Future Sounds (eBook)

Wie ein paar Krautrocker die Popwelt revolutionierten
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
512 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74023-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Future Sounds -  Christoph Dallach
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BRD, um 1968. Wie überall in der westlichen Welt drängt die junge Generation auf radikale Veränderungen. Viele strömen aus den Hörsälen auf die Straße. Manche in den Underground. Und manche in die Übungskeller, auf der Suche nach dem Soundtrack der Bewegung. Die unerhörten Klänge, die deutsche Bands wie Can, Neu!, Amon Düül, Popul Vuh, Tangerine Dream, Faust, Cluster oder Kraftwerk damals produzierten, gelten heute als Blaupause für die moderne Rockmusik. Und der Strom ihrer kreativen Bewunderer und Fortsetzer hat sich seit den ersten Fans wie David Bowie stets verbreitert: Ob Blur, Aphex Twin, Sonic Youth, Radiohead oder die Red Hot Chilli Peppers - sie alle beziehen sich auf den sogenannten »Krautrock«. Christoph Dallach hat dessen Pioniere befragt, darunter Irmin Schmidt, Jaki Liebezeit, Holger Czukay (alle Can), Michael Rother (Neu!), Dieter Moebius (Cluster), Klaus Schulze (Tangerine Dream), Achim Reichel (AR Machines), Lüül (Agitation Free), Karl Bartos (Kraftwerk), Brian Eno u. v. a. Ihre Antworten fügen sich zu einer Oral History, die über die einzelnen Bandgeschichten weit hinausweist: einerseits in die Vergangenheit, zu Nazilehrern, Nachkriegselternhäusern, Freejazz, Terrorismus, LSD und äußerst langen Haaren; genauso aber in die Zukunft, zu globaler Anerkennung, Mythenbildung, Techno oder Postrock.

<p>Christoph Dallach, geboren 1964, ist Journalist und schreibt f&uuml;r DIE ZEIT, das ZEITMagazin, MARE, SPIEGEL-Online und andere. Und hat Michael Rother bei einem Konzert mal ein Glas Wein &uuml;ber das Hemd gesch&uuml;ttet.</p>

Kraut


»You want Krautrock? You get Krautrock!«
FAUST

MICHAELROTHEREs fängt schon damit an, dass ich den Begriff nicht besonders mag.

ULRICHRÜTZELKrautrock klingt doch immerhin viel schöner als Deutschrock.

JULIANCOPEEin brillanter Begriff, genau wie »Punk«, funktioniert als Scherz und bringt den Sound voll auf den Punkt!

JAKILIEBEZEITKraut finde ich nicht schlimm. Viel schlimmer ist Rock! Rock steht nämlich für gar nichts. Rock machen auch Rechtsradikale. Wenn Heino Rammstein singt, ist das dann Rock? Rock ist ein problematischer Begriff, und Can haben nie typische Rockmusik gemacht. Deshalb wurden wir auch in Deutschland nie richtig bekannt. Hier wollten sie Rock, und Rock kommt ja vom Blues, aber mit Blues hatten wir nichts zu tun. Ich würde Can eher eine Popgruppe als eine Rockgruppe nennen.

NIGELHOUSEAls Plattenhändler bin ich für den Begriff »Krautrock« sehr dankbar, da ich unter diesem Namen die ganze spannende deutsche Musik von damals in ein Fach packen kann. Ich weiß schon, dass Tangerine Dream und Can nicht viel miteinander zu tun haben, aber aus Verkäufersicht passt mir Krautrock als Label gut. Diese deutschen Bands haben eigentlich nur den historischen Zeitpunkt gemeinsam, an dem die meisten dieser Platten entstanden sind. Wie die sogenannten »Manchester«-Bands auch. Aber die Schubladen helfen.

