Der Nahschuss (eBook)

Leben und Hinrichtung des Stasi-Offiziers Werner Teske

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
264 Seiten
Ch. Links Verlag
978-3-86284-496-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Nahschuss - Gunter Lange
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Am 26. Juni 1981 wurde in Leipzig durch »Nahschuss in das Hinterhaupt« das letzte Todesurteil der DDR-Geschichte vollstreckt. Zwei Wochen zuvor hatte das Oberste Gericht der DDR das Urteil gefällt: Dr. Werner Teske, Jahrgang 1942, Hauptmann der Hauptverwaltung A im Ministerium für Staatssicherheit, wurde »vorbereiteter und vollendeter Spionage im besonders schweren Fall in Tateinheit mit vorbereiteter Fahnenflucht im schweren Fall« für schuldig befunden. Erich Honecker machte von seinem Gnadenrecht keinen Gebrauch, er schaffte die Todesstrafe erst 1987 ab. Seit Gründung der DDR 1949 waren mindestens 164 Personen zum Tode verurteilt worden, etwa 52 davon wegen »politischer Delikte«.
Der Fall wirft bis heute Fragen auf: Wollte Staatssicherheitsminister Mielke nach der Flucht des HV A-Offiziers Werner Stiller 1979 an Teske ein Exempel statuieren? Doch warum wurde die Hinrichtung nicht unter seinen Kollegen publik gemacht?
Gunter Lange zeichnet den Lebensweg Teskes von seiner Kindheit in Berlin über das Studium der Wirtschaftswissenschaften und seine Tätigkeit als Führungsoffizier für Westspione im HV A-Sektor Wissenschaft und Technik sowie den Prozess gegen ihn nach. Offenbar war Teske zunehmend unzufrieden und unterschlug Geld. Aber wollte er wirklich »überlaufen«?

Gunter Lange, Jahrgang 1949, Ausbildung in der Sozialversicherung, Publizistikstudium an der Freien Universität Berlin, hat sich in der politischen Jugendbildungsarbeit engagiert und war Redakteur in der Gewerkschaftspublizistik. Als freiberuflicher Journalist arbeitete er für den Berliner Tagesspiegel, die Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung und Deutschlandradio und hat politische Biografien über Jeanette Wolff, Otto Suhr, Ernst Schellenberg und Siegfried Aufhäuser veröffentlicht.

Kapitel 2 IM »Tesla« betritt die Bühne


Dem jungen Dr. Werner Teske standen nun mehrere berufliche Entwicklungspfade offen. Das beim Finanzministerium angesiedelte Finanzökonomische Forschungsinstitut hatte ihn nicht zuletzt wegen seiner profunden Kenntnisse zum Haushalts- und Planungswesen der DDR als Nachwuchstalent im Visier. Im universitären Kollegenkreis sah ihn mancher in nicht allzu ferner Zukunft als Gastdozent an den Hochschulen in den jungen unabhängigen Staaten Afrikas, die im Blickfeld der DDR-Außenpolitik lagen. Die Humboldt-Universität selbst beabsichtigte, ihn an der wirtschaftswissenschaftlichen Sektion als Sekretär zu halten. Über einen Mangel an beruflichen Optionen konnte sich der 27-Jährige im Sommer 1969 nicht beklagen.

Seine eigene Priorität für die berufliche Zukunft sah er unverändert in der Wissenschaft, vorrangig als Hochschullehrer für Ökonomie, mit Aussichten auf einen Professorentitel. Gern hätte er künftig auch wissenschaftlich publiziert. Ab 1. Februar 1969 gehörte Teske als wissenschaftlicher Sekretär und Mitglied der Geschäftsführung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts zur Vergütungsgruppe III/1 mit monatlich 1155 Mark zuzüglich einer Leistungszulage von 95 Mark,1 für einen unter 30-Jährigen zu der Zeit beachtlich, lag doch 1969 der Durchschnittsverdienst eines Arbeiters seinerzeit bei 734 Mark im Monat.2 Als Alternative war für Teske eine Tätigkeit im Finanzministerium oder im Außenhandel der DDR, sogar im Ausland nicht ausgeschlossen.

