Herr Genardy (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-29013-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
5,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Er ist ein netter, hilfsbereiter Mensch und ruhiger Mieter. Sogar kinderlieb und bereit, monatlich mehr zu bezahlen, als Sigrid bisher für die Wohnung im Obergeschoss ihres Hauses bekommen hat. Seit dem Tod ihres Mannes muss sie genau rechnen, um sich und ihre Tochter durchzubringen und das Haus nicht zu verlieren. Deshalb versucht sie, die Albträume und Visionen zu ignorieren, die sie nach Herrn Genardys Einzug quälen. Aber die Angst um ihr Kind wird sie nicht los. Irgendetwas stimmt nicht mit dem stillen Herrn Genardy ...

Petra Hammesfahr wurde mit ihrem Longseller »Der stille Herr Genardy« einem großen Lesepublikum bekannt. Seitdem erobern ihre Spannungsromane die Bestsellerlisten, sie wurden mit Preisen ausgezeichnet und verfilmt. So ist die erfolgreiche Netflix-Serie »The Sinner« mit Bill Pullman in der Hauptrolle auf der Grundlage von »Die Sünderin« entstanden.

1

Es war an einem Tag im Dezember 1991, als der Mann das Kind zum ersten Mal sah. Als er kurz nach fünf von der Arbeit kam, stand es vor dem Schaufenster, direkt unter der Leuchtschrift.

Tierhandlung

Wolfgang Weber.

Beide Hände hatte es gegen das Glas gelegt und das Gesicht so nahe an die Scheibe gebracht, dass sie unter dem Atem beschlagen war. Es war sehr kalt an dem Tag, dunkel war es auch bereits.

Hinter der Scheibe hockten ein paar Zwergkaninchen in einem Käfig, gleich daneben war ein Hamster untergebracht. Weiter hinten im Laden, aber dennoch von der Straße aus zu sehen, standen etliche Vogelbauer in unterschiedlichen Größen und ein Aquarium von gut zwei Metern Seitenlänge.

Der Mann kannte das alles zur Genüge. Seit zwei Jahren lebte er im ersten Stock des Hauses, direkt über den Räumen der Tierhandlung. Er kam täglich an dem Schaufenster vorbei, ohne die Tiere darin zu beachten, weil gleich daneben die Haustür lag. Wenn er vorbeiging, zog er meist den Schlüssel aus der Tasche und hatte nur einen Gedanken, ins Haus zu kommen, hinauf in seine Wohnung zu steigen, sich hinzusetzen und auszuruhen.

Auch dem Kind schenkte er an diesem Dezembertag noch keine besondere Beachtung. Es hatte nichts an sich, was ihn auf den ersten Blick angesprochen hätte. Zu groß für seinen Geschmack, zu mager und nicht einmal hübsch zu nennen. Die weichen Formen, die ihn bei Kindern so magisch anzogen, hatte es bereits verloren. Aber vielleicht wurden die Formen auch nur von der dicken Kleidung verschluckt.

Brust, Rücken und Arme des Kindes waren in eine unförmige Jacke gehüllt, dazu trug es eine Hose aus derbem Stoff. Sie passte nicht richtig, war über den Füßen mehrfach umgeschlagen, sodass sich ein dicker Wulst um die Knöchel bildete. Beide Knie und der Hosenboden waren dreckig, auch die Jacke wies einige Flecken auf. Und die Finger, mit denen das Kind gegen die Scheibe klopfte, hatten unter den zumeist abgebrochenen Nägeln schwarze Ränder.

Kleinigkeiten, die der Mann im Vorbeigehen registrierte, ohne sich dessen bewusst zu werden. Was sich ihm einprägte, war lediglich der Ausdruck auf dem Gesicht des Kindes. Der machte ihm mehr als alles andere deutlich, dass das Mädchen die meiste Zeit sich selbst überlassen war.

Es sprach mit den Tieren hinter der Scheibe. Das hörte er, als er die Haustür aufschloss. Mit welchen genau, war nicht ersichtlich. Das interessierte ihn auch nicht. Er trat ins Haus, ging durch den schmalen Flur zur Treppe. Der widerliche Geruch von Fischfutter stach ihm in die Nase. Jedes Mal, wenn er von draußen hereinkam, störte ihn dieser Gestank, und jedes Mal schien er ihm ein bisschen stärker. Seit er hier eingezogen war, ärgerte er sich darüber. Und seit dem ersten Tag war er fest entschlossen, bei der nächstbesten Gelegenheit wieder auszuziehen.

