Heimsuchung (eBook)
368 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-427-9 (ISBN)
Bernd Ingmar Gutberlet, geb. 1966, ist Historiker. Er studierte in Berlin und Budapest und arbeitet heute als Publizist in Berlin. In vielen Büchern vermittelte er zwischen Wissenschaft und 'interessierten Laien', weil er findet, dass fundierte Recherche und komplexe Zusammenhänge nicht auf Kosten der Verständlichkeit und des Lesevergnügens gehen müssen. Neben seiner publizistischen Tätigkeit macht Gutberlet außerdem als Stadtführer in Berlin Geschichte zugänglich.
Bernd Ingmar Gutberlet, geb. 1966, ist Historiker. Er studierte in Berlin und Budapest und arbeitet heute als Publizist in Berlin. In vielen Büchern vermittelte er zwischen Wissenschaft und "interessierten Laien", weil er findet, dass fundierte Recherche und komplexe Zusammenhänge nicht auf Kosten der Verständlichkeit und des Lesevergnügens gehen müssen. Neben seiner publizistischen Tätigkeit macht Gutberlet außerdem als Stadtführer in Berlin Geschichte zugänglich.
KAPITEL 2
Seuchen begleiten Eroberer – mikrobielle Agenten in der Neuen Welt
Von zweifach historischer Bedeutung, ist der Schwarze Tod des 14. Jahrhunderts nicht nur ein traumatischer Einschnitt in der europäischen Geschichte, sondern ebenso ein gewichtiger Faktor, als sich das Mittelalter in Richtung Moderne in Gang setzte und Europa den Weg der Expansion über den Kontinent hinaus zur globalen Vormacht einschlug. Diese Entwicklung wurde aus westlicher Perspektive allzu lange als rundheraus positiv gewertet, weil Europa in dieser Position als so etwas wie der Motor des Weltfortschritts angesehen wurde – dabei stillschweigend voraussetzend, was keineswegs zwingend war: Die Menschheit hätte andernfalls nicht recht vorankommen können. Zwar mag der globale Westen der Welt eine Menge gegeben haben, und sowieso ist in der Rückschau kaum einzuschätzen, wie sich die Geschicke des Erdballs anders hätten entwickeln können. Doch bei allem Vorteil brachte die europäische Expansion zugleich eine Menge Unheil über die Welt, und so hat die Dominanz der Alten Welt über den Großteil des Globus neben der Sonnen- auch eine umfängliche Schattenseite. Für einen besonders düsteren Teil dieses Schattens müssen wir Seuchen und ihre Erreger in den Fokus nehmen. Sie waren in der Expansion wesentlicher Bestandteil eines »ökologischen Imperialismus«, wie der Titel eines wegweisenden Buches lautet. Er verbreitete in einer Art biologischer Globalisierung Pflanzen und Tiere – aber eben auch Erreger und ihre Krankheiten. In seiner Globalgeschichte über die europäische Expansion schreibt Wolfgang Reinhard vom »größten biokulturellen Austauschprozess der Weltgeschichte«. Die Europäer eigneten sich Kartoffeln, Mais, Tabak und wohl auch die Syphilis an und brachten Pferd, Schaf und Rind, Weizen und Oliven, Malaria, Masern und Pocken nach Amerika. Ganz abgesehen vom Austausch von Menschen im Zuge von Auswanderung, Sklaverei, Zwangsarbeit.
Kolumbus landet 1492 auf der Insel Guanahani.
Die Neue Welt war zwar schon vorher keineswegs frei von Krankheiten gewesen. Die uramerikanischen Völker litten zum Beispiel unter Tuberkulose oder Mangelkrankheiten, mitunter in Folge einer vorindustriellen ökologischen Überbeanspruchung der Natur. Von einem gesundheitlichen Eldorado kann also keine Rede sein, und ein Auf und Ab in den Bevölkerungszahlen gab es bereits vor 1492. Doch was auf die Ankunft des Christoph Kolumbus folgte, darüber ist sich die Forschung weitgehend einig, war und blieb beispiellos, denn die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten sollten sich für die indigenen Amerikaner als verheerend erweisen. Allerdings sei vermerkt, dass ein Forschungsgebiet von so großer Bedeutung, beackert von verschiedensten Disziplinen und noch dazu politisch und ideologisch heikel, in vielen Details höchst umstritten ist.
