Der Mann, der die Welt ordnete (eBook)

Ein Roman über den Naturforscher Carl von Linné
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00685-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Mann, der die Welt ordnete -  Axel S. Meyer
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«Gott schuf, Linné ordnete»: ein faszinierender Roman über den schwedischen Botaniker Carl von Linné Von Leidenschaft, Ehrgeiz und Besessenheit getrieben, ringen zwei Forscher in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts um Anerkennung. Carl von Linné will Gottes Schöpfung, die Flora und Fauna, nach einem von ihm entwickelten System ordnen und zum berühmtesten Botaniker aller Zeiten werden. Zunächst wird der Schwede verkannt, publiziert aber schließlich bahnbrechende Schriften und unternimmt abenteuerliche Forschungsreisen. Erbittert bekämpft wird er dabei von dem deutschen Arzt Johann Georg Siegesbeck. Der Wissenschaftler hat sich einen bescheidenen Namen gemacht und verfasst selbst botanische Schriften. Schriften, die hinfällig werden, sollte sich Linnés Sexualsystem zur Pflanzenbestimmung durchsetzen - in Siegesbecks Augen nichts als Ketzerei ...

Axel S. Meyer, 1968 in Braunschweig geboren, studierte Germanistik und Geschichte. Heute lebt er in Rostock, wo er als Redakteur der Ostsee-Zeitung tätig ist. Bei Rowohlt hat er bereits mehrere historische Romane veröffentlicht, darunter die erfolgreiche Reihe um den Wikinger Hakon und zuletzt den Roman «Der Mann, der die Welt ordnete» über den schwedischen Naturforscher Carl von Linné.

Axel S. Meyer, 1968 in Braunschweig geboren, studierte Germanistik und Geschichte. Heute lebt er in Rostock, wo er als Redakteur der Ostsee-Zeitung tätig ist. Bei Rowohlt hat er bereits mehrere historische Romane veröffentlicht, darunter die erfolgreiche Reihe um den Wikinger Hakon und zuletzt den Roman «Der Mann, der die Welt ordnete» über den schwedischen Naturforscher Carl von Linné.

Prolog


Uppsala, 23. Mai 1753

Wenige Stunden bevor das Monster mein Lebenswerk zerstören wird, erwache ich mit Kopfschmerzen. Ich liege in meinem Arbeitszimmer auf dem Bett, in dem ich schlafe, wenn ich bis tief in die Nacht arbeite, und das kommt häufig vor. Viel zu häufig. Vor dem Fenster graut der Morgen. Vermutlich habe ich nicht mehr als zwei Stunden geschlafen.

Mir fällt ein, dass heute mein Geburtstag ist. Vor sechsundvierzig Jahren erblickte ich in Råshult am Möckelnsee das Licht der Welt. Warum man diesen Tag feiert, habe ich nie verstanden. Was hat man denn dafür getan? Das waren doch andere, vor allem die Mutter; der Vater trinkt Schnaps und steht dumm daneben, wenn er noch stehen kann.

Während ich still im Bett liege, warte ich darauf, dass das hämmernde Pochen in meinem Schädel nachlässt. In der sich erwärmenden Morgenluft höre ich, wie unter dem Dach die Holzbalken knacken. Ich höre die Geräusche trampelnder Füße unten im Haus. Die Kinder quengeln. Sara schimpft mit ihnen, schon am frühen Morgen schimpft sie, ihre Stimme klingt schrill, sehr schrill.

Nach einer Weile stehe ich auf und ziehe den Vorhang am Fenster zur Seite. Dünnes Sonnenlicht fällt auf meinen Schreibtisch, auf dem die Stapel mit den Papierbögen liegen, zusammen mit den Manuskripten und meinem neuen Werk, das ich vor wenigen Tagen veröffentlicht habe. Es ist mein Meisterwerk, und es wird – bei aller Bescheidenheit – meine bisherigen Arbeiten in den Schatten stellen und nicht weniger als den Beginn einer neuen Epoche für die Naturwissenschaften markieren. Viele hassen mich dafür. Sie nennen mich einen Aufschneider, einen Unruhestifter, einen Förderer der Hurerei. Über Letzteres müsste ich am lautesten lachen, wenn es nicht so traurig und närrisch wäre. Die Männer, die mich bekämpfen und verachten, klammern sich ans Althergebrachte wie Ertrinkende im weiten Meer an die Außenplanken eines überfüllten Rettungsboots; doch sie finden keinen Platz in dem Boot und ersaufen.

