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Die Diplomatenallee (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
448 Seiten
Blanvalet Verlag
978-3-641-27735-2 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
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Bonn, 1974: Eine Frau gerät zwischen alle politischen Fronten und beginnt ein gefährliches doppeltes Spiel, um sich und ihre Lieben zu beschützen ...
Heike lebt zurückgezogen mit Mann und Kindern in Bonn, manchmal hilft sie im Schreibwarenladen mit. Von ihr aus könnte es immer so weitergehen. Doch eines Tages steht ihr alter Uni-Professor im Laden, der Leiter des Instituts für Graphologie. Er möchte sich Heikes enorme Begabung zunutze machen: Niemand kann so viel aus einer Handschrift herauslesen wie sie. Nur will sie mit der Graphologie nichts mehr zu tun haben - aus gutem Grund. Außerdem vertraut sie dem Professor nicht. Tatsächlich ist er in den Aufbau der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn verstrickt, und Heike gerät in den Strudel dramatischer Begebenheiten ...
Verpassen Sie nicht Annette Wieners' fesselnden Roman, »Das Mädchen aus der Severinstraße« - inspiriert von der Familiengeschichte der Autorin!


Annette Wieners ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie wurde in Paderborn geboren. Nach Stationen in Münster, München und Hannover lebt sie seit vielen Jahren in Köln.

1.


Das Taxi kam gegen Mittag. Ein schwerer Mercedes, wie üblich in dieser Gegend, aber Heike spürte sofort, dass etwas anders war als sonst. Der Wagen parkte nicht vor dem Eingang des Schreibwarenladens, sondern rollte am Schaufenster vorbei. Fuhr auffallend langsam und so dicht vor der Scheibe, dass sie, die gerade am Kassentresen stand, das Streusalz draußen knirschen hörte.

Behutsam legte sie den Füllfederhalter zur Seite, einen P476 in Schwarz. Der Mercedes hielt drüben an der Straßenecke. Die Bremslichter glühten. Das Wageninnere war nicht zu erkennen, weil die Heckscheibe spiegelte. Warum stieg denn niemand aus? Sah man etwa zu Heike herüber?

Sie duckte sich hinter den Postkartenständer. Zwischen den Fächern konnte sie hervorragend nach draußen spähen. Vielleicht war einer der Minister gekommen und kontrollierte, ob Kunden im Laden waren, und falls ja, zu welcher Partei sie gehörten. Ab und zu gab es Befindlichkeiten – aber echte Probleme? Nein, nicht bei Schreibwaren Holländer.

Heike wartete und hörte sich atmen. Sie verabscheute das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen. Nicht zu wissen, was als Nächstes geschah.

Das Taxi stand still. Der Auspuff qualmte nicht mehr, der Motor war ausgestellt worden. Die Türen blieben immer noch geschlossen.

Einmal, vor zwei oder drei Wochen, war ein Radfahrer ähnlich seltsam am Schaufenster vorbeigerollt. Ein Abgeordneter, hatte Heike damals gedacht, oder ein Mitarbeiter des Kanzlers, der vor Dienstantritt die Zeitungen überflog, die in der Auslage aufgefächert waren. An jenem Tag hatte sie sich jedenfalls keine Sorgen gemacht.

Bild, FAZ, General-Anzeiger Bonn, Bayerische Staatszeitung, es gab bei Schreibwaren Holländer alles zu lesen. So klein der Laden war, so gut wussten Peter und Heike, was sie der Nähe zum Bundestag schuldig waren. Ihre Regale quollen über. Wer, wenn nicht sie, hielt so viel auf Vorrat? Mappen, Ordner, Umschläge und Papier in Sorten. Büttenpapier, auch teure Varianten, Fabriano, Arches, wildgerippt, die Politik hatte Wünsche. In den Schubladen lagen Tintenroller aus Fernost, Crayons aus Frankreich, Härtegrade B bis H, und in dem Karton auf dem Boden steckten Bänder für Schreibmaschinen, Spulen in jedweder Ausfertigung. Schwarz, blau, rot für Protokolle, Entwürfe, Vertrauliches. Doppelspur für Korrektur.

Ganz oben im Regal neben der Kasse, diskret hinter einem Stapel Bütten, lagerte der gute Cognac. Eine zweite, geöffnete Flasche stand unter dem Tresen bereit, denn es wurde nicht selten nach einem Schluck gefragt, selbst von Leuten, von denen man es nicht unbedingt dachte.

Bloß wenn ein Taxi vorfuhr, aus dem ums Verrecken niemand aussteigen wollte: Wie verhielt man sich dann?

