Nachruf auf mich selbst. (eBook)

Die Kultur des Aufhörens
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491451-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nachruf auf mich selbst. -  Harald Welzer
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Bestseller-Autor Harald Welzer stellt fest, dass unsere Kultur kein Konzept vom Aufhören hat. Deshalb baut sie Autobahnen und Flughäfen für Zukünfte, in denen es keine Autos und Flughäfen mehr geben wird. Und sie versucht, unsere Zukunftsprobleme durch Optimierung zu lösen, obwohl ein optimiertes Falsches immer noch falsch ist. Damit verbaut sie viele Möglichkeiten, das Leben durch Weglassen und Aufhören besser zu machen. Diese Kultur hat den Tod genauso zur Privatangelegenheit gemacht, wie sie die Begrenztheit der Erde verbissen ignoriert. Harald Welzer zeigt in einer faszinierenden Montage aus wissenschaftlichen Befunden, psychologischen Einsichten und persönlichen Geschichten, wie man aus den Absurditäten dieser gesellschaftlichen Entwicklung herausfindet. Man muss rechtzeitig einen Nachruf auf sich selbst schreiben, damit man weiß, wie man gelebt haben will.

Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe. Er ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und des Norbert-Elias-Centers für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. In den Fischer Verlagen sind von ihm u. a. erschienen: »Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, »Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird«, »Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen«, »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens« und - gemeinsam mit Richard David Precht - »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist«. Seine Bücher sind in 21 Ländern erschienen.

Harald Welzer, geboren 1958, ist Sozialpsychologe. Er ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit und des Norbert-Elias-Centers für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. In den Fischer Verlagen sind von ihm u. a. erschienen: »Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden«, »Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird«, »Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen«, »Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens« und – gemeinsam mit Richard David Precht – »Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist«. Seine Bücher sind in 21 Ländern erschienen.

eine fulminante Zivilisationskritik.

Herausgekommen ist ein Buch, das dazu anregt, die eigenen Einstellungen zu hinterfragen.

Ein kluges, philosophisches Buch über Sein und Nichtsein

Herausgekommen ist ein so erhellendes wie kurzweiliges Buch – immer radikal, aber doch jederzeit bereit, inkonsequent zu sein. Ein Glück, dass es Harald Welzer noch gibt.

Ein inspirierendes Buch

ein spannender Versuch, die dringende Notwendigkeit zum Handeln einem relativ breiten Publikum auf neue Weise nahezubringen

Ein sehr berührendes und lesenswertes Buch.

Ein Buch, das viele vertraute Perspektiven auf den Kopf stellt.

Welzer hält sich an die vielleicht wichtigste Maxime für Sachbücher, neben Faktensicherheit natürlich: Du sollst nicht langweilen.

In schlüssigen, spannenden Kapiteln legt er die Notwendigkeit einer Kultur der Endlichkeit dar – ohne dabei je ins Fahrwasser der […] „Kommt, wir retten die Welt!“-Bücher abzudriften.

Die tote Masse und das Leben


Die Masse der von Menschen hergestellten Objekte hat sich seit 1900 etwa alle 20 Jahre verdoppelt. Damals betrug sie etwa drei Prozent der Biomasse, drei Prozent also alles dessen, was lebt. Im Jahr 2020 hat die tote Masse – also Häuser, Asphalt, Maschinen, Autos, Plastik, Computer usw. usf. – die Biomasse erstmals übertroffen. Die Biomasse aller Wildtiere ist in den letzten 50 Jahren dagegen um mehr als vier Fünftel geschrumpft. Ein atemberaubender Vorgang: Während die Biomasse durch Entwaldung und Zerstörung von Böden und Meeren und Artensterben weiter sinkt, wächst die menschengemachte Masse immer schneller an. So berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom israelischen Weizmann-Institut.[1]

Man hat versucht, diesen Vorgang dadurch zu veranschaulichen, dass jede Woche für jeden Menschen auf der Welt Produkte geschaffen werden, die seinem Körpergewicht entsprechen. 52 Mal im Jahr kommt das Äquivalent von einem selbst zur toten Masse dazu. Das ist ziemlich gruselig, scheint mir, wobei betont werden muss, dass diese 52-mal-ich-Produktmenge aus Substanzen besteht, die den lebendigen Böden, den Wäldern, den Meeren und Flüssen entnommen werden – woanders können sie ja nicht herkommen. Mit anderen Worten: Die Welt wird in immer noch wachsender Geschwindigkeit von einer natürlichen in eine künstliche oder besser: von einer lebendigen in eine tote umgewandelt. Hergestelltes schlägt Biomasse. Totes schlägt Lebendiges.

