Wir spielen Blinde Kuh auf dem Minenfeld des Lebens (eBook)
176 Seiten
edition subkultur (Verlag)
978-3-948949-11-2 (ISBN)
Lügenbaron, Tunichtgut, Aushilfsmisanthrop. Autor. Sänger der Oldiepunkband FRONT. Zudem Herausgeber des gestreckten Mittelfinger Fanzines und Gründer und Moderator des Polytox Podcasts. Kolumnist des Sensor Magazins sowie Edelfeder für diverse Punkpublikationen. Non established seit 1979.
Deutschland anal
Wisst ihr noch, wie es war, als das mit Corona losging? Als sich das Virus exponentiell über den Globus ausbreitete und Deutschland für ein paar Wochen in den Shutdown ging? Als die Straßen verwaist waren und die Menschen mit Klorix gurgelten und Männer lernten, sich die Hände zu waschen? Als Analstufe Rot herrschte und die Menschen sich im Supermarkt um die letzte Packung Toilettenpapier prügelten, Nudelvorräte anlegten, die den Jahresbedarf eines italienischen Restaurants decken, und sogar Dosenwurst ausverkauft war? Als Social Media zur Bunkerbörse verkam: „Bei Rewe in der Aarstraße gibt es noch Ravioli“, „Der Penny in der Römergasse hat noch Mehl“, „Bei Aldi im Camp Lindsey habe ich Klopapier gesehen“. Die Babyboomer hatten endlich auch einen Grund zu bunkern. Einen richtigen Grund. Ein Virus, über das man zu diesem Zeitpunkt fast nur wusste, dass es töten kann. Nicht wie damals, als die Glühbirne zugunsten energiesparender und länger haltenden Erleuchtungskonzepte verboten wurde und sich trotzdem nicht wenige einen Mehrjahresvorrat der alten Stromfresser zulegten. Nein, dieses Mal war es ein waschechtes, gefährliches Virus.
Endlich konnte den Großeltern gezeigt werden, dass man ihre Bunkermentalität verinnerlicht hat. Dass man auch Vorräte anlegen kann, selbst wenn man dafür den SUV auf der Straße parken muss, um Platz in der Garage zu haben. Ob es an Guido Knopps Hitlertainment liegt? An diesen Erzählungen über die Bombennächte im Kartoffelkeller, die sich ins kollektive Gedächtnis gefressen haben? An diesem „Wir hatten ja nichts, nicht mal Klopapier“, das noch heute seltsam verklärt wird, zu einem Triumph, den Willen besessen zu haben, für eine größere Sache zu leiden? An diesen Erzählungen über die größte Not und das tapfere Hinnehmen, den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder, die letztendlich die Niederlage und das zerstörte Land zu einem Sieg über die Bombenwerfer umdeuten und gerne die Gründe für den Untergang verschweigen: den deutschen Größen- und Vernichtungswahn, das Fest- und Hochhalten alter Traditionen sowie die Verweigerung, sich neuen Dingen zu öffnen? Ich weiß es nicht. Aber noch heute gibt es Menschen in Deutschland, die glauben, dass sich der Buchdruck nicht durchsetzen wird und dass ein „Hitler, ohne das mit den Juden“ gut für das Land wäre.
Man erkennt diese Fixierung auf eine Führerfigur und das Festhalten am Altbewährten auch an der Geschichte der Demokratie.