An jedem Freitag und jedem Samstag kaufte er eine Zeitung und suchte im Anzeigenteil, der samstags immer sehr umfangreich war, aber auch freitags lohnte es sich schon. Bisher hatte er nicht entdeckt, was ihm vorschwebte; eine Wohnung in einem gepflegten Haus, in einer besseren Gegend, zu einem erschwinglichen Mietpreis. So eine, wie er sie früher gehabt hatte.

Sie war nicht zu groß, nicht zu klein und nicht zu teuer gewesen, hatte einen Balkon vor dem Wohnzimmer gehabt, und die Umgebung war friedlich und sauber. Kaum Verkehr auf den Straßen, ein Spielplatz in unmittelbarer Nähe, in Grün eingebettet. Da hatte er im Frühjahr, im Sommer und im Herbst oft am Spätnachmittag auf einer Bank am Rand des Platzes gesessen, die Sonne genossen und den Kindern zugeschaut. Nur zugeschaut. Und sich an seine Tochter erinnert. Ein harmloses, manchmal schmerzliches Vergnügen. Bei schlechtem Wetter hatten oft ein paar Kinder im Hausflur gespielt. Es hatte ihn nie gestört, wenn sie Lärm vor seiner Tür machten.

Fast zwanzig Jahre hatte er dort gelebt, war zufrieden gewesen und gut mit den Nachbarn zurechtgekommen. Aber er kam mit allen Leuten gut zurecht, schaffte es für gewöhnlich innerhalb von Sekunden, sein Gegenüber einzuschätzen, und wusste, wie er sich geben musste.

Trotzdem war es in den letzten Jahren bergab gegangen mit ihm. Zuerst hatte er seine Arbeit verloren. Durch eine dumme Sache, genau genommen nur eine Unvorsichtigkeit.

Es war eine Beschwerde gegen ihn eingegangen. Man bat ihn um seine Stellungnahme. Hinauswerfen konnte man ihn nicht so einfach. Man legte ihm jedoch eindringlich nahe, von sich aus zu kündigen. Dann würde man der Angelegenheit in seinem Interesse nicht zu viel Bedeutung beimessen und ihr nicht weiter nachgehen. In Wahrheit war es wohl eher so, dass sie den Skandal scheuten. Und dafür musste er ihnen vermutlich auch noch dankbar sein.

Das war vor fünf Jahren gewesen.

Monatelang hielt ihn der Schock in Atem, hinzu kam die Trauer. Er hatte seine Arbeit geliebt, ein geregeltes Einkommen, die Sicherheit im Alter, den Kontakt mit Menschen, viele bekannte Gesichter, auch wenn sie mit den Jahren häufig gewechselt hatten. Aber es hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer, das wusste er.

Wenn er darüber nachdachte, in der ersten Zeit tat er nichts anderes, wurde ihm übel. Er verfluchte sich für den Leichtsinn, für den einen Moment, in dem er sich hatte hinreißen lassen. Er schwor sich, dass es nie wieder vorkommen sollte, dass er sich von nun an eiserne Selbstdisziplin auferlegen würde. Dann lenkten ihn andere Dinge vorübergehend ab.

Das Geld wurde knapp. Eine Weile lebte er von seinen Ersparnissen. Als die aufgezehrt waren, verkaufte er die kleinen Kostbarkeiten, die sich in langen Jahren angesammelt hatten. Er hatte stets sparsam gelebt und sich ein wenig Luxus leisten können. Schöne Stücke, von einigen konnte er sich nicht trennen. Eine Krawattennadel aus Gold mit einem eingefassten Diamanten herzugeben oder ein Paar Manschettenknöpfe, die dazugehörten, brachte er nicht über sich, obwohl sie ihm gewiss eine hübsche Summe gebracht hätten.

Stattdessen bot er eine Sammlung auserlesener Zeichnungen zum Verkauf an. Einige waren handsigniert. In ihren schlichten Rahmen hatten sie besonders edel gewirkt und jahrelang eine Wand in seinem Wohnzimmer geschmückt. Sie zu Geld machen zu müssen, war für ihn eine Art persönlicher Untergang.

Das war vor vier Jahren gewesen.

