Weihnachtsgeschichten (eBook)
180 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-1346-4 (ISBN)
Paul Heyse war ein deutscher Dichter und Autor. Er wurde geboren am 15. März 1830 in Berlin und verstarb am 2. April 1914 in München.
Eine Weihnachtsbescherung.
(1889)
Nu lassen Sie's aber gut sein, Herr Wachtmeister! 's ist ein staatiöses Bäumchen, 'ne Prinzeß könnte damit zufrieden sein. Wenn die Selige 'runtersehen könnte –
Glauben Sie nicht, daß sie's kann, Webern?
Natürlich kann sie's und wird sie's, und zumal am Heiligabend, Herr Wachtmeister. Erscheinen kann sie uns ja nicht, denn mit dem Spiritus, womit sie jetzt die Geister beschwören, ist's doch bloß Humburg, und was Christenmenschen sind, die glauben nicht dran. Denn warum? Erst am jüngsten Tage sollen wir wieder auferweckt werden und bis dahin unser Schläfchen machen, steht in der heiligen Schrift. Aber träumen thun sie doch wohl, die armen Seelen, na und Denen, die Gott lieben, giebt er's im Traum. Da wird er's der Rosel doch wohl auch geben, daß sie das Weihnachtsbäumchen sieht, das ihr lieber Mann ihr geputzt hat. So meine ich, Herr Wachtmeister. Aber nun trinken Sie Ihren Kaffee. Ich habe ihn freilich in die Röhre gestellt; aber der alte Ofen ist wie'n alter Mensch, dem geht das bischen Wärme bald aus, wenn nicht immer wieder nachgelegt wird, und draußen friert's Stein und Bein, und Sie haben noch einen weiten Weg, Herr Hartlaub.
Bloß noch das Pfefferkuchenherz, Weberken. Das gehört dazu, ohne das wär's nicht complet. So eins hab' ich ihr bei unserm ersten Weihnachten an den Baum gebunden, und denn alle die zehn Jahre, und 's wär' kein Heiligabend gewesen, ohne das Herz, und immer was Anders hab' ich ihr 'reingesteckt, 'mal einen silbernen Fingerhut, 'mal eine Broche, das letzte Mal die kleine Uhr, immer was Andres und Theureres, denn wir kamen ja so sachtchen in bessere Umstände; das Herz aber war immer aus demselben Laden, und die Mandeln und das Citronat saßen auf demselben Fleck. Heute hab' ich Nichts drangesteckt; der arme Narr könnte ja keinen Spaß mehr dran haben, der braucht keine Broche mehr und hört keine Uhr mehr schlagen in seiner Ewigkeit, und das Geld dafür soll lieber ein armer Mensch kriegen. Meinen Sie nicht, Webern?
Ja ja ja, Herr Wachtmeister. Wie Sie's machen, so ist's recht. Aber nun trinken Sie auch Ihren Kaffee. 's ist schon Sieben. Der Kirchhof wird sonst geschlossen.
