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Old Love (eBook)

Geschichten von der Liebe
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76652-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
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»In der Literatur sind alte Menschen und ihre Gefühle vernachlässigt worden. Die Romanschriftsteller haben uns niemals gesagt, dass in der Liebe, wie auf anderen Gebieten, die Jungen erst Anfänger sind und dass die Kunst des Liebens mit dem Alter und mit der Erfahrung reift«. Isaac Bashevis Singer

Von dieser Kunst des Liebens weiß keiner so lebendig zu erzählen wie Isaac Bashevis Singer. In seinen achtzehn Geschichten über Lust, Leidenschaft und Eifersucht zeigt er, dass Liebe kein Alter kennt.



<p>Isaac Bashevis Singer wurde am 21. November 1902 in Polen geboren. In seinen Jugendjahren gab er den 14. Juli 1904 als offizielles Geburtsdatum an, eine vorsichtige Richtigstellung erfolgte im Alter. Singer wuchs in Warschau auf und emigrierte 1935 in die USA. Er lebte in New York und geh&ouml;rte dort bald zum Redaktionsstab des <em>Jewish Daily Forward</em>. 1978 wurde ihm f&uuml;r sein Gesamtwerk der Nobelpreis f&uuml;r Literatur verliehen. Er starb am 24. Juli 1991 in Miami.</p>

Jochna und Schmelke


Zeit seines Lebens hatte sich Reb Piniele Dlusker dem Chassidismus gewidmet. Er reiste zum Hof des Rabbi von Zanz, dem des Belzer Rabbis und dem von Trisk. Die Chassidim stritten mit ihm und behaupteten, ein Rabbi sei genug, aber Piniele sagte: »Wie kann eine Mutter ein Dutzend Kinder lieben? Warum leben reiche Leute in vielen Räumen? Warum hat der Zar viele Soldaten? Mein Vergnügen sind Wunderrabbis.«

Reb Piniele besuchte seine Rabbis an jedem Festtag, selbst zu Pessach, obwohl auch die eifrigsten Chassidim der Tradition nachlebten und den Sederabend bei ihren Familien verbrachten. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte seine Frau, Schprinza Pescha, sich dagegen gewehrt. Ihre Mutter hatte ihr sogar geraten, sich scheiden zu lassen. Es wäre beinahe dazu gekommen, als Schprinza Pescha ein Zwillingspaar an Scharlachfieber verlor, was sie als Strafe des Himmels dafür empfand, ihrem Piniele Kummer gemacht zu haben. Später verlor sie noch andere Kinder – durch Keuchhusten, Diphtherie, Masern –, bis Reb Piniele und Schprinza Pescha nur noch eine Tochter besaßen, Jochna, die sie nach einer Großtante von Schprinza genannt hatten.

Jochna wuchs als gesundes Kind heran. Sie schrie selten und lachte immer, wobei sich ihre Grübchen zeigten. Schprinza Pescha, die Ernährerin der Familie, führte einen Laden, in dem sie Stoffe am Meter und Kurzwaren – Sackleinwand, Futterstoffe, Garn und Knöpfe – verkaufte. Jochna wuchs sozusagen von selbst auf. Reb Piniele wollte, daß sein einziges Kind als fromme jüdische Tochter aufwachsen sollte, und als Jochna vier Jahre alt war, engagierte er die Frau eines Rabbis, die ihr das Alphabet beibringen sollte, später auch Gebete, und sogar ein paar Zeilen auf jiddisch zu schreiben. Aber Jochna war dafür nicht begabt. Sie aß viel und wurde schnell dick. Die anderen Mädchen spielten Fangen, Versteck und tanzten im Kreis, aber Jochna saß im Sommer vor dem Haus und machte Kuchen aus dem feuchten Sand. Ihre Mutter brachte ihr zu den Mahlzeiten fettes Fleisch, Grütze, Suppe, Honigbrot und Sabbatplätzchen, Jochna aß alles auf und verlangte immer noch mehr. Sie war so blond wie nichtjüdische Mädchen, ihr Haar so hell wie Flachs und ihre Augen so blau wie Kornblumen.

