Die Imker (eBook)
560 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491136-6 (ISBN)
Gerhard Roth, geboren 1942 in Graz und gestorben im Februar 2022, war einer der wichtigsten österreichischen Autoren. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens« und den nachfolgenden Zyklus »Orkus«. Zuletzt erschienen die drei Venedig-Romane »Die Irrfahrt des Michael Aldrian«, »Die Hölle ist leer - die Teufel sind alle hier« und »Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe«. Sein nun letzter Roman »Die Imker« ist im Mai 2022 erschienen. Literaturpreise (Auswahl): Preis der »SWF-Bestenliste« Alfred-Döblin-Preis Marie-Luise-Kaschnitz-Preis Preis des Österreichischen Buchhandels Bruno-Kreisky-Preis 2003 Großes Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien 2003 Jakob-Wassermann-Preis 2012 Jeanette-Schocken-Preis 2015 Jean-Paul-Preis 2015 Großer Österreichischer Staatspreis 2016 Hoffmann-von-Fallersleben-Preis 2016
Gerhard Roth, geboren 1942 in Graz und gestorben im Februar 2022, war einer der wichtigsten österreichischen Autoren. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus »Die Archive des Schweigens« und den nachfolgenden Zyklus »Orkus«. Zuletzt erschienen die drei Venedig-Romane »Die Irrfahrt des Michael Aldrian«, »Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier« und »Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe«. Sein nun letzter Roman »Die Imker« ist im Mai 2022 erschienen. Literaturpreise (Auswahl): Preis der »SWF-Bestenliste« Alfred-Döblin-Preis Marie-Luise-Kaschnitz-Preis Preis des Österreichischen Buchhandels Bruno-Kreisky-Preis 2003 Großes Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien 2003 Jakob-Wassermann-Preis 2012 Jeanette-Schocken-Preis 2015 Jean-Paul-Preis 2015 Großer Österreichischer Staatspreis 2016 Hoffmann-von-Fallersleben-Preis 2016
›Die Imker‹ sind eine grandiose Quersumme seines Lebenswerks.
Gerhard Roths letzter Roman ›Die Imker‹ zieht die Summe eines langen Schriftstellerlebens.
Roth hat ein bedeutsames Gesamtwerk erschaffen.
Was als reich bebilderte, feierliche Neuerscheinung zum 80er gedacht war, liest sich posthum wie das literarische Testament des Schriftstellers, Essayisten und Fotografen.
Der hinterlassene letzte Roman des am 8. Februar gestorbene Dichters erweist sich als Opus summum, in dem viele Motive seines Schaffens wiederkehren.
Gerhard Roths nachgelassener Roman ›Die Imker‹ ist eine facettenreiche Dystopie und dabei so schizophren wie sein Erzähler.
ein sprichwörtlich starkes Buch, das man nur ungern zur Seite legt.
"Der Imker" ist [Gerhard Roths] letzter vollständiger Roman. Er fügt Teile von Roths Universum zusammen [...]
Notwendiger denn je ist es geworden, Roth zu lesen: damit die Menschheit ihr eigenes Ende überlebt.
›Die Imker‹ entwickelt einen Sog, wie es nur überragende Romane tun: Der perfekte Einstieg in den Parallelkosmos Gerhard Roth.
Eine Parabel auf die Menschheit, die es letztlich [...] einfach nicht schafft, aus dem Kreislauf der Gewaltbeziehungen auszubrechen, die das menschliche Zusammenleben immer wieder in Mitleidenschaft ziehen.
Das Rätselhafte war stets ein Element von Roths Romanen, hier aber wird es auf die Spitze getrieben.
[...] eine großflächige und wortgewandte Meditation über die Menschheitsgeschichte, um die Entschlüsselung des Welträtsels, um das buchstäbliche Begreifen der Pflanzen- und Menschenwelt.
[Gerhard Roths] letzter Roman knüpft in vielerlei Hinsicht an sein Frühwerk an und ist nun postum erschienen - als erster Teil einer Trilogie, die für immer unvollendet bleiben muss.
