Diebe des Lichts (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-27140-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Diebe des Lichts -  Philipp Blom
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Seit Sander als Junge 1572 in Flandern miterleben musste, wie sein Vater von den spanischen Besatzern ermordet wurde, ist er ein Getriebener. Ein Meister bildet ihn als Blumenmaler aus, und sein Bruder Hugo, der nach dem Tod seiner Eltern verstummt ist, mischt für ihn die Farben.

Doch Hugo ist ebenso jähzornig und unberechenbar wie sanft, und als er ein Gewaltverbrechen begeht, müssen er und Sander fliehen. Sie finden Anstellung in einem Atelier in Rom, erleben die Verschwendungen des Papstes, die Intrigen im Kardinalspalast von Neapel und beide auf ihre unterschiedliche Art die Freuden verbotener Liebe. Immer wieder entdeckt Sander einen Ausweg aus scheinbar aussichtslosen Abenteuern.

Ein großer Roman, der prägende Gestalten wie Giordano Bruno, Caravaggio und die großen Kleriker lebendig macht.

Philipp Blom wurde 1970 in Hamburg geboren. Er studierte Geschichte, Philosophie und Judaistik in Wien und in Oxford, wo er 1996 promovierte. Seine historischen Sachbücher wie 'Der taumelnde Kontinent. Europa 1900-1914' (2009) und 'Die zerrissenen Jahre. 1918-1938' (2014) waren gefeierte Bestseller. Philipp Blom wurde mit dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis und dem NDR-Kultur-Sachbuchpreis ausgezeichnet. 2018 hielt er die Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen. Diebe des Lichts ist sein erster historischer Roman.

Der Autor lebt und arbeitet in Wien.

PROLOG

DIE KRÄHE

Niederlande, 1572

Die Krähe sitzt auf dem höchsten Ast des Baumes.

Von hier aus kann sie alles überblicken. Der Wind zerrt an ihrem Gefieder, versetzt die dünneren Zweige in ein irres Schwanken. Es ist kalt, ein fahler Apriltag. Sie sieht hinunter auf die Menschen unter sich, auf ihren Krieg.

Sie kennt den Krieg unter Krähen, zwischen Krähen und anderen Vögeln, schwärmende Luftgefechte mit Krallen und scharfen Schnäbeln, sie kennt die Kämpfe zwischen Krähen und Ratten und Mardern, die Nester plündern, aber die Menschen sind die Schlimmsten, denn sie bekriegen sich mehr als alle anderen.

Wenn die Menschen Krieg haben, haben die Krähen gut zu fressen. Frisches Fleisch, Körper, gerade zu Boden gefallen und noch warm, oder aufgehängt an langen Seilen als langsam sich um die eigene Achse drehendes Festmahl, das mit den weichen Augen und Lippen beginnt.

Die Krähe hat schon viel gesehen. Das, was jetzt da unten passiert, zieht sich länger hin als sonst. Es wird also ein großes Fressen geben. Sie schaut auf die weit aufgerissenen Augen, die Leiber.

Die Krähe hat die Fremden schon eine Weile auf ihrem Weg begleitet, denn wo sie sind, fällt auch meistens etwas ab. Diesmal ist es nur ein kleiner Trupp. Drei von ihnen sitzen auf Pferden, die weiße Wolken in die kalte Morgenluft ausschnauben. Dann kommt eine Gruppe, die zu Fuß hinter ihnen herläuft. Der gefrorene Dreck, den die Pferdehufe rückwärtsschleudern, formt Spritzer auf ihren Helmen und Brustpanzern, ihren gepluderten Kniehosen und den hohen Stiefeln. Sie mussten rennen, um nicht den Anschluss an die Reiter zu verlieren, und sie atmen schwer. Auch ihre Hunde, groß wie Kälber, sind müde von der Jagd. Lange weiße Fäden hängen von ihren Lefzen. Die Peitsche trifft die Nachzügler, ein beißender Blitz lässt sie jaulend aufschließen zu den anderen.

Sie sind noch bei Dunkelheit aufgebrochen. Jetzt kommen schon die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont. Die Krähe kann die weiße Scheibe über der flachen Landschaft sehen, aber die Gruppe unter ihr hastet noch durch die Dämmerung, zwanzig Männer mit Harnisch und Helm und der Priester, die vor Kälte starren Finger in die Zügel gekrallt.