SIMONDRAPERIch würde sogar behaupten, dass wir bei Virgin den Begriff »Krautrock« erfunden haben, auch wenn einige Leute das anders sehen. Als ich dort in den frühen Siebzigern zu arbeiten begann, war ich beim Mailorder für die Einkäufe verantwortlich. Damals bekamen wir viele Kundenbriefe, und die Nachfrage nach Platten aus Deutschland war enorm. Meistens ging es um Bands, von denen wir noch nie gehört hatten. Can, Kraftwerk und auch Faust waren uns bekannt, aber die Leute fragten immer wieder nach Sachen, die uns gar nichts sagten. Ein Name, der da ständig auftauchte, war Tangerine Dream. Ich nahm dann Kontakt zu Rolf-Ulrich Kaiser auf, dem Chef ihrer Plattenfirma Ohr. Der schickte uns alles, was die überhaupt veröffentlicht hatten: Tangerine Dream, Popol Vuh etc., so an die dreißig Alben. Die nahm ich dann übers Wochenende mit in meine Wohnung im Ladbroke Grove, hörte sie mit meinem jüngeren Bruder und einem Freund alle durch, machte mir dazu Notizen und überlegte, wie wir die anbieten könnten. Welchem Genre sollte ich sie in unseren Zeitungsanzeigen zuordnen? Hätte ich die einfach alphabetisch aufgelistet, wären die meisten davon untergegangen. Also dachten wir uns diesen neuen Namen aus: »Krautrock«. Vielleicht hatte ja irgendwer zeitgleich dieselbe Idee, wir dann aber auch! Und es hat funktioniert: Alle dreißig »Krautrockplatten« gingen weg wie nichts.

GERHARDAUGUSTINDen Begriff »Krautrock« hat der DJ John Peel für diese seltsame Musik geprägt. Aber für Bands wie Can oder Kraftwerk ist er total verfehlt.

WINFRIDTRENKLERDen Ausdruck hat einer dieser arroganten britischen Musikschreiber aufgebracht, von denen damals so einige anzutreffen waren.

BRIANENOIch mochte das Wort »Krautrock« nie, weil es mich an den Krieg erinnert. Britische Soldaten nannten ihre deutschen Gegner »Krauts«, und der Name ist seitdem eine Beleidigung geblieben. Dass in der deutschen Avantgardemusik etwas passierte, nahm ich seit dem Ende der sechziger Jahre wahr, obwohl ich damals die neue Musik aus den USA bevorzugte, besonders die Minimalisten. Aber die Einzigartigkeit und Sensibilität dieser deutschen Musik war mir sehr bald bewusst.

HARALDGROSSKOPFKrautrock ist ein wunderbarer Begriff. Sicher wurde da viel in einen Topf geworfen, was nicht zusammenpasst: von irgendwelchen deutschen Bands, die bloß angloamerikanische Vorbilder kopierten, bis zu den abgefahrensten Elektronikern. Das Einzige, was wirklich alle vereint, ist, dass sie abstreiten, etwas mit Krautrock zu tun zu haben. Und ursprünglich war es ja auch eindeutig ein Schimpfwort. Ich erinnere mich an einen Artikel in der englischen Presse, als Kraftwerk erste Erfolge feierten. Da stand in Runenschrift drüber: »MUZAK FROM GERMANY«, dazu das Brandenburger Tor und SA-Fackeln, schon sehr böse. Dabei wussten diese Briten nicht mal, dass Sauerkraut ein sehr gesundes Nahrungsmittel ist. Wenn ich das Wort »Kraut« in England hörte, sagte ich immer: Kommt nach Deutschland, ich lade euch da auf Sauerkraut mit Bratwurst ein. Und wenn man mal mit englischem Frühstück gequält wurde, ist das nur fair.

HELLMUTHATTLERIch bin in Ulm aufgewachsen. Da gab es viele Ami-Kasernen, und wenn man an einer Kaserne vorbeiging, bekam man schon das Wort »Kraut« zu hören. Wir waren da immer noch der Feind.

MANINEUMEIERMir ist der Begriff gar nicht so unsympathisch. Der kommt ja nicht vom Kraut, was man isst, sondern vom Kraut, was man raucht.