Am 23. März 2021 geschah etwas, was die Sache mit der toten Masse live und in Farbe illustrierte: Das 400 Meter lange und fast 60 Meter breite Containerschiff »Ever given« blieb im 1869 eröffneten und für diese bombastische Größe nicht ausgelegten Suezkanal buchstäblich hängen und blockierte auf diese Weise einen erheblichen Teil des globalen Güterverkehrs. Schon nach kurzer Zeit stauten sich 150 weitere Frachter zu beiden Seiten des Kanals, also im Mittelmeer und im Roten Meer. Die durch einen solchen Stau entstehenden Kosten sind gigantisch, weil das ganze Zeug in den Containern und Tanks ja nun nicht pünktlich dort ankommt, wo es nach der auf knappe Umschlagszeiten geeichten globalen Logistik ankommen soll – und Chemie-, Auto- und Elektronikproduzenten warteten entsprechend händeringend darauf, dass das Monsterschiff bitte sofort freikommen möge. Kam es aber nicht. Denn zu seinem Eigengewicht von 220000 Tonnen trug es noch einmal mehr als 20000 Container, und wenn eine solche Masse erst einmal auf Grund gelaufen ist, hebt sie so schnell keiner raus.

Abb. 1: Ever given, leider eingeklemmt

Wie um die Absurdität unserer Lebens- und Wirtschaftsform auf den Punkt zu bringen, trägt dieses Schiff auch noch den Namen »Ever given – ewig gegeben«, und so wie das Ding da hilflos eingeklemmt war, so scheint die Fortsetzung unseres Kulturmodells genauso hilflos eingeklemmt zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Die radikalisierte Stoffumwandlung verarbeitet ihre eigenen Voraussetzungen – irgendwann geht es einfach nicht mehr weiter mit diesem »Ever Given«. Ich habe gerade bei dem Anthropologen Michael Tomasello gelesen, dass die menschliche Kultur zu dem faszinierenden koevolutionären Prinzip der kulturellen Vererbung geführt hat. Neue Menschenkinder wachsen immer in eine Welt hinein, in der sie an den jeweiligen Errungenschaften der kulturellen Evolution der vorangegangenen Generationen anknüpfen können. Tomasello nennt das den »Wagenhebereffekt« der menschlichen Lebensform: Die jeweils neue Generation fängt nie von vorn an, sondern immer dort, wo die vorangegangene angelangt ist. Das unterscheidet die menschliche Lebensform von der aller anderen Lebewesen. Sie ist koevolutionär – Menschen existieren nicht nur in einer natürlichen Umwelt, sondern immer auch in einer selbst erschaffenen. Die nennen wir Kultur.

Was Tomasello sich nicht fragt: Was, wenn die kulturelle Entwicklung eine falsche Richtung eingeschlagen hat, wenn sie nicht lebensdienlich war? Dann geht das Ganze ein paar Generationen so weiter, und da die Welt, in die die jeweils Nächsten hineingeboren werden, »ihre« Welt ist, die einfach so ist, wie sie sie kennenlernen, bleibt natürlich lange Zeit unerkennbar, wenn die Entwicklungsrichtung ohne Zukunft ist. Denn die Kultur, in die man hineinwächst, ist nichts Äußerliches – sie sitzt nicht nur in unseren Infrastrukturen und Institutionen, in unserem Grundgesetz, unseren Lehrplänen und Verkehrsregeln, sondern in unseren Gewohnheiten, in unseren Wahrnehmungen und Deutungen, in unserer Psyche, unserem Selbst. Wir sind ja nicht nur Gestalterinnen und Gestalter dieser Lebensform, sondern gleichzeitig von ihr gestaltet, und diese Gestaltung erfolgt nicht bewusst und absichtsvoll, sondern durch die Praxis.

Zum Beispiel durch die, dass man in modernen Hyperkonsumgesellschaften alles immer und immer alles haben kann. Das scheint uns ganz selbstverständlich, und nur wenn es durch eine Havarie wie der im Suezkanal zu »Engpässen« kommt, wird einem gelegentlich klar, dass all das Zeug in den Einkaufszentren nicht einfach »da«, sondern irgendwo hergekommen ist. Unser Kulturmodell blendet die Frage, wo das alles herkommt, systematisch aus. Das ist das kulturell Unbewusste, und daher sind wir alle, als Mitglieder dieser Kultur, gut durchtrainierte Vergessenskünstler – denn wenn wir so ein schönes neues iPhone in Händen halten, interessiert uns die Frage nach seiner höchst vielfältigen und komplexen Herkunft durchaus nicht. Wir kommen nicht mal drauf, uns für diese Frage zu interessieren, so selbstverständlich ist Verfügbarkeit für uns.

