12 Farben Grün – Eine Entdeckungsreise durch die Natur (eBook)

Eine Entdeckungsreise durch die Natur

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
320 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-5010-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

12 Farben Grün – Eine Entdeckungsreise durch die Natur - Carsten Kluth
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»Der Lärm der Vögel erzählt von einem Lebenskreis, den wir nicht mehr kennen, aber umso mehr vermissen.«

Nach über zwanzig Jahren in Berlin zieht Carsten Kluth mit seiner Familie aufs holsteinische Land in das ehemalige Haus seines Großvaters. Eine Gelegenheit, sich Platz zu schaffen - und die Miete zu sparen, die man sich in der Hauptstadt als fünfköpfige Familie ohnehin nicht mehr leisten kann.

Er kennt das Stück Land seit seiner Kindheit, nun beginnt er es von Neuem zu entdecken. Staunend beobachtet er die Pflanzen, Moose, Pilze, Flechten und Insekten um ihn herum: das Kriechende Fingerkraut, die Hufeisen-Azurjungfer-Libellen, die Bachröhrenwürmer, den Kleinen Wiesenknopf ... Carsten Kluths Beschreibungen entwickeln einen eigentümlichen Sog hinein in die Tiefen der Natur, deren Formen und Farben selten dem Bild entsprechen, das wir uns gewöhnlich von ihr machen.

Besonnen und dennoch mit Hingabe schildert er, wie sich seine Umgebung über das Jahr hinweg verändert - und versucht sie dabei mit allen Sinnen zu erfahren. Carsten Kluth zeichnet dabei ein ganz eigenes, poetisches Bild der Natur.

Eine Einladung, die Natur in all ihren Facetten neu zu entdecken

»Die Farben wandern von den Bäumen auf den Boden. Unterm Birnbaum das Braunschwarz der Birnbaumblätter, unterm Walnussbaum ein fröhliches Gelb, ein glimmend rotgelber Teppich unter der alten Kirsche, hellgelbes Gestöber der Birken. In den Himmeln ein Flimmern der Verzweigungen, wie die Mündungsgebiete großer Flüsse. Der Sommer ist die aquarellistische Jahreszeit, der Winter zeichnet; dazwischen die Unentschiedenen.«



CARSTEN KLUTH, geboren 1972, hat in Berlin und Albany (New York) Politische Wissenschaften studiert. Er ist Berater für Politik und Wirtschaft und arbeitet u. a. für die Europäische Kommission. 2016 entschloss er sich, Berlin zu verlassen, und lebt seitdem mit seiner Familie in der Nähe von Bad Schwartau auf dem holsteinischen Land. Dort erkundet er neben seiner Bibliothek auch seinen wild wuchernden Garten. Für »12 Farben Grün« war er zum ersten Nature-Writing-Seminar des Literaturhauses München eingeladen, das in Kooperation mit dem Deutschen Preis für Nature Writing stattfand. Zudem war er Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB), 2013 erschien sein erster Roman »Wenn das Land still ist«.

FEBRUAR

Kein Mensch kennt den Torpor aus eigener Erfahrung, diese Fähigkeit der winterschlafenden Säugetiere, den Kreislauf stunden- bis monateweise auf ein Minimum herunterzufahren, keine oder kaum noch Nahrung zu sich zu nehmen, selbst auf Flüssigkeit lange verzichten zu können. Am nächsten kommt der Mensch diesem Zustand sicherlich über den Umweg der seelischen Zerrüttung, dann nämlich, wenn ihn die Niedergeschlagenheit erstarren lässt, ein Stupor, ein Zustand der Bewegungslosigkeit, des fehlenden Antriebs. Eine Freundin schrieb einmal über die Tage, an denen sie auf dem Sofa saß und nicht in der Lage war, die Vorhänge zu öffnen, der Stoffwechsel der Seele heruntergefahren. Ein Tier im Torpor hat in diesem Zustand Chancen, den Winter zu überleben (allerdings sterben trotzdem die meisten Mäuse und kleinen Vögel, ganz zu schweigen von den Insekten in ihrer Winterstarre, die vom Tod nur durch ein wenig Zucker geschützt sind, der den Frost in den Arterien bis zu einigen Minusgraden verhindern kann); ein Mensch im Stupor überlebt schon den Sommer kaum ohne Hilfe, den Winter gar nicht. Der menschliche Körper produziert ununterbrochen Wärme, und der Mensch kann diese Wärme durch Kleidung, Decken, Hauswände zu einem guten Teil davon abhalten, für immer verloren zu gehen, und muss doch ab einem gewissen Punkt zusätzliche Wärme erschaffen, sobald er sich in Gebieten aufhält, die seine Körpertemperatur langfristig absenken. Mit einem Wort: Er braucht Holz, das er verbrennen kann, und in diesem Bedürfnis liegt einer der großen Unterschiede zwischen dem Mängelwesen Mensch und dem vollständigen Tier. Der Mangel an tierischen Überlebensfähigkeiten und der Ersatz, den der Mensch findet, das ist gerade das spezifisch Menschliche. Es sind die Ausdifferenzierungen, die jede Ersatzhandlung erfährt, die den Menschen besonders machen und seine – oft verderbliche Art – der Naturformung bedingen. Wie weit es ist von einem offenen Lagerfeuer bis zu einem modernen Kamin mit einem Wirkungsgrad von 90 Prozent! Das Tier muss sich einverleiben, was der Mensch außer sich verwandelt, um sich im Prozess der Verdauung und der Verbrennung zu wärmen. Nichts ist an einem Ofen natürlich. Ein Ofen, das darin brennende und wärmende Holz, das Wissen um Feuer, Rauchgase, Trocknungsmethoden, das alles sind urmenschliche Eigenschaften. Dem Tier und seinen Methoden begegnet der Mensch nur am Tiefpunkt seiner Existenz, in der Krankheit. Im Menschen ist die Evolution nach außen getreten, in die Beziehung, in die Geheimnisse der Zusammenhänge, in die Wissenschaft und in die Institutionen.