Mikroorganismen – unsere ständigen Begleiter
Wie aber konnte es überhaupt dazu kommen, dass Seuchen über die Menschheit hereinbrachen? Haben sie die Spezies Mensch seit allem Anbeginn bedroht? Oder anders gefragt: Welche Bedingungen müssen bestehen, damit sich Viren und Bakterien durch Infektionskrankheiten massenhaft verbreiten können? Mikroorganismen begleiten unser Leben schon immer, im Guten wie im Schlechten. Dutzende Billionen Mikroben, Bakterien und Pilze, leben in und auf jedem menschlichen Körper, vor allem im Darmtrakt sowie auf der Haut und den Schleimhäuten. Wir neigen dazu, ihr positives Wirken zu übersehen, aber dafür ihre pathologische Einwirkung umso stärker wahrzunehmen, vom bloßen Unwohlsein über Krankheit bis zum Tod. Das ist zwar ziemlich ungerecht, weil wir ohne die Mikroorganismen nicht gut zurechtkämen – in Titeln populärer Sachbücher werden sie als »Herrscher der Welt« oder »unsere Freunde« bezeichnet. Andererseits ist unsere einseitige Wahrnehmung nur zu verständlich, denn obwohl nur ungefähr jede tausendste Mikrobenspezies dem menschlichen Organismus übelwill, rangiert ihr Wirken trotzdem als Nummer drei unter den Todesursachen in der westlichen Welt.
Mikroben sind darauf aus, sich zu vermehren, was sie enorm schnell tun; außerdem sind sie überaus anpassungsfähig. Zur Vermehrung nutzen Mikroben unter anderem den Menschen, weswegen der Tod des menschlichen Wirts den Mikroorganismen eigentlich gar nicht zugutekommt. Besser gelingt ihre Mission, wenn sie möglichst lange im menschlichen Körper verbleiben, um sich im Fall der pathogenen, also Krankheiten verursachenden Keime in möglichst vielen weiteren Menschen niederzulassen und ihr fatales Spiel fortzusetzen. Und doch sind sie mitunter effizienter, als für sie gut ist, etwa wenn ihre Anpassungsfähigkeit Veränderungen zum eigenen Nachteil hervorbringt.
Im Fall von Infektionskrankheiten sind die Erreger lediglich der Auslöser einer Krankheit, für deren Symptome der menschliche Körper verantwortlich ist, wenn er gegen die Erreger ankämpft – und dessen Immunabwehr mitunter zum Tode führt. So wie sich der Organismus mit der juckenden Schwellung eines Mückenstichs zur Wehr setzt, reagiert der Mensch auf andere Infektionen mit Abwehrmaßnahmen, seien es Husten, triefende Nase oder Pestbeulen. Im günstigen Fall funktioniert das Immunsystem, indem infizierte Zellen Signale aussenden, worauf die weißen Blutkörperchen als Abwehrtruppe ausschwärmen. Es ist, als besäße der menschliche Körper ein Computerprogramm, das sich ständig updatet, um auf neue Gefahren zu reagieren. Der Organismus lernt also, doch oft genug sind externe Waffen in Form von Medikamenten zur Unterstützung nötig. Die Wunderwaffe Antibiotikum jedoch, noch vor 60 Jahren gepriesen als Mittel zur gänzlichen Ausrottung von Infektionskrankheiten, hat die Erwartungen nicht erfüllt, denn der allzu breite Einsatz von Antibiotika hat Gegenreaktionen bewirkt: Die Mikroorganismen entwickeln Resistenzen.
