Bei den Tannen (eBook)

Ein Fall für Commissario Grauner | Ein Krimi aus Südtirol
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30308-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bei den Tannen -  Lenz Koppelstätter
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Mord im Sarntal: der neue Band des SPIEGEL-Bestsellerautors Lenz Koppelstätter. Gefährlicher Aberglaube, tödliche Delikatessen und ein finsteres Kapitel der Südtiroler Geschichte: Sein siebter Fall lässt Commissario Grauner an seinem Verstand zweifeln. Im Sarntal, im Herzen Südtirols, liegt zwischen Schluchten und mit wilden Latschenkiefern bewachsenen Hängen eines der besten Restaurants der Welt: das Tan. Ausgerechnet eine berühmte Goumetkritikerin kommt hier unter mysteriösen Umständen zu Tode. Commissario Grauner, dem schon von seiner Frau Alba zubereitete Speckknödeln zum Glück reichen, begibt sich auf Spurensuche in die Welt der feinen Speisen. Für die eigenwilligen Dorfbewohner steht schnell fest: Die Köchin war es. Schließlich sei sie eine Nachfahrin einer der letzten Frauen, die im 16. Jahrhundert im Zuge der brutalen Hexenprozesse auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren. Obwohl die Ermittler von derlei Gerüchten nichts wissen wollen, müssen sie sich fragen: Soll hier eine jahrhundertealte Rechnung beglichen werden?

Lenz Koppelstätter, Jahrgang 1982, ist in Südtirol geboren und aufgewachsen. Er arbeitet als Medienentwickler und als Reporter für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Salon. 2015 startete bei Kiepenheuer & Witsch die Krimireihe um den Südtiroler Commissario Grauner, die ein großer Erfolg bei Leser:innen und Presse ist.

Lenz Koppelstätter, Jahrgang 1982, ist in Südtirol geboren und aufgewachsen. Er arbeitet als Medienentwickler und als Reporter für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und Salon. 2015 startete bei Kiepenheuer & Witsch die Krimireihe um den Südtiroler Commissario Grauner, die ein großer Erfolg bei Leser:innen und Presse ist.

3


Es war kaum Verkehr in Bozen. Über dem Talkessel hing eine dicke, muffige Hitzeglocke. Die Stadt war wie leer gefegt. Ihre Einwohner hatten sich hinter den geschlossenen Fensterläden ihrer Wohnungen verkrochen, oder sie hatten es den Touristen gleichgetan und waren in die Täler, auf die Berge und an die Seen geflüchtet.

Der Asphalt dampfte, auf den Talferwiesen war das Gras verbrannt, der Wasserstand der Talfer war auf einem Rekordtief, das Schmelzwasser des Winters längst aus dem Sarntal hinausgeflossen. Selbst in der Mitte des Baches ragten bereits einige größere Steine aus dem Wasser. Am Rande des Bachbetts waren Sandbänke zum Vorschein gekommen, auf denen sich vereinzelt Bozner dem Sonnenbad hingaben.

Grauner lenkte den Panda die Straße entlang ins Sarntal hinein, die Fahrbahn durchzog die Sillschlucht, die sich hinter Bozen auftat, ihre Felsen ragten steil und von den Gezeiten der Jahrtausende flach geleckt in die Höhe, Tunnel taten sich auf, zwischen den Tunneln ging es neben der Straße steil die Schlucht hinab, nur die Leitplanke trennte Fahrbahn und Abgrund.

Schnell hatte er die große Stadt hinter sich gelassen, tat sich eine völlig neue Welt vor ihm auf. Grauner öffnete das Fenster einen Spaltbreit, drehte die Klimaanlage zurück und Mahlers Fünfte weiter auf. Er hatte eine Weile genug gehabt von Mahler, hatte es kurz mit Brahms versucht, dann mit Kammermusik, dann mit Wagner, schließlich, wenn auch nur etwa zehn Minuten lang, mit Alban Berg, vergebens. Er hatte sich von Sara das neue Album von Beyoncé andrehen lassen. Sara hörte schon länger kein Heavy Metal mehr. Sie hörte nun Pop. Harry Styles. Billie Eilish. Beyoncé. Mit den ersten beiden konnte er nicht viel anfangen, aber Beyoncé gefiel ihm gar nicht so schlecht. Er hatte das Album einen Nachmittag lang den Kühen vorgespielt. Wenn auch mit schlechtem Gewissen seinem Mahler gegenüber.

Er hatte sich am nächsten Morgen beim Melken nicht getraut, von der Milch zu kosten, er hätte es nicht ertragen, hätte sie genauso gut geschmeckt wie nach der Mahler-Beschallung. Oder besser gar. Natürlich wusste er nicht, ob Mahler die Kühe bessere Milch geben ließ. Aber er wollte es eben glauben. Das reichte doch manchmal im Leben. Sich selbst ein bisschen belügen, sich selbst ein bisschen verschaukeln, das musste doch erlaubt sein, oder? Er jedenfalls gestattete es sich.

