Rilke,R.M.,Gesammelte Werke (Gedichte) (eBook)

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2020 | 1. Auflage
976 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-27641-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rilke,R.M.,Gesammelte Werke (Gedichte) -  Rainer Maria Rilke
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Rainer Maria Rilke ist der bedeutendste Dichter der Moderne und sein Ruhm reicht weit über die Grenzen Europas hinaus. Die meisten seiner Gedichte hat er selbst in berühmten Sammlungen und Zyklen zusammengefasst, darunter »Das Stunden-Buch«, »Das Buch der Bilder«, »Neue Gedichte«, »Duineser Elegien« und »Die Sonette an Orpheus«, andere sind verstreut veröffentlicht oder erst postum erschienen. Dieser Band enthält sämtliche zu Lebzeiten publizierten Gedichte sowie eine Auswahl der bedeutendsten Texte aus dem Nachlass. Zum Wiederlesen, Neuentdecken, Weiterträumen.

Rilke wurde 1875 als Sohn eines Prager Beamten geboren. Nach einer erzwungenen Militärerziehung begann er 1896 in Prag ein Studium der Kunst- und Literaturgeschichte, wechselte dann an die Universitäten von München und Berlin. 1901 heiratete er in Worpswede die Bildhauerin Clara Westhoff, löste die Ehe aber bereits 1902 wieder auf. In den darauffolgenden Jahren bereiste er Italien, Skandinavien und Frankreich. In Paris schloss er Bekanntschaft mit Rodin und wurde dessen Privatsekretär. Bereits nach acht Monaten kam es aber zum Bruch. Es folgten unstete Jahre des Reisens mit Stationen in verschiedenen Städten Europas. Nach seinem Entschluss zu einem reinen Dichterdasein war Rilke zu jedem Verzicht bereit, wenn es dem Werk galt. Er opferte sein kurzes Leben ganz seiner Kunst. Im Ersten Weltkrieg war er zur österreichischen Armee eingezogen worden, wurde aber seiner kränklichen Konstitution wegen in das Wiener Kriegsarchiv versetzt. 1926 starb Rilke nach langer Krankheit in Val Mont bei Montreux. Rainer Maria Rilke gilt als der bedeutendste und einflussreichste deutsche Dichter der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Larenopfer


(1895)

IM ALTEN HAUSE

Im alten Hause; vor mir frei

seh ich ganz Prag in weiter Runde;

tief unten geht die Dämmerstunde

mit lautlos leisem Schritt vorbei.

Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.

Nur hoch, wie ein behelmter Hüne,

ragt klar vor mir die grünspangrüne

Turmkuppel von Sankt Nikolas.

Schon blinzelt da und dort ein Licht

fern auf im schwülen Stadtgebrause. –

Mir ist, dass in dem alten Hause

jetzt eine Stimme ›Amen‹ spricht.

AUF DER KLEINSEITE

Alte Häuser, steilgegiebelt,

hohe Türme voll Gebimmel, –

in die engen Höfe liebelt

nur ein winzig Stückchen Himmel.

Und auf jedem Treppenpflocke

müde lächelnd – Amoretten;

hoch am Dache um barocke

Vasen rieseln Rosenketten.

Spinnverwoben ist die Pforte

dort. Verstohlen liest die Sonne

die geheimnisvollen Worte

unter einer Steinmadonne.

EIN ADELSHAUS

Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe:

Wie schön will mir sein grauer Glast erscheinen.

Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen

und dort, am Eck, die trübe, fette Lampe.

Auf einer Fensterbrüstung nickt ein Tauber,

als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken;

und Schwalben wohnen in des Torgangs Lucken:

Das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ich – Zauber.

DER HRADSCHIN

Schau so gerne die verwetterte

Stirn der alten Hofburg an;

schon der Blick des Kindes kletterte

dort hinan.

Und es grüßen selbst die eiligen

Moldauwellen den Hradschin,

von der Brücke sehn die Heiligen

ernst auf ihn.

