In 80 Zügen um die Welt (eBook)

Mein 72 000 Kilometer langes Abenteuer auf Schienen. National Geographic Traveller Book of the Year
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
400 Seiten
Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-8419-0769-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In 80 Zügen um die Welt -  Monisha Rajesh
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Als Monisha Rajesh verkündet, dass sie die Welt in 80 Zugreisen umrunden möchte, zweifelt ihr Umfeld stark an der Durchführbarkeit. Doch tatsächlich macht sie sich kurz darauf auf eine atemberaubende, über 70.000 Kilometer lange Reise durch zahlreiche Länder und Kontinente. Dabei lernt sie nicht nur die spannendsten Bahnstrecken der Welt, sondern auch jede Menge interessante Menschen kennen. Ein humorvoller, intimer Blick auf die Welt und eine Hommage an das Reisen mit der Eisenbahn.

Monisha Rajesh, geboren in Norfolk, Großbritannien, ist eine britische Journalistin und veröffentlichte u.a. Artikel im Time Magazine, der New York Times, dem Guardian und dem Sunday Telegraph, für welchen sie eine Kolumne über ihre Reise um die Welt schrieb. Monisha Rajesh lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in London.

Monisha Rajesh, geboren in Norfolk, Großbritannien, ist eine britische Journalistin und veröffentlichte u.a. Artikel im Time Magazine, der New York Times, dem Guardian und dem Sunday Telegraph, für welchen sie eine Kolumne über ihre Reise um die Welt schrieb. Monisha Rajesh lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in London.

2 | Die Welt ist klein


Das »Bomben« von Zügen ist in Moskau weit verbreitet. Pendlerzüge und innerstädtische Routen sind die Hauptziele, besonders neue Waggons, die gerade in Betrieb genommen wurden. Man braucht gute Nerven, Geschicklichkeit und schnelle Reaktionen, um Züge zu bomben, denn das Risiko, verhaftet zu werden, ist hoch. Der Adrenalinkick jedoch, verbunden mit dem Respekt der anderen Crews, schürt die Sucht. Pläne erfordern Präzision. Die Crews checken die Routen der Polizei, studieren Zugpläne, finden Versteckmöglichkeiten und hecken Fluchtwege aus, für den Fall, dass irgendwas schiefläuft. An einem grauen Nachmittag traf es auch uns: Auf dem Rückweg von Kubinka nach Moskau kam der Zug ächzend zum Stehen, maskierte Männer erklommen die Seiten so behände, als gehörten sie zu einer Sondereinheit des britischen SAS, und flitzten von einem Ende des Wagens zum anderen. Inmitten des schwachen Rasselns und Zischens der Sprühdosen konnte ich den Dunst der frischen Farbe riechen. Bevor wir überhaupt voll erfassten, was passierte, sprangen die Zugbegleiter hinunter und jagten die Crew weg, aber nicht bevor die Gruppe ihre fetten schwarz umrandeten Neontags hatte anbringen können.

Russische Graffitisprayer sind Teil einer wachsenden Gemeinschaft von Straßenkünstlern, von denen viele ihre Arbeit als Ausdruck ihres Widerstands gegen das System verstehen. Die staatlichen Behörden verlieren keine Zeit, die Graffitis wieder zu entfernen. Damit wird das Bomben von Zügen für die Sprayer besonders attraktiv, weil sie die Waggons als mobile Galerien behandeln und mit Stolz auf ihre durch die Stadt rollende Kunst blicken. Diese Allgegenwärtigkeit von Graffitis auf allen Zügen versetzte mich überall im Land in schlechte Laune. Natürlich sah man hin und wieder ein intelligent platziertes Tag, aber die meisten Werke gingen nicht über Frauenhass oder Vandalismus hinaus – das erwachsene Gegenstück zu einem Pimmel, den ein Schüler mit einem Zirkel in seine Schulbank ritzt. Während wir darauf warteten, dass sich der Zug wieder in Bewegung setzte, fiel mir direkt neben einem wulstigen wütenden »SLUT« (Schlampe) das gleiche UTOP-Tag auf, das ich schon zuvor auf der Strecke bemerkt hatte. Ich fragte mich, ob es sich um das Zeichen einer politischen Bewegung handelte oder ob es einfach die russische Übersetzung von »Slut« war. Beim Googeln stieß ich auf ein zweiminütiges Musikvideo der UTOP-Crew, in dem die Sprayer mit Elektrowerkzeugen und Metallschneidern ein Lüftungsgitter entfernten und es in einen Metrotunnel warfen. Über Nacht sprühten sie einen ganzen Wagen orange und schrieben darauf in sauberen riesigen Buchstaben ihren Namen und ein Augenpaar, das frech durch einen Schlitz spähte. Sie dokumentierten so aber nicht nur ihre Arbeit, sondern sie sorgten auch dafür, dass am nächsten Morgen einer aus der Crew auf dem Bahnsteig war, um die Ankunft des Zuges in all seiner neuen Glorie zu filmen. Wenn man das mögliche Nachspiel seitens der russischen Behörden bedenkt, war das ein ziemlich beeindruckendes Kunststück.

