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Träume aus Beton (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
Heyne Verlag
978-3-641-26883-1 (ISBN)
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Der Shootingstar der jungen spanischen Literaturszene
Eine zärtliche, skurrile und zugleich knallharte Familiengeschichte für Leser*innen von Douglas Stuart, David Sedaris oder Jonathan Safran Foer.

»Vielleicht ist die Anormalität am Ende doch der Weg der Vernunft. Glaubst du nicht auch? Wir leben in einer vom Zufall regierten Welt, umgeben von einem Vakuum. Grausamkeit und Gewalt sind die Regel. Eine Welt, in der nichts von Bedeutung ist und in der die Unschuldigen zermalmt werden. In einer solchen Welt kannst du nur saufen oder verrückt werden. Ich habe es mit Ersterem versucht. Als das nicht mehr half, kam Zweiteres.«

»Träume aus Beton« ist eine Geschichte von Angst, von Unangepasstheit und vom Leben am Rand, die atemberaubende Zärtlichkeit mit brutaler Wirklichkeit kombiniert.

Der Roman erzählt die Lebensgeschichte von Curro, der wegen einer im Wahn begangenen Messerattacke seit über zwanzig Jahren in der Psychiatrie sitzt. Er hat eine illustre Gruppe Gleichgesinnter um sich geschart, mit denen er den Ausbruch plant. Auf einer zweiten Erzählebene lernt der Leser den jugendlichen Curro kennen, ein klassischer Außenseiter mit smarter Weltsicht, dem seine dysfunktionale Familie zu schaffen macht.

  • »Wie Trainspotting mit weniger Drogen und Graham Swift ohne Guinness (dafür Estrella-Bier).« (Carlos Zánon)
  • »Einer der kraftvollsten Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe.« (Jordi Garcia, EL PAÍS)
  • »Kompromisslos, süchtig machend, unheimlich komisch - die Stimme von Kiko Amat ist eigen, die eines Predigers in der Popwüste, der jegliche Festlegung literarischer Hinsicht vermeidet.« (David Morán, ABC)
  • »Eine unerhört fesselnder Prosa mit hohem Suchtpotenzial.« (El Mundo)


Kiko Amat, geboren 1971, stammt aus Sant Boi de Llobregat, einer Trabantenstadt in der Peripherie von Barcelona. Sein Vater war Rugbyspieler, seine Mutter Krankenschwester in der örtlichen Psychiatrie. Im Alter von siebzehn Jahren brach er die Schule ab, wurde Mod, Kleptomane, Plattenhändler, Kassierer bei McDonald's, Fließbandarbeiter bei Seat Martorell, Wachmann auf einem Campingplatz, Pförtner und Kellner in einem großen Hotel. Bisher hat er sechs Romane und drei Sachbücher veröffentlicht, die in seinem Heimatland Kultstatus besitzen und gesellschaftliche Randfiguren in urbanen Settings begleiten. Er schreibt regelmäßig für El País und El Periódico, ist Co-Direktor des Festivals Subsol im CCCB, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst und Kultur in Barcelona, und ist Co-Moderator des Podcasts Pop y Muerta für Radio Primavera Sound.

Kapitel 1

Plácido hat die Hände voll. Vor ein paar Sekunden kam er durch die Tür von Pavillon H und stieg die fünf Treppenstufen hinunter. Einen Fuß vor den anderen, mit aufrechter Haltung, die Arme schwangen ruhig im Rhythmus seiner Schritte. Weder blieb er stehen, um ein Tänzchen aufzuführen, noch schrie er den Himmel an. In der Patientenakte von Plácido gibt es Vermerke über Suizidtendenzen, Fremdaggression, häufige Selbstverstümmelungen, eine ganze Palette unterschiedlicher Verhaltensstörungen, psychomotorische Agitiertheit, Persönlichkeitsveränderungen und Enthemmung. Wahnvorstellungen, allerdings ohne Halluzinationen, gehören ebenfalls zur Liste. Unter all den Verrückten in diesem Irrenhaus, das sagt sich Curro oft, ist Plácido derjenige, dem man es am wenigsten anmerkt. Wer ihn vor zwei Jahren nicht am Rand der Dachterrasse gesehen hat, wie er mit todtraurigem Blick nach unten die Dauer des Sturzes in die Tiefe kalkulierte, könnte zu der Annahme kommen, dass er im Grunde bei bester Gesundheit wäre. Im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte.