Auslöser der Infektionskrankheiten sind vor allem Bakterien und die viel kleineren und einfacher gestrickten Viren – über letztere sagte einmal der Nobelpreisträger Peter Medawar, sie seien »schlechte Nachrichten, verpackt in Nukleinsäure«. Die meisten potenziell epidemischen Krankheiten brauchen eine gewisse Populationsgröße und -dichte ihrer Opfer, damit sie um sich greifen können. Am Beispiel der Pest wurde die Bedeutung von Mobilität, Krieg, dichten Siedlungen und mangelnder Hygiene für die Verbreitung von Viren und Bakterien bereits deutlich. Geht man aber noch weiter zurück zum Ursprung der Seuchen, landet man irgendwann in der Jungsteinzeit, dem Neolithikum. Damals – je nach Weltgegend schon vor fast 12 000 Jahren oder auch ein paar Jahrtausende später – begannen die Menschen, eben noch Jäger und Sammler, sesshaft zu werden und Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Sie bauten planmäßig Pflanzen an und domestizierten Tiere, beispielsweise Geflügel, Rinder, Schafe, Ziegen oder Hunde. Damit legten die Menschen die Saat für einen ungeheuren Aufschwung, der Jahrtausende später die Moderne ermöglichte und die Lebensgrundlagen unserer Zeit schuf. Allerdings lieferte die Sesshaftwerdung ebenso die Voraussetzungen für die Entwicklung von Seuchen. Die Jungsteinzeit als Petrischale der Pandemien ist daher Debattenthema geworden – in einer Variation der berühmten Sentenz des Blaise Pascal, wonach alles Unheil der Ursache entspringt, dass die Menschen nicht in Ruhe in ihrer Kammer sitzen können, versteigen sich manche Autoren zur Verteufelung der Neolithischen Revolution als den »Moment«, an dem die Menschheit die falsche Ausfahrt nahm, als eine Art Vertreibung aus dem seuchenlosen Paradies.
Nun ja. In der Tat aber begannen die Menschen damals, dauerhaft in Siedlungen zusammenzuleben – dicht beieinander, was den Erregern die Verbreitung erleichtert. Hinzu kommt, dass der sesshafte Mensch auch seinen eigenen, vielleicht bakteriell belasteten Hinterlassenschaften näher war als der Jäger und Sammler, der sich entlang des Weges erleichtert, und nicht an einem dauerhaften Siedlungsplatz. Als zweiten Umstand ergaben sich mit Viehzucht und Domestizierung von Haustieren aufgrund der Nähe zwischen Mensch und Tier neue Möglichkeiten für Viren und Bakterien, vom Tier auf den Menschen überzugehen. Weitere Faktoren befördern die Verbreitung von Erregern, darunter das Düngen mit menschlichen Exkrementen oder bestimmte Formen von Ackerbau, Vorratshaltung und Tierzucht. Zum Beispiel locken der Anbau und die Lagerung von Getreide Ratten an; diese bringen wiederum Flöhe mit, die die Pest übertragen können.
Masern und Rinderpest
Eine andere Infektionskrankheit, die epidemisch werden kann, sind die Masern. Molekularbiologen konnten nachweisen, dass der nächste Verwandte des Masernvirus der Erreger der Rinderpest ist – die Rinderzucht ermöglichte folglich dem Erreger, seinen Tätigkeitsbereich vom Rind auf den Menschen auszuweiten. Wie alt die Masern sind, ist unklar, auch weil die Krankheit lange nicht eindeutig von den Pocken oder anderen Krankheiten unterschieden wurde, die...
Erscheint lt. Verlag | 21.10.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | AIDS • als Gesellschaft zusammenstehen • Cholera • Corona • Covid-19 • Einsatz für Kranke • Entwicklung • Erfolg • Erfolgsgeschichte • Fortschritt • Fortschrittsgeschichte • Gemeinschaftsgefühl • gesellschaftliche Herausforderung • Heimsuchung • helfende Berufe • Herausforderung • Hilfsbereitschaft • Hoffnung • Impfgegner • Impfung • Krankheit • lockdown • Masern • Maskenpflicht • Medizinische Forschung • Medizinischer Fortschritt • Pandemie • Pest • Pioniere der Medizin • Pocken • Querdenker • Schrecken • Schutzmaßnahmen • Seuchen • Seuchengeschichte • Seuchenschutz • Spanische Grippe • Tuberkulose • Verschwörungstheorien |
ISBN-10 | 3-95890-427-0 / 3958904270 |
ISBN-13 | 978-3-95890-427-9 / 9783958904279 |
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