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Die Wiederentdeckung des Glücks (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46074-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
17,99 inkl. MwSt
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Können wir Glück recyceln? Ebenso poetisch wie eindringlich erzählt Antonia Michaelis? Gesellschaftsroman von vier Menschen, deren Lebenswege sich auf Madagaskar immer wieder kreuzen, und die einander den Mut geben, Grenzen zu überschreiten und ihre Fesseln abzustreifen. Kleider, Flaschen, Schuhe - alles kann man recyceln. Warum nicht auch das Glück? Einst war Madagaskar ein Paradies, heute ist die Insel vor der Küste Afrikas fast komplett abgeholzt und bettelarm - und lebt vom Recycling. Vielleicht webt das Schicksal deshalb genau hier vier Lebenswege ineinander, um am Ende ihre Ketten zu sprengen? Da ist der Straßenjunge Biscuit, der sich einfach weigert, seine Träume aufzugeben. Da ist die junge Maribelle, die nie gelernt hat, Träume zu haben - bis sie die Kraft ihres Willens entdeckt. Und da sind Terje und seine Tochter Nora aus Deutschland, die gleich zwei Mal alles in Bewegung setzen werden. Antonia Michaelis hat selbst einige Zeit auf Madagaskar gelebt. Mit »Die Wiederentdeckung des Glücks« hat die preisgekrönte Autorin einen lebensklugen, tief bewegenden Gesellschaftsroman über Empowerment geschrieben, der noch lange im Gedächtnis bleibt.

Antonia Michaelis begann bereits als Kind zu schreiben. Sie ist eine renommierte Autorin von zahlreichen Büchern und Theaterstücken für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Antonia Michaelis hat mit ihrer Familie zwei Jahre auf Madagaskar gelebt und dort eine Schule für mittellose Kinder mitaufgebaut. Mittlerweile lebt sie in einem Dorf nahe der Insel Usedom. www.antonia-michaelis.de

Antonia Michaelis begann bereits als Kind zu schreiben. Sie ist eine renommierte Autorin von zahlreichen Büchern und Theaterstücken für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Antonia Michaelis hat mit ihrer Familie zwei Jahre auf Madagaskar gelebt und dort eine Schule für mittellose Kinder mitaufgebaut. Mittlerweile lebt sie in einem Dorf nahe der Insel Usedom. www.antonia-michaelis.de

1


Und dann fielen sie also von der Kälte des Meeres, der großen Freiheit des Horizonts, mitten hinein in die Wärme, das Chaos in einem staubigen Flughafen: Antananarivo, die Stadt der Tausend.

Die Stadt der tausend Menschen, so hatten sie sie einst genannt.

»Die Stadt der tausend Silben«, sagte Nora, ein wenig erschöpft, als sie in der unendlichen Schlange vor der Passkontrolle standen.

»Die Stadt der tausend Stempel«, sagte Terje und nickte zu den Beamten hin. »Die Stadt der tausend Ämter und tausend Schlangen.«

»Sie werden uns doch aber reinlassen?«, sagte Nora. Sie sah so hübsch aus, in ihrem kurzen sonnengelben Kleid, hübsch und ein wenig zerknittert nach dem langen Flug, ein wenig übernächtigt. Es nahm ihr etwas von ihrer gewöhnlichen Perfektion. Ihrer Unnahbarkeit.

»Wir haben ein Visum«, sagte sie, fast trotzig.

»Ja. Wenn sie nichts daran auszusetzen finden, lassen sie uns rein«, sagte Terje und fuhr mit dem kleinen Schlüsselanhänger-Fahrrad über seinen Ärmel. »Wenn sie etwas daran auszusetzen haben, kostet es. Oder sagen wir: Wenn einer von ihnen gerade Geld braucht, wird er etwas an den Visa auszusetzen finden.«

»Das können sie nicht machen!« Nora strich das Kleid glatt. »Das wäre Bestechung! Es wäre Unrecht!«

»Weißt du«, sagte Terje sanft, »irgendwo auf dem Flug, irgendwo da oben überschreitet man eine Grenze zwischen zwei Welten. Hier funktionieren die Dinge anders. Die Zeit zum Beispiel. Sie vergeht langsamer. Manchmal auch sprunghaft. Und Dinge wie Recht, Gerechtigkeit. All das gehorcht nicht denselben Regeln wie in unserer Welt.«

Nora sah ihn an, als wäre er möglicherweise auf dem langen Flug verrückt geworden.

Terje schob mit dem Fuß einen der niedrigen Betonpfosten beiseite, zwischen denen ein Absperrseil gespannt war, das die Menschenschlange leitete. Der Betonpfosten war eine Wasserflasche, in die jemand Zement gegossen hatte. »Es gibt hier sogar ein physikalisches Gesetz mehr als bei uns«, sagte Terje und sah die Wasserflasche an, fast zärtlich. »Alles kann recycelt werden.«

»Das ist kein physikalisches Gesetz, Terje.« Sie schob ihren eleganten, weißen Hartschalenkoffer in der Schlange vorwärts.