Über der Schüssel schöpfe ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann ziehe ich meine Lappentracht an, die ich mir einst für meine große Reise gekauft habe: den Mantel aus Rentierleder, den runden Hut, die Lederstiefel, den Gürtel mit Taschen und den Geräten. In diesem Aufzug schleiche ich die Treppe hinunter und werfe im Erdgeschoss einen Blick in die Küche. Am Tisch sitzen meine fünf Kinder, zwischen zwei und zwölf Jahre sind sie alt. Sie bemerken mich nicht. Auch Sara nicht. Sie ist ganz grau im Gesicht und klatscht den Kindern Haferbrei in die Schüsseln. Und ich ahne, dass ihre Laune noch schlechter wird, wenn sie nachher feststellt, dass ich wieder meinen Geburtstag schwänze, weil ich nur an mein blödes Unkraut denke, wie sie es nennt. Manchmal tut sie mir wirklich leid, denn ich kann nur wenig Zeit für Sara opfern, für die Kinder auch, ja natürlich, auch für die Kinder.

Aber muss nicht jeder mit Leib und Seele dem Weg folgen, der ihm vorbestimmt ist?

An diesem Morgen führt mich mein Weg durch die Hintertür aus unserem Wohnhaus. Ich schließe die Tür und atme. Atme die frische Luft. Rieche den Duft der taufeuchten Erde und der Blumen, die am frühen Morgen ihre Blüten öffnen, als hätten sie damit auf mich gewartet. Ich atme und atme und beginne, ich zu sein, beginne zu leben, und ich spüre, wie die Kopfschmerzen allmählich nachlassen.

Wie ein Dieb ducke ich mich unter dem Küchenfenster vorbei, was mir ziemlich albern erscheint, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, unbemerkt zu verschwinden.

Dann laufe ich über den geharkten Kiesweg durch den Botanischen Garten. Beim Tor werde ich langsamer und richte mich zur vollen Größe auf, die leider nicht viel hergibt, körperlich zumindest nicht. Vor dem Tor erwarten mich ein paar Dutzend Leute. Sie sehen mich kommen, rufen meinen Namen, und als ich bei ihnen bin, befühlen sie meinen Rentiermantel und loben meine Lappentracht. Immer mehr Leute stoßen aus der Stadt dazu. Studenten, Professoren, Bürger, auch Adlige sind darunter. An die zweihundert Menschen haben sich schließlich um mich herum versammelt.

Die Kopfschmerzen sind jetzt nur noch ein schwaches Echo, das verhallt wie das Geräusch eines Steins, der ins Tal hinunterrollt. Als ich das Kommando zum Aufbruch gebe, ist mein Kopf kristallklar. Ich schreite vorweg, und die Teilnehmer der Exkursion folgen mir. Jemand stößt in ein Waldhorn. Über uns flattern die blaugelben Fahnen. Eine Pauke wird geschlagen, und der Takt zwingt unsere Schritte in einen militärischen Marsch.

«Vivat», rufen die Leute. «Vivat Linnaeus – er lebe hoch!»

Ich kann nicht sagen, dass mir der Trubel um meine Person unangenehm wäre. Meine Brust weitet sich, mein Kinn hebt sich, und so ziehen wir unseres Weges und lassen die Stadt Uppsala hinter uns. Mauern, Dächer und der Kirchturm verschwinden hinter den Hügeln. Auf den Äckern sprießt Getreide, an Buchen, Eichen und Birken entfaltet sich Blattgrün. Das Gras auf den Wiesen ist saftig und durchsetzt von den farbigen Tupfern frischer Blüten. Lerchen trillern, Spatzen tschilpen. In den Bächen laichen Fische. In der Luft tanzen Mücken zu Tausenden, flattern Fuchsfalter, summen Bienen; Mistkäfer rollen Pferdedung. Es ist Mai, und Gottes Kraft lässt die Natur explodieren. Auch ich bin ein Maikind.

An einem Waldstück, in dem die Bäume dicht und dunkel stehen, lasse ich Halt machen. Ich ahne nicht, dass mir das Monster schon sehr nah gekommen ist. Man verteilt Botanisiertrommeln, längliche Büchsen mit Schulterriemen für die gesammelten Pflanzen. Damit schicke ich die Leute zum Botanisieren fort und bin gleich darauf mit mir allein.

Ich muss daran denken, wie die Kinder vielleicht genau in diesem Moment in mein Arbeitszimmer schleichen. Wie sie feststellen, dass ich nicht im Bett liege. Wie die Kleinsten zu weinen beginnen. Trotz ihrer Geheimhaltung ist mir nicht entgangen, welche Mühe sie sich mit ihrem Geschenk gemacht haben, die Spuren der Verwüstung im Garten waren nicht zu übersehen.