Während in Europa ringsherum die Monarchenköpfe purzelten oder zumindest der Einfluss der Krone beschnitten wurde, reichte es den Deutschen nicht, nur einen König zu haben. Nein, es musste ein waschechter Kaiser sein! Denn da gab es einmal in grauer Vorzeit ein Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, das sich zwar als Nachfolger des längst untergegangenen Römischen Reiches verstand, aber eigentlich nichts damit zu tun hatte. Also wurde schnell der Fluxkompensator angeworfen und die verstaubte Kaiserkrone aus der Vergangenheit geholt. Dass der deutsche Kaiser auch nicht mehr zu bestimmen hatte als ein König und international einfach ein weiteres Staatsoberhaupt war, das am Verhandlungstisch saß, spielte keine Rolle. Hauptsache Glanz und Gloria und einen Kaiser mit Zwirbelbart, um den deutschen Minderwertigkeitskomplex zu befriedigen – selbst wenn Deutschland dabei wie der Gitarrist von Spinal Tab wirkte, der dem verdutzten Reporter erklärt, warum bei seinem Verstärker die Lautstärkeanzeige bis elf geht: „Die meisten Monarchien haben nur einen König. Wie willst du das steigern?“
„Ich weiß es nicht.“
„Gar nicht. Es geht nicht. Außer du hast einen Kaiser, wie wir. Und weißt du, was dann passiert?“
„Man fühlt sich bedeutender?“
„Genau. Dann bist du bedeutender als die anderen.“
„Aber ein König ist doch schon das Staatsoberhaupt, der höchste Würdenträger im Staat. Wo ist der Unterschied zu einem Kaiser?“
„Wir haben einen Kaiser. Die anderen nicht!“
Es ist so betrachtet kein Wunder, dass die Demokratie in Deutschland erst eine Chance hatte, als sie mit Waffengewalt durchgesetzt wurde. Noch heute wünschen sich nicht wenige das Kaiserreich zurück, weil es damals angeblich Meinungsfreiheit und Klopapier gab. Und einen Kaiser, dem parlamentarisches Geschwätz am Arsch vorbeiging. Dass dieser eine Impfpflicht angeordnet hat, vergessen die heutigen Kaiserfreunde allerdings gerne. Doch durch Fakten haben die sich noch nie ihre Geschichte kaputtmachen lassen. Die Sehnsucht nach dem starken Mann, gerade in Krisenzeiten, ist ungebrochen.
Das Bild, das den Irrsinn dieser damals beginnenden Corona-Hysterie am besten verdeutlichte, ist das Foto von Markus Söder, auf dem er wie ein Feldherr in einer Lagerhalle steht und mit entschlossenem Blick auf die mit Toilettenpapier gefüllten Regale blickt. Dieses Foto ist ein Versprechen. Es sagt uns: „Sorgt euch nicht. Euer Markus ist für euch da. Und solange ich das Sagen habe, wird sich kein Bürger den Hintern mit der Hand abwischen müssen!“ Und schon ist das Volk beruhigt. Endlich ein Politiker, der seine Untertanen kennt, der sie umsorgt und ihnen in diesen schweren Zeiten Zuversicht vermittelt. Andere Politiker hatten es da schwerer. Hitler musste Militärparaden abhalten, einen Weltkrieg anzetteln und sechs Millionen Juden vernichten, Helmut Kohl musste Deutschland vereinen und Gerhard Schröder sich immerhin noch mit Gummistiefeln im Elbhochwasser fotografieren lassen – Markus Söder dagegen muss sich nur in eine Lagerhalle voller Klopapier stellen, um der beliebteste Politiker Deutschlands zu werden.
Söder hat erkannt, was das Volk wirklich will: einen sauberen Arsch. Denn mit Hintern haben es die Deutschen. Wir haben eine merkwürdige Obsession mit dem Popo. Einerseits Lustobjekt und Namenspatron für Filmerzeugnisse wie „Po und Contra“, „Arschibald der Pornobutler“, „Im Gleichfick Arsch“ oder „Zunge weg, ich furze“. Andererseits ein Symbol der Abwertung. „Arsch“ und „Arschloch“ gehören zum Standardrepertoire der deutschen Sprache – manchmal genutzt zur kumpeligen Begrüßung („Na, du Arsch, wie geht’s?“), öfter als Beleidigung („Du Arschloch, du!“). Will man schwereres Geschütz auffahren und seinem Kontrahenten wirklich Schlimmes wünschen, soll diese Person „mal kräftig in den Arsch gefickt“ werden. Gleichzeitig schauen wir uns aber gerne einen Arschfick an und ziehen eine lustvolle Befriedigung daraus. Seit Jahren ist „Anal“ die beliebteste Kategorie nach „German“ bei deutschen Pornhub-Masturbatoren. Vermutlich wird beides auch gerne zusammen geschaut. Deutschland stöhnt vor Lust, wenn es in den Arsch gefickt wird.