»Es ist die Grundlage aller Physik auf diesem Kontinent«, sagte er ernst. »Alles kann recycelt werden. Merk dir das. Masse, Zeit, Geschwindigkeit, Beschleunigung. Sogar Relativität.«

»Liebe?«, flüsterte sie, ganz leise. »Kann Liebe recycelt werden?«

»Wenn Liebe eine physikalische Größe ist, dann auf jeden Fall«, sagte er.

 

Und endlich hatten ihre Pässe den letzten Stempel, endlich war ihr Gepäck durchsucht worden, endlich hatten sich die Beamten genug über Noras Sammlung winziger Glasfläschchen gewundert, aber auch nach vier Telefonaten keinen Grund finden können, sie zu beschlagnahmen, sodass sie nach der Entrichtung eines rasch erfunden Glasflascheneinfuhrzolls von zweihundert Euro in die Freiheit entlassen wurden.

Die Freiheit bestand aus einer Horde Gepäckträgern, die alle ihren Trolley zum Taxi schieben wollten. Und einer Horde Taxifahrern, die sie alle zu einem Hotel fahren wollten, und da man sich nicht einigen konnte, wer schob und wer zog und welches Taxi genommen wurde, gab es eine lautstarke Diskussion voller Gesten und Rufe.

Terje brauchte keine Träger, er trug sein Gepäck auf dem Rücken: einen uralten olivgrünen Segeltuchrucksack. Die drei Rollkoffer, weiß, gelb, cremefarben, gehörten Nora, die die Gepäckdiskussion kopfschüttelnd verfolgte. »Lass ihnen den Spaß«, sagte Terje. »Für fünf Minuten.«

Und dann schloss er die Augen und atmete die Luft ein, die er so gut kannte: eine Mischung aus Abgasen, Ruß, Kohlefeuern, Müll, sonnenwarmem Asphalt, Staub.

In seiner Hand drehte er den Schlüsselanhänger: das winzige Fahrrad.

Und eine Kaskade an Erinnerungen brach über ihn herein.

 

Als er zum ersten Mal in der Stadt der tausend Silben angekommen war, hatte er ein echtes Fahrrad bei sich gehabt. In Einzelteilen. Er hatte es vom afrikanischen Festland mitgebracht, er, ein Weltreisender.

Und dann hatte er in der Empfangshalle zwischen Füßen und Koffern gekniet, Schrauben im Mund, Werkzeug in der Hand. Wie sie getuschelt hatten, ihn angesehen hatten. Und all die Hilfsangebote, die ausgestreckten Arme, die kaffeefarbenen Finger, die Dinge für ihn festhielten, die wohlgemeinten Ratschläge, die er nicht verstand …

Und schließlich der Triumph: Mit einem funktionsfähigen Fahrrad in der letzten Schlange vor dem Ausgang zu stehen, was für ein Gefühl! Er spürte noch den alten, stabilen Lenker unter seinen Händen, sah noch das Metall, von dem die grüne Farbe abblätterte, dieses alte, treue Fahrrad, das mit ihm um die halbe Welt gereist war.

Der Kofferdurchsuchungsbeamte, damals noch ohne Röntgengerät, betrachtete das Rad mit fachmännisch gerunzelter Stirn.

»Auseinanderbauen!«, bellte er dann. »In den Einzelteilen könnten Drogen versteckt sein!«

Und wieder hörte Terje das Murren, das sich in der gesamten Halle erhob, das Stöhnen all der Menschen, die Teil des mühsamen Radzusammenbaus gewesen waren.

Bis der Beamte seufzend aufgab. »Gehen Sie schon durch. Gute Reise.«

So stand er auf dem Platz vor dem Flughafen, umsäumt von frisch gepflanzten Palmen, bevölkert von wartenden Pferdekutschen und bunt gestrichenen Holzrikschas, einigen wenigen Autos, Obstverkäufern mit Körben auf dem Kopf, fliegenden Händlern, die Schnürsenkel und Streichhölzer verkauften, Gepäckträgern in schicker Livree …

 

Terje öffnete die Augen, fiel zurück in die Gegenwart.

Heute verkauften die fliegenden Händler Handyhüllen und USB-Kabel. Der Platz war asphaltiert, und die Gepäckträger waren Männer mit abgerissenen Kleidern und gebrauchten Warnwesten, die Autos nicht neuer als damals, vielleicht waren es dieselben Modelle, nur kaputter. Und mehr. Viel mehr. Es war von allem mehr.

Mehr Abgase. Mehr Sonne. Mehr Dreck.

»Vanille«, sagte Nora und schnupperte.

Terje zahlte einen astronomischen Preis an all jene, die glaubten, beim Hinaustragen geholfen zu haben, und unterbrach mit erhobener Hand das vielstimmige Konzert von »Monsieur! Madame! Taxi!«.

»Azafady, Verzeihung«, sagte er. »Efa misy tobil. Unser Wagen wartet dahinten.«

Denn dort hielt jemand ein Schild hoch, auf dem in abenteuerlicher Orthografie ihre Namen standen:

Mlle est M. Terje Sandhlz.