Mit elf Jahren wurde sie zur Frau, und Schprinza Pescha schenkte ihr einen kleinen Beutel mit einem Wolfszahn darinnen, der den bösen Blick abwehren, und einen Talisman, der die bösen Geister fernhalten sollte. Jochna hatte Brüste wie eine erwachsene Frau, und Schprinza Pescha ließ ihr von einer Näherin Leibchen und spitzenbesetzte Hosen machen.

Jochna konnte das Gebetbuch nicht lesen, aber sie hatte die Gebete, die man beim Aufstehen sagte, die Segenssprüche, die vor dem Essen gesprochen wurden, wie auch andere Danksagungen auswendig gelernt. Jochna liebte die Jüdischkeit. Sie bestand darauf, von ihrer Mutter am Sabbat in die Frauenabteilung der Synagoge mitgenommen zu werden, und wie die frommen Frauen sprach auch sie »Gesegnet sei Er und gesegnet sei Sein Name« und sagte »Amen«, wenn der Vorsänger in der Männerabteilung die Achtzehn Segenssprüche rezitierte. Sie hörte auch zu, wenn den Frauen, die das Alphabet nicht kannten, von dem Vorsteher die Gebete vorgesprochen wurden. Wann immer ein reisender Prediger die Stadt besuchte, ging Jochna zu seiner Predigt. Sie weinte, als er die Qualen in der Gehenna beschrieb: das Nagelbett, die Auspeitschungen durch die rächenden Dämonen und die glühenden Kohlen, über die die Sünder gerollt wurden. Ihre Augen glänzten, wenn der Prediger erzählte, wie im Paradies die gottesfürchtigen Frauen die Fußschemel ihrer Männer wurden und daß sie mit den Männern teilhaben durften an den Geheimnissen der Tora.

Als Jochna zwölf Jahre alt war, wurde sie von den Heiratsvermittlern belagert, die gute Partien anboten, aber ihr Vater, Reb Piniele, brachte einen Bräutigam aus Trisk mit, einen Jeschiwastudenten, einen Waisenknaben, der siebzehn Stunden am Tag lernte. Sein Name war Schmelke, und er war drei Jahre älter als Jochna. Er schlief und aß in einem Gasthaus. Das Paar würde sich erst an der Hochzeitsfeier sehen, wenn die Braut entschleiert wird, aber Jochna hatte ihn schon gern, noch ehe sie ihn gesehen hatte. Sie begann, einen samtenen Beutel für den Gebetsmantel zu besticken, mit Gold- und Silberfäden, wie auch ein Säckchen für die Gebetsriemen, ein Tuch, um das Sabbatbrot zuzudecken, und einen Behälter für die Mazze. Die Frau eines Rabbis kam, um sie zu unterrichten, wie die Tage nach ihrer Periode zu zählen waren, damit sie wußte, wann sie mit ihrem Mann schlafen durfte. Und auch wie sie die eheliche Reinheit durch die vorgeschriebenen Waschungen im Frauenbad zu erhalten habe. Jochna lernte es alles, und die Rebbezin lobte ihren Fleiß.

Schprinza Pescha bestellte eine Aussteuer für ihre Tochter. Es war nicht leicht, ihr etwas anzupassen, denn sie war aufgegangen wie ein Hefeteig. Die Schneiderlehrlinge scherzten, daß sie einen Busen wie eine Amme habe. Ihre Schenkel verglichen sie mit einem Metzgerblock. Aber sie hatte kleine Füße und ihr helles Haar hing bis zu den Hüften. Schprinza Pescha ließ es nicht an Wolle, Seide oder Satin fehlen, um Jochna zu verschönern.