Der folgende Tag
Erster April.
Ich erwachte früh am Morgen. Wie verabredet wartete ich schon darauf, von meinem Neffen Eugen aus der Anstalt abgeholt zu werden. Seit dreißig Jahren beschäftigt auch er sich mit Bienen, länger als mein Vater, der Imker war und es bis zu seinem Tod auf 48 Berufsjahre brachte.
Immer wieder blickte ich aus meinem Fenster in den Laubwald. Auf Ausschnitten des Himmels, die nicht von Zweigen und Laub verdeckt waren, tauchten zu meinem Erstaunen kleine Flugzeuge auf. Üblicherweise sehe ich nur ein Blau oder Wolken, diesmal stand ein Zeppelin mit der Beschriftung »H« am Himmel, der wie ein Filmplakat aussah. Ein kleines einmotoriges Flugzeug schob sich hinter ihm langsam vorbei. Die kleinen Flugzeuge kamen mir anfangs wie schwebende Buchstaben vor. Weitere rätselhafte Erscheinungen folgten. Sie sahen jetzt aus wie Entwürfe von Flugmaschinen ohne Flügel, Ballone aber mit Antriebsmotoren. Je länger ich sie beobachtete, desto sicherer war ich, dass ich getäuscht wurde. Getäuscht von der Wirklichkeit. Getäuscht von der »Wahrheit«. Doch irgendetwas ganz im Innersten meines Herzens ließ mich erahnen, dass etwas Ungeheures vor sich ging. Was bedeutete die Spielzeugflut meiner Halluzination vom Vorabend? Was bedeuteten die Flugkörper? Einerseits erschienen sie mir selbstverständlich, andererseits hatten sie etwas Unheimliches und Unwirkliches, als flögen sie in einem Wirbelsturm, einem Hurrikan, jedoch – und das war das Verstörende – in extremer Zeitlupe. Ich schloss aus, dass die Flugkörper bemannt waren, und ich schloss aus, dass es sich um eine militärische Operation handelte, dazu bewegten sich die »Lufttrümmer«, so nannte ich sie, viel zu langsam – nein, sie schienen gleichsam in der Luft zu stehen. Aber ich schwieg lieber, denn in unserem Haus gibt es nicht wenige Wahrheiten dieser Art.
Auf der linken Seite kam jetzt eine eigelbe Wolkenformation ins Bild, der ich anfangs jedoch wenig Beachtung schenkte. Ich wollte auf die Uhr schauen, als jemand mit Fäusten gegen die Glastür des Eingangs schlug. Zu meiner Überraschung war sie noch immer verschlossen, obwohl beim Pflegepersonal eigentlich Schichtwechsel war. Ich fand den Schlüssel, und gleich darauf sah ich meinen Neffen Eugen, seinen achtzehnjährigen Sohn Walter und den Foxterrier Gazpacho, die Einlass begehrten. Sie drängten so ungestüm herein, dass ich befürchtete, es sei etwas Schreckliches geschehen. Aufgeregt, aber stumm zeigten sie hinter sich ins Freie. Dort kroch gerade ein ungeheurer gelber Nebel den Berghang hinunter. Ich verstand nicht, was geschehen war, denn kurz zuvor war der Himmel noch blau gewesen. Wie immer schwieg ich, doch schienen sie mir anzumerken, dass ich betroffen war.
Der gelbe Nebel breitete sich schneller aus, als ich erwartet hatte. Instinktiv hatte ich sofort die Tür wieder geschlossen und darauf geachtet, dass nichts davon in das Haus drang.
»Was ist das?«, rief Walter aufgeregt.
»Etwas Furchtbares«, antwortete mein Neffe hastig, und der Hund bellte, bevor er sich angsterfüllt auf den Fußboden legte.