Er hatte den Wagen von zu Hause aus gebucht, heutzutage ging das. Der Fahrer schüttelte ihnen die Hand und hievte Noras pastellfarbene Koffer ins Auto, er sprach perfektes Französisch, er würde sie hinausbringen aus der Stadt.

Vier Stunden südlich wartete eine andere Stadt, der Terje im Stillen noch immer den Titel »Zuhause« verlieh. Vielleicht hatte sie ihn vergessen. Vielleicht war sie weitergewachsen und weiterverfallen, ohne einen Gedanken an ihn zu verschwenden.

Breitete sie ihre violett blühenden, duftenden Jacarandabaumzweige noch über den alten Müllplatz, auf dem die Kinder spielten? Trug das Wasser ihres Sees noch das Spiegelbild seiner Erinnerung?

»Terje«, sagte Nora und legte eine Hand auf sein Knie, riss ihn aus seinen Gedanken.

Sie hatten die breite Zubringerstraße zum Flughafen verlassen, der Wagen reihte sich ein in eine endlose Kolonne aus Blech und Dämpfen. »Warum stehen wir? Hat es einen Unfall gegeben?«

Er lächelte. »Ja. Vor einigen Tausend Jahren. Einen Planungsunfall. Als sie diese Stadt zu eng gebaut haben für die Automassen des einundzwanzigsten Jahrhunderts.«

Sie hob eine perfekt gezupfte Augenbraue. »Das bedeutet?«

»Wir werden uns die nächsten zwei oder drei Stunden durch die Stadt stehen. Ab und zu kommen Straßen mit Aussicht, immerhin ist es eine Stadt auf zwölf Hügeln. Nachher kannst du hinuntersehen zum See. Oder hinauf zum Palast. Sieh es einfach als Sightseeingtour.«

Sie seufzte und nickte dann. Tough, entschlossen, sich nicht unterzukriegen lassen von diesem neuen Land. »Und was wollen die Kinder?«

Hinter Noras Gesicht klebten andere Gesichter an der Scheibe, dreck- und rußverschmiert, pressten sich Handflächen gegen das Sicherheitsglas: Kinder in Kleidern, die nur noch der Schmutz zusammenhielt. Eines trug ein Baby auf dem Rücken.

»Geld«, sagte Terje. »Sie wollen Geld. Aber wenn du ihnen welches gibst, werden mehr kommen, und unser Fahrer wird schimpfen.« Er streckte die Hand in seinen Rucksack. Fand drei winzige Pakete Flugzeugkekse, einen eingeschweißten Muffin, einen Apfel, ein Päckchen Kaugummi.

»Gib ihnen das.«

Sie schüttelte den Kopf, versuchte, ihr Entsetzen zu verbergen, und war nicht gut darin. »Gibt du es ihnen.«

Er lächelte und fuhr das Fenster hinunter, und die schmutzigen Finger rissen ihm die Kekspäckchen in Sekunden aus den Händen, aber da waren mehr; mehr leere Hände, Rufe, Bitten.

»Wir haben nicht mehr«, sagte Nora. Und, fast verzweifelt: »Geht weg!«

Es war der Fahrer, der die Scheibe hochfuhr.

»Es ist Vormittag«, sagte Nora. »Gehen sie nicht zur Schule? Haben sie keine Eltern?«

»Nein«, sagte Terje. »Doch. Aber wenn sie Eltern haben, betteln die auch. Schule, weißt du, kostet Geld. Ich hatte gehofft, sie hätten das geändert.« Und leiser: »Es sind noch mehr geworden. Noch mehr als damals.«

Nora atmete tief durch, er hörte ihre Anstrengung, ruhig zu bleiben.

»Es ist …«, sagte sie, »ganz anders hier, als ich dachte.«

 

Sie sagte das noch ein paar Mal.

Sie sagte es auf der Straße, nachdem sie endlich...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afrika • Afrika Romane • alte Freunde • Antonia Michaelis • Antsirabe • Backpacking • Biscuit • Duft • Fahrradrikscha • Familiengeschichten • Familiengeschichten Romane • Freundschaft • Gesellschaftskritik • gesellschaftskritische Romane • Gesellschaftsromane • Glück • Madagaskar • Madagaskar Buch • Maribelle • Mensch und Natur • Müll • Müllsammler • Natur Roman • Nora Sandholz • Parfum • Parfumeurin • poetische Romane • Recycling • Respekt vor der Natur • Rikscha • Romane Afrika • Roman Freundschaft • Roman Lebensfreude • Roman Madagaskar • schicksalsromane • Sehnsucht nach der Ferne • Seifenkiste • Sinnsuche • Sinnsuche Roman • Terje Sandholz • tiefgründige Bücher • Vater-Tochter-Beziehung • Weisheit Romane
ISBN-10 3-426-46074-2 / 3426460742
ISBN-13 978-3-426-46074-0 / 9783426460740
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