Doch die beruflichen Weichen stellten in der DDR oft andere. Um den Zugriff auf die Besten bemühte sich vor allem das Ministerium für Staatssicherheit unter Erich Mielke. Mit dem dicht geknüpften Netz seiner inoffiziellen Mitarbeiter (IM) hatte das MfS nicht nur Überwachung im Sinn, IM wurden auch als »Talentscouts« für den eigenen Dienst eingesetzt, wenn auch mit wechselhaftem Erfolg. »Die IM waren die geheime Verbindung zwischen dem Staatssicherheitsdienst und der Gesellschaft«, schreibt Helmut Müller-Enbergs in Teil 1 seiner drei Bände über die Inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit.3 Erich Mielke, seit 1957 Minister für Staatssicherheit, sah in den IM eine Hauptwaffe gegen den Feind.4 Die Hauptaufgabe der IM war die Informationsbeschaffung, konkret die konspirative Informationsbeschaffung sowohl im eigenen Land als auch im sogenannten Operationsgebiet, dem kapitalistischen Ausland. Müller-Enbergs beziffert das Netz der inoffiziellen Mitarbeiter auf 189 000 im Jahr 1989 und während der Gesamtdauer der DDR auf rund 600 000. Die Rekrutierung der IM – im MfS sprach man von »Werbung« – erfolgte mit einem langen Vorlauf. Selbstbewerbungen stießen auf Skepsis und endeten in der Regel erfolglos. Bei Erfolg versprechenden Kandidaten vollzogen sich die Anbahnungen zumeist im persönlichen Umfeld. Beauftragte IM sondierten die Persönlichkeit des Kandidaten, lange bevor Kontakt aufgenommen wurde. Bei ihren Befragungen im Familien-, Kollegen- oder Freundeskreis benutzten sie eine unverfängliche Legende, um den Anwerbeversuch für das MfS zu verschleiern. Der Führungsoffizier des MfS erarbeitete aus dem Ergebnis ein politisches und charakterliches Profil des Kandidaten. Das Motiv für die Zusammenarbeit mit dem MfS sollte in erster Linie politische Überzeugung sein.5

Schon als wissenschaftlicher Assistent an der Universität geriet Werner Teske ins Visier der Staatssicherheit, vor allem nachdem er 1965 Kandidat der SED geworden war. Hinweise auf einen auf ihn angesetzten IM reichen bis Anfang 1966 zurück. Zur geplanten Rekrutierung heißt es: »Die Person wurde durch Einsichtnahme in Kaderunterlagen und durch Hinweis des IM ›XXX‹6 bekannt. ›XXX‹ kennt die Person persönlich und er schätzt ihn als einen klassenbewußten, ehrlichen und disziplinierten Genossen ein. Da die Person positiv eingeschätzt wird, wurde der Kontakt zu ihr aufgenommen.«7 Die Initiative, Werner Teske anzuwerben, muss also aus der Institutsleitung gekommen sein. Ein IM »Achim« an der Universität erstellte im März 1966 eine erste Einschätzung, die eine intensivere Analyse zur Folge hatte.8 Der IM beschrieb Werner Teske wie folgt: »Er ist intelligent, hat eine gute äußere Erscheinung und tritt sicher und gewandt auf. […] Teske ist auf eine Bitte der Partei auch bereitwillig Mitglied der Sicherungsgruppe der Universität geworden.« Für die Personalie Werner Teske wurde im MfS ein operativer Vorgang, eine sogenannte Akte Vorlauf-IM, angelegt. Er selbst erfuhr davon nichts.

Der erste offizielle MfS-Kontakt zu Werner Teske datiert vom 2. Mai 1967. Dem Bericht über das Treffen ist zu entnehmen, dass Heinz Herrich, HV A, Abteilung V, das Gespräch im Institut der Humboldt-Universität geführt hat.9 Er lässt ihn einen Personalbogen ausfüllen und seine gesamte Verwandtschaft auflisten, einschließlich der wenigen Westverwandten, zu denen seit Jahren kein Kontakt besteht. Und er charakterisiert seinen Kandidaten: »Teske macht auf mich einen aufgeschlossenen, ehrlichen und gewissenhaften Eindruck. Er besitzt gutes politisches fundiertes Wissen. In seinem Auftreten ist er gesprächig und exakt in der Formulierung und Darlegung seiner Antworten. Zu ihm bekommt man relativ schnell Kontakt.« Dem operativen Vorgang wird ein ausführliches Auskunftsprofil mit Lebenslauf und Hinweisen auf Teskes Anwerbung beigefügt, ebenjene Beurteilung eines IM von 1966, mit der Teske dem MfS angedient worden ist. Auch sein Wohnumfeld ist ausgeforscht worden. Aus den Gesprächen mit Teskes Nachbarschaft am Lichtenberger Hendrichplatz hat sich ergeben: »Im Haus selbst hat er mit keinem Bewohner ein engeres freundschaftliches Verhältnis. Er grüßt die Mieter, hat aber sonst stets wenig Zeit, um sich intensiver mit seinen Mitmenschen zu befassen. Von den befragten Personen wird er sehr gut beleumundet. Viele kennen ihn noch als Kleinkind. Er war immer ein freundlicher, höflicher und sehr gut erzogener Mensch.«10 Als neuer IM erhält Teske den Decknamen »Teßler«, wenig später in »Tesla« geändert. Erste Instruktionen und Aufträge folgen im selben Jahr, dafür sorgt ein Führungsoffizier einer Diensteinheit der Hauptverwaltung A (HV A), des Auslandsgeheimdienstes der DDR.

