Die Zeile (eBook)
496 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-3336-3 (ISBN)
Joachim Weimann (geboren 1956 in Düsseldorf) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Magdeburg. Er ist Autor zahlreicher Sach- und Lehrbücher. »Die Zeile« ist seine erste belletristische Arbeit.
Teil 2
Gafka
13
Aaron besaß kein Handy. Wieso auch sollte er ständig erreichbar sein? Wo doch kaum mal jemand tatsächlich versuchte ihn zu erreichen? Er war kein Technikfeind. Ganz im Gegenteil, aber die Vorstellung, eine Akkuladung nach der anderen zu verbrauchen, ohne dass mal jemand anrief, war ihm einfach zuwider. Da er zu Hause und im Büro Telefone hatte und außerdem permanent online war, gab es auch tatsächlich keinen Grund für ein Handy. Und davon abgesehen gab es eben auch nur sehr wenige, die Gründe hatten ihn anzurufen. Aber jetzt war sein heimisches Telefon verseucht, kontaminiert, verschmutzt. Er fühlte sich kommunikationstechnisch kastriert, und das war kein schönes Gefühl.
Nachdem der Kommissar gegangen war und sich Aarons Verwirrung etwas gelegt hatte, schloss er Webers Wohnung ab und machte sich auf den Weg. Er nahm die Linie 17, fuhr ins Zentrum und steuerte den ersten Handyladen an, den er fand. Es dauerte eine Weile, bis der Verkäufer verstanden hatte, dass Aaron ein Gerät kaufen wollte, das man ausschließlich zum Telefonieren benutzt, und es dauerte noch einmal eine Weile, bis Aaron verstanden hatte, dass es heutzutage solche Geräte nicht mehr gab. Am Ende fand sich eines mit einer Minimalausstattung an Zusatzfunktionen und Aaron erstand drei Stück davon. Außerdem erwarb er eine rote, eine gelbe und eine blaue Handyschale und drei Prepaidkarten im Wert von jeweils 50 Euro. Er verließ den Laden und fuhr mit dem 34er Bus in die Universität. In seinem Büro angekommen, versah er die Handys mit ihren farbigen Verkleidungen und speicherte in das rote und das gelbe Handy die Nummer des Blauen und in diesem die Nummer der anderen beiden. Als Namen dienten jeweils die Farben. Als er fertig war, griff er zum Diensttelefon und wählte Susannes Nummer. Sie war nach dem zweiten Klingelton dran. »Hast du einen Moment für mich?« Sie hatte und eine Minute später war sie in seinem Büro.
»Setz dich, ich habe eine lange Geschichte zu erzählen.« Aaron berichtete ihr von dem Trick mit dem Laptop und dem Ergebnis seines Experiments.
»Aaron, du entpuppst dich als eine echte Wundertüte. Aus dem trockenen Spieltheoretiker wird Dr. Watson persönlich. Ich fass es nicht.« Ihre Überraschung war nicht gespielt, dennoch war die Portion Spott nicht zu überhören.
»Ich weiß, wer den Schaden hat … Aber ein bisschen mehr Verständnis wäre schon angebracht.«
»Wer sagt, dass ich keins habe? Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht gerade angenehm ist, abgehört zu werden. Wer weiß, am Ende ist deine Wohnung auch noch verwanzt.«
»Die Möglichkeit besteht und deshalb brauche ich dringend sichere Kommunikationswege.«
»Bei allem Verständnis, es ist sicher schlimm abgehört zu werden, aber was könntest du schon kommunizieren, was abzuhören sich lohnt? Wenn dir dazu nichts einfällt, brauchst du auch keine sicheren Kommunikationswege.«
»Woher soll ich das wissen? Ich habe ja auch keine Ahnung, wer oder was dahintersteckt. Aber sicher ist jedenfalls, dass es nicht schaden kann, wenigstens die Möglichkeit zu haben, mit jemandem zu reden, ohne dabei belauscht zu werden.«
»Das stimmt. Wie willst du vorgehen?«
Aaron nahm das gelbe Handy aus der Ladestation und gab es Susanne. »Prepaid. Die Nummer hat niemand, und Anrufe sind nicht verfolgbar. Ich habe das gleiche in Blau. Die Nummer dazu findest du gespeichert. Damit kannst du mich jederzeit anrufen, und wir können sicher sein, dass niemand mithört – außer der NSA.«
»Und wer bekommt das rote Handy?«
»Vielleicht will ich ja nicht nur mit dir sprechen. Mal sehen, ob sich nicht noch jemand findet.«
»Sag doch einfach, dass du keine Lust hast, mir zu sagen, wem du sonst noch vertraust und ein Handy in der Farbe der Liebe schenkst.« Susanne sah ihn herausfordernd an.
»Ich habe nicht die geringste Lust, dir zu sagen, wem ich ein Liebeshandy schenke.« Aaron lehnte sich zurück. »So besser?«
»Viel besser. Schließlich hast du die Nummer von Rot nicht auf dem gelben Handy gespeichert, und das sagt ja wohl genug.«
»Was immer das sagt oder nicht sagt, ist mir im Moment ziemlich egal.«
Susanne steckte ihr gelbes Handy in die Hosentasche und stand auf. »Ich muss mich noch ein bisschen auf die Sitzung vorbereiten. Hast du schon eine Idee, wen wir einladen sollen?«
Aaron sah sie verständnislos an.
»Berufungskommission! Wir beide haben die ehrenvolle Aufgabe den Mittelbau bei der Wiederbesetzung der Vogelsangs Stelle zu vertreten.«
Aaron stöhnte. Das hatte er völlig vergessen. In einer halben Stunde war die erste Sitzung der Kommission, die für die Nachfolge von Professor Vogelsang verantwortlich war. Auf seinem Schreibtisch lag der Aktenordner mit den Unterlagen der 76 Bewerber und er hatte noch nicht einen Blick darauf geworfen.
»Hast du die Bewerbungen durchgesehen?« In der Frage klang durch, dass er sehr darauf hoffte, dass wenigstens Susanne ihren Dienstpflichten nachgekommen war.
»Ja, und ich weiß auch, wen ich zum Probevortrag einladen möchte.«
»Super, ich werde in jedem Fall ganz deiner Meinung sein. Ich finde sowieso, dass der Mittelbau mit einer Stimme sprechen sollte.« Aaron klang ehrlich erleichtert.
»In Ordnung.« Susanne war schon auf dem Weg zur Tür. »Solange es meine Stimme ist.«
14
Kommissar Vogel war guter Dinge. Die Begegnung mit Hauser hatte ihm gefallen. Er war zwar nicht davon überzeugt, dass eine große Sache hinter der vermeintlichen oder tatsächlichen Abhöraktion steckte, aber ein paar Dinge waren schon hinreichend merkwürdig, um ihn neugierig zu machen und um in ihm die vage Hoffnung zu wecken, endlich doch einmal auf einen richtigen Fall zu stoßen. Er war mit der S-Bahn zurück zum Präsidium gefahren, aber eine Station vor seinem Ziel ausgestiegen, um das letzte Stück zu Fuß zu gehen. Der Oktober zeigte sich immer noch von seiner goldenen Seite, und die Sonne schuf tatsächlich noch einmal erträgliche Temperaturen, sodass der leichte Wind, der ihm ins Gesicht blies, gut zu ertragen war. Er war in der Bismarckstraße ausgestiegen und lief jetzt den Kaiserdamm herunter, an dem das alte Charlottenburger Polizeipräsidium lag. Ein großer grauer Kasten, erbaut um die Jahrhundertwende und ehemals als Gefängnis benutzt, diente es jetzt seinem Revier als Unterkunft, zusammen mit der Umweltpolizei. Vor dem Gebäude standen ein paar Bäume, deren Laub noch zur Hälfte grün war. Zu wenige, um von einem Park sprechen zu können, zu viele, um sie zu übersehen. Vogel liebte diesen kleinen grünen Fleck, und wie so oft blieb er eine Weile unter den Bäumen stehen. Er hatte den Weg genutzt, um darüber nachzudenken, wie er vorgehen sollte. Es galt, Licht in die Vergangenheit von Herrn Weber zu bringen, und Vogel hatte nach dem Spaziergang eine klare Vorstellung davon, wie er das anstellen wollte. Dennoch brauchte er die Minuten unter den Bäumen, bevor er in den grauen Kasten ging, dessen kleine Fenster und dicke Mauern frische Luft und Natur sehr effektiv aussperrten.
Vogels Büro lag im zweiten Stock, und er hatte sich angewöhnt, immer die Treppe zu benutzen, um wenigstens ein paar Kalorien zusätzlich zu verbrennen. In seinem Zimmer angekommen, warf er den Mantel auf den Besucherstuhl und begann seine Recherche. Der Personalausweis war in Passau ausgestellt und lief auf den Namen Benedikt Ferdinand Weber. Warum in Passau? Vogel fuhr seinen PC hoch. An diesem Gerät war er ein One-Trick-Pony. Er konnte genau eine Sache, mehr nicht, aber die richtig gut. Er beherrschte die Online-Recherche, sowohl die, die sich innerhalb des geschützten Polizeinetzwerkes durchführen ließ, als auch die in den Weiten des weltweiten Netzes. Verließ er dieses Netzwerk, war er informationstechnologisch aufgeschmissen, unfähig auch nur einen Brief mithilfe einer Textverarbeitung zu schreiben. Der Grund dafür war eine tief empfundene Abneigung gegen Computer und allem, was damit zusammenhing. Vogel war nicht klar, woher diese Abneigung kam, er hatte auch gar keine Lust, der Ursache auf den Grund zu gehen. Er mochte einfach Computer nicht und damit basta. Nur eine Ausnahme ließ er zu und die betraf Netzrecherchen, aber nur die, die er für seine Arbeit brauchte. Auch diese Inkonsequenz ließ ihn völlig kalt.
Als Erstes loggte er sich in das Berliner Melderegister ein und überprüfte, ob Weber in der Preußengasse gemeldet war. Zu seiner Überraschung war er es nicht. Das erklärte, warum er seinen Personalausweis vor zehn Jahren in Passau beantragt hatte. Er musste dort eine gemeldete Adresse haben, die in den Ausweis eingetragen wurde. Genauer gesagt reichte es in den meisten Fällen, dass man eine entsprechende Adresse angab, der Check, den die Passbehörde eigentlich bei der Meldestelle machen musste, fiel fast immer unter den Tisch. Vogel sah sich die Adresse an, die in Webers Ausweis stand, und öffnete Google Maps. Er gab die Adresse ein und schaltete die...
Erscheint lt. Verlag | 27.5.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7534-3336-5 / 3753433365 |
ISBN-13 | 978-3-7534-3336-3 / 9783753433363 |
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