An jenem Morgen hatten wir den Pendlerzug nach Kubinka genommen, um Patriot Park einen Besuch abzustatten, Putins neueste Provokation. Der als »militärisches Disneyland« titulierte Park war vor zwei Tagen erst eröffnet worden und weltweit in den Nachrichten. Die Bilder zeigten über Panzer, Raketen und Panzerabwehrraketen kletternde Kinder. Wir dachten, es gäbe schlechtere Möglichkeiten, ein paar Stunden zu verbringen, und hatten die Metro bis zum Weißrussischen Bahnhof genommen, einem Reich von Kuppeln und Türmen in sterilem Grün. Den Zug hatten wir gerade noch so erwischt. Ich wusste sofort, dass wir einen Fehler gemacht hatten: Das Abteil glich einem alten Schulbus, mit Sitzen, die härter waren als Beton, und Gesichtern, die härter waren als die Sitze. Selbst am Rost bröckelte der Rost. Eigentlich hätten wir die Tour abbrechen sollen, aber schließlich war der ganze Sinn des Reisens, Dinge zu tun, die man normalerweise nicht tun würde; mein innerer Fatalist ließ mich also sitzen bleiben, als der Zug knarrend den Bahnhof verließ. In der nächsten Stunde begegneten uns unerträgliche Armut, Obdachlose, hungrig aussehende Kinder und mit Plastikplane abgedeckte behelfsmäßige Unterkünfte. Ich war mir nicht sicher, ob es sich hier um Russen handelte oder ukrainische Flüchtlinge, die vor dem kriegerischen Konflikt in Donezk und Luhansk geflohen waren, aber mein Unbehagen wuchs proportional zu unserer Entfernung von Moskau. Ich versank in meinem Sitz.

Das Leben hier meinte es nicht gut mit den Menschen. Ihre Fingerknöchel waren wund und schwielig von der harten Arbeit und ihre schäbiges Schuhwerk völlig ungeeignet bei dem Regenwetter. Blasse Augen starrten aus blutleeren Gesichtern – keine verstohlenen Blicke, sondern bewusstes Anstieren. Verschränkte Arme enthüllten verblassende grüne Tätowierungen, heruntergezogene Mundwinkel waren voller Fieberbläschen. Ich quetschte mich verschüchtert in eine Ecke, blickte starr aus dem Fenster, versuchte, jeglichen Augenkontakt zu vermeiden, und wünschte, wir wären in der Hauptstadt geblieben. Über die nächsten eineinhalb Stunden leerte sich das zunächst überfüllte Abteil bis auf zwei Männer und eine alte Frau. Die Männer trugen Trägerhemden und Jogginghosen und drehten sich alle paar Minuten zu uns herum, umarmten ihre Rückenlehne mit ihren muskulösen Oberarmen und sahen zu uns.

»Sollen wir ein anderes Abteil suchen?«, flüsterte Jem.

»Vielleicht. Ich hoffe, dass die bald aussteigen.«

»Wenigstens ist die alte Dame noch da. Die werden uns nichts tun, solange sie noch hinter uns sitzt.«

Ich schaute mich nach ihr um. »Sie hat sich die ganze Stunde nicht bewegt, und ich glaube, sie hat sich in die Hose gemacht.«

Der Zug wurde langsamer, und ich bemerkte mit Erleichterung, dass wir fast am Bahnsteig in Kubinka waren. Laut vor sich hin jammernd war die Frau inzwischen aufgewacht, schlug mit dem Kopf gegen die Lehne ihres Vordersitzes und schleuderte wahllose Beschimpfungen in den Raum. Zu ihren Füßen hatte sich eine Urinlache gebildet. Die Männer waren das geringste unserer Probleme, aber auf unserem Weg über die Fußgängerüberführung folgten sie uns dicht auf den Fersen und spuckten in Richtung meiner Beine, als sie uns schließlich überholten.