Später war er sogar gezwungen, Möbelstücke zu veräußern, um ein paar weitere Monate zu überbrücken. Die Nachbarn wurden stutzig. Er erzählte ihnen, dass er dabei sei, seine Wohnung aufzulösen. Es war ja abzusehen, dass er sie nicht mehr lange halten konnte. Er würde jetzt bald zu seiner Tochter ziehen, sagte er jedem, der ihn fragte. Und dann kündigte er beizeiten, um sich nicht auch noch die Blöße geben zu müssen, dass er die Miete schuldig blieb.

Vorübergehend kam er in einer schäbigen Pension unter und hielt sich mit Botengängen mühsam über Wasser. Den halben Tag saß er in einem muffigen Zimmer und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Seine restliche Habe war in einem Lagerraum untergebracht. Gezwungenermaßen musste er sich auch davon noch trennen, als er die monatlichen Kosten für den Lagerraum nicht mehr aufbringen konnte.

Das war vor drei Jahren gewesen.

Natürlich gab es Gründe für seinen Abstieg, Gründe für die Beschwerde, die gegen ihn vorgebracht worden war, einen Grund hauptsächlich. Er rauchte nicht, trank nicht, lungerte nicht in Kneipen herum, pöbelte weder junge noch ältere Frauen auf der Straße an. Er war höflich, zuverlässig, freundlich, zurückhaltend und hilfsbereit, ein unauffälliger Mann Mitte fünfzig.

Der Grund waren die Spielplätze und die spielenden Kinder in den Hausfluren. Er liebte Kinder, besonders die kleinen Mädchen mit ihren prallen Beinen und den kurzen Röckchen. Stets trug er ein paar Aufmerksamkeiten für sie in seinen Taschen. Sie waren so leicht zufriedenzustellen, konnten sich noch über Kleinigkeiten freuen. Über Schokoladeneier zum Beispiel, die innen hohl und mit irgendeinem Krimskrams gefüllt waren. Die jüngeren Kinder waren ganz wild darauf.

Mit älteren hatte er sich nie abgegeben, jedenfalls nicht in seiner unmittelbaren Umgebung. Sie redeten zu viel und wussten die Dinge beim Namen zu nennen. Auch mit den jüngeren war er vorsichtig gewesen, hatte sie sorgfältig ausgesucht, ihnen so ein Ei in die Hände gedrückt, ihnen über das Haar gestreichelt und, wenn sich die Gelegenheit bot, über die Beinchen. Viel weiter war er nicht gegangen, nicht bei Kindern, denen er häufig begegnete, die ihn kannten, seinen Namen wussten und jederzeit mit dem Finger auf ihn hätten zeigen können.

Nur einmal hatte er sich hinreißen lassen, hatte sich vollkommen sicher gefühlt und geglaubt, es wäre eine einmalige Chance, die sich ihm da bot. Zwei kleine Mädchen, höchstens drei und vier Jahre alt, nur zu Besuch und unbeaufsichtigt in einer Wohnung. Und ihm öffneten sie arglos und neugierig die Tür.

Er hatte sie auf den Schoß genommen, Fingerspiele mit ihnen gemacht, gelacht dabei, sie ein wenig gekitzelt, damit sie ebenfalls lachten. Damit sie das Ganze für einen Spaß hielten.

Zwei kleine Mädchen. So naiv noch, trotzdem hatten sie begriffen und darüber geredet. Man hatte ihnen zum Glück nicht alles geglaubt. Vielleicht hatten sie es auch nicht richtig schildern können. Aber es hatte ausgereicht, ihn in den Ruin zu treiben.

Allein der Schatten des Verdachts, hatte er sich von einem Vorgesetzten anhören müssen, genüge schon. Und dann saß er in der schäbigen Pension, ohne feste Arbeit, ohne Wagen, den musste er zuletzt auch noch verkaufen.

Früher war er damit oft losgefahren, Hunderte...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2022 • eBooks • Iris Berben Der stille Herr Genardy • Kindermörder - Thriller • Köln Krimi • Krimi-Bestseller-Autorin • menschliche Abgründe Krimi • Neuer Krimi Hammesfahr • Neuerscheinung • Psychospannnung • Psychothriller • Roman häusliche Gewalt • Sebastian Fitzek • The Sinner Netflix • Thriller
ISBN-10 3-641-29013-9 / 3641290139
ISBN-13 978-3-641-29013-9 / 9783641290139
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,8 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Psychothriller | SPIEGEL Bestseller | Der musikalische Psychothriller …

von Sebastian Fitzek

eBook Download (2021)
Verlagsgruppe Droemer Knaur
9,99
Krimi

von Jens Waschke

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99