O deßwegen, Frau Nachbarin – da eilt's nicht. Der Kirchhofsverwalter ist mein guter Freund, der hat manche Flasche Gilka von mir besehen. Wenn ich um Mitternacht anklingelte und sagte: Ich muß partu noch in dieser Nacht einen Blumentopf auf das Grab von meiner Rosel pflanzen, Herr Liborius! – er schnitte nicht 'mal ein Gesicht. Aber wenn Sie meinen, Webern – mir ist wirklich ein bischen flau zu Muthe, habe seit Zwölf keinen Bissen gegessen und nicht 'mal geraucht. Denn so 'nen Baum putzen, dazu muß ich meinen Kopf zusammennehmen und meine groben sieben Finger. Sonst war's der Rosel ihr Geschäft. Die konnte Alles. So Eine kommt nicht wieder. – –
Dieses Zwiegespräch wurde in einer geräumigen, aber niederen Dachkammer geführt, in welcher ein mannshoher schwarzer Kachelofen nur noch gerade so viel Wärme verbreitete, daß man den Hauch des eignen Mundes nicht sah, während die Eisblumen an den Scheiben des einzigen Fensters schon wieder die schönsten glitzernden Blätter entfalteten. Im Uebrigen sah es, so viel die kleine Lampe mit der grünlackirten Glocke erkennen ließ, recht wohnlich aus bei dem Wachtmeister Fritz Hartlaub, nicht sowohl durch sein Verdienst, als weil die gute dicke Frau, die breitspurig, die Hände gegen die Schenkel gestemmt, auf der wollenen Decke des Feldbettes saß, ihm sein bischen Mobiliar in sauberem Stande hielt und die Oeldruckbilder an den Wänden, welche den Kaiser, den Fürsten Bismarck, Moltke, Werder und einige andere große Generale darstellten, fleißig mit einem großen Schwamm bearbeitete. Die eine Wand war abgeschrägt, und in der tiefen Fensternische stand ein altes braunes Nähtischchen mit einem Arbeitskörbchen, daneben in einem blankgeputzten Messingrähmchen die Photographie einer vierschrötigen Frau im Hochzeitsstaat, ganze Figur, die Hände in weißen Handschuhen, das Gesicht mit derben, gutmüthigen Zügen ganz von vorn. Ein vertrocknetes Myrtenzweiglein war um das kleine Gestell gewunden, ein silberner Fingerhut stand aufrecht wie eine kleine Schildwache davor. Darüber aber, an der Nischenwand, hing ein Vogelbauer, in welchem ein Zeisig jetzt den Kopf unter den linken Flügel geduckt lautlos auf seiner Stange saß.
Der Inhaber dieses bescheidenen Quartiers stand in der Mitte des Gemachs vor einem viereckigen, mit einem verblichenen Teppich bedeckten Tische, auf welchem das mehrerwähnte Christbäumchen seine mit bunten Wachskerzchen besteckten, mit Ketten aus Goldpapier umzirkten, hie und da von einer vergoldeten Nuß durchfunkelten Zweige ausbreitete. Es reichte so dicht an die niedere Zimmerdecke, daß die oberste Spitze ihre grünen Nadeln umbiegen mußte. Sein Herr aber hätte sich nicht auf den Zehen emporrecken dürfen, ohne mit dem Scheitel den losen Kalk abzustoßen. Die stramme Gestalt steckte in einem sauber gebürsteten Waffenrock, auf dessen linker Brustseite neben etlichen Kriegsdenkmünzen das eiserne Kreuz befestigt war. Auf den breiten Schultern saß ein massiver militärisch frisierter Kopf, Schnurr- und Backenbart genau nach dem Vorbilde des alten Kaiser Wilhelm zugestutzt und schon sichtbar angegraut, während das braune Kopfhaar und die frische Gesichtsfarbe noch keine Spur frühzeitigen Alterns zeigte. Er hatte die starken blonden Augenbrauen dicht zusammengezogen, wie Jemand, der ein schweres Werk mit dem Aufgebot seiner ganzen Geisteskraft zu verrichten hat, obwohl es nur galt, unten am Stamm des Bäumchens ein handgroßes Pfefferkuchenherz mit einem Bindfaden zu befestigen. Seine großen Hände waren freilich um so unbehülflicher, da an der Linken die drei Mittelfinger fehlten. Ein breiter Streifen von schwarzem Leder verdeckte die Lücke, oder lenkte vielmehr den Blick sofort darauf hin. Im linken Mundwinkel hing dem eifrig Arbeitenden eine kurze Pfeife, die schon seit mehreren Stunden nicht in Brand gesetzt worden war. Denn, Webern, hatte er gesagt, während ich den Baum putze, darf sie nicht brennen. 's ist, wie wenn ich im Dienst hätte rauchen wollen. Alles mit Art.
