Sommer auf Helgoland -  Rainer Gross

Sommer auf Helgoland (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
336 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-8134-5 (ISBN)
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Sommer auf Helgoland. Nele genießt ihn mit ihrer Freundin Frauke und deren Mann Morten, dem Kreuzfahrtkapitän. Angekommen in ihrem neuen Leben, hat sie Abstand zu der Vergangenheit und ihrem Ex-Verlobten gewonnen. Doch bald stellen sich neue Fragen: Sie und Maik kommen sich immer näher, aber ist sie bereit für eine neue Beziehung? Wer ist der geheimnisvolle NN, der am Weststrand sein Kunstwerk hinterließ? Und was will Nele eigentlich in ihrem Leben? Da steht eine Tages unvermutet eine bekannte Gestalt vor ihr, und ein lang vergessenes Familiengeheimnis wird gelüftet, das ihr Leben verändern wird.

Rainer Gross, Jahrgang 1962, geboren in Reutlingen, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie. Heute lebt er mit seiner Frau als freier Schriftsteller wieder in seiner Heimatstadt. Bisher u.a. erschienen: Grafeneck (2007, Glauser-Debüt-Preis 2008); Weiße Nächte (2008); Kettenacker (2011); Kelterblut (2012); Die Welt meiner Schwestern (2014); Yûomo (2014); Haus der Stille (2014); Schrödingers Kätzchen (2015); Haut (2015); My sweet Lord (2016); Die sechzigste Ansicht des Berges Fuji (2017); In der fernen Stadt (2017); Räucherstäbchenjahre (2018); Der Teehändler (2019); Lebkuchenstadt (2020); Ein Nachmittag am Bondi Beach (2020); Flieg zum Regenbogen (2020); Frühling auf Helgoland (2020).

1. Kapitel:
Der Lummensprung


Der Sommer war nach Helgoland gekommen. Mit Schauerwetter, einem Haufen Cumuluswolken und Temperaturen bis fünfundzwanzig Grad. Nachts hatte es kaum weniger, und Nele bekam zu spüren, was es hieß, auf einer Sommerinsel mitten im Meer zu wohnen.

Sie wollte ihren Vorsatz wahr machen und ging so oft wie möglich ans Meer. Sie spazierte am Nordstrand entlang, setzte sich in den warmen Sand und schaute den Wellen zu. Mit Frauke und Morten fuhr sie auf die Düne und verbrachte einen sorglosen Nachmittag am Südstrand, beobachtete die Robben und erinnerte sich wieder an den kleinen Heuler, den sie vor den Jugendlichen gerettet hatte und weswegen sie in der Inselzeitung gelandet war – der Grund, weshalb Florian sie ausfindig gemacht hatte und hierher gekommen war, zu einer Aussprache.

Nun war sie froh, dass es so gekommen war. Sie hatte sich von einer Altlast befreit. Manchmal dachte sie an ihn, wie er das wohl weggesteckt hatte, aber sie kannte ihn ja. Er würde das Opfer spielen und sich in seinem Selbstmitleid suhlen. Es war vorbei.

Manchmal noch ging sie bei regnerischem Wetter am Weststrand spazieren und schaute sich die Installation an, die Maik ihr gezeigt hatte. Irgendwie ließ sie das Objekt, oder der Ort, nicht los. Wer wohl dieser oder diese NN war? Und weshalb hatte er oder sie diese Installation an diesen einsamen Strand gebaut?

Das Meer um die Düne war noch kalt, erwärmte sich aber von Tag zu Tag. Sie schwamm oft, wich den Quallen aus, stemmte sich gegen die Brandung und ließ sich das Wasser über den Kopf schäumen. Danach lag sie im Sand, mit geschlossenen Augen, und dachte nichts. Wenn Frauke und Morten dabei waren, gingen sie hinterher im Dünenrestaurant essen. Nele fühlte sich mittlerweile wohl mit den beiden. Sie freute sich für Frauke, wenn sie sah, wie glücklich sie mit ihrem Morten war, wie sehr sie seine Anwesenheit genoss. Und Morten hatte Nele ins Herz geschlossen. Er behandelte sie gar nicht machohaft, sondern war respektvoll und ehrlich. Er schien sich tatsächlich schneller an das Zuhausesein gewöhnt zu haben als sonst.

