Götterfunken (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
320 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2346-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Götterfunken -  Hannes Köhler
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Ein vielschichtiger Roman über politische Ideale und Freundschaft, Verrat und Treue - gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selbst. Sie nennen sich der Spanier, der Franzose und der Alemán. Toni, Germain und Jürgen treffen sich Mitte der 70er Jahre in Barcelona, entschlossen, Widerstand gegen das faschistische Franco-Regime zu leisten. Sie planen eine Aktion, der Anschlag gelingt. Doch jemand muss sie verraten haben. Germain kann fliehen, Toni wird festgenommen und verurteilt. Und Jürgen? Viele Jahre später meint Toni den Deutschen auf der Hochzeit seiner Tochter gesehen zu haben. Er will endlich wissen, was damals geschehen ist, und kontaktiert Germain. Der wiegelt ab, um den aufgebrachten Toni zu beruhigen. Doch dann steht Germain selbst eines Abends unvermittelt vor Jürgens Tür. Kunstvoll verwebt Hannes Köhler in Götterfunken die Biographien seiner Protagonisten zu einem europäischen Tableau des linken Widerstands in den 1970er Jahren und folgt ihnen bis in unsere Gegenwart.

Hannes Köhler, geboren 1982 in Hamburg, lebt als freier Autor und Übersetzer in Berlin. Studium der Neueren deutschen Literatur und Neueren/Neuesten Geschichte in Toulouse und Berlin. 2011 erschien der Debütroman In Spuren (mairisch). Hannes Köhler war u.a. Teilnehmer der Prosawerkstatt im LCB, Stadtschreiber in Kitzbühel, Stipendiat der Stiftung Preußische Seehandlung und des Goldschmidt-Programms für deutsch-französische Literaturübersetzung. Für Ein mögliches Leben unternahm er eine zweimonatige Recherchereise in die USA und führte zahlreiche Zeitzeugengespräche.

Hannes Köhler, geboren 1982 in Hamburg, lebt als freier Autor und Übersetzer in Berlin. Studium der Neueren deutschen Literatur und Neueren/Neuesten Geschichte in Toulouse und Berlin. 2011 erschien der Debütroman In Spuren (mairisch). Hannes Köhler war u.a. Teilnehmer der Prosawerkstatt im LCB, Stadtschreiber in Kitzbühel, Stipendiat der Stiftung Preußische Seehandlung und des Goldschmidt-Programms für deutsch-französische Literaturübersetzung. Für Ein mögliches Leben unternahm er eine zweimonatige Recherchereise in die USA und führte zahlreiche Zeitzeugengespräche.

Franco ha muerto (I)


[El Clot, Barcelona, Spanien, August 1974]

Es klopfte.

»Verschwinde!«

Einen kurzen Moment war es still, aber kurz darauf klopfte es erneut, diesmal öfter, dringlicher.

»Ich hab dir gesagt, dass du verschwinden sollst!«

Antonio hörte Diego im Flur atmen, sah seinen Schatten durch den Spalt zwischen Türkante und Schwelle. Er sprang aus dem Bett, griff sich die Stoffhose vom Boden und zog sie sich über. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit, schob sich hinaus in den dunklen Flur, in dem sein Mitbewohner auf ihn wartete. Diegos Blick war auf seine Füße gerichtet, nur seine schwarzen, zerzausten Locken boten sich Antonio dar.

»Was ist los, joder

Für einen Augenblick nur hob Diego den Kopf. Seine Augen leuchteten weiß, Antonio hörte ihn ausatmen, hörte dieses leise, unterdrückte Schnaufen, das an manchen Tagen seine einzige Form der Kommunikation sein konnte. Der Bart überwucherte sein ganzes Gesicht, vom Kinn bis unter die Augen; in der Gruppe nannten sie ihn nur noch El Lobo, den Wolf. Er spürte Diegos warmen Atem auf der Brust, er roch das Haschisch und ärgerte sich, dass der Lobo die neue Lieferung bereits ohne ihn angebrochen hatte.

»Was ist los?«

Diego ließ ihn stehen, lief den Flur hinab Richtung Wohnzimmer und nur mit einer knappen Handbewegung auf Höhe der Hüfte forderte er Antonio auf, ihm zu folgen. Eines der Hosenbeine seiner karierten Stoffhose war zerrissen. Es machte den Eindruck, als humpele er. Antonio schaute zur geschlossenen Tür seines Zimmers, er legte eine Hand und die Stirn auf das Holz.

»Ich bin gleich wieder da«, sagte er. Drinnen blieb es still.