»Der Herr selbst hat dieses sonnenlose, flache Land verdammt und mit Dämonen bevölkert!«, ruft ihr Anführer den anderen zu. »Listig und verschlagen und verstockt sind sie, zu allem fähig!«

»Da, da muss es sein!«, ruft ein Soldat, als die Silhouette eines Dorfes in der weißen Morgendämmerung erscheint. Der Anführer stößt seinem Pferd die langen Sporen in die Flanken, und das Tier, den Schaum vorm Maul, bricht dunkel röchelnd in Galopp auf den Weiler zu, der aus dem Nebel auftaucht.

Die Häuser stehen geduckt im Kreis, die regenschwarzen Rieddächer fast bis an den Boden gezogen, dunkelrote Ziegel, verschlossene Fensterläden, der riesige Baum in der Mitte des Dorfplatzes in kahler Totenstarre. Feindesland. Hunde bellen wütend hinter den Hoftoren, und die Bluthunde der Spanier stehen mit zitternden Flanken und hängenden Zungen neben den Pferden, zu erschöpft, um zu antworten.

»Raus!«, befiehlt der Anführer seinen Männern. »Holt sie alle raus und bringt sie zu dem Baum, Frauen und Kinder und Alte, alle!«

Die Soldaten schwärmen aus, drei pro Gehöft, hämmern mit ihren Lanzen und Musketen gegen die Tore. Hundeheulen, Frauengeschrei, weinende Kinderstimmen, gebrüllte Befehle, Schläge mit den Lanzenstangen, Flüche.

Der Anführer, der nicht vom Pferd gestiegen ist, blickt auf die Szene, die sich zu seinen schlammbespritzten Füßen abspielt. Der Priester steht neben ihm, im Dreck. Er spricht die Sprache der Menschen hier, ein barbarisches, kehliges Gestammel in den Ohren aller Spanier.

Wie ihr eigenes Vieh werden die Leute aus ihren Häusern getrieben, die Frauen mit Kopftüchern mit greinenden Kindern um sie herum, die Männer unter den Schlägen der Soldaten mit geduckten Köpfen, einige bluten aus Mund und Nase. Dann stehen sie da, von Lanzen und Musketen be-
droht, die Rücken gegen den kahlen Lindenbaum, den drei Männer nicht umspannen könnten.

Das Pferd des Kommandanten tänzelt nervös vor den vielen Leibern herum, und er reißt es so hart am Zügel, dass es den rabenschwarzen Kopf vor Schmerz und verletztem Stolz in die Höhe wirft. Wütendes Wiehern sticht in den Morgen, dann ist Stille. Nicht einmal die Hunde bellen, nur vereinzelt ein trotziges Kläffen. Die Bauern stehen um den großen Baum zusammengetrieben, Körper an frierendem Körper. Dann beginnt der Kommandant, in seiner fremden Sprache zu sprechen, der Pater übersetzt seine Worte.

»Gestern sind Rebellen durch das Dorf gekommen, drei oder vier Mann. Einer von ihnen ist verletzt. Wir wissen, dass sie hier sein müssen. Wer hat sie gesehen?« Der Kommandant blickt vom Pferd aus über die stumpfen Gesichter, die niedergeschlagenen Augen.

»Ich weiß, dass sie hier waren. Habt ihr sie versteckt? Wo sind sie? Der Herr in seiner Güte gibt euch durch mich Gelegenheit, eure Sünde zu bereuen. Gebt sie heraus, und niemandem soll etwas geschehen!«

Stille.

»Du!« Er zeigt mit seinem Degen auf einen der Männer, dessen aufgeplatzte Lippe blutet. Sofort nehmen ihn zwei Soldaten bei den Schultern und stoßen ihn vorwärts. Er wehrt ihre Hände ab und wird mit einem krachenden Schlag von einem Musketenkolben in den Schlamm gestoßen. Das Pferd macht einen Schritt zurück. Die Hunde stellen ihre Nackenhaare auf und knurren den Gestürzten an.

»Du! Wo habt ihr sie versteckt?«

Der Mann, der auf Händen und Knien kauert, zittert. Es ist kalt. Vielleicht ist es auch die Angst. Die Hunde blecken die Zähne und warten nur auf ihren Befehl. Der Mann im Schlamm fängt an, in seinem dunklen, gutturalen Dialekt zu sprechen.

