Lügenbilder: Kriminalroman -  Kerstin Lange

Lügenbilder: Kriminalroman (eBook)

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2020 | 1. Auflage
264 Seiten
Wellhöfer Verlag
978-3-95428-711-6 (ISBN)
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Zwei Kriminalfälle erschüttern Speyer. Ein Rechtsanwalt und ein Ahnenforscher werden Opfer eines spektakulären Anschlags, eine alte Frau wird brutal überfallen. Ferdinand Weber, Speyerer Kriminaloberrat a. D., wittert im Gegensatz zu seinen ehemaligen Kollegen einen Zusammenhang. Nicht ganz unfreiwillig wird Weber wieder einmal in die Ermittlungen hineingezogen. Seine gewohnt unkonventionellen Recherchen führen ihn in die vermeintlich "beste Gesellschaft" ebenso wie zu Kleinkriminellen, zwielichtigen Karrieristen und Reichsbürgern. Schnell bröckelt so mache saubere Fassaden alteingesessener und angesehener Bürger. Die Wahrheit hinter unzähligen Lügenbildern, die über Jahrzehnte entstanden sind, lässt Weber schließlich in Abgründe blicken, die ihn selbst zu verschlingen drohen.
Authentisch, packend, aktuell - Der neue Kriminalroman von Kerstin Lange

Kapitel 1


 

Spiegel lügen nicht. Nie. Zu keiner Zeit.

Ferdinand Weber drehte sich nach links, nach rechts und blieb dann frontal vor dem bodentiefen Spiegel stehen.

Von vorne geht es, dachte er. Wenn er den Bauch einzog, dabei tief einatmete, machte er auch von der Seite eine gute Figur. Ärgerlich blickte er auf die Einladung, die er auf das Bett gelegt hatte. Der einundachtzigste Geburtstag eines Großonkels von Jeannette. Ganz großes Kino, wie man so schön sagte. Die komplette Verwandtschaft, zuzüglich Begleitung, war eingeladen und Jeannette hatte ihn gebeten, mit ihr teilzunehmen, da ihre Eltern krankheitsbedingt abgesagt hatten. Wie seltsam, den einundachtzigsten Geburtstag groß zu feiern, hatte er gesagt.

»Im letzten Jahr war Franz krank, die Feier fiel aus. Jetzt wird sie nachgeholt. So viele Geburtstage wird es wohl nicht mehr geben«, hatte Jeannette erklärt. Das konnte Weber nachvollziehen. Wer, wenn nicht er wusste, wie schnell Pläne durch das Schicksal durchkreuzt werden konnten.

Obwohl er zunächst vehement abgelehnt hatte und überzeugt gewesen war, bei seiner Meinung zu bleiben, hatte sie ihm eine Zusage entlockt. Jetzt stand er vor dem Problem der Kleiderfrage. Auf der Einladung stand als Dresscode Dunkler Anzug.

Den einzigen Anzug, der im Schrank hing, hatte er auf der Beerdigung seiner Frau getragen. Die Erinnerung an Louise stimmte ihn augenblicklich melancholisch. Zum Glück waren die Zeiten vorbei, in denen er bei dem Gedanken an seine Frau in ein dunkles Loch der Trauer verfiel. Dennoch war Louise bei ihm. Auch jetzt hielt er Zwiesprache mit ihr. »Du hättest mich auf Diät gesetzt.« Er legte seine Hände auf den Bauch und strich über die Rundungen. »Denke, ich habe etwas zugelegt. Meinst du, ich kann den Anzug trotzdem tragen?«

Natürlich bekam er keine Antwort, so sehr er auch in sich hineinhorchte. Direkt nach ihrem Tod hatte es funktioniert. Er hatte ihre Stimme gehört, als wäre sie noch immer bei ihm und läge nicht in der Erde mit Würmern und anderen Kriechtieren. Mit der Zeit ließ es nach, wie er mit Schrecken bemerkte. Wie auch ihr Geruch aus den Räumen, den Möbeln und dem Schlafzimmer langsam verschwand.