Es war still, und ich lief, gefolgt von den dreien, in mein Zimmer, wo es bereits völlig dunkel geworden war. Vor allen Fenstern hatte sich so etwas wie eine gelbe Mauer gebildet. Es sah nicht aus wie Sandkörner aus der Sahara, vielmehr erschien es mir wie gelber Mörtel, und Furcht befiel mich, dass wir eingemauert würden. Inzwischen stellte Maori, der im Nebenzimmer wohnte und zur Tür hereinblickte, fest, dass im gesamten Gebäude der Strom ausgefallen war. Ich hatte es gar nicht bemerkt, weil ich wegen des blauen Himmels, auf dem die Flugkörper zu sehen gewesen waren, nicht daran gedacht hatte, das Licht einzuschalten.
»Was ist?«, rief Maori.
Den Spitznamen Maori hatte er von einem Zirkusdirektor bekommen, bei dem er mit seinen Tätowierungen als Schauobjekt aufgetreten war. Ich kannte den Zirkusdirektor durch Zufall: Mit hundert Jahren hatte er eine 107 Jahre alte Witwe im Altersheim geheiratet und in der Zeitung behauptet, noch potent zu sein. Doch das war nur eine seiner Lügen und Aufschneidereien gewesen.
Unsere Aufregung war zunächst nicht ansteckend. Da es ansonsten still war, schliefen die anderen Patienten einfach weiter, und Maori hatte sich ebenfalls wieder auf dem Bett ausgestreckt. Es war unter den gegebenen Umständen nicht möglich abzureisen, daher nahmen wir auf den Fauteuils im Aufenthaltsraum Platz und dachten nach. Geräusche, als ob größere oder kleinere Gegenstände vom Himmel fielen, lenkten uns immer wieder ab. Nicht nur der Strom war ausgefallen, sondern es funktionierte auch kein Smartphone mehr – das irritierte besonders meinen Neffen, der immer wieder vergeblich versuchte, seine Frau anzurufen.
Mehrmals waren Explosionen und Lärm zu hören, wie von einstürzenden Gebäuden.
»Was ist los?«, fragte der Sohn meines Neffen jedes Mal ängstlich, doch sein Vater antwortete nicht, sondern schüttelte nur den ergrauten Kopf und versuchte es etwas später neuerlich – mit demselben Ergebnis.
Im Haus befanden sich außer einem Dutzend Künstlerpatienten die Frau Doktor, die den Nachtdienst versehen hatte, ein Pfleger und ein Pflegegehilfe, die Putzfrau und eine Krankenschwester, die sich mit ihrem Mann zerstritten und ein Liebesverhältnis mit dem Oberarzt begonnen hatte. Wie sich bald herausstellte, hatte auch der Chefarzt im »Haus der Künstler« übernachtet und war erst, als ich die Haustür für meine Verwandten und den Hund geöffnet hatte, erwacht. Keiner begriff, was geschehen war. Keiner von uns konnte Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, und keiner wagte sich hinaus ins Freie, in den breiigen gelben Nebel.
Erst als der Theologiestudent auftauchte, der die Nacht im Archiv verbracht hatte, um die kryptischen Arbeiten von August Walla zu studieren, und darüber eingeschlafen war, war auf seinen Ruf »Wir haben kein Licht!« ein kurzes, allgemeines Lachen zu vernehmen. Immer wieder wurde gefragt: »Was ist los?«
Allmählich wachten alle Patienten auf – sie waren am allerwenigsten beunruhigt. Manche lachten, manche reagierten gar nicht auf die veränderten Umstände. Sie waren mit anderen Dingen beschäftigt oder dachten an nichts. Es entstand zuerst keine Unruhe, bis irgendetwas in der Nähe des Gebäudes zu Boden krachte und explodierte. Hierauf wurde es vollständig still, das heißt, es folgten zwei oder drei kleinere Explosionen, und zwischendurch war der hastige Atem eines Brandes zu vernehmen.
Zwei oder drei Patienten waren anfangs darüber verärgert, sie regten sich auf, aber keiner zeigte Furcht – sofern ihre Empörung nicht bloß gespielt war, um nicht zu verraten, dass sie doch Angst hatten.