Die ganze Stadt nahm an der Hochzeit teil, und Schprinza Pescha buk riesige Kuchen und kochte Kessel voll Fleisch und Suppe. Als Jochna in das rituelle Bad geführt wurde, spielten die Musikanten ein Schlaflied. Der Pöbel, der bei den Schenken herumlungerte, machte sich über alles lustig. Als die Badefrau Jochnas Haar abschnitt und ihren Kopf rasierte, brachen die jungen Frauen in dem Bad in Tränen aus, aber Jochna sagte: »Worüber weint ihr? Da Gott es befohlen hat, ist es gut und richtig.«

Am Abend der Hochzeit hob Schmelke den Schleier von Jochnas Gesicht. Sie blickte auf und war von großer Liebe zu ihm erfüllt. Er war klein, schmächtig, dunkel, mit schwarzen Schläfenlocken, die wie Hörner gedreht waren, und eingefallenen Wangen, die keine Spur von Bart trugen. Sein Kaftan hing zu lang und zu weit auf ihm. Die Pelzmütze war ihm über die dunklen Augen gerutscht, und er zitterte und schwitzte. Oh, wie verhungert er aussieht, mein Schatz, die Krone auf meinem Kopf, dachte Jochna. So Gott will, werde ich ihn auffüttern.

Unter dem Hochzeitsbaldachin trat Schmelke ihr auf den Fuß – ein Symbol dafür, daß er der Herr im Hause sein würde –, und Jochna fühlte einen Schauder ihren Rücken herunterlaufen. Sie hätte schreien mögen: »Ja, herrsche über mich, mein Herr! Tu mit mir, wie dein Herz begehrt!«

Nach dem Hochzeitstanz führten ihre Mutter und eine Tante Jochna in das Hochzeitszimmer. Beide Frauen forderten sie auf, sich ihrem Mann willig hinzugeben, da das erste Gebot der Tora heißt: Seid fruchtbar und mehret euch. Jochna entkleidete sich im Dunkeln und zog ein spitzenbesetztes Nachthemd an, das bis zu den Knöcheln ging. Sie legte sich in das Bett und wartete geduldig, bis Schmelke erscheinen würde. Eine nie vorher gekannte Seligkeit durchdrang ihre Glieder. Sie war eine verheiratete Frau. Sie trug eine Nachthaube auf dem Kopf und einen Ehering am Finger. Jochna betete zu Gott, er möge ihr ein Haus voll gesunder Kinder schenken, die sie dazu erziehen würde, Ihm zu dienen.

Nach einer Weile begleiteten Piniele und einer der Gemeindeältesten Schmelke in das Zimmer und schlossen die Tür. Jochna horchte auf jede Bewegung. Er war wie ein Huhn in den Käfig gelassen worden. Es war pechschwarz. Wie, überlegte sie, konnte sich ein Fremder hier ausziehen? Wie konnte er das Bett finden? Er stand da und murmelte etwas. Sie hörte, wie er gegen die Kommode stieß. Er wird sich verletzen – Gott behüte! – oder fallen, dachte Jochna zitternd. Sie flüsterte ihm zu, er solle seine Sachen über den Stuhl hängen. Er antwortete nicht. Sie konnte seine Zähne aufeinanderschlagen hören – er zitterte vor Furcht, der Arme.

Jochna vergaß, daß sie eine Braut war, die sich zurückhaltend benehmen mußte. Sie stand aus dem Bett auf und versuchte ihm zu helfen, aber er zuckte, als sie ihn berührte, und wich zurück. Allmählich beruhigte sie ihn mit Worten. Er zog seinen Kaftan, das rituelle Gewand aus und auch die Schuhe. Die ganze Zeit hörte er nicht auf zu murmeln. Sprach er ein Gebet? Intonierte er eine Beschwörung? Nach langem Zögern stieg er aus seinen Hosen, und sie führte, ja stieß ihn fast zu ihrem Bett. Jetzt warf...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2020
Sprache deutsch
Original-Titel Old Love
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Altersweisheit • Eifersucht • Erotik • erotische Verwicklungen • Humor • Komische Seite der Liebe • Liebe • Liebesgeschichten • Lustvolle Seite der Liebe • Nobelpreis für Literatur 1978 • Old Love deutsch • ST 5112 • ST5112 • suhrkamp taschenbuch 5112
ISBN-10 3-518-76652-X / 351876652X
ISBN-13 978-3-518-76652-1 / 9783518766521
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