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Ich will nicht nach Amerika! Historischer Roman -  Ulrich Maier

Ich will nicht nach Amerika! Historischer Roman (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
304 Seiten
Wellhöfer Verlag
978-3-95428-714-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
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Wimpfen am Neckar im Jahr 1854: Katharina Fischer, Frau des invaliden Ölmüllers und Mutter von fünf Kindern, wehrt sich mit Händen und Füßen gegen ihre Abschiebung nach Amerika. Schließlich landet sie sogar im Gefängnis und wird nach Tagen von der Polizei auf das Dampfschiff geschleppt, das die Ortsarmen in einem Sammeltransport fortschafft. Mehr tot als lebendig werden sie viele Wochen später in New Orleans abgesetzt. Werden die Abgeschobenen in der Fremde Fuß fassen können? Der Roman erzählt nach den historischen Quellen am Beispiel Wimpfens die fast unglaubliche Geschichte der Abschiebung der Ortsarmen aus südwestdeutschen Gemeinden nach Amerika.

Back to the roots


Bad Wimpfen im 21. Jahrhundert

 

»Wie aus dem Bilderbuch!« Susan stellte ihren Rucksack auf dem Bahnsteig ab und betrachtete verzückt das kleine Bahnhofsgebäude aus dunkelbraunem Sandstein auf halber Höhe zwischen Wimpfen im Tal und der Stauferpfalz hoch oben auf dem lang gezogenen Bergrücken über dem Neckar.

»Wie man sich in den Staaten good old germany vorstellt, nur viel schöner!«, gab ihr Joey recht und ließ seinen Blick bewundernd über den neugotischen Treppengiebel des Bahnhofs schweifen, der sich hinter den Kastanienbäumen des Biergartens erhob. Dann ließ er seinen schweren Rucksack auf den Boden plumpsen und deutet auf die Gartentische.

»Wollen wir erst mal einen Kaffee trinken?«

Susan wehrte ab.

»Keine Lust. Erstens bin ich viel zu neugierig, wo wir hier gelandet sind, und zweitens schon viel zu lange im Zug gesessen, als dass ich mich wieder irgendwo hinpflanzen möchte. Lass uns doch ein bisschen die Gegend erkunden. Endlich sind wir in Bad Wimpfen angekommen, und mit ein bisschen Fantasie sieht es hier so aus, wie es meine Urahnen kannten, bevor sie ausgewandert sind. Vielleicht sind sie auch vor diesem schönen Bahnhof gestanden, als die große Reise losging?«

Joey verdrehte die Augen.

»Damals gabs hier noch keine Eisenbahn. Wimpfen hat seinen Bahnhof erst viel später bekommen. Ich glaube, der ist gar nicht so alt, wie er aussieht! Die Auswanderer sind sicher mit einem Neckardampfer losgefahren. Der fuhr damals schon auf der Strecke von Heilbronn nach Heidelberg.«

»Alter Besserwisser!«, schmollte Susan, stemmte die Hände in die Hüften und schwang ihren deutlich leichteren Rucksack auf den Rücken. Joey hatte sich bereiterklärt, zusätzlich alle Arbeitsutensilien zu übernehmen: Zwei Laptops, ein paar Bücher, Schreibzeug. Da kam einiges an Gewicht zusammen.

 

Im vergangenen Semester hatten sich die beiden im German Culture Center an der University Of Missouri St. Louis kennengelernt, wo sie zusammen Germanistik und Geschichte studierten.

»Joey ist ein guter Kumpel, mehr nicht«, hatte Susan ihrem Vater erklärt, der sich genau erkundigt hatte, mit wem sie denn die Reise nach Deutschland antreten wolle und wie sie überhaupt auf diese seltsame Idee gekommen sei.

Das hänge mit ihrem Seminar über die Massenauswanderung aus Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten zusammen, das sie mit Joey besuchte, hatte sie ihn belehrt. Sie wollten die Reise für ihre Semesterarbeit nutzen. »Vielleicht wird auch mehr draus«, hatte sie angefügt.