»Das macht deine Anwesenheit«, meinte Frauke zu ihr.

»Meine?«

»Ja. Ich merke, wie er dich schätzen gelernt hat und wie er immer mehr erkennt, dass du mir als Freundin sehr wichtig bist. Und das entspannt ihn total. Er muss dir gegenüber keine Rolle spielen. Du nimmst ihn an, wie er ist. Er hat seine Kapitänsallüren schneller abgelegt als noch letztes Jahr.«

»Na, umso besser«, sagte Nele.

Nele sah voller Aufregung dem zwölften Juni entgegen, wenn Heidi käme, um ihr Vorstellungsgespräch bei der Klinik zu absolvieren. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass sie Heidi nehmen würden, und dann würde sie auf die Insel ziehen, und sie wären wieder vereint. Heidi war noch die Einzige, die sie mit ihrer alten Heimat verband. Und ihre Eltern.

Sie hatte ihre Mutter nicht noch einmal danach gefragt, weshalb Kati, ihre jüngere Schwester, und Martin, ihr älterer Bruder, das elterliche Heim so Knall auf Fall verlassen und jeden Kontakt abgebrochen hatten. Die Unbekannte auf dem Nürnberger Bahnhof hatte vor drei Monaten von einer Art Familienfluch gesprochen. Und seither dachte Nele hin und wieder darüber nach, ob das stimmen könnte. Vor allem, weil sie selbst nun, wenn auch Jahre verspätet, dasselbe getan hatte.

Ihre Mutter war nun beruhigt, da sie wusste, wo Nele war. Nele hatte ihr aber eingeschärft, dass sie sich nicht einfallen lassen sollten, sie auf Helgoland zu besuchen. Sie wollte nicht, dass sie Einblick in ihr neues Leben bekam. Sie hütete es wie einen kostbaren Schatz.

Sie dachte auch öfter über ihren Vater nach, zu dem sie als Kind ein enges Verhältnis gehabt hatte, dem sie aber mit zunehmendem Alter gleichgültig geworden schien. Auch jetzt hatte er sich kein einziges Mal zu Wort gemeldet, als ihre Mutter ihr mailte. Und sie dachte darüber nach, weshalb Ommo Hüppop, der Leiter der hiesigen Vogelwarte, sie so an ihren Vater erinnerte.

Besagter Ommo füllte seit Kurzem ihre Gedanken, weil er sie noch einmal daran erinnerte, dass der Lummensprung unmittelbar bevor stünde, und fragte, ob sie nicht auf eine Führung mitkommen wolle. Die Lummentage, die das Touristenbüro von Helgoland jedes Jahr ausrief, waren begleitet von allerlei Veranstaltungen und regelmäßigen Führungen zum Lummenfelsen. Sie fanden in der Dämmerung statt, wenn die Küken sprangen, sodass man nur als Übernachtungsgast eine Chance hatte, das Naturschauspiel zu erleben.

Sie fand jetzt nichts so aufregend daran, dass ein paar Küken von einem Felsen ins Wasser sprangen, und verstand auch nicht ganz, warum die Leute so ein Gewese darum machten. Außerdem begriff sie den Sinn nicht, den das Ganze haben sollte. Was die Natur sich manchmal einfallen ließ, war schon kurios!

Aber sie hatte Lust, Ommo wiederzusehen und ihm zuzuhören, wenn er von seinen Vögeln sprach, und so meldete sie sich an einem Abend zu einer Führung an und fand sich um halb neun an der Vogelwarte ein, wo die Führung starten sollte.

Es waren nicht wenige Leute gekommen. Ommo begrüßte jeden von ihnen, auch Nele.

»Schön, dass du gekommen bist«, sagte er und lächelte. »Ich habe mich schon gefragt, was aus der Insulanerin auf Zeit geworden ist.«

»Der geht es prächtig auf der Insel«, antwortete Nele. »Ich glaube, ich habe schon Wurzeln geschlagen.«

»Kann man wohl sagen. Du bist geradezu eine Bekanntheit auf Helgoland. Seit diesem Zeitungsartikel.«

»Du hast ihn auch gelesen?«

»Jeder hat ihn gelesen.«

Gemeinsam ging die Gruppe los, folgte aber nicht dem östlichen Klippenrandweg, sondern ging zurück bis zum Beginn der Kartoffelallee und zweigte dann auf einen Fußpfad ab, der auf den westlichen Klippenrandweg führte.