Brüsk schob Heike den Postkartenständer zur Seite. Die Situation hatte möglicherweise gar nichts mit ihr oder dem Laden zu tun.

Bloß war heute alles so zäh. Der Februardienstag hing trüb über der Straße, auch an den Häusern ringsum bewegte sich nichts. Kein Fußgänger, kein weiteres Auto kam vorbei. Mittagszeit in Bonn. Im Taxi, auf Fahrer- und Beifahrersitz, aß man wahrscheinlich Leberwurstbrötchen.

Was die Kinder wohl gerade machten? Und ob Peter bald in den Laden zurückkehren würde? Heike vertrat ihn gerne am Kassentresen, aber sie sollten die Termine, zu denen sie einspringen durfte, doch einmal ändern. Seit Jahren fuhr Peter dienstags für zweieinhalb Stunden in den Großhandel, allerdings immer nur um diese Uhrzeit, in der im Geschäft kaum etwas los war.

Das Taxi stand. Und stand. Mehr nicht. Und Heike fing schon wieder an, sich beobachtet zu fühlen.

Oder braute sich in dem Wagen etwas anderes zusammen? Etwas Politisches, eine Störaktion von Linksradikalen? Von Baader-Meinhof etwa? Die Straße rechts hoch ging es zum Kanzlerbungalow und zum Bundeshaus. Links zum Auswärtigen Amt.

Wieder benutzte sie den Postkartenständer, um nach draußen zu spähen, diesmal noch tiefer geduckt. Und da, ein Licht! Im Innenraum des Taxis brannte mit einem Mal eine Lampe, und Heike erkannte die Hinterköpfe zweier Personen. Fahrer und Beifahrer. Männer? Beide gestikulierten, unterhielten sich also. Etwas glomm auf der Beifahrerseite auf, ein Feuerzeug, bestimmt für eine Zigarette, dann erlosch die Innenraumlampe wieder. Das Glimmen auch.

Aber jetzt sollte es wirklich genug sein! Heike hatte zu arbeiten. Sie holte einen der Warenkartons aus dem Hinterzimmer und packte ihn aus. Die neuen Postkarten rochen nach Chemie. Bonn, das Regierungsviertel von oben und Bundeskanzler Brandt. Der Rhein und wie immer sehr viel Loreley. Sie sortierte die Karten in die einzelnen Fächer und kehrte dem Schaufenster dabei den Rücken zu.

War denn gestern etwas über Baader-Meinhof in der Tagesschau gewesen? Ganz sicher hatte Peter am Abend den Fernseher angeschaltet, er konnte jetzt Farbe. Und, na also, Heike erinnerte sich doch: Sie hatte auf dem Sofa gelegen, während Peter am Apparat beschäftigt gewesen war, allerdings hatte sie mit dem Gong der Nachrichten nicht mehr richtig zugehört, sondern nur nach nebenan gelauscht, ob die Kinder schon schliefen. Anne war wie immer still geblieben, sie kam ja bald schon in die Schule, und Michael schlief mit seinen anderthalb Jahren noch immer so fest wie als Baby. Nur, Terroristen? War von denen im Fernsehen die Rede gewesen?

Mit Absicht hatte Peter keine Fahndungsplakate ins Geschäft gehängt. Die schwarz-weißen Fotos sahen schrecklich aus, und ohnehin gehörte es zum Konzept des Ladens, den Politikern beim Einkaufen eine Verschnaufpause von ihren Problemen zu gönnen – oder zumindest so zurückhaltend zu sein, dass jeder Kunde selbst bestimmen konnte, was ihn belastete und was nicht. Dieses Vorgehen kannte Heike noch von früher, denn als ihr Vater an der Kasse gethront und der Laden Schreibwaren Berger geheißen hatte, war Politik bereits ein heikles Thema gewesen. Der Vater hatte jeder Kundin die Tür aufgehalten, auch wenn sie nicht von der CDU gekommen war, aber der SPD hatte er gezielt Gemeinheiten untergejubelt. Ende der Vierziger, vor der ersten Bundestagswahl, hatte Schreibwaren Berger dem SPD-Büro Schumacher einen Waterman-Füller beschaffen sollen, das historische Modell, und unmittelbar vor der Auslieferung hatte der Vater auf die gläsernen Tintenpatronen gerotzt. Heike hatte es selbst gesehen, weil sie auf ihrem Kinderplatz unter dem Tresen gehockt hatte und … Warum dachte sie denn schon wieder daran?

Unwirsch zwängte sie die restlichen Postkarten in die Fächer. Drei verschiedene Motive Willy Brandt. Es wurde wirklich zu eng in diesem Laden.

Und das Taxi stand immer noch am Fleck. Still, mit geschlossenen Türen. Wohingegen sich die Umgebung merklich verschoben hatte: Der Himmel war dunkler geworden, es schien inzwischen auch windig zu sein. Eine Plastiktüte rutschte über die Straße, und dann klatschte plötzlich heftiger Regen gegen das Schaufenster. Also nein. Jetzt würde wirklich niemand mehr aus diesem Auto aussteigen!

Verdrossen knipste sie die Neonröhren an und schlug das Kassenbuch auf. Ein paar Notizen, gern einmal mit dem Stenofüller, warum nicht. Ohne Griffprofil und mit der gewöhnlichen Tinte ging es flott voran. Selten gab es Zahlenkolonnen, meistens summierte Heike im Kopf.

Aber der Füller warf scharfe Schatten auf das Papier, und als sie hochblickte, fiel ihr auf, dass sie in dem Neonlicht wie auf einem Präsentierteller stand. Wer auch immer sich draußen im Taxi versteckte, konnte ganz bequem jede einzelne ihrer Bewegungen hier drinnen am Kassentresen verfolgen.

Ihre Schultern verkrampften sich. Und was war das? Da schlug doch eine Autotür? Ja! Und ach, jetzt rannte jemand über den Gehweg! Im Affekt zog Heike das Telefon näher zu sich heran. Eine große Gestalt stürmte auf den Laden zu, durch das matschige Streusalz, es war ein breiter Mann im Parka, mit wehendem Schal, und … Heikes Herz setzte aus. Es war Professor Buttermann!

Er riss die Tür auf und sprang ins Trockene, die Ladenglocke schepperte wüst. Heike hielt den Telefonhörer mit beiden Händen umklammert, aber wozu, sie wusste gar keine Nummer zu wählen. Was machte der Professor hier?

»Hallöchen!«, sagte er und wischte sich mit bloßen Fingern die Tropfen von der Brille. Die langen grauen Haare trieften, der Schnurrbart glänzte. »Wollen Sie Ihren alten Professor nicht begrüßen?«

Seine Turnschuhe quietschten auf dem Linoleum. Sie waren senfgelb.

»Darf ich Ihnen ein kleines Handtuch …«, sagte Heike und hörte ihr eigenes Entsetzen. »Oder ein Taschentuch vielleicht?«

Er starrte sie an, diese Augen, sie ließ den Hörer fallen, um ins Hinterzimmer zu stürzen, doch da winkte er schon ab: »Nicht nötig. Und ich freue mich.«

»Ich mich auch«, erwiderte sie automatisch und verfolgte verstört, wie er sich im Laden umsah. Er musste wieder verschwinden. Das war ihm doch klar?

»Sie sind mit dem Taxi gekommen?«, fragte sie, die Stimme kaum unter Kontrolle. »Und Sie sind nicht gleich ausgestiegen?«

»Tja, nach all den Jahren …«

Er blies in seine hohle Faust, offenbar um eine feuchte Zigarette zu beleben, und es würgte sie. Auch als er die Arme ausbreitete und ihm der Parka bis zu den Hüften hochrutschte, Nietengürtel, Jeans, war es fast wie früher. Er kam näher, immer näher, und sie wusste natürlich, dass er es nur antäuschte und sie am Ende nicht umarmen würde, trotzdem wich sie zurück. Er lächelte daraufhin und wickelte sich den Strickschal vom Hals, wie um ihr vorzuführen, dass er, der Berühmte, der Leiter des Instituts für...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1974 • 2022 • 70erjahre • Annette Hess • Bonn • Bonner Republik • Brigitte Glaser • Buchclub • Bühlerhöhe • DDR • Deutsches Haus • eBooks • Erpressung • Erstmals als Taschenbuch 2023 • Geheimauftrag • Geheimdienste • Geheimdokument • Gesellschaftsroman • Graphologie • Gutachter • Handschriften • Handschriftenexperte • Jetzt als Taschenbuch • Lesekreis • Nachkriegsdeutschland • Nachkriegsroman • Nachkriegszeit • Neuerscheinung • Rheinblick • Roman • Romane • Starke Frau • Stasi • Taschenbuch Neuerscheinung 2023 • Verrat • Wiedervereinigung • Willy Brandt • Zeitgeschichte • Zusatzmaterial
ISBN-10 3-641-27735-3 / 3641277353
ISBN-13 978-3-641-27735-2 / 9783641277352
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