Spes Christiana 2021-01 (eBook)
188 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-6705-6 (ISBN)
Spiritualität als Beziehung
Das Gott-Mensch-Verhältnis unter der Perspektive der Relational Models Theory
Philip Nern
Abstract
Eine bedeutsame Perspektive auf Spiritualität ist die der Beziehungsgestaltung zwischen Gott und Mensch. Die Relational Models Theory ermöglicht, die Sprache über diese Beziehung vier grundlegenden menschlichen Beziehungsverhältnissen zuzuordnen. Im Neuen Testament sowie in modernen Spiritualitätsentwürfen wird die Gott-Mensch-Beziehung demnach primär sowohl durch eine Sprache der Nähe als auch der Autorität bzw. Größe umschrieben. Diese Spannweite wird durch die Transzendenz Gottes sowie die Inkarnation Jesu plausibel. Andere Beziehungsmuster, die auf der Gleichwertigkeit oder aber eine Kosten-Nutzen-Kalkulation zwischen beiden Parteien aufbauen, können nur sekundär identifiziert werden. Insgesamt zeigt sich, dass Relationale Spiritualität nach biblischer Tradition einen dynamischen und vielgestaltigen Charakter aufweist, dabei aber nicht beliebig wird. Kritik an bestimmten Praktiken und Ansätzen tritt meist dann auf, wenn die Spannweite ungesund hin zu einer Seite aufgelöst wird.
1. Zur Vielfalt der Spiritualität
Christliche Spiritualität – was ist das überhaupt? Über die Jahrhunderte haben Christen auf verschiedensten Wegen danach gesucht, das Leben im spiritus, dem Geist Gottes, zu führen, wie es Paulus in Galater 5,25 fordert. Diese Wege trieben die Eremiten in die Einsamkeit, die Franziskaner in die Armut, die Mystiker zu sich selbst und Dietrich Bonhoeffer in den Alltag; sie brachten Menschen zu ihrem Nächsten, in die Liturgie und in die Gemeinschaft. Die Liste ließe sich fortführen.2 So unterschiedlich diese Wege auch verliefen – in eine eher ethische, kontemplative oder ästhetische Richtung, ihnen war und ist die Frage danach gemeinsam, was eine angemessene „Entfaltung des christlichen Glaubens“ kennzeichnet (vgl. Wiggermann, 709). Spiritualität zu definieren erweist sich daher als herausfordernde Aufgabe, und Abhandlungen zu dieser Frage zeigen eine erhebliche Perspektivenvielfalt auf.3 Die Einschätzung, dass sich Spiritualität als „einordnungsresistent“ erwiesen hat, scheint also zuzutreffen (Wiggermann, 709).
Eine der vielen Perspektiven auf Spiritualität ist die der Gestaltung einer Beziehung zwischen Mensch und Gott. „Beziehung“ ist ein Begriff menschlicher Erfahrung und kann unterschiedlich gefüllt werden; dementsprechend sind vielseitige und vielleicht sogar gegensätzliche spirituelle Konzeptionen denkbar. Was diese jedoch eint, ist, dass sie alle von einem Beziehungsgeschehen ausgehen. Wie kann und wie sollte diese Beziehung zwischen dem Menschen und dem in der Bibel porträtierten Gott also konkretisiert werden? Das ist die Frage, die den Anstoß für die folgende Arbeit gegeben hat. Es soll gezeigt werden, dass die Mehrdimensionalität der Gott-Mensch-Beziehung mithilfe der Relational Models Theory, die alle menschlichen Beziehungen in vier Grundmuster unterteilt, plausibel erfasst werden und auf jeweilige Schwerpunkte hingewiesen werden kann. Dabei kann die Anwendung dieser Theorie im Rahmen dieses Artikels nur überblicksartig geschehen und nicht erschöpfend erörtert werden, weshalb an manchen Stellen auf mögliche weitere Forschung hingewiesen wird. Im Folgenden soll zunächst soll dafür das Konzept von Spiritualität als Beziehungsgeschehen näher betrachtet werden (Kapitel 2), anschließend wird die Relational Models Theory als menschlicher Beziehungen diskutiert (Kapitel 3), das die Kategorien liefert, um die neutestamentliche Sprache über die Gott-Mensch-Beziehung zu sortieren und zu analysieren (Kapitel 4). Die Ergebnisse werden abschließend in Beziehung zu einigen Beispielen spiritueller Theologie und Praxis heutiger Christen gesetzt (Kapitel 5). Die Hoffnung dabei ist, ein tieferes Verständnis für die spirituelle Tradition zu erlangen, die die biblischen Autoren durch ihre Schriften geschaffen und geprägt haben, und Perspektiven aufzuzeigen, wie diese Tradition in einer angemessenen Weise fortgeführt werden kann.
2. Spiritualität als Beziehungsgestaltung
Das Wort „Beziehung“ ist Ausdruck dafür, dass zwei Dinge in irgendeiner Form zueinander in Verbindung stehen. Es gibt, wie noch gezeigt werden wird, sehr unterschiedliche Arten, wie solche Beziehungen zwischen Menschen gestaltet werden können. Für die folgenden Gedanken ist es hilfreich, zwischen Beziehungsgestaltung und Beziehungsverhältnis zu unterscheiden. Letzteres beschreibt eine Grundlage, den Rahmen, in dem zwei Dinge zueinander in Bezug stehen, während ersteres diesen Rahmen füllt und der Beziehung zwischen Personen in unterschiedlichen Formen Ausdruck verleihen kann.
Was ist nun „christliche“ Spiritualität im Sinne der Beziehung? Beziehungsgestaltung kann als ein wesentliches Merkmal christlicher (bzw. theistischer) Spiritualität verstanden werden, denn andere Formen (etwa säkularer oder ostasiatischer) Spiritualität kennen diesen Bezug zu einem konkreten Gegenüber kaum.4 Das Christliche an dieser Beziehung zeigt sich weiter durch den Bezug auf ebenjenen Gott, der in der biblischen Geschichte vorgestellt wird, die die Vorbilder und den Rahmen für die Gestaltung dieser Beziehung bietet. Dieser Gott wird in der christlichen Tradition als dreieiniger erkannt und ist so bereits durch innertrinitarische Beziehungen und Gemeinschaft gekennzeichnet, die aber nicht für sich bleiben, sondern ihren Blick auf die Schöpfung und den Menschen werfen.5 Wenn im Folgenden von „Relationaler Spiritualität“ gesprochen wird, dann ist die Gestaltung der Beziehung zu diesem persönlichen Gott der biblischen Tradition gemeint.6
Dieser Gedanke, dass Spiritualität einen relationalen Charakter hat, ist nicht neu: Er findet sich in nahezu jeder Abhandlung über Spiritualität entweder explizit formuliert – dann aber nicht immer als zentrales Element oder eigenständige Konzeption – oder er wird implizit durch die Formulierungen, Bilder und Beschreibungen spiritueller Theologie und Praxis ausgedrückt.7
Der Fokus auf den Aspekt der Beziehung ist unter anderem deshalb attraktiv, weil ihr ein außerordentlich dynamisches Element innewohnt, das für das Verständnis von Spiritualität hilfreich sein kann. So entfaltet beispielsweise Kees Waaijman sein Spiritualitätsverständnis von der gott-menschlichen Beziehung her. Durch das „aufeinander Einwirken der göttlichen und menschlichen Wirklichkeit“ geschehe Wachstum, Transformation und Umformung, „ein Suchprozess, in dem der Mensch sich herausbildet“ (Waaijman 2005, 128). Spiritualität als Beziehungsgestaltung ist für ihn also ein Geschehen.
Auf zwei Einschränkungen zu dem Begriff der relationalen Spiritualität muss allerdings hingewiesen werden. Einmal legt er eine Tendenz zur Verinnerlichung nahe, was im Gegensatz zu der praktischen christlichen Nachfolge im Alltag steht, die viele Autoren und auch der biblische Befund als wichtigen Ausdruck und menschlichen Anteil der Beziehungsgestaltung Mensch – Gott verstehen. Wohl auch aus diesem Grund erweitert Corinna Dahlgrün in ihrem Standardwerk ihre Definition von Spiritualität auf „die von Gott auf dieser Welt hervorgerufene liebende Beziehung des Menschen zu Gott und Welt [Hervorhebung hinzugefügt], in der der Mensch immer von neuem sein Leben gestaltet und die er nachdenkend verantwortet“ (Dahlgrün 2009, 153). Zweitens könnte der Begriff der Beziehung die Spiritualität auf eine individuelle Ebene beschränken und den Bezug zu der Gemeinschaft der Gläubigen übersehen, der jedoch in der theologischen Reflexion (siehe Fußnote 2) sowie der biblischen Tradition ebenfalls eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
3. Die Relational Models Theory
Wie kann nun die Vielfalt menschlicher Beziehungen sinnvoll und systematisch erfasst werden? Ein plausibler Ansatz hierzu wird von Fiske und seiner Relational Models Theory vertreten. Dort verbindet er verschiedene soziologische und psychologische Modellbildungen, um zu einer möglichst universellen Theorie der sozialen Beziehungen zu kommen. Sein Grundgedanke ist einfach: Alle Beziehungen, die von Menschen gestaltet werden, lassen sich in vier Grundmuster unterteilen (vgl. Fiske 1992, 689f), die sukzessive in der Kindheit als Handlungsmodelle erlernt werden. Jedem dieser Grundmuster ist eine bestimmte Art eigen, Entscheidungen zu treffen, Ressourcen zu verteilen, Handlungen zu bewerten usw. Auch wenn in verschiedenen Kulturen die Ausprägung der Grundmuster variiert und unterschiedliche Gestalt annehmen kann, funktionieren sie im Kern nach denselben Prinzipien (vgl. Fiske 1992, 693). Die Theorie Fiskes hat sich in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Kontexten bewährt und als hilfreicher heuristischer Ansatz erwiesen, um die verschiedenen Arten menschlicher Beziehungen zu klassifizieren, was sie auch für eine theologische Anwendung als geeignet erscheinen lässt.8 Hier...
Erscheint lt. Verlag | 2.9.2021 |
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Sprache | englisch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
ISBN-10 | 3-7543-6705-6 / 3754367056 |
ISBN-13 | 978-3-7543-6705-6 / 9783754367056 |
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