DANIELMILLERIch mochte den Begriff damals nicht. Allein die Idee, diese völlig verschiedenen Musiker unter einem Genre zusammenzufassen, fand ich abwegig. Ich kann mir kaum zwei unterschiedlichere Bands vorstellen als NEU! und Amon Düül. Und mit Kraftwerk hatten beide nichts zu tun. »Krautrock« klang für mich auch gar nicht nach Musik, eher nach Geografie und Politik. Das war so ein typischer, schnell dahingefetzter britischer Quatsch. Inzwischen ist das natürlich etabliert, aber ich hadere immer noch damit, es über die Lippen zu bringen.

THOMASKESSLERHätte ich damals schon gewusst, dass ich später mal unter diesen Begriff fallen würde, hätte ich mich sehr gewundert.

IGGYPOPEigentlich ein furchtbarer, idiotischer Begriff, aber so wie mein Vorname ist »Krautrock« mit den Jahren zum Markenzeichen geworden und letztlich positiv besetzt, weil die Musik dahinter so grandios ist.

JÜRGENDOLLASEKrautrock war nie ein spezieller Stil, dafür war das Feld viel zu weit aufgefächert. Ende der sechziger Jahre kam fast wöchentlich spannende neue Musik raus. Kein Mensch wusste, wo die Reise hinging.

SIGGILOCHAlles, was aus Deutschland kam, war eben »Kraut«. Für Briten sind wir seit mehr als zwei Generationen die »Krauts«, und das ist nicht freundlich gemeint.

STEVENWILSONFür mich war Krautrock immer eine besondere und ernsthafte Kunstform, mit einer präzisen Ideologie und Philosophie, keine Medieninszenierung. Vermutlich sieht sich auch keine der betroffenen Bands als »Krautrock«. Dass dieser Song von Faust so heißt, ist pure Ironie.

JEANHERVÉPERONUnser »Krautrock«-Song ist aus Zufall entstanden. Wir dachten uns: »You want Krautrock? You get Krautrock!« Mittlerweile gilt der Begriff bei der Presse und auch beim jungen Publikum als cool. Und wir könnten sogar im Museum spielen. Trotzdem, dass irgendwann alles, was irgendwie deutsch und hip ist, unter »Krautrock« fiel, nervt dann doch. Das Wort hat eine ähnlich komplizierte Geschichte wie unsere Gruppe. Selber nannten wir das, was wir machten, damals eher »Multimedia-Musik« oder »Progressiv-Musik«. Aber die Engländer sind bekannt für ihren Humor, manchmal brillant und manchmal unterirdisch, wie eben das Wort »Krautrock«: ein bisschen Nazi, ein bisschen Igitt.

HOLGERCZUKAYDer Begriff ist großer Quatsch. Den habe ich aber ohnehin nie auf mich bezogen. So wie vermutlich alle, die je so bezeichnet wurden. Wenn wir mit Can in England waren, hatte ich immer das Gefühl, dass wir als eine ihrer Bands respektiert wurden.

IRMINSCHMIDTFür mich ist das kein Schimpfwort. Für die Engländer sind wir halt die Krauts. Das darf man nicht als Beleidigung sehen. Die Franzosen haben ja für die Deutschen zwei Begriffe: »Les Boches«, der...

Erscheint lt. Verlag 20.6.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte Amon Düül • blur • CAN • Cluster • Dinger • Florian Schneider • Hütter • Klaus Dinger • Kraftwerk • Krautrocker • Musik • Neu! • Popuol Vuh • Popwelt • Radiohead • Ralf Hütter • Red Hot Chili Peppers • Rock • Schneider • Sonic Youth • ST 4598 • ST4598 • suhrkamp taschenbuch 4598 • Tangerine Dream
ISBN-10 3-518-74023-7 / 3518740237
ISBN-13 978-3-518-74023-1 / 9783518740231
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