Aber das deutsche Arschloch ist keine Einbahnstraße. Das wusste schon der Kanzler der Einheit: Wichtig ist, was hinten rauskommt! Und so verwundert es nicht, dass einer der beliebtesten Forumseinträge ever im deutschsprachigen Internet ein Eintrag aus einem Handwerkerforum aus dem Jahr 2005 ist. Ein besorgter Familienvater wollte wissen, bei welchen WC-Herstellern die Durchflussöffnung besonders groß ausgeführt ist. Also bei welchen Toiletten die Scheiße besonders gut durchrutscht. Denn, das muss man wissen: „Wir alle scheißen große Haufen.“ Im Anschluss passiert das, was schon immer im Internet passiert ist: eine hitzige Diskussion entbrennt. In dieser erfährt man so einiges. Zum Beispiel, dass es einen sogenannten „Normschiss“ gibt und in Thailand Elefanten WCs mit Wasserspülung nutzen. Andere Diskutanten empfehlen dem Familienvater eine Ernährungsumstellung oder gleich einen Arztbesuch, denn bei Haufen mit 7-8 cm Durchmesser gleiche der Stuhlgang wohl eher einer Geburt. „Ist doch kein Problem“, meint ein anderer, „alles, was durch eine 1-Zoll-Rosette passt, passt bestimmt auch durch ein 3-Zoll-Rohr.“ Andere Forumsmitglieder rufen um Hilfe, weil sie lachend unter dem Schreibtisch liegen und nicht mehr hochkommen. Irgendwann wird es dem Familienvater zu bunt. Er konkretisiert die Angaben in der Hoffnung, doch noch eine Antwort auf seine Frage zu bekommen: „Es geht nicht um den Durchmesser der Haufen, sondern eher um deren Volumen/Masse. Einlagen von 2-3 kg sind bei uns keine Seltenheit!“ Und dann explodiert der Thread erst richtig! Ob die Familie Blei frisst, will ein Kommentator wissen. Ein anderer stellt nüchtern fest: „2-3 kg? Das ist doch Größenwahnsinn!“
Den monatlichen Klogang auf mehrere, vielleicht sogar tägliche Sitzungen zu verteilen, wird ebenfalls empfohlen. Der fragende Familienvater merkt langsam, dass seine Frage nicht ernst genommen wird, und sieht sich zu einer erneuten Klarstellung bemüßigt: „Gewogen hab ich noch keinen Haufen, eher rechnerisch ermittelt. Hab mich vorher auf die Waage gestellt. Stolze 115,4 kg, nach dem Geschäft waren es noch 113,6 kg. Das macht, wenn man mal vernachlässigt, was ich in den 20 Minuten herausgeschwitzt habe, nach Adam Riese 1,8 Kilo.“
Manfred756 gibt sich damit nicht zufrieden: „Mhm, deine Berechnung mit dem Vorher-Nachher-Wiegen würde natürlich voraussetzen, dass du während des Geschäftes auch keinen Tropfen Pipi verloren hast. Meistens geht das aber zusammen ab. Sodass bei 1,8 kg Gewichtsverlust durchaus 800 g Flüssigkeit dabei gewesen sein können. Dann bliebe noch immer ein stolzer Zweipfünder als Häufchen. Respekt! Mir machen mittlerweile aber andere Dinge Sorgen. Wenn du, wie du sagt, einen Flachspüler von V&B hast, stelle ich mir gerade vor, wie das Wasser beim Spülen gegen diesen Fels brandet. Ich hoffe, du schmeißt den Deckel schnell genug zu.“
Dann betreten die Mathenerds die Arena. Die Dichte wird definiert und mit Pi und dem...
Erscheint lt. Verlag | 21.4.2021 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anarchie • Anti • Autorität • Bier • Deutschpunk • Feminismus • Freiheit • Gesellschaftskritik • Humor • Jugend • Kneipe • Kühe • Kurzgeschichten • Mitfahrgelegenheiten • Polizei • Punk • Satire • Skins • Veganismus • Wiesbaden |
ISBN-10 | 3-948949-11-5 / 3948949115 |
ISBN-13 | 978-3-948949-11-2 / 9783948949112 |
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