Er wünschte sich noch ein paar schöne, sorglose Arbeitsjahre, dann die Pension. Glücklich mit Alba, seiner Frau. Wissend, dass Sara, seine Tochter, sehr bald irgendwo erfolgreich studieren würde. Sie wollte weg. Er hatte damit seinen Frieden gemacht. Er hatte schließlich verstanden: Es gab nur eine einzige, kleine Chance, dass sie den Hof eines Tages doch übernehmen würde. Wenn er sie heute ziehen ließ. Nur dann würde sie morgen, irgendwann, vielleicht, er hoffte es so sehr, zurückkehren. Er musste sie gehen lassen, um sie nicht zu verlieren.

Alba hatte ihm diese Taktik nahegelegt. Ihm, dem Taktiker. Doch im Privaten war ihm Taktik fremd. Privat platzte immer alles sofort aus ihm heraus. Alles Gefühl, alles Verlangen. Er konnte nicht anders. Er wollte nicht anders. So war er, so mochte er es, so liebte ihn seine Frau, so, er ahnte, hoffte es, liebte ihn auch seine Tochter.

 

Die kühle Luft umfing nun sein Gesicht, er schaute auf die Wiesen, die hier im Sarntal selbst im August noch saftig waren, er schaute auf die Kühe, die genügsam grasten, mit dem Schwanz die Fliegen verscheuchten, ins scheinbare Nichts glotzten. Gott, wie er diese Tiere liebte, wie er sie verehrte, ihren unbeirrbaren Stoizismus, da konnte man sich noch so viele Philosophen der Stoa zu Gemüte führen, Panaitos, Seneca, Aurel und wie sie alle hießen, er hatte manche von ihnen flüchtig studiert in seiner Jugend – keiner von ihnen, so weise sie auch waren, konnte ihm so viel geben wie das Beobachten einer Kuh.

Über den Wiesen lagen die Wälder, über den Wäldern die Felsen, über den Felsen die Gipfel, und darüber leuchtete die buttergelbe Sonne am wolkenlosen Himmel. Grauner sog gierig die Würze des Kuhmists ein, der sich fein in die Frischluft mischte, er erreichte den Hauptort des Tals, Sarnthein, lenkte den Panda durch die engen Gassen, musste einem Traktor Platz machen, dann einem Bauern, der seinen Ochsen spazieren führte.

Vor der Bar saßen ein paar Männer. Weingläser in der Hand. Einer rauchte Zigarre, ein zweiter Pfeife, einer hatte sich hinter dem Südtirol Kurier versteckt. Grauner hatte vor ihnen gehalten, aufgewirbelter Dorfstaub legte sich auf die Windschutzscheibe. Sie taten einige Sekunden lang so, als bemerkten sie ihn nicht. Nur langsam, gemächlich, herablassend drehten sich zuerst der eine, dann ein zweiter, schließlich auch der mit der Zeitung zu ihm hin.

Dorfstolz. Der Commissario liebte es. Die Sarner waren besonders stolze Talmenschen. Von den Boznern wurden sie als Hinterwäldler verlacht. Sie wiederum lachten nicht über die Bozner, ignorierten sie vielmehr, was viel schlauer und stolzer war. Insgeheim fragten sie sich wohl, wie blöd diese Bozner sein mussten, da draußen im Hitzekessel zu leben, wo doch hier drinnen im Tal die Welt das Paradies war.

 

Grauner fragte nach dem Restaurant Tan, er hatte schon einige Male von dem Lokal gehört, ihm war bekannt, dass es ein ganz besonderes sein sollte, weltbekannt, doch er hatte keine Ahnung, wo genau es sich befand, und das, obwohl er sich im Sarntal gar nicht mal so schlecht auskannte. Schon manches Mal war er hier gewesen. Zum Wandern und Skifahren, zweimal beruflich.

Einmal war es ein Fehlalarm gewesen. Ein Bauer hatte aufgeregt die Polizei gerufen. Jemand habe seine Bäuerin entführt, umgebracht wahrscheinlich. Doch dann hatte sich herausgestellt, dass die Bäuerin schlicht keine Lust mehr auf ihren Bauern gehabt und einen anderen gefunden hatte. Den Dorfmechaniker. Ermittlung eingestellt.