Der Kobold, der in einen Ahornast gefahren ist und sein Bild erstarrt zurückgelassen hat, steht seit einem Jahr auf einer Ecke meines Schreibtisches. Die Wärme hat ihn getrocknet, die Trockenheit gespalten, aber immer noch sieht man sein faltiges, ärgerliches Gesicht und die aufgerissenen, muskulösen Hinterbacken mit dem offenen Anus. Überall findet der aufmerksame Blick solche Nachbilder der Waldbewohner, meist Gesichter, seltener vollständige Körper. Beim Gang durch die Wälder entdeckt man überall Spuren, manche stabiler als andere. Wenig Gemeinsamkeiten haben sie; faltig sind sie meist, schlecht gelaunt oft, manchmal sind ihre Gesichtszüge grausam, verächtlich, hinterhältig. Warum die Bäume diese Fähigkeit besitzen, Momente einzufangen, weiß niemand, aber sie besitzen sie und bezeugen so eine Welt, die ansonsten nur den Empfindungen wirklich ist, wenn eine plötzliche Wut, ein schadenfroher Gedanke, eine Intrigenmöglichkeit uns ereilt. Auch im Menschen blitzen diese Züge regelmäßig auf, werden aber nur sehr unzureichend konserviert.

Die Au ist seit dem Sommer außer Rand und Band. Wo sie am Wald entlangfließt, da fallen die Bäume reihenweise, sie löst das Erdreich, erstickt die Wurzeln, und die Stürme tun ein Übriges. Das Wasser der Au ist schlammig, schmutzig beige rollt es durchs Tal. An den Brücken gurgelt es in wilden Strudeln. Einer der beiden Wege, die zum Dorf führen, war dieses Jahr ein halbes Dutzend Mal überschwemmt. Selbst wenn das Wasser zurückgeht, passt es nicht mehr in den alten Lauf. Es ist so viel Wasser da, die Wiesen sind überschwemmt, die Au hat viele breite Arme. Ein Fluss ist viele. Überall schickt er seine Botschafter vor, lässt sie auskundschaften, wo es sich auszubreiten lohnen könnte, wo die Schwachpunkte sind. Ein Fluss ist nicht, sondern wird. Jeder Regenschauer, jedes bisschen Schnee, die Ausscheidungen der Sterne, der Tau. Immer wieder fließt das Wasser der Au in die Trave, die Ostsee, verdunstet, steigt, ballt sich zu Wolken, regnet übers Land. Der Regen, der Tau, der Dunst – die Moleküle, die in Kühen und in Menschen, im Wein und im Speichel der Widerworte gewesen sind, alle fließen, sickern, brausen erneut in die Au, testen die Hänge und überwälzen die Sümpfe.

Immer und immer wieder.

Auf einem Schild im Riesebusch, das vor dem Betreten des dahinterliegenden Weges warnt, weil aus Renaturierungsabsicht keine forstliche Wegesicherung mehr unternommen wird, wird spekuliert, dass die menschlichen Spuren, vor allem der Weg selbst, bald nicht mehr zu erkennen sein werden. Selbst da, wo sich der Mensch zurückzieht, über- oder unterschätzt er sich. Dieser Weg wird noch sehr lange zu sehen sein, so wie die Wälle der alten Burg noch nach achthundert Jahren zu sehen sind, so wie in dem amerikanischen Ostküstenwald die Protagonisten in Updikes Erzählungen Spuren ihrer Vorgänger in Form von lang gezogenen Hügeln finden, die wie Narben Gewesenes im Wald verdecken.