Gegen Mittag riss der Nebel auf, und sofort stürmte mein Neffe Eugen, gefolgt von allen Übrigen, ins Freie. Was wir zu sehen bekamen, verstörte uns. Unweit vom Eingangstor stießen wir auf einen abgestürzten und ausgebrannten Hubschrauber, in dem noch Feuer glomm. Es stank nach Treibstoff, Trümmer lagen herum, jedoch waren keine Unglücksopfer oder Lebewesen zu sehen. Noch nie hatte ich mich so geistesgestört gefühlt wie bei diesem Ereignis. Ich begriff in Wirklichkeit – das heißt, falls es überhaupt eine Wirklichkeit gab oder gibt – nichts, ich verstand nur, dass ich nichts verstand. Alles war fremd, alle Gegenstände, alle Menschen. Sie verhielten sich, als würde es keine Zukunft und keine Vergangenheit geben – nur noch Gegenwart, die auf das Unglaublichste und Abgrundtiefste anders war als alle Gegenwarten zuvor.
Gottlieb Ferra, der Theologiestudent und »Fachmann für Apokalypsen«, wie ihn der Pfleger Hans Haller bewundernd nennt, klappte im Freien auf einer Bank zusammen und begann zu weinen. Er schien mir jetzt der hilfloseste Mensch zu sein.
»Wir fahren«, schrie mein Neffe, »steigt ein!«
»Warten Sie, bis wir Nachricht von Oberarzt Dr. Brantner haben … möglicherweise ist ein Krieg ausgebrochen«, rief die Ärztin Christine Schäfer.
Unter dem großen Hügel breitete sich das ehemalige Spital für Geisteskranke aus, das zu einer Eliteuniversität umgebaut worden war, in der Studenten aus der ganzen Welt nach Wissen suchten. Die Ärztin war der Meinung, dass wir uns zuerst dort umsehen sollten. Mein Neffe nickte und zog uns in seinen VW-Bus, um augenblicklich nach Hause aufzubrechen, vor allem aus Angst, es könnte seiner Frau und deren altem Vater, der bei ihnen wohnte, »auch etwas geschehen sein«. Auf einem zerstörten Dach eines Verwaltungsgebäudes der Universität entdeckten wir ein abgestürztes kleineres Passagierflugzeug mit verbogenen Propellern. Nirgendwo ein Mensch, weder auf der Straße noch in einem der Häuser. Die Anlage machte einen bedrohlichen Eindruck. Mein Neffe Eugen hielt vor der Aula an, rief »wartet« und verschwand hinter der Eingangstür. Als er wiederkam, kämpfte er mit Tränen.
»Hier lebt niemand mehr«, sagte er nach einer Pause. »Ich habe nur Kleider in den Räumen gefunden, Gebisse, Schmuck und Brillen. Das Zeug liegt am Boden herum, als seien die Angestellten nackt geflohen … aber die Schuhe sind nicht aufgeknüpft … die Hemden nicht, die Sakkos und Westen nicht … die Menschen scheinen einfach verschwunden zu sein, als hätten sie sich in Luft aufgelöst …«
Er startete den VW-Bus und wollte, so rasch er konnte, zurück zum »Haus der Künstler« fahren. Doch bevor er die Eliteuniversität hinter sich ließ, hielt er vor der auf dem Dach über dem vierten Stock des Verwaltungsgebäudes liegenden Passagiermaschine, stieg aus und lief hinauf, um zu...
Erscheint lt. Verlag | 25.5.2022 |
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Zusatzinfo | Mit 13 farbigen Abbildungen von Erwin Wurm |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anspruchsvolle Literatur • Bienen • Ein Leben nach dem Tod • Gesellschaft • Gewalt • Gugging • Imkerei • Natur • Naturereignis • Naturkatastrophe • Religion • Steirische Weinstraße • Südsteiermark • Weltuntergang |
ISBN-10 | 3-10-491136-3 / 3104911363 |
ISBN-13 | 978-3-10-491136-6 / 9783104911366 |
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