Nun war der letzte Knoten geknüpft, der Künstler trat einen Schritt zurück und betrachtete mit schwermüthiger Zufriedenheit sein Werk.
Jetzt aber den Kaffee! sagte die Frau und stand auf. Da setz' ich Ihnen den Stuhl an die Kommode, und dann trinken Sie, und hernach, wenn Sie wiederkommen – Sie müssen wissen, ich bin heut Abend unten allein; mein Sohn, der Wilhelm, ist bei seiner Braut. Na, sie ist ja ein ordentliches Mädchen, was auch Gemüth und Manierlichkeit hat, und die Eltern haben sie eigens zu mir geschickt, ich sollt' doch auch den Heiligabend bei ihnen sein, sie hätten so schöne Karpfen und Mohnpielen. Aber die alte Webern ist auf keinem Ohr taub, trotz ihrer Sechzig, und daß so ein Ziegeleibesitzer nicht gerade unglücklich drüber ist, wenn die Mutter von seinem künftigen Schwiegersohn, dem Ingenieur, ihre Feste nicht mitfeiert und er sie vorstellen muß: Madame Weber, approbirte Hebeamme – nicht wahr, Herr Wachtmeister, um das zu merken braucht man kein Sonntagskind zu sein. Aber Sie essen ja nicht. Die Weihnachtsstolle habe ich selbst gebacken – sie ist so schön aufgegangen – kosten Sie bloß!
Frau Nachbarin, sagte der Mann, der vor der Kommodenecke saß und tiefsinnig mit dem Löffel in dem braunen Trank herumruderte – es ist mir nicht nach Stolle zu Muthe. Vorm Jahr um die Zeit – ich muß immer denken –
Vom Denken wird man nicht warm, Herr Wachtmeister, und Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.
Wohl, wohl, Webern! Aber wissen Sie, wie ich am vorigen Heiligabend auch so hier saß – ich war erst vor vierzehn Tagen eingezogen, mein Kopf war noch nicht recht wieder beisammen – daß ich den Abschied hatte nehmen müssen nach dreißig Dienstjahren, das konnt' ich nicht hinunterwürgen – es war ja mit Ehren, weil der Tolpatsch, der Gefreite, wie er mir seinen neuen Revolver zeigen wollte, mir die drei Finger weggeknallt hatte, und Krüppel kann unser Kaiser nicht brauchen – aber dennoch, so vom königlich preußischen Wachtmeister zu 'nem simplen Kassenboten bei der Bank degradirt zu sein – 's giebt einem invaliden Soldaten 'nen Riß, Webern, und der war noch ganz frisch damals am ersten Heiligabend ohne die Rosel. Und sie war erst drei Monat unterm Rasen, und ich wußt' mir ohne sie so wenig zu helfen, wie'n Dreimonatskind ohne Muttern. Und da kamen Sie herauf, Weberken, und brachten mir das Packet, das Sie in ihrem Wäschspinde gefunden hatten, noch auf ihrem Krankenbett von ihr eingewickelt und zupitschiert, und mit ihrer festen Hand hatte sie die Adresse draufgeschrieben: »An meinen lieben Mann zu Weihnachten, wenn ich bis dahin nicht wieder auf sein sollte. Rosalie Hartlaub.« Wissen Sie noch, Webern?
Wie sollte ich nicht, Herr Wachtmeister! Aber Sie dürfen nicht zu viel dran denken, es regt Sie auf, und der Kaffee wird noch kälter.
Kalter Kaffee macht schön! sagte die Rosel, wenn ich ihr zuredete, wie Sie jetzt...
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2021 |
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Reihe/Serie | Taschenbuch-Literatur-Klassiker |
Taschenbuch-Literatur-Klassiker | |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
Schlagworte | Paul Heyse • Taschenbuch-Literatur-Klassiker • Weihnachten • Weihnachtsgeschichten |
ISBN-10 | 3-7534-1346-1 / 3753413461 |
ISBN-13 | 978-3-7534-1346-4 / 9783753413464 |
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