Jeannettes Angebot, mit ihm einen neuen Anzug zu kaufen, hatte ihn mehr erschreckt als beruhigt. Statt einer Antwort hatte er ihr einen Blick geschenkt, von dem er hoffte, dass er die Unangemessenheit ihres Vorschlages zeigte.

Ohne Louise war er noch nie einkaufen gegangen. Mit einer anderen Person konnte und wollte er es sich nicht vorstellen. Einen Anzug schon mal gar nicht!

Erneut warf er einen Blick in den Spiegel und schüttelte den Kopf. Deprimiert zog er sich um. Entweder schaffte er es bis nächste Woche, zwei Kilo abzunehmen, oder er musste in den sauren Apfel beißen und einen neuen Anzug kaufen. Oder darauf hoffen, dass der Stoff im Laufe der Jahre nicht an Elastizität verloren hatte und auch beim Sitzen hielt.

Weber schaute auf seine Uhr. Es war noch Zeit bis zur Gerichtsverhandlung. Zum ersten Mal als Pensionist würde er eine öffentliche Verhandlung besuchen. Ein neuer Versuch, seine Langeweile zu vertreiben und seinen Tagen einen Sinn zu geben. Heute ging es um einen Betrug mit einer angeblich wertvollen alten Münze. Es klang spannend, wenn auch nicht nach einem großen Fall.

Der Weg zum Amtsgericht war nicht weit und die frische Luft tat ihm gut. Als er den St.-Guido-Stiftsplatz erreichte, schüttelte er den Kopf. Ihm gefiel der Platz gar nicht. Er wirkte trostlos. Die Versuche, ihn mithilfe von Hochbeeten für die Bevölkerung attraktiver zu gestalten, fand er nicht gelungen. Jetzt im November war auch der Freisitz der Currysau geschlossen. Die Straße, die die Fläche umgab, war für diese Uhrzeit auffallend leer und es war ungewöhnlich still. Selbst in den Parkbuchten gab es viele freie Stellen. Nur ein alter Golf stand da. Auf ihn liefen zwei Männer zu, die sich laut und angeregt unterhielten. Der größere der beiden gestikulierte mit Händen und Füßen, schien sein Gegenüber von etwas überzeugen zu wollen. Neugierig blieb Weber stehen und versuchte zu lauschen, um was es bei der Unterhaltung ging.

»Auf keinen Fall«, sagte der andere, der sich anscheinend nicht umstimmen lassen wollte. »Niemals! Das ist mein letztes Wort.«

»Lass uns essen gehen. Dann reden wir weiter.«

»In Ordnung. Aber deine Essenseinladungen kenne ich. Letztendlich zahle sowieso ich. Deshalb wäre eine Currywurst aktuell angebrachter. Ebbe im Portmonee. Die goldenen Zeiten als Anwalt sind vorbei. Wenn es die überhaupt je gegeben hat.«

Ein Anwalt in finanziellen Nöten.

»Nee, mach dir keine Sorgen. Ich habe Geld.«

»Du hast Geld?« Der Anwalt betonte das erste Wort.

Erst jetzt bemerkten sie Weber, der stehen geblieben war, um ihnen zuzuhören. Sie sahen ihn irritiert und empört an. Ertappt, dachte Weber. Wie armselig er war, fremde Menschen zu belauschen, weil sein eigenes Leben so uninteressant war. Wie tief war er gesunken. Beschämt drehte er sich um und wechselte die Straßenseite mit raschen Schritten, während er mit sich haderte.

Er wollte und musste etwas ändern. Und zwar an sich. Etwas Grundsätzliches. Er brauchte ein richtiges Hobby und nicht nur Pseudo-Beschäftigungen mit Gin, Sherry und anderen belanglosen Dingen wie Münzen.