Der zweite Einsatz war kein Fehlalarm gewesen. Ein Tischlerlehrling hatte seinen Tischlermeister erpresst. Der Meister hatte mit Marihuana gedealt, er hatte im Wald von Pens, unterhalb des Penser Jochs, eine kleine Plantage bewirtschaftet. Die Ware ließ er seiner Kundschaft in ausgehöhlten Holzpellets zukommen. Der Lehrling wollte ins Geschäft einsteigen. Fifty-fifty. Sonst, so drohte er, würde er alles dem Bürgermeister verraten. Als der volltrunkene Meister den Lehrling daraufhin packte, ihn zur Holzschneidemaschine zog und die Maschine anmachte, erklärte sich der Lehrling bereit, sich eventuell mit zwanzig Prozent zufriedenzugeben. Dann schrie er nur noch. Zuerst um Hilfe. Dann um seine rechte Hand, die auf den mit Holzspänen übersäten Tischlereiboden fiel. Dann um seine linke, dann verstummte er. Für immer.

 

Die stolzen Männer schauten zu Boden, ganz verlegen erschienen sie Grauner plötzlich, nur ab und an sahen sie auf und warfen ihm einen feindseligen Blick zu, aber da war auch noch etwas anderes, eine Mischung aus Neugierde und Schauder. Der eine hatte sich schließlich wieder hinter der Zeitung versteckt, ein anderer zeigte zögerlich eine der Straßen entlang.

»Da«, sagte er, »immer da entlang, zum Dorf hinaus, die Wiesen hoch, in den Wald hinein.«

Ein Weiterer trat etwas näher an Grauners Panda heran, bückte sich zum Fenster hinab, kniff die Äuglein zusammen. Starrte ihn an. Grauner starrte zurück. Blicken standhalten, das konnte er. Das hatte er ein Leben lang geübt. Ganz am Anfang seiner Polizeikarriere tat er sich schwer damit, sah weg, sobald ihn einer anstarrte. Ein Zeichen der Schwäche, das lernte er bald. Dann übte er. Zuerst im Schlafzimmer, vor dem Spiegel. Dann im Stall. Mit Marta, Mitzi, Margarete, Bella, Burgunda, Lisbetta, Johanna, Marianna, Kunigunda. Als selbst der Ochs, Blacky, den er einst hatte, zuerst zu Boden blickte, da wusste er, jetzt konnte er es.

Er betrachtete das Gesicht des alten Mannes. Ein Bauer wohl. Viechbauer. So wie auch er einer war. Nur Viechbauern stand das Leben so sehr ins Gesicht gezeichnet, die Natur, die harte Arbeit. Tiefe Furchen durchzogen die von der Sonne gegerbten Wangen. Die Augenbrauen standen wild, wie von einem Stromschlag zerzaust, in alle Richtungen ab, die Lippen waren beinahe schwarz.

»Fremder!«, krächzte der Mann schließlich. »Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht da hochfahren. Ich würde umdrehen, wieder nach Bozen hinausfahren.«

Die Männer im Hintergrund nickten. Grauner hob eine Augenbraue.

»Weil da oben das Böse ist«, fuhr der Mann fort und kam noch ein bisschen näher, verschwörerischer, gut gemeinter Blick jetzt. »Weil es wohl wieder so weit ist. Weil das Böse gewütet hat. Die Polizei ist schon hoch, vor einer Stunde etwa. Doch da oben ist alles verloren. Weil das immer schon so war.«

»Alles verloren«, grummelte einer der Männer aus dem Hintergrund.

»Jetzt hilft nur noch beten. Wenn überhaupt«, murmelte ein anderer.

»Das Böse, das Böse …«, flüsterte Grauner mehr in sich hinein. Dann schmunzelte er. Die Männer hatten keine Ahnung, wer er war. Sie hatten keine Ahnung, dass er immer dahin musste, wo das Böse war, wo Böses geschehen war.

Das Dorf Sarnthein verschwand im Rückspiegel, die Sandstraße führte ihn in Schlangenlinien den Hang empor und an einer saftigen Wiese entlang. Die Kühe drückten sich in die matten Schatten der Fichten und Tannen, bald führte auch der Weg in den Wald hinein. An einem Zaun, der die Wiese von den Bäumen...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2021
Reihe/Serie Commissario Grauner ermittelt
Commissario Grauner ermittelt
Zusatzinfo 2 farbige Karten
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Band 7 • Bestseller-Autor • Commissario Grauner • Grauner Band 7 • Grauners siebter Fall • Hexen-Krimi • Hexen-Mythos • Kommissar Grauner • Koppelstätter Band 7 • Koppelstätter Reihenfolge • Kräuterkunde • Krimi-Neuerscheinungen • Krimi Neuerscheinungen 2021 • Krimireihe • Regionale Krimis • Regional-Krimi • Südtirol • Südtirol Krimi • südtirolkrimis • Tirol-Krimi • Urlaubskrimi • Urlaubskrimi Italien • Urlaubskrimi Österreich
ISBN-10 3-462-30308-2 / 3462303082
ISBN-13 978-3-462-30308-7 / 9783462303087
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