Es ist neun Uhr vormittags, aber noch ist es nicht besonders hell. Eine kalte Sonne mit unscharfen Rändern wabert kraftlos zwischen den Wolken am verhangenen Himmel. Sie ist von blassroter Farbe, wirkt abgegriffen wie eine Fünf-Cent-Münze. Hinter den Pavillons im Osten des Anstaltsgeländes drängelt sich eine Handvoll aufgequollener Wolken über dem Río Llobregat. Es ist Januar, das Jahr das jetzige. Und das hier ist der Anfang dieses Romans.

Als Plácido die Tür von Pavillon H öffnete, tat Curro gerade so, als würde er sich eine Zigarette anzünden. Anschließend gab er vor, an dem imaginierten Glimmstängel zu ziehen, den Rauch auszuatmen und, ein paar Sekunden später, durch leichtes Tippen mit dem Zeigefinger die Asche von der Zigarette abzuschnippen. Die Verrückten in der Anstalt sind fast alle zwanghafte Raucher. Nicht so Curro. Für ihn ist es nur eine Geste, die ihm etwas Ruhe schenkt. Er fühlt sich etwas besser als zuvor, denn vor ein paar Minuten hat er in der Küche sein Clozapin bekommen, die zweite Gabe des Tages, verabreicht in einem fingerhutgroßen Messbecher.

Plácido stellt sich zu Curro und reicht ihm einen karierten, mehrfach übereinandergeschlagenen Lappen aus dickem Stoff und ein längliches Glas, in dem sich eine schaumige Flüssigkeit von gelblicher Farbe befindet.

»Guten Morgen, Señor. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Soldevila verschwunden ist.«

»Morgen, Plácido. Ja, das hab ich auch schon mitbekommen.«

»Verstehe, Señor. Hier, nehmen Sie, Ihr Schal.«

»Danke.«

»Ich dachte, dass Sie ihn wahrscheinlich brauchen können, Señor. Es ist ein ziemlich frischer Vormittag. Nahezu perfekt, um sich einen heimtückischen Katarrh zuzuziehen. Hier habe ich noch Ihren Vitaminmix.«

Curro wirft die nicht vorhandene Zigarette auf den Boden und tut so, als würde er sie mit seinem Pantoffel austreten. Plácido hat recht. Es ist kalt, richtig kalt. Der Boden ist hart und trocken. Curros Gesichtshaut spannt an den Wangen, und seine Zähne klappern, während ihm ein kurzer Schauder über den Körper läuft, an der Wirbelsäule aufwärts, an den Armen abwärts. Es ist kein Vormittag, um nur mit Morgenmantel bekleidet durch die Gegend zu laufen. Er reibt sich das Kinn und wartet die drei Tics ab, die Braue und Lid seines Auges durchzucken und seine Gedanken klären. Als wäre es ein direkter Befehl seines Nervensystems, verspürt er plötzlich den Impuls, Plácido die Nase abzulecken, aber er ballt die Fäuste, schüttelt kraftvoll den Kopf und schafft es auf diese Weise, dass der Drang nachlässt.

»Hervorragend, Plácido.« Er greift den Schal, legt ihn um seinen Hals und verknotet die Enden. Danach nimmt er das Glas.

»Ah, ein Shake aus rohen Eiern und Zitronenlimonade – das altbewährte Kräftigungsmittel der Arbeiterklasse. In meiner Familie wurde das oft getrunken. Besonders meine Mutter war nahezu besessen von diesem Wundersaft. Und von vielen anderen Dingen natürlich auch, aber das brauche ich wohl nicht mehr extra zu erwähnen.«

»Wenn ich die Lage richtig einschätze, Señor, können Sie diesen Shake heute ganz besonders gebrauchen. Drinnen im Pavillon heißt es, das Frühstück sei alles andere als zufriedenstellend gewesen.«

»Und recht haben sie, Plácido. Das Frühstück sah aus wie das erbrochene Gewölle eines Steinkauzes mit ganz und gar abscheulichen Ernährungsgewohnheiten.« Curro klopft sich mit der flachen Hand auf den Bauch. »Gott ist mein Zeuge, früher oder später werden die Herrschaften aus der Küche uns mit ihrem Gemurkse alle umbringen. Wo haben diese Leute ihr Handwerk gelernt, Plácido? An der Internationalen Giftpanscher-Akademie Lucrezia Borgia, oder was?«

»Nun, Señor …«, erwidert Plácido, ohne eine Miene zu verziehen.

Curro ist leicht irritiert. In den zwei Jahren, die Plácido mittlerweile in seinen Diensten steht, hat der Butler über keinen einzigen seiner Witze gelacht. Nach Curros Beobachtungen haben sich die Gesichtsmuskeln seines Bediensteten bislang lediglich beim Essen und beim Sprechen bewegt. Und noch nicht mal das stimmt wirklich, denn Curro hat noch nie gesehen, wie Plácido etwas Essbares zu sich genommen hat. Gut möglich, dass er sich durch Fotosynthese ernährt, wie die Pflanzen.

»Wie dem auch sei … danke jedenfalls für den Schal«, sagt Curro und streicht mit der Hand über den Lappen, der sich für ihn wie Kaschmir anfühlt, in Wirklichkeit aber nur ein mit Fettflecken übersäter Fetzen aus einem alten Vorhang ist. Danach leert er das Glas und schaut seinen Butler an.

Plácido ist der einzig vorzeigbare Patient der Anstalt. Schwarzer Seersucker-Anzug, ebenfalls schwarze Plastron-Krawatte mit traditioneller Knotung, blütenweißes Hemd, dazu eine Weste von auffällig goldgelber Farbe mit schwarzen Längsstreifen und englische Schuhe, dunkelgrau und mit Doppelknoten, bei denen die Schnürsenkel so perfekt, die Enden so gleich lang sind, dass seine Füße wie zwei Geschenke aussehen.

Die beiden stehen vor der Eingangstreppe zum Pavillon H. Es sind nur fünf Stufen, aber sie sind sehr breit und aus weißem, schwarz gesprenkeltem Granit gefertigt. Sie erinnern Curro an den Eingang zum Terrarium des Zoos in Barcelona. Als kleiner Junge war er öfter mit seinem Vater dort, um sich die Reptilien anzusehen. Das war in den Jahren vor 1982. Vor dem Hurrikan, als die Welt noch nicht aus den Fugen geraten war.

Von dort, wo er steht, kann Curro, wenn er über die Hecken hinweg und zwischen den Pavillons K und A hindurchschaut, die kranken Platanen am Rand der Straße zur Industrieansiedlung Colonia Güell sehen. Und dahinter dann das Röhricht am Flussufer, dessen Spitzen wie die Lanzen und Standarten in diesem alten Gemälde aussehen, dessen Titel er sich partout nicht merken kann. Die Übergabe. Die Übergabe von XYZ. Er kommt nicht drauf.

Gedämpfter Straßenlärm dringt an sein Ohr; Fahrzeuge auf dem Weg zu den bereits erleuchteten Fabriken, Werkstätten und Bürogebäuden. Ein organischer und lebendiger Strom von Geräuschen, wie die eines pulsierenden Körpers. Dann eine Hupe, ein paar Flüche und das Röhren eines Motors, als die Ampel auf Grün springt und jemand das Gaspedal bis zum Bodenblech durchtritt. Es riecht nach Eukalyptus- und Johannisbrotbäumen, nach Zementfabriken und dem in den nahe gelegenen Artischockenfeldern und Olivenhainen verbrannten Unkraut. Nach zur Hälfte ausgehärtetem Beton. Nicht ein Vogel ist am Himmel zu sehen, auch nicht in den Bäumen. Es ist windstill, alles starr vor Kälte.

»Nichts zu danken, Señor. Wenn Sie mir gestatten …« Plácido zieht sich ein kleines Taschentuch aus dem linken Ärmel, wickelt es um seinen Zeigefinger und wischt Curro den Restschaum vom Schnurrbart. »So, fertig. Tut mir leid, dass ich Sie heute nicht habe ankleiden können. Als ich mit der sauberen Garderobe in Ihr Zimmer kam, waren Sie schon aufgebrochen.«

»Nicht ganz«, antwortet Curro mit einem verärgerten Gesichtsausdruck. »Schwester Lourdes hat mich heute um sieben Uhr früh aus den Federn geholt. Dringliches Gespräch mit Doktor Skorzeny, diesem ausgemachten Kurpfuscher.«

»Tut mir leid, das zu hören, Señor.«

»Und das ohne Clozapin! Kaum zu glauben, oder? Noch vor der ersten Medikamentenausgabe hat sie mich antreten lassen, verdammt! Kompletter Kaltstart. So war ich Skorzeny beim Verhör schutzlos ausgeliefert. Hört...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Übersetzer Daniel Müller
Sprache deutsch
Original-Titel Antes del huracán
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Achtzigerjahre • Coming of Age • Dysfunktionale Familie • eBooks • Familiensaga • Flucht • Freundschaft • Gastland Spanien 2022 • Kultautor • Neuerscheinung • Psychiatrie • Roman • Romane • Schizophrenie • Spanien
ISBN-10 3-641-26883-4 / 3641268834
ISBN-13 978-3-641-26883-1 / 9783641268831
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