Er hörte einen der Männer laut lachen und drehte sich um. Machten sie sich über ihn lustig? Nein, bemerkte er erleichtert. Sie waren mit sich selbst beschäftigt. Der Untersetzte suchte in seiner Aktentasche nach dem Schlüssel. Weber wandte sich erneut ab.

Im Gehen warf er ihnen ab und zu einen Blick zu, darauf bedacht, nicht wieder erwischt zu werden. Die Männer stiegen ins Auto und er hörte den Motor starten. Er musste sich zwingen, nicht hinterherzuschauen.

Die Explosion war ohrenbetäubend.

Autoteile flogen durch die Luft, Rauch und Feuer behinderten die Sicht, die Druckwelle war gut spürbar. Weber warf sich zu Boden und hielt die Hände schützend über den Kopf, was er bereute, als er aufstand. Sein rechtes Knie und der Rücken schmerzten durch die abrupte Bewegung, was er aber nur einen Moment wahrnahm. Fassungslos schaute er auf die Szenerie, die sich ihm bot. Flammen, Rauchwolken, zersplittertes Glas. Dazu tönende Alarmanlagen anderer Pkws. Er griff in die Manteltasche vergeblich. Sein Telefon lag auf dem Küchentisch.

Aus den umliegenden Häusern rannten Menschen auf die Straße, schrien und riefen durcheinander, fast zeitgleich ertönten Sirenen. Endlich fiel die Schockstarre von Weber ab. Er lief in Richtung der Explosion, um zu sehen, ob er noch helfen konnte, doch die Hitze hielt ihn zurück. Der Mann neben ihm fotografierte mit seinem Handy. Weber hob seinen Arm, um dem Fremden das Teil aus der Hand zu nehmen. Im letzten Moment besann er sich, schrie ihn stattdessen an. »Spinnen Sie? Gaffer! Seelenloses Pack! Tun Sie etwas Vernünftiges, statt zu filmen. Helfen Sie oder rufen Sie Hilfe.«

»Ich weiß gar nicht …«

»Was wissen Sie nicht? Sie können mit Ihrem Scheißhandy aufnehmen, aber keinen Notruf absetzen? Wollen Sie mich verarschen?«

»Reden Sie nicht so mit mir! Was fällt Ihnen ein?«

Webers Hand zitterte, während sich sein Körper verkrampfte. Er wollte zuschlagen. Ins Gesicht, mitten auf die Nase. Sie zum Bluten bringen. Dem Ignoranten weh tun. Er musste nur seinen Arm heben und … Er schloss die Augen, kämpfte gegen den Impuls. Er schüttelte sich, die Schreie anderer Menschen drangen in sein Bewusstsein und er drehte sich um. Ein gigantisches Chaos bot sich ihm. Die Hitze, die von dem Fahrzeug ausging, verhinderte, dass er näher herangehen konnte. Fassungslos schaute er auf das Wrack. Alle Seitenscheiben waren zersplittert. Wo normalerweise Front- und Heckscheibe waren, klafften große Löcher. Die Motorhaube und die vorderen Türen waren verbogen, Flammen loderten aus dem Inneren. Den Männern war nicht mehr zu helfen. Weber schluckte den Würgereiz hinunter. In seiner aktiven Zeit hatte er einige Tote gesehen, auch Opfer von Explosionen, aber an den Anblick gewöhnte man sich nicht.

Er begann, die Einzelheiten des Tatorts in sich aufzunehmen und sich jede Kleinigkeit einzuprägen. Der Attentäter hatte genau gewusst, was er tat. Die Menge des Sprengstoffes war ausreichend für den Wagen. Kein Zufallsanschlag und schon gar nicht die Arbeit eines Laien. Weber vermutete einen Sprengstoffexperten, ausgebildet bei Militär oder Bergbau. Ein Profi. Trotz der Wut über seine Mitmenschen, sein Entsetzen über solch eine Tat in Speyer, blieben Webers Gedanken klar und geordnet.

Wann kamen die Kollegen, die Feuerwehr, die Kriminaltechnik? Der Tatort musste abgeriegelt werden. Immