Mann! Bin ich jetzt alt?! -  Andreas Malessa

Mann! Bin ich jetzt alt?! (eBook)

Zwischen Statusverlust und neuer Freiheit
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
adeo (Verlag)
978-3-86334-856-4 (ISBN)
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Sie selbst reden ungern darüber. Und was andere dazu sagen, Frauen zum Beispiel, stimmt höchstens als Außenansicht: Männer im Alter 60 plus - ihr Lebensgefühl, ihre Wünsche und Herausforderungen in der zweiten Lebenshälfte. Wenn der Körper schwächelt, die Pensionierung naht und das Geld knapper wird. Wenn auch die Partnerin in die Jahre gekommen ist und es mehr Freizeit, aber weniger Lebenszeit gibt. Wenn man geachtet werden möchte, statt peinlich zu werden. In kurzweiligen Porträts quer durch die sozialen Schichten nimmt uns Andreas Malessa mit auf eine höchst unterhaltsame Reise in jene Sphäre aus Scham und Ehre, die Frauen zu kennen glauben und Männer selten zu erkennen geben. Eine psychologisch-gesellschaftskritische Reisereportage durch die Innenwelten der »alten, weißen Männer«. Mit humorigen Schlüsselloch-Effekten für Leserinnen und hohem Wiedererkennungswert für Leser.

Andreas Malessa, Jahrgang 1955, wurde bekannnt als Teil des Gesangs-Duos 'Arno & Andreas' und gab rund 1400 Konzerte im In-und Ausland. Er ist Hörfunkjournalist beim DeutschlandRadio/Kultur in Berlin und beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt. Seine Fernseh-Sendungen 'Um Himmels Willen', 'Paternoster', 'Um Elf' und 'Lebensfragen' machten ihn als kompetenten Fachjournalisten für Religion und Kultur bekannt. Seine Reportagen aus der Dritten Welt und seine scharfzüngigen Satiren werden von den Lesern zahlreicher Zeitschriften geschätzt. Nach Abitur und Theologiestudium in Hamburg zog der 'überzeugte Norddeutsche' als Wahl-Schwabe in die Nähe von Stuttgart, ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert verheiratet, hat zwei fast erwachsene Töchter, liebt Fern-Reisen, gute Romane, Rotwein und kritisch mitdenkende Zuhörer. Als Buchautor und Publizist ist der evangelisch-freikirchliche Theologe ein vielgefragter Fachreferent für religiös-kulturelle, sozialethische und kirchliche Themen.

ist Hörfunkjournalist bei ARD-Sendern sowie Buchautor von Sachbüchern, Biografien und satirischen Kurzgeschichten. Seine Talkformate und Dokumentarfilme machten ihn als kompetenten und humorvollen Gesprächspartner bekannt. Er schrieb die Musicals "Amazing Grace" und "Martin Luther King". Der evangelische Theologe ist ein vielgefragter Fachreferent für kulturelle, sozialethische und kirchliche Themen. Er ist seit über 40 Jahren verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in der Nähe von Stuttgart (c) Foto: Rahel Täubert

Kapitel 1

„… aber sonst ist noch alles okay!“

Was haben Sie vor diesem „aber sonst“ gesagt? Das ist doch ein verräterischer Nachsatz, finden Sie nicht? Verdächtig wie die berühmte Urlauberbeteuerung „Aber sonst hat Mallorca auch ruhige Ecken.“ Aha? Also nicht nur den Ballermann? Na dann.

Die gängige Begrüßungsfloskel „Und? Alles gut?“ erwartet ja als einzig mögliche Antwort ein markiges „Yep, alles im grünen Bereich“. Fragt jemand noch ganz altmodisch „Na, wie geht’s?“, ermöglicht das eine zwar auch nicht ehrlichere, aber zumindest differenziertere Antwort: Sie können erst mal mit den Achseln zucken und ein tiefes „Och …“ einatmen.

Beendet der oder die Fragende den Wortwechsel jetzt nicht mit einem „Muss ja, ne? Also, ciao“, dann – ja dann könnten Sie jetzt eine kurze Zusammenfassung der aktuellen Beschwernisse, der Sorgen und Leiden Ihres Lebens jenseits der 60 erzählen. Könnten Sie. Tun’s aber nicht. Denn noch während Sie sprechen, kommen Ihnen Bedenken, das höre sich jetzt aber allzu wehleidig an. Deshalb schnell hinterhergeschoben: „… aber sonst, also im Großen und Ganzen …“ Pause. „… können wir nicht klagen.“ Ihr Gegenüber lächelt beruhigt. „Und überhaupt und im Grunde muss man noch froh sein.“ Soso.

Aber kommen Ihnen folgende Beobachtungen denn völlig fremd vor?

Wenn Sie aus einem tiefen Sessel aufstehen, aus der Hocke hochkommen oder aus Ihrem Auto aussteigen, stöhnen Sie „Ah!“ Und wenn andere dabei sind, nehmen Sie sich vor, jetzt nicht „Ah“ zu stöhnen.

Ihr Namensgedächtnis mag auch früher schon schlecht gewesen sein. Aber die Zeitspanne, bis „der Groschen fiel“, war kürzer. Jetzt fällt Ihnen vom Beginn bis zum Ende der zweistündigen Jubiläumsveranstaltung ums Verrecken nicht ein, wie diese Frau dort drüben, ja genau, die da in der zweiten Reihe, wie hieß die gleich, die hat mir doch damals … Nichts. Null. Blackout. Hinterher, beim Sekt-mit-Small-Talk im Foyer, könnte diese Bekannte aber auf Sie zukommen und von genau jenem „damals“ plaudern wollen … Und übermorgen, völlig zusammenhanglos, wird Ihnen ihr Name wieder einfallen. Plötzlich und glasklar. Wenn es niemand mehr braucht.

Sie vergessen jetzt auch häufiger, was Sie wem gesagt oder schon mal erzählt haben. Das führt bei den Zuhörenden normalerweise zu geduldig-gelangweiltem Lächeln oder artigem Lachen (ein Gentleman ist jemand, der jeden Witz noch nie gehört hat). Schlimmstenfalls führt es zu Peinlichkeiten („Also mir gegenüber hat er das aber ganz anders …“), im besten Falle führt es zu mehr Faktencheck. Manche bauen deshalb ein kleines Frühwarnsystem ein, einen Bremsimpuls wie die Asphalt-Erhebungen in den Spielstraßen der Wohnviertel: „Und da sagt doch dieser Taxifahrer zu mir … oder hab ich Euch das schon erzählt?“

Die Glitschigkeit einer Duschkabine – im Hallenbad, im Hotel, in der Ferienwohnung – und den Haltegriff über der Badewanne haben Sie ein halbes Leben lang nicht mal bemerkt. Jetzt achten Sie drauf. Denn kurzes Stolpern kann lange Rückenschmerzen bedeuten. Von Muskelzerrungen oder gar einem Bandscheibenvorfall ganz zu schweigen.

Wer will schon als Humpelstilzchen zum Frühstück erscheinen.

Wenn Sie unbedacht und hastig etwas trinken, bei einem angeregten Tischgespräch zu schnell atmen, reden, kauen und sich plötzlich verschlucken – dann ist das nicht wie in Kindertagen mit zwei Klapsen auf den Rücken getan. Nein, Sie glauben zu ersticken. Sie werden puterrot, Ihre Stimme versagt. Die Luftröhre ist wie zugeschnürt. Sie entschuldigen sich röchelnd, flüchten ins Badezimmer und sind erst nach zehn Minuten wieder gesellschaftsfähig an der Tafel zurück. Dort haben inzwischen die anderen Gäste ihre eigenen Verschluckungs-Erlebnisse ausgetauscht: Mit Nuss-Schokolade, Krokantplätzchen, Pinienkernen, mit Rucola-Salat und scharfen Thaisuppen zum Beispiel. Alle haben vollstes Verständnis, aber ja doch! Trotzdem: Warum ist das im Alter so ein Drama, verdammt noch mal?!

Es war Ihnen jahrzehntelang schnurzegal, wo bitte schön Sie im Großraumwagen eines ICE Platz nahmen. Schülerhorden oder verliebte junge Paare merken ja nicht mal, dass sie in einem öffentlichen Verkehrsmittel reisen. Sie aber – Sie achten seit Neuestem darauf, dass es von der Tür her nicht zieht (Rücken!), dass Sie nicht am Fenster sitzen, wo die grelle Sonne flackert (nervöse Augenrötung!), und dass Sie in Fahrtrichtung sitzen (leichte Kopfschmerzen!). Wenn nämlich der „Franken-Sachsen-Express“ mit Tempo 180 und Neige-Technik von Nürnberg nach Dresden rast, reagiert Ihr Magen wie bei einer Achterbahnfahrt rückwärts.

Wenn Ihre Lesebrille wieder mal „gottweißwo“ liegen geblieben ist, können Sie sich die Speisekarte ja vom Kellner vorlesen oder in Auszügen zitieren lassen. Das hört sich für die Restaurantgäste an den Nachbartischen manchmal an wie eine Theaterprobe: „Kann ich noch mal diese Stelle weiter vorne hören, bitte? Ab ‚Carpaccio‘ etwa?“

Wenn Sie aber ohne Lesebrille am Bankschalter oder auf einer Behörde etwas unterschreiben sollen, dann müssen Sie dran glauben. Also dran glauben, dass schon alles seine Richtigkeit haben wird, was Sie da halb blind mit Ihrem Namenszug bestätigen.

Wenn Sie in den finanziell klammen Jugendjahren eine Strecke von, sagen wir, 350 Kilometern auf der Autobahn zu fahren hatten, dann lautete die wichtigste Frage: „Wie weit reicht die Tankfüllung noch?“ Die war nämlich von Papa gesponsert. Heute lautet Ihre wichtigste Frage: „Wie weit noch bis zur nächsten Sanifair-Toilette?“ Und: „Können wir Deine und meine Pinkelpausen bitte so koordinieren, dass wir nicht an jeder Raststätte halten müssen?!“

Zu Terminen und Veranstaltungen kommen Sie neuerdings lieber zu früh als pünktlich. Beginnt in der Seniorenresidenz ein Vortrag um acht Uhr, ist um sieben der Saal voll. Im Festzelt sitzen die ersten Alten schon, wenn die letzte Bierbank noch nicht steht. Garderobenfrauen und Platzanweiserinnen in Opern- und Konzerthäusern rechnen mit bis zu 60 Minuten Rentner-Vorlauf. Nur Hip-Hop-Solisten, Rapper und Jungrocker können bis kurz vor Konzertbeginn Soundcheck und Lichtprobe machen – ihre Klientel unter 20 trödelt notorisch zu spät in die Location.

Woher kommt diese alterstypische Sorge vor dem Zu-spät-Sein? Sie sitzen im Auto, haben was vergessen und müssen noch mal zurück ins Haus. Bei Abfahrt Nr. 2 fällt Ihrem Mann ein, was er vergessen hat … Außerdem hassen Sie es, gehetzt und genervt irgendwo zu erscheinen und ganze Stuhlreihen für sich aufstehen zu lassen. Und schließlich die simple Rechnung: Eine halbe Stunde Hinfahrt plus zwei Stunden Kinofilm ohne Pause – da gehen wir sicherheitshalber vorher noch kurz …

„Wissen Sie, was Essensreste nachts zwischen Ihren Zähnen anrichten?“, fragt der Zahnarzt. „Ich weiß es nicht“, sagt der Patient, „wir schlafen getrennt.“

Selbst wenn es bei Ihnen noch nicht so weit ist: Das in Jahrzehnten entstandene und teuer zusatzbezahlte Mit- und Nebeneinander von Füllungen, Jacketkronen, Brücken und Implantaten hat im Mund ein alterstypische Folge: Nahrungsreste bleiben hinterhältig und hartnäckig zwischen den sogenannten Zähnen hängen. Nisten sich ein, krallen sich fest, kleben und haken und hängen so penetrant in den Spalten und Klüften, dass kein Zahnstocher mehr etwas ausrichten kann. Auch hinter vorgehaltener Hand nicht. Zum Dessert gibt es Apfelkuchen mit Mandelsplittern? Na, danke schön.

Was also werden Sie tun? Sie lächeln nur noch mit geschlossenem Mund und – versuchen es mit der Zunge. Die ausgebeulte Wange ist ein Erkennungszeichen älterer Menschen beim Nachtisch. Dass da im Verborgenen eine hyperaktive Naturbürste ihre akrobatische Schwerstarbeit verrichtet, kann manchmal sogar intellektuell wirken: Wenn Ihr Gegenüber einen Satz beendet hat, ziehen Sie staunend die Augenbrauen hoch, schauen nachdenklich ins Weite und befehlen Ihrem Höhlenbohrer im Mund einen abrupten Stopp in der Hamsterbacke. Sieht aus, als würden Sie gleich den ontologischen vom kausalen Gottesbeweis unterscheiden und Aristoteles gegen Immanuel Kant verteidigen. Ist in Wahrheit aber nur der Moment, in dem Sie spüren: „Sie hat ihn! Diesen elenden Essensrest!“

Sie werden neuerdings von Rührung und Sentimentalität überfallen. Bei der Taufe Ihrer Patentochter oder Enkelin ging’s ja noch. Aber jetzt, wenn Sie bei der Konfirmation eines süßen Teenagers eine Tischrede halten sollen? Wieso steigt Ihnen das Heulen ins Gesicht, woher dieses Zucken der Unterlippe, wie kriege ich den Kloß im Hals raus und Festigkeit in die Stimme rein? Meine Güte! Reiß Dich doch zusammen!

Dass ein Vater zwischen 50 und 65 mit Tränen in den Augen seine brautkleidgeschmückte Tochter durch den Mittelgang zum Traualtar führt, wo Mutter und Schwiegereltern, Omas und Opas in blumendekorierten Kirchenbänken längst die Taschentücher zücken – geschenkt! Versteht jeder. Darf sein. Ist doch klar.

Aber unvermittelt mit den Tränen kämpfen an einem werktägigen Vormittag in der Küche, nur weil NDR Kultur oder Klassik Radio die „Pathétique“ von Beethoven spielt?! Die „Kinderszenen“ von Robert Schumann oder „Thais“ von Massenet mit Anne-Sophie Mutter an der Violine? Der Vorstandsvorsitzende im dicken Daimler, die Chefärztin auf dem Parkplatz des Klinikums müssen ihre Telefonate unterbrechen, weil Gary Brooker von...

Erscheint lt. Verlag 16.6.2021
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Altherren • Best Ager • Drittlife-Krise • Geschenk • Ruhestand • Selbstwert • Soziale Anerkennung • Status • Würde
ISBN-10 3-86334-856-7 / 3863348567
ISBN-13 978-3-86334-856-4 / 9783863348564
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