»Er sagt, er weiß nichts«, übersetzt der Priester. »Er sagt, dass niemand hier jemanden gesehen hat und dass sie gottesfürchtige Leute sind. Sie kennen keine Rebellen und haben nichts mit ihnen zu tun. Sie sind arm hier, der Winter war hart, sie haben genug Sorgen, sagt er.«

»Und ihr anderen? Wer hat etwas gesehen?«

Zu Boden gesenkte Blicke. Ein Säugling weint auf dem Arm einer Frau. Irgendwo zwischen den Menschenleibern murmelt eine Stimme.

»Du! Wer ist das? Packt ihn mir!«

Die Soldaten drängen sich zwischen die stummen Körper und ziehen einen Alten heraus.

»Was hast du gesehen? Antworte! Müssen wir es rausprügeln aus dir?«

Der alte Mann starrt trotzig vor sich hin, und seine Lippen bewegen sich weiter.

»Rede schon! Los!«, ruft der Kommandant, bevor er
sich dann an seinen Soldaten richtet: »Hilf ihm, sich zu er-
innern!«

Ein Lanzenschaft trifft den Greis in die Kniekehlen, und er sackt in sich zusammen, neben den anderen. Dann kommen die Schläge. Hohl klingen sie, und der Körper des Alten stöhnt. Blut bricht aus seinem murmelnden Mund. Eine in der Gruppe schreit auf.

»Sie sollen aufhören zu schlagen«, übersetzt der Pater sorgfältig. »Der Alte weiß nichts, seit Jahren schon ist er nicht mehr bei Sinnen. Man kann ihn totschlagen, aber schon jetzt ist kein Geist mehr in ihm.«

»Sag ihnen, dass ich ihn totschlagen lasse, wenn sie nicht reden.«

Die Körper um den schwarzen Baum sind still, nur der Alte im Schlamm stöhnt und murmelt weiter. Ein Faden roter Speichel rinnt aus seinem Mund.

»Und wenn sie wirklich nichts wissen?«, fragt der Priester seinen Kommandanten. Der greift in seine Tasche und zieht einen Beutel Geld heraus.

»Der Winter war hart, ich weiß!«, ruft er. »Aber Spanien ist euer Freund, und der Herr ist gütig und wird euch helfen. Einen Philippstaler für den, der mir sagt, wo ich sie finden kann!«

Stille.

Der Anführer dreht sein Pferd und reitet im Schritt um die Bauern herum, die in ihren dünnen Nachtkleidern in der Kälte zittern. Wie ein böser Hirtenhund kreist er um den Baum und studiert die Gesichter. Ist es möglich, dass die Rebellen weitergeflüchtet sind, trotz der Verwundeten, dass sie irgendwo im Wald sind, der da drüben anfängt, oder längst meilenweit voraus? Vielleicht haben sie hier in der Nacht nur Pferde gestohlen und entkommen ihm jetzt, während er mit den Bauern seine Zeit vertut?

Da hört er es, das triumphale Bellen, das Jaulen. Zwei der Bluthunde haben sich von der Meute weggeschlichen. Sie haben eine Spur gefunden, die zu einem der Höfe führt.

»Wessen Hof ist das?« Die Stimme des Kommandanten hat ihre Härte zurückgefunden.

»Bringt mir den Bauern, schnell!«

Bewegung kommt in die Gruppe, Stöße und Schreie, unterdrückte Wut. Die Soldaten packen einen kräftigen Mann, besser gekleidet als die anderen, mit einem Mantel, den er sich über das lange Hemd geworfen hat. Er sieht dem Kommandanten direkt ins Auge.

»Wo sind sie, Bauer, wo?«

»Bei ihm werdet Ihr nichts finden«, flüstert der Priester ihm zu, und dann noch: »Aber was er auch sagen wird, er lügt!«

»Sag ihm, dass meine Hunde den Feind bald finden werden, dass wir sie durch ein Haus nach dem anderen jagen werden, bis sie frisches Blut lecken, direkt aus den Wunden der Teufel, die sie versteckt halten. Sag ihm, wie hungrig unsere Hunde sind. Und sag ihm auch, dass für jeden Hof,
in dem wir nichts finden, ein Mann an diesem Baum auf-
geknüpft wird, dass er selbst der Letzte sein wird, der von den Ästen baumelt, und dass er Leben retten kann, wenn er uns jetzt zeigt, wo sie...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Brüder, Liebe • Caravaggio • Das jüngste Gericht • eBooks • Giordano Bruno • Glaubenskriege • Historische Romane • Inquisition • Maler der Renaissance • Papsttum • Rache • Renaissance • Rom, Neapel
ISBN-10 3-641-27140-1 / 3641271401
ISBN-13 978-3-641-27140-4 / 9783641271404
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