Lange und halb vergessen lag es, bis ich ihm wiederbegegnet bin, ein Gedicht über eine Handvoll Schneckeneier, die ich vor nicht ganz vier Jahren auf der Datsche in Treptow beim Kompostwenden gefunden hatte. War es so kalt gewesen, dass ich den ganzen Winter über nicht an den Haufen gegangen war? War die Erinnerung an den einmal dort vom Freund aufgespießten Igel so frisch? Wie auch immer, ich arbeitete mich mit der Grabgabel langsam vor und fand etwa in der Mitte, eher am Rand eine Kugel, groß wie ein Tischtennisball, die wiederum aus lauter kleinen, blendend weißen Kügelchen bestand. Nie zuvor hatte ich Schneckeneier gesehen, diese hier, wie ich später herausfand, von einer Nacktschnecke stammend. Ich wusste nicht, was ich da vor mir hatte, aber gleich fiel mir ein, dass die alte Weisheit, kein eiweißhaltiges Leben halte es im Innern eines Komposthaufens aus, weil die Temperaturen dort angeblich über 70 Grad ansteigen, nicht stimmt. Aber wie meistens, wenn mir eine Erkenntnis dämmert, hatte diese schon jemand vor mir gehabt, in diesem Fall niemand Geringeres als Darwin, der den Mythos vom sterilisierenden Komposthaufen einfach durch die Entnahme von zwei Händen Komposterde erledigte, die er in steriler Anzuchterde keimen ließ und sämtliche beobachtbaren tierischen und pflanzlichen Spezies auf­listete.

Wie meistens, wenn ich einen Fund mache, steckte ich ihn ein, um ihn später weiter zu beobachten. In der Praxis vergesse ich meistens, was ich eingesteckt habe, außer, es handelt sich um kiloschwere Steine oder verfaulende Früchte, wie neulich die gefrorenen Früchte eines der Ginkgobäume vor dem Bundeswirtschaftsministerium, die im Bus auf dem Weg zum Hermannplatz plötzlich wie eine Tasche voll ungewaschener Socken rochen, als sie aufzutauen begannen. Mit den Schneckeneiern, schon bevor ich sie als solche sicher erkannt hatte, musste ich vorsichtiger verfahren. Die Konsistenz meines Fundes ähnelte überdimensionierten Kaviarkügelchen, sie waren bestimmt sehr empfindlich, und ich konnte mich nicht überwinden, eine davon platzen zu lassen. Also verstaute ich sie in einem leeren Instantkaffeeglas und nahm sie mit nach Hause, wo ich sie in eine Ecke des Schreibtischs stellte, sie nachmittags den Kindern zeigte, um dann jeden Tag ein paarmal hineinzusehen. Dann, ein oder zwei Wochen später schlüpften die ersten winzigen Schnecken. Ich machte gleich mehrere unter dem Deckel aus, vielleicht waren sie über Nacht aus den Eiern gekrochen. Ich nahm den Deckel ab und betrachtete sie, halbtransparent, die Organe erahnbar. Ich gab ihnen ein welkes Salatblatt, klickte den Deckel wieder zu, zeigte auch diese neue Entwicklung den Kindern – und dann vergaß ich das Glas langsam. Nicht sofort, aber nach und nach. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf, die Schneckenkinder fraßen, was sie fanden, dann war es vorbei. Als ich das Glas entsorgte, war von den Schneckchen nicht mehr geblieben als einige Schleimspuren am Glasrand.

Noch viel später lieh ich das Schnecken-Buch von Florian Werner aus.6 Im ersten Sommer auf dem Land sammelte ich so viele Schnecken ein und grub so viele Eier aus, dass der Zauber verflog. Zu Unrecht, denn ein Wunder bleiben diese Tiere mit ihren rein von Muskelkraft und Säften erhaltenen Hydroskeletten ohne Zweifel: kriechende Schwellkörper, vollkommen kontrollierte, bewegliche Ganzkörperpenisse, wie Werner schreibt.

Ist man erst mal dabei zu beobachten, findet man überall den mit Experimenten beschäftigten Menschen. Aus Lupinen soll europäisches Eiweiß werden, Sojaersatz. Man muss ihnen nur die Bitterkeit herauszüchten und schon könnten die Blumen, die jedes Jahr wie Harlekine an den Böschungen der Autobahn stehen und die letztes Jahr hier bei uns von den Schnecken ratzekahl aufgefressen wurden, den Feldern dieses Landes einen provenzalischen Farbton verpassen, ein blaueres Blau noch als das des Lavendels.

Im Wald entdecke ich Zunderschwämme an kranken Buchen. Hart wie Stein sind sie, wenn man darauf klopft. Irgendwann einmal werde ich versuchen, einen abzuschneiden und ihn zu entnehmen. Im Netz findet man komplizierte Herstellungsverfahren für die...

Erscheint lt. Verlag 16.2.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturführer
Technik
Schlagworte aufs Land ziehen • Bäume • Der große Garten • Erkundungen • Erzählendes Sachbuch • Holzmachen • H wie Habicht • Im Unterland • im unterland macfarlane • im unterland robert macfarlane • Landflucht • Landleben • landleben buch • lola randl • lola randl der große garten • Natur • Natur 2020 • Naturbeobachtungen • Natur Buch • Natur entdecken • Nature writing • natur geschenk • Natur im Garten • Natur in Deutschland • Naturkunden • Raus aufs Land • Robert Macfarlane • robert macfarlane im unterland • Sachbuch • Sachbücher
ISBN-10 3-7499-5010-5 / 3749950105
ISBN-13 978-3-7499-5010-2 / 9783749950102
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