»Was machen wir überhaupt hier? Lass uns einfach den Zug zurück nach Moskau nehmen«, sagte ich und machte einen Bogen um die Spucke.

»Jetzt sind wir schon mal da. Lass uns den Park finden und schnell durchgehen, dann machen wir uns auf den Rückweg. Wenn du willst, nehmen wir einen Uber zurück nach Moskau.«

Von »Patriot Park« schien noch niemand gehört zu haben. Obwohl die Übersetzung aus dem Russischen eindeutig »Park Patriot« ergab und wir den Namen zudem noch in kyrillisch notiert hatten, machten absichtliche Ignoranz – in Verbindung mit offener Feindseligkeit – unsere Bemühungen, ein Taxi zu finden, unmöglich, bis uns ein Fahrer in einem Tarnanzug auf den Rücksitz seines Autos bugsierte und mit rasender Geschwindigkeit in Richtung Schnellstraße losfuhr.

»Ist das ein echtes Taxi?«, fragte Jem und fingerte nach dem Sicherheitsgurt. »Es gibt keinen Taxameter.«

»Ich hab Angst, zu fragen.«

Der Fahrer schien sich auszukennen und beschleunigte auf der Zufahrt zur Schnellstraße. Er schlängelte sich durch den Verkehr, raste wie ein Irrer an Lastwagen und Transportern vorbei und drehte sich schließlich zu uns um und fragte irgendwas auf Russisch. Jem hatte eine kostenlose App auf sein iPhone geladen und versuchte, es dem Fahrer an sein Ohr zu halten. Dieser schlug ihm das Handy mit seiner Pranke aus der Hand und nahm eine Ausfahrt, die zu einem riesigen Parkplatz führte.

»Park Patriot«, verkündete er und bremste abrupt.

Es war dort rein gar nichts zu sehen, außer einem Kongresszentrum und ein paar Panzern. Über die Lautsprecher plärrte kommunistische Musik.

»Das kann nicht der richtige Ort sein, hier gibt’s überhaupt nichts zu sehen!«

»Park Patriot«, wiederholte er und klopfte mit jeder Silbe auf das Lenkrad. Er riss die Tür auf und schlurfte schwerfällig davon, als wolle er sich erkundigen; schließlich verschwand er in einem rosafarbenen WC-Häuschen.

»Sollen wir aufgeben und zurück zum Bahnhof fahren?«

»Wahrscheinlich das Beste.«

Der Fahrer wischte seine Hand an seinem Hemd ab, stieg wieder ein, lenkte das Auto vom Bordstein weg und raste über den leeren Parkplatz. Jem lehnte sich mit seiner App nach vorne und bat den Fahrer, zurück zum Bahnhof zu fahren.

»Elektrische?«, fragte der.

»Nein. Bahnhof. Zug«, sagte Jem und machte mit seinen Armen eine Radbewegung.

»Elektrische?«, schrie der Fahrer und lief purpurrot an.

Jem drehte sich um. »Warum sagt er andauernd Elektrische?«

»Keine Ahnung. Lass uns einfach zum Bahnhof zurückkehren.«

Der Fahrer hielt einen Finger hoch und nickte. Er schien jetzt verstanden zu haben und schwenkte vom Parkplatz zurück zur Schnellstraße. Jem legte seinen Sicherheitsgurt an. »Was ist das für ein komisches Teil hier an dem Gurt? Scheint aus einem …«

»Rettungswagen ausgeschnitten zu sein?«

»Ja, genau.«

Unser Fahrer überholte jedes Fahrzeug, das er sah, überquerte dabei drei Fahrbahnen und touchierte auch noch die Stoßstange eines Ladas, bevor er sich auf die Zufahrt einfädelte.

»Der bringt uns noch um«, stöhnte Jem.

»Moment mal, so sind wir nicht hergekommen.«

Inzwischen rumpelten wir einen Feldweg entlang. Der Fahrer hatte uns zum in...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Abenteuer • Bahn • Klimaschutz • Menschen • Orient Express • Umwelt • Umweltbewusstsein • Weltreise • Züge • Zugfahren
ISBN-10 3-8419-0769-5 / 3841907695
ISBN-13 978-3-8419-0769-1 / 9783841907691
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