Und die Türme schaun, die neueren,

alle zu des Veitsturms Knauf

wie die Kinderschar zum teueren

Vater auf.

BEI ST. VEIT

Gern steh ich vor dem alten Dom;

wie Moder weht es dort, wie Fäule,

und jedes Fenster, jede Säule

spricht noch ihr eignes Idiom.

Da hockt ein reichgeschnörkelt Haus

und lächelt Rokoko-Erotik,

und hart daneben streckt die Gotik

die dürren Hände betend aus.

Jetzt wird mir klar der casus rei;

ein Gleichnis ists aus alten Zeiten:

der Herr Abbé hier – ihm zuseiten

die Dame des roi soleil.

IM DOME

Wie von Steinen rings, von Erzen

weit der Wände Wölbung funkelt,

eine Heilge, braungedunkelt,

dämmert hinter trüben Kerzen.

Von der Decke, rundgemauert,

schwebt ob eines Engels Kopfe

hell ein weißer Silbertropfe,

drin ein ewig Lichtlein kauert.

Und im Eck, wo Goldgeglaste

niederhangt in staubgen Klumpen,

steht in Schmutz gehüllt und Lumpen

still ein Kind der Bettlerkaste.

Von dem ganzen Glanze floss ihm

in die Brust kein Fünkchen Segen …

Zitternd, matt, streckts mir entgegen

seine Hand mit leisem: »Prosim!«

IN DER KAPELLE ST. WENZELS

Alle Wände in der Halle

voll des Prachtgesteins; wer wüsste

sie zu nennen: Bergkristalle,

Rauchtopase, Amethyste.

Zauberhell wie ein Mirakel

glänzt der Raum im Lichtgetänzel,

unterm goldnen Tabernakel

ruht der Staub des heilgen Wenzel.

Ganz von Leuchten bis zum Scheitel

ist die Kuppel voll, die hohle;

und der Goldglast sieht sich eitel

in die gelben Karneole.

VOM LUGAUS

Dort seh ich Türme, kuppig bald wie Eicheln

und jene wieder spitz wie schlanke Birnen;

dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen

schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln.

Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten,

sieh, St. Mariens Doppeltürme blitzen.

Ists nicht: Sie saugte durch zwei Fühlerspitzen

in sich des Himmels violette Tinten?

DER BAU

(1)

Die moderne Bauschablone

will mir wahrlich gar nicht passen.

Hier, dies alte Haus darf fassen

reiche, weite Steinterrassen,

kleine, heimliche Balkone.

Und die weitgewölbten Decken,

die so günstig sind den Lauten,

Nischen rings, die eingebauten,

draus die Arme sich der trauten

Dämmrung dir entgegenstrecken.

Alle Mauern breiter, stärker

und aus echten Quaderkernen; –

traun, das Gruseln könnt ich lernen,

seh ich auf die Zinskasernen

aus dem kleinen, stillen Erker.

IM STÜBCHEN

(2)

Traut ists, wenn verstohlen heulen

im Kamine wilde Winde,

in der Stube; ganz gelinde

tickt auf dem barocken Spinde

fort die Stockuhr mit den Säulen.

Dort, die kleine Silhouette

zeigt die alte Tracht der Locken,

tief im Fenster steht ein Rocken,

und vergessne Töne stocken

im verlassenen Spinette.

Immer noch liegt die Postille,

dass an ihrem Geist erfrische

Jung und Alt sich, auf dem Tische,

und der Spruch ob jener Nische

lautet: ›Es gescheh Dein Wille …‹

ZAUBER

(3)

Oft seh ich die heimliche Stube belebt,

so lebhaft erzählen die Wände;

ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt

dort zu der Madonna die Hände.

Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,

der viel zu des Hauses Gewinn tat.

An huben sie flüsternd das Abendgebet,

und Mutter lässt ruhen das Spinnrad.

Da deucht mich, es wird wohl das Auge nass

sogar der Madonne im Rahmen.

Ich lausche: – Laut von des Vaters Bass

ertönt das versöhnende: »Amen«.