Werner Teske und sein künftiger Führungsoffizier und Förderer MfS-Hauptmann Heinz Herrich treffen nochmals im Mai 1967 zusammen. Im Treffbericht bestätigt Herrich: »Mit Teßler wurde darüber gesprochen, ob er bereit ist, uns in der Zusammenarbeit bei der Kontaktaufnahme zu Studenten oder Wissenschaftlern in Berlin zu unterstützen. Dies wurde von ihm bejaht.«11 Teske berichtet in der Folge über Studenten aus Westdeutschland, die an der Humboldt-Universität Material für ihre Diplomarbeiten über das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung (NÖSPL) in der DDR suchen. Ganz im Sinne des Auftraggebers lotet Teske bei den Gesprächen mit den Studenten aus dem Westen nicht nur deren wissenschaftliche Interessen aus, sondern auch private Hintergründe. Anhand dieser Aufgabe möchte das MfS erkennen, ob perspektivisch eine Anbahnung von Kontakten nützlich sein könnte. Auch zu ehemaligen Studienkollegen liefert IM »Teßler« ein Profil. In einem Fall hat seine ausführliche Einschätzung zur Folge, dass dieser Studienkollege das besondere Interesse des MfS als Übersiedlungskandidat findet.12 Zu den bisherigen Erfahrungen mit Teske heißt es in der Auskunft über den Kandidaten: »Von Anfang an wurde mit der KP [Kontaktperson] intensiv gearbeitet, da er nach Erledigung einiger Aufgaben auf dem Gebiet der DDR und der Bindung an das MfS als XXX eingesetzt werden soll.«13

Der offizielle Abschluss der »Werbung« Teskes14 für das MfS erfolgt im Juni 1967. Teskes Verpflichtungserklärung als IM dürfte in diesem Zeitraum unterzeichnet worden sein.15 Mit der schriftlichen Verpflichtungserklärung bindet sich der IM quasi ohne »Kündigungsrecht« an das MfS. In ihr wird auf die Freiwilligkeit der Zusammenarbeit sowie die absolute Geheimhaltungspflicht verwiesen, und nicht zuletzt ist von der Übertragung einer ehrenvollen Arbeit für die DDR die Rede.

Teske wurde mit einer spezifischen Perspektive angeworben, denn das MfS hat nicht vor, seine Tätigkeit auf die Beobachtung seines Umfelds an der Hochschule zu reduzieren. Interessiert ist es vor allem an seinen Kompetenzen als Wirtschaftswissenschaftler. Die für ihn geplanten Einsätze verlangen eine adäquate Qualifikation, außerdem ein sicheres Auftreten gegenüber Westlern. Über linientreue Parteimitglieder verfügt der Staatsapparat der DDR zur Genüge, rar sind Ökonomen, die auch mit den Grundsätzen der Wirtschaft im Westen vertraut sind, über...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2021
Zusatzinfo 20 s/w-Abbildungen
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Berlin • DDR • Erich Honecker • Erich Mielke • Führungsoffizier • Geheimdienst • Heinz Kadgien • Hermann Lorenz • Hinrichtung • HV A • Leipzig • MfS • Ostdeutschland • Spionage • Stasi • Todesurteil • Trebeljahr • Vollstreckung • Werner Stiller • Werner Teske
ISBN-10 3-86284-496-X / 386284496X
ISBN-13 978-3-86284-496-8 / 9783862844968
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 8,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten | Der Nummer 1 …

von Florian Illies

eBook Download (2023)
S. Fischer Verlag GmbH
22,99
Deutsche Ausgabe von »Spare«

von Prinz Harry

eBook Download (2023)
Penguin Verlag
21,99