Als er das Wohnzimmer betrat, saß der Lobo im Schneidersitz auf dem Sofa, hatte sich bereits einen neuen Joint gedreht und hielt ihn gerade über eine der vielen Kerzen, die auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes brannten. Aus dem Kofferradio, das auf dem Boden neben dem Sofa stand, versicherte der Nachrichtensprecher dem spanischen Volk, dass sich ihr großer Führer Franco, der erhabene Caudillo, bei bester Gesundheit befände, alle anderslautenden Gerüchte seien Lügen kommunistischer Provokateure. Franco, so der Sprecher, habe die Zügel des Landes weiter fest in seinen Händen. Antonio lächelte. Wenn sie schon im Radio über seinen Gesundheitszustand sprachen, musste es übel um den alten Mistkerl stehen. Diego beugte sich vor, schaltete das Radio aus. Im Raum jetzt Stille. Die bunten Tücher, die sie vor die Fenster genagelt hatten, wehten leicht im Abendwind und ließen nur spärliches Licht einfallen; von draußen dröhnte und knatterte der Verkehr auf der sechsspurigen Avenida Meridiana, der ihn seit der ersten Nacht bis in seine Träume verfolgte. Schlangen aus Lastwagen und Motorrollern krochen durch seine Nächte, endlose Runden drehend, niemals still, niemals ruhend. Selbst im fünften Stock war die große Ausfallstraße eine Mitbewohnerin, die sich in jedem Zimmer breitmachte, die immer ihren Raum einforderte, der man zuhören musste. Er schob ein paar Teller mit dem Fuß zur Seite, hatte das Gefühl, auf Fleisch zu treten, vielleicht auf ein altes Stück Tortilla. Der Boden im Halbdunkel eine Ruinenlandschaft, Stoffberge, Kissen, Tassen, Teller, über denen der Staub tanzte. Er ließ sich gegenüber dem Sofa auf das Sitzkissen fallen. Seine langen Beine ragten wie die Extremitäten einer Spinne in den Raum, er suchte vergeblich nach einer angenehmen Sitzposition. Diego reichte ihm den Joint, er zog daran, gutes Haschisch, das musste man ihm lassen, direkt aus Marokko, von einem seiner Kontakte am Hafen. Der Lobo spielte mit dem Kreuz, das vor seiner haarigen Brust hing, er nahm es zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte die Kette, bis sie sich nah um seinen Hals schloss.

»Du musst das mal einschmelzen«, sagte Antonio.

»Warum?« Diego fror in der Bewegung ein, hielt die gezwirbelte Kette vor sich wie eine zu kurz geratene Hundeleine.

»Das Kreuz, Jesus, Gottes Sohn, darum.«

Er deutete auf die Marienstatue in einer Nische des Wohnzimmers, die von ihren Vormietern zurückgelassen worden war und der sie am Abend ihres Einzugs den Kopf abgesägt und vor die Füße gelegt hatten. Auf ihrer Brust ein rotes A. Diego zuckte mit den Schultern und ließ die Kette los. Der kleine Heiland drehte sich ein paar Mal um die eigene Achse, bis er wieder im Brustpelz des Lobo lag. Die ganze politische Sache, glaubte Antonio, die Bewegung, auch das mit der Religionslosigkeit, all das war seinem Freund ziemlich egal. Während der Treffen mit der Gruppe in den letzten Wochen hatte er selten mehr als ein paar Worte gesagt und auch dann meist nur, wenn es um die Organisation von Feiern ging. Er reichte ihm den Joint zurück. Immerhin das Haschisch, das brachte er. Aber vielleicht war auch das nur ein persönlicher Nutzen, den er aus den Aktivitäten der Gruppe zog. Die Wohnung hatte er immerhin gefunden. Und das war wichtig genug. Er dachte an sein Zimmer, an sein Bett.

»Also, was willst du? Ich hab Besuch.«

»Mireia?«

Diego grinste. Frauen, das interessierte ihn doch.

»Geht dich nichts an.«

»Also Mireia«, sagte Diego.

»Willst du mir nur auf die Eier gehen, oder was wird das?«

Diego inhalierte, die glühende Asche hing wie eine dünne Zunge herab. Schatten unter seinen Augen, trockene Haut, Schlafmangel, er senkte den Blick, ließ den Rauch langsam durch die Nase ausströmen.

»Die Sache ist die«, sagte er. Und danach eine Weile nichts mehr; saß einfach still, den Joint im Mund, die Augen geschlossen, so als habe er seine eigenen Worte vergessen. Draußen fuhr ein Laster vorbei. Die Vibrationen waren durch den Fußboden bis in Antonios Rücken zu spüren.