Als ihr Vater bei dieser Bemerkung die Augenbrauen hochzog und sie ironisch angrinste, hatte sie schnell klargestellt: »Aus der Semesterarbeit natürlich! Bestimmt kann ich die Ergebnisse auch für die Masterarbeit nutzen.«

Eigentlich war ihre Großmutter schuld daran, dass sie jetzt mit Joey auf dem Bahnhofsvorplatz in Wimpfen stand. Sie hatte ihr erzählt, einer ihrer Ururgroßväter sei aus einer kleinen Stadt am Neckar ausgewandert, aus dem Großherzogtum Hessen, irgendwo im Süden Deutschlands. Bitterarm sei er gewesen und habe nicht einmal das Geld für die Schiffsreise aufgebracht. Der Bürgermeister habe dafür gesorgt, dass er auswandern konnte, nicht aus Mitleid, sondern weil er ihn loshaben wollte so wie viele andere seiner Leidensgenossen. An den Namen des Ururgroßvaters konnte sie sich nicht mehr genau erinnern. Irgendwas mit »Rhein«, hatte sie gemeint. Aber sie könne mal nachsehen.

Der Professor, dem sie davon berichtete, hatte zunächst die Stirn gerunzelt. Der Neckar sei ein Fluss in Baden-Württemberg, nicht in Hessen, hatte er behauptet. Da habe sie sicher etwas missverstanden.

Susan war dann beim Stöbern auf dem Dachboden ihrer Großeltern auf eine uralte Postkarte mit dem Ortsnamen Wimpfen gestoßen, adressiert an einen Mister Carl Reineck in New York. Da hatte sie ausführlich zu googeln begonnen und das Rätsel lösen können:

Die Stadt Bad Wimpfen am Neckar, einst stolze Kaiserpfalz, ist heute eine Stadt im Landkreis Heilbronn und gehört de facto zu Baden-Württemberg, staatsrechtlich aber immer noch zu Hessen, dem sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugeschlagen wurde, denn eine endgültige Regelung zwischen den Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen wurde bis heute nicht getroffen.

Fortan hatte Susan das Interesse an der Heimat ihrer Ahnen nicht mehr losgelassen, und mit ihrer Begeisterung hatte sie ihren Kommilitonen Joey angesteckt. Unter den Ahnen seines Vaters habe es auch Auswanderer aus Deutschland gegeben, hatte er gehört, wusste allerdings keine Einzelheiten darüber.

Joey sah als Erster den Aushang im Institut. Es wurden Teilnehmer an einem akademischen Austauschprogramm gesucht, das von den Partnerstädten St. Louis und Stuttgart gefördert wurde. Susan war gleich Feuer und Flamme.

»Du willst da mitmachen?«, hatte Joey gefragt und sie dabei merkwürdig angesehen. »Die Flugreise dauert Stunden!«

»Die Überfahrt auf einem Segler im 19. Jahrhundert dauerte viele Wochen! Was sind da ein paar Stunden? Was ist? Hast du etwa Angst vor der weiten Reise?«

Joey hatte nochmal lange auf den Aushang gestarrt und dann gemurmelt: »Also gut, ich überleg’s mir.«

Back to the roots, hatten sie über ihre gemeinsame Bewerbung geschrieben und kurz angedeutet, dass sie sich auf die Spuren ihrer Vorfahren machen wollten. Bei dieser Gelegenheit wollten sie auch ihre Deutschkenntnisse verbessern und Grundlagen sammeln für die Seminararbeit. Das hatte das Auswahlkomitee überzeugt. Sie durften teilnehmen und gemeinsam die Reise in die Vergangenheit antreten.

 

»Am besten bringen wir das Gepäck erst mal in unsere Herberge«, schlug Joey vor. »Im Klosterladen werden wir schon erwartet. Ich hab uns gestern Abend angekündigt.«

»Und wo soll dieses Kloster nun sein?«, fragte Susan und blickte sich um.

Joey wischte ein paar Mal über sein Smartphone, dann blickte er auf und lächelte zufrieden.

»Es liegt direkt am Fluss unten. Nicht zu verfehlen.«

Ächzend wuchtete er den schweren Rucksack wieder auf seinen Rücken und zeigte auf einen Wanderweg, der jenseits der Gleise Richtung Tal zog.

»Also müssen wir hier runter.«

Bei einer großen Straßenbrücke über den Neckar stießen sie auf einen breiten Rad-Wanderweg, dem sie flussaufwärts folgten, und trafen bald auf die alte Stadtmauer von Wimpfen im Tal. Einen Zugang zur Talstadt hinter dem Mauerring zu finden, stellte sich als gar nicht so einfach heraus, aber dann standen sie schon nach wenigen Schritten auf dem großen Klosterplatz mit seinen uralten Lindenbäumen, die bis in den Himmel wuchsen. Da ahnten sie, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.

 

Durch die Baumkronen blitzten die Türme der Stiftskirche mit ihren ungleichen grauen Schieferdächern zu ihnen herüber. Daneben reihten sich die barocken Gebäude des einstigen Ritterstifts. Sie machten sich auf den Weg und wenig später blickten sie zu der wuchtigen romanischen Eingangsfassade von St. Peter auf.

Das jahrhundertealte Gemäuer zog sie magisch an. Den Klosterladen, wo sie sich nach dem Gästehaus erkundigen wollten, ließen sie zunächst links liegen, stiegen die Stufen zu dem kleinen Vorplatz hinunter und gingen auf das Eingangsportal der Kirche zu.

Als sie die hohe, schwere Bronzetür geöffnet hatten und in den Kirchenraum traten, umgab sie kühle Dunkelheit und sie brauchten einige Zeit, bis sie sich zurechtfanden. Dann hatten sich ihre Augen an das spärliche Licht gewöhnt und sie schauten staunend zu den hohen Säulen empor, zu den Jochbögen und Pfeilerbündeln. Sie ließen ihre Blicke schweifen zu den Seitenschiffen und den angebauten Kapellen und schritten langsam durch das Hauptschiff auf den Altar zu.

Das schwarzbraune Chorgestühl mit den skurrilen Schnitzereien zog zuerst ihre Aufmerksamkeit auf sich. Als sie näher traten und die kunstvollen Gebilde betrachteten, erkannten sie Tierfiguren und Menschenköpfe, die groteske Fratzen zogen.

»Mir scheint, die Stiftsherren hatten Humor«, murmelte Joey und wies auf einen gähnenden Mönchskopf.

»Diese schmalen hohen Fenster«, flüsterte Susan und zeigte auf die bunten Verglasungen hinter dem Altar.

»Der gotische Chor stammt aus dem 13. Jahrhundert«, erklärte Joey und blickte wieder auf sein Phone. »Links soll es zum Kreuzgang gehen.«

»Ich denke, wir werden noch genügend Zeit haben, uns das alles genauer anzusehen«, flüsterte Susan und griff nach seinem Arm. »Jetzt melden wir uns erst mal an.«

 

Ein junger Mann begrüßte sie mit fröhlichem Lachen. »Die beiden Studenten aus St. Louis? Haben Sie uns denn ohne Probleme finden können? Moment, ich schließe kurz den Laden. Dann bin ich für Sie da.«

Er hängte ein Schild an die Glastür und nahm sie mit hinüber ins Gästehaus. Auf dem Weg erklärte er das eine oder andere zu den Gebäuden.

Susan schätzte ihn auf höchstens dreißig. Er war kaum größer als sie, von athletischer Figur, hatte ihr gleich den Rucksack abgenommen und lässig über die Schulter geworfen, als ob er gar kein Gewicht hätte. Als er auch noch Joeys Rucksack übernehmen wollte, lehnte dieser lächelnd ab. Ein richtiges Kraftpaket, stellte sie bewundernd fest.

»Wo sind die Mönche?«, fragte Susan plötzlich und erntete einen strafenden Blick von Joey, dem diese direkte Frage peinlich zu sein schien.

Doch ihren Führer schien die Frage nicht weiter zu stören.

»Dass in Wimpfen im Tal Mönche lebten, ist schon ein paar...

Erscheint lt. Verlag 7.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-95428-714-5 / 3954287145
ISBN-13 978-3-95428-714-7 / 9783954287147
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