EIN ANDERES

(4)

Naht der Sohn mit schwerem Schritt

seinem Vater. Schwer die Zunge …

»Wirklich, was, ein Bräutchen, Junge?!

Vorwärts, nur herein damit!«

Und da steht zum ersten Mal

jetzt das Mädchen rot und stille;

und der Vater putzt die Brille:

»Teufel! Gut war deine Wahl!«

Und er streckt die Arme aus,

und das Bräutchen nimmt verlegen

seinen Kuss und seinen Segen …

Davon weiß das alte Haus.

NOCH EINES

(5)

Auch dem blonden Kinde kam es

in sein Herz, sein waldseereines,

wie das dunkle Ahnen eines

großen Glückes oder Grames.

Und die Mutter ließ das Rädchen

stocken. – »Kind, was macht dich leiden?«

Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:

Doch verstanden sich die beiden.

Kurz darauf: Am Pförtchen pochte

junger Herr. – »Wollt ihr euch?« – Pause. –

Ob! – Wer da noch fragen mochte!? –

So geschahs im alten Hause.

UND DAS LETZTE

(6)

Still heut die Stube. – Weiß wie Kalk

ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos

ihr feuchtes Auge; halb bewusstlos

lehnt sie bei Vaters Katafalk.

Zuseiten ihr der Gatte kann

sie trösten mehr in keiner Weise;

nun fasst er ihre Hände leise

und sieht sie ernst und bittend an.

»Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!«,

tönt türher hell das Wort des Kleinen;

da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,

und Trost geht durch das alte Haus.

IM ERKERSTÜBCHEN

(7)

Nicht zu sehn das Alltagstreiben,

flieh ich – wie wenn ich ein Strauß wär –

in das alte, alte Haus her;

lang dann seh ich nicht hinaus mehr

durch die breit verbleiten Scheiben.

Schlichtheit war der Väter Aussaat,

Glück die Frucht, die sie gefunden;

sitz so träumend manche Stunden

dort im Polsterstuhl, im runden,

mitten in Urväterhausrat.

DER NOVEMBERTAG

Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,

seine tausend Jubelstimmen schweigen;

hoch vom Domturm wimmern gar so eigen

Sterbeglocken in Novembernebeln.

Auf den nassen Dächern liegt verschlafen

weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen

greift der Sturm in des Kamines Wänden

eines Totenkarmens Schlussoktaven.

IM STRASSENKAPELLCHEN

Bei St. Loretto da brennt ein Licht

vorm Bilde im Straßenkapellchen;

und um das Wandbild schmiegen sich dicht

Blechblumen mit farbigen Kelchen.

Die Heiligen machen ein übel Gesicht;

denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat

nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht

schaut fromm in den dämmernden Sabbat.

DAS KLOSTER

Im Dämmerdustgeschwel

ist schon die Stadt zerronnen,

hoch steht das Haus der Nonnen

des Ordens vom Karmel.

Der Abend hüpft hangab

vorbei mit Feuergarben

und windet tausend Farben

um jeden Fensterstab.

Er schmückt das düstre Haus

umsonst mit Lichtgeglänze:

So sehen frische Kränze

auf Leichensteinen aus.

BEI DEN KAPUZINERN

Es hat der Pater Guardian

vom Klosterschnaps mir angeboten;

ich kenn ihn schon, den dunkelroten,

der alle Toten wecken kann.

Der Pater sucht den Schlüssel, klein,

dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,

und...

Erscheint lt. Verlag 7.12.2020
Reihe/Serie Anaconda Gesammelte Werke
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Schlagworte dark academia • Der neuen Gedichte anderer Teil • deutschsprachiger Dichter • Dichtung • Die neuen Gedichte • Dinglyrik • Duineser Elegien • eBooks • Gedichtband • Gedichte • Klassiker • Lyrik • Lyriker • österreichischer Dichter • Rilke • Weltliteratur
ISBN-10 3-641-27641-1 / 3641276411
ISBN-13 978-3-641-27641-6 / 9783641276416
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