Die Abendsonne stand schon rot am westlichen Horizont. Nele blickte ihr entgegen und bewunderte das wilde Oberland im Untergangslicht. Eine andächtige Stimmung herrschte, und die Gäste plauderten nicht wie sonst, sondern gingen schweigend oder wechselten nur ein halb geflüstertes Wort.

Der Lummenfelsen war von einer Klippenbucht aus gut einzusehen. Ommo erläuterte, dass er von den Einheimischen – und da gehörte er ja auch dazu – »Scheißfelsen« genannt wird – warum, sehe man ja. Tatsächlich war der Fels übersät von weißen Klecksen und Streifen, die nichts mit dem Sandstein zu tun hatten, sondern von den Exkrementen der Seevögel stammten.

Schon wurden die ersten Nachtgläser gezückt, Fotografen bauten ihre Stative auf, andere traten so nah wie möglich an die niedrige Absperrung und strengten die Augen an.

Der Fels war gut erkennbar, und auch die Schwärme von Vögeln, die ihn umflogen, hoben sich als scharfe Umrisse gegen die rote Sonne ab.

Ommo erläuterte gerade das Phänomen des Lummensprungs. Nele hörte zu. Sie wollte wissen, was sie da zu sehen kriegte, und endlich verstehen, weshalb das so ein Ereignis war.

Sie erfuhr, dass es Lummenkolonien in Mitteleuropa nur auf Helgoland gab. Sonst hatten die Vögel ihr Brutgebiet im Nordatlantik, Nordpazifik und den angrenzenden Eismeeren. Wohlgemerkt Brutgebiete, denn es waren Seevögel, die weit draußen auf dem Meer lebten und nur zum Brüten an Land kamen.

Klingt einsam, dachte Nele. Sie holte ihr Fernglas heraus, das ihr Vater ihr geschenkt hatte, und stellte scharf. Das Glas hatte einen Restlichtaufheller, sodass sie zumindest in der Dämmerung gut sehen konnte. Die Vögel erschienen ihr plump und flogen ungeschickt, keine eleganten Segler wie die Möwen. Deshalb, erklärte Ommo der Gruppe, auch der Name Trottellumme.

Jetzt hatte sie einen Punkt am Felsen ausgemacht und erkannte das Küken, ein pfludriges, hilfloses Wesen, das in einem Spalt des Steines hockte und weder vor noch zurück konnte.

Warum eigentlich musste es springen?

Die Eltern, erläuterte Ommo, sitzen unten im Wasser und locken es mit den ihm vertrauten Rufen. Die Fallhöhe beträgt ganze vierzig Meter.

Nele bekam eine Gänsehaut. Was ging hier vor? Weshalb mussten diese armen Geschöpfe vierzig Meter in die Tiefe springen, zumal sie noch nicht fliegen konnten, und die Eltern verleiteten sie auch noch dazu?

Die Jungen waren jetzt drei Wochen alt. Bisher waren sie von ihren Eltern im hohen Felshorst ernährt worden. Doch jetzt fraßen sie mehr, als die Eltern heran schaffen konnten, und deshalb war die Nestzeit zu Ende. Sie mussten zu den Eltern ins Wasser, um dort weiter versorgt und flügge werden zu können.

Aber warum das Ganze?, fragte sich Nele. Konnten die Vögel nicht einfach niedriger brüten oder gar auf dem Boden, wie andere Seevögel? Sie stellte Ommo die Frage.

Ommo sah im Zwielicht nicht, wer die Frage gestellt hatte, und erklärte ganz wissenschaftlich: »Die Lummen brüten in so großer Höhe, um ihre Jungen vor Fressfeinden zu schützen.«

»Aber es gibt doch auch andere Möglichkeiten, um sich vor Fressfeinden zu...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7526-8134-9 / 3752681349
ISBN-13 978-3-7526-8134-5 / 9783752681345
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