Und wie wird Sara reagieren? Oh, ich kann mir ihr Gesicht gut vorstellen. Es ist geballt wie eine Faust, die zum Schlag ausholt. Das ist ihr Gesichtsausdruck, der mich häufig verfolgt, seit ich damals nach Schweden heimkehrte.

Die ersten Pflanzensammler kommen aus dem Wald zurückgelaufen. Sie zeigen mir ihre Fundstücke, fragen, wie dieses und jenes heißt. Ich nenne Pflanzennamen, doziere über Wuchsformen von Pflanzenstielen, erzähle von Blättern, Blüten und Wurzelgeflecht.

«Die Lichtnelke Lychnis», erkläre ich anhand eines Pflanzenfunds, «liegt wie tot am Boden, bis die Blüte naht und sich entfaltet wie eine junge Frau. Sie hebt sich, richtet sich auf, zeigt sich, und der Wind bestreicht die Blüten, und der Blütenstaub wird in die Höhe geblasen. Einst sah ich eine Lychnis im dreckigen Staub der Bergwerksstadt Falun blühen. Und verblühen. Wenn ihre Blüten vergehen und abfallen, legt die Lychnis sich wieder nieder, sie vertrocknet und wird gram und grau, so wie eine Frau nach der Blüte ihrer Jahre.»

Die Leute lachen, sogar die Frauen. Ein Student reicht mir ein Ästchen mit lanzettförmigen Blättern. Das sei der Echte Seidelbast, den ich mit dem lateinischen Namen Daphne mezereum beschrieben habe, erkläre ich. Vor langer Zeit sei die Bergnymphe Daphne von ihrem Vater, dem Flussgott Peneios, in einen Lorbeerbaum verwandelt worden, damit Daphnes liebestoller Verehrer Apoll, der Sohn des Zeus, sie nicht finden konnte. Und weil die Laubblätter des Seidelbasts denen des Lorbeers ähneln, hätte ich der Pflanze Daphnes Namen gegeben.

Als ich an dem Zweig eine vertrocknete Beere entdecke, rufe ich überrascht: «Seht nur! Hier hängt zufällig noch eine Beere aus dem Vorjahr. Aber Vorsicht: Daphnes Früchte sind sehr giftig. Sie brennen schrecklich im Hals. Mit Wasser allein ist ein solches Feuer nicht zu löschen.»

Ich rupfe die Beere ab, verstecke sie in meiner Faust, ohne dass es jemand sieht, und tue so, als würde ich mir die Beere in den Mund stecken. Und dann – um dem Schauspiel das nötige Drama zu verleihen – reiße ich die Augen auf. Ich ächze, würge und stöhne, als erleide ich qualvollste Schmerzen. «Das einzig wirksame Gegenmittel ist Branntwein», keuche ich. «Hat denn niemand einen Schluck Branntwein dabei?»

Ein Mann reicht mir eine Trinkflasche. Ich nehme einen Schluck, und einen zweiten, und, man weiß ja nie, noch einen dritten. Dann, auf wundersame Weise genesen, zeige ich die Beere vor. «Wie schnell man doch zu einem guten Tropfen kommt.»

Die Leute lachen und klatschen Applaus, auch der Mann, dessen Branntwein ich mir erschwindelt habe.

Nach dieser Vorstellung will ich die Exkursion gerade für beendet erklären, als wie aus dem Nichts ein Mann vor mir auftaucht. Er scheint sehr alt zu sein und ist wie ich nicht besonders groß. Er sieht krank aus, blass, und sein Gesicht ist verdorrt wie eine getrocknete Pflaume. Kopf und Schultern hält er leicht vorgebeugt wie unter einer niederdrückenden Last. Er trägt keine Perücke, das graue Haar steht ihm ungekämmt vom Kopf ab. Unter halb geschlossenen Lidern stiert er mich an, trotzdem kann ich seine Augen sehen, scharfe, durchdringende Augen, die leuchten wie die blauen Blüten des Vergissmeinnichts. Mir ist, als spieße er mich mit seinem Blick auf, als sehe er tief in mich hinein, mit seinem wilden, feindseligen Blick.

Ich habe diesen Mann nie zuvor gesehen, weder in Uppsala noch anderswo. Glaube ich. Oder täusche ich mich? Aus einem unerfindlichen Grund drängt sich mir das Gefühl auf, ihn doch zu...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Blumen • Botanik • Botaniker • der alles hat • Entdecker • Geschenk für Mann • historienromane • Historische Biographien • historische romane deutsch • Historischer Roman • linnaeus • Linné • Naturforscher • Naturwissenschaft • Pflanzen • Schweden • Systema Naturae • Wahre Begebenheit • Wahre GEschichte
ISBN-10 3-644-00685-7 / 3644006857
ISBN-13 978-3-644-00685-0 / 9783644006850
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