»Ich kriege die Scheiße vom Fuchs nicht weg.«

»Die was?«

»Die Scheiße. Vom Fuchs«, wiederholte Diego. Antonio hob die Handflächen in Richtung Decke.

»Ernsthaft, Lobo? Warst du wieder im Wald?«

Immer wieder kam es vor, dass sein Freund in seinen ausgeblichenen gelben Citroën-H-Transporter stieg und für Tage verschwand. Wenn er zurückkam, sah er noch wüster aus als zuvor, er roch nach Erde, verbranntem Holz, nach altem Schweiß, und fast immer hatte er erlegte Kaninchen dabei, ab und an einen Fasan. Zu Beginn des Jahres, als sie noch in der Bruchbude am Berghang oberhalb der Stadt gewohnt hatten und Diego fast jedes Wochenende geflüchtet war, hatten sie oft zusammen Wildschwein gegessen. Seine Wilderei war vielleicht die klarste Form des Widerstandes, auf die der Lobo sich einließ.

»Mh-mh«, machte er und schüttelte den Kopf.

»Diego, por favor

Antonios Stimme mit dem verzweifelten Klang von Señor Sánchez, Diegos Vater, wenn er auf den Stufen vor seinem Krämerladen in der Calle Mayor ihres Dorfes stand, die Hosenträger über dem massiven Bauch gespannt, die kleinen Hände in die Hüften gestemmt. Und vor ihm Diego, die Hose zerrissen oder die Hände blutig, den Blick gesenkt wie auch jetzt wieder, diese Geste, die etwas Unterwürfiges und zugleich etwas Spöttisches hatte, die immer gerade so ehrlich wirkte, dass man sie akzeptieren musste. Und der Zorn des Vaters war stets in wenigen Augenblicken verpufft, hatte sich auf einige Floskeln von der Mutter beschränkt, die ihm schon einbläuen werde, was es für Mühen bedeutete, die Hose zu flicken oder die Hände zu verarzten. Und Antonio, in einigem Abstand, als kleiner Steppke oder später als schlaksiger Jugendlicher, hatte den Freund um diese Gabe beneidet, Menschen ihren Zorn abspenstig zu machen, auch um den Vater, den freundlichen, verständnisvollen, so weich wie die süßen chuches, die er in den kleinen Glaskästen in seinem Laden verkaufte.

»Diego, por favor

»Er hat sich losgerissen, hat das Leder durchgekaut, was weiß ich. Jedenfalls komm ich nicht ran. Ich schaffe das nicht allein.«

»Was schaffst du nicht?«

»Ihn wieder einzufangen. Er pisst alles voll. Scheißt auch. Wenn der Gestank zu groß wird, werden sie die Polizei rufen.«

Antonio schloss die Augen.

»Diego, wo ist der Fuchs?«

»Was?«

»Dieser Fuchs, wo ist er?«

»Auf dem Dachboden.«

Er hätte aufstehen und Dinge nach dem Lobo werfen, ihm eine verpassen können. Aber er würde dadurch vermutlich nicht viel ändern, sie würden nur Zeit verlieren. Oder es war das Haschisch, vielleicht war es das, vielleicht blieb er deshalb so ruhig. Das Sitzen, der Joint, clever eingefädelt. Vielleicht unterschätzten sie ihn alle. Toni dachte an sein Zimmer, an sein Bett.

»Wenn die Polizei kommt«, sagte Antonio leise, »sind wir beide so was von am Arsch. So oder so. Der Fuchs allein reicht vielleicht schon, bei unserer Vita. Und mit Marcos’ Paketen erst recht. Scheiße, Lobo, wirklich? Wir haben Marcos’ Pakete und du schleppst einen Fuchs an?«

»Ich weiß«, sagte Diego. Und nach einer Pause, in der er sich langsam, fast methodisch den Bart gekratzt hatte:...

Erscheint lt. Verlag 2.8.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2020 • 68er • Anarchismus • Anschlag • Arbeiter • Arbeiterschaft • Barcelona • Bourgeoisie • Bücher • CNT • Deutschland • Ein mögliches Leben • Europa • Faschismus • Franco • Frankfurt am Main • Frankreich • Franquismus • Freundschaft • Gefängnis • Geschichte des Widerstands • In Spuren • Kampf • Lebenswege • Links • Mauerfall • militant • Neuerscheinung • Paris • Politik • politische Ideale • Politisches System • Pyrenäen • Revolution • Revolutionäre Zellen • Spanien • Spanische Geschichte • Studentenbewegung • System • Treue • Umsturz • Verrat • Whistleblower • Widerstand
ISBN-10 3-8437-2346-X / 384372346X
ISBN-13 978-3-8437-2346-6 / 9783843723466
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