Oder: Wie sich wirtschaftlicher Erfolg quantitativ bemisst und in Börsenkursen und im Bruttoinlandsprodukt seinen Ausdruck findet, so hat sich das Messen in fast jede Facette unserer Leben eingeschrieben – von den Schulnoten und credit points bis hin zur Zahl der absolvierten Dates oder der Schritte, die man am Tag zurückgelegt hat. Besonders für die Kontrolle des Körpers mittels iPhone, Apple-Watch und Peloton-Heimtrainings gilt, dass Zahlen sich ganz selbstverständlich in die Darstellung, aber auch in die Wahrnehmung des eigenen Selbst eingefügt haben. Auch diese Einwanderung von Quantitäten in das eigene Selbst und seinen mentalen Haushalt macht klar, dass eine Kultur nie etwas Äußerliches ist, was um die Menschen herum existiert wie eine möblierte Umwelt, sondern sich immer auch in die Innenwelten, in die Psyche und in den wahrgenommenen Selbstwert übersetzt. Und weil sich die Kultur wandelt, sind wir immer schon andere als unsere Vorgängerinnen und Vorgänger, bis in unsere Sinneswahrnehmungen, unsere Gefühle und unsere Selbstbilder hinein.

Deswegen ist es so schwer, sich vorzustellen, dass die Kultur, der man angehört, eine »falsche« Richtung eingeschlagen haben könnte. Diese Kultur ist ja für jeden von uns immer schon »da«, eine Selbstverständlichkeit, so wie für einen Fisch das Wasser. Aber vielleicht kann man so viel sagen: Eine Kultur, die wie unsere ihre eigenen Voraussetzungen konsumiert, muss im Irrtum sein. Das wäre auch menschheitsgeschichtlich gar nichts Neues. Wir haben massenmörderische Kulturen gesehen, wahnhafte und solche, die ihr kulturelles Gepäck in Lebensräume getragen haben, wo es nicht hinpasste. Oder die einen Weg eingeschlagen haben, der ins Desaster und in die Selbstabschaffung führte.

Jared Diamond hat über untergegangene Kulturen das wichtige Buch »Kollaps« geschrieben, wobei das, was in der historischen Rekonstruktion als Irrtum erscheint, in der Wahrnehmung der Zeitgenossen keiner ist, sondern – einfach das, was man immer schon so gemacht hat. Entwaldung, Bodenerosion, Versalzung, Überjagung und Überfischung, Bevölkerungszunahme und wachsender Wohlstand[2] haben ja in der individuellen Wahrnehmung keinen Zeitindex. Unsere Wahrnehmung verändert sich mit der sich verändernden Umwelt, und allenfalls wird in der Rückschau mit Erschrecken registriert, dass man den falschen Pfad eingeschlagen hatte. Im Normalfall aber surfen wir gewissermaßen mit den sich verändernden Verhältnissen mit – und dann fehlen uns die Referenzpunkte, an denen man festmachen könnte, was sich verändert hat und ab welchem Punkt eine Sache aus dem Ruder gelaufen ist. Solche »shifting baselines«[3] verstellen die Einsicht in einen sich abspulenden Niedergang oder gar einen Untergang regelmäßig, weshalb zum Beispiel so ein epochales Ereignis wie der Untergang des kompletten Ostblocksystems inklusive der DDR 1989 nicht einmal von den zuständigen Wissenschaften – Geschichte, Politologie, Soziologie, Ökonomie – vorhergesehen wurde, sondern scheinbar einfach so und ziemlich plötzlich geschah. Ups.

Wenn man also Fragen stellt wie: »Was hat der Mann gedacht, der die letzte Palme auf der Osterinsel gefällt hat?«, »Was dachten die grönländischen Wikinger, als sie unter höchstem Ressourcenaufwand unter arktischen Bedingungen Viehwirtschaft zu treiben versuchten?«, »Was hatten Ingenieure im Sinn, die in Zeiten des Klimawandels tonnenschwere Geländewagen für Stadtbewohner entwickelten?«, dann lautet die Antwort jedes Mal: gar nichts. Denn alles dieses basiert ja auf Entwicklungen, die sich über lange Zeit hinweg vollzogen und als kulturelle Praxis eingeschrieben haben. Und in deren Fließen die neu Dazukommenden, also die Kinder, gleichsam eingefügt werden – wie...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2021
Zusatzinfo 25 s/w Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Apokalypse • Der Tod • Fehlerkultur • Fortschritt • Futur II • Grenzerfahrung • Klimawandel • Konsumkritik • Lebensqualität • Minimalismus • Mobilität • Moderne • Nachhaltigkeit • Ökologie • Optimismus • Paradigmenwechsel • Reinhold Messner • Sinn des Lebens • Stadtentwicklung • Sterbebegleitung • Sterblichkeit • Veränderung • Verzicht • Zeitenende • Zukunft
ISBN-10 3-10-491451-6 / 3104914516
ISBN-13 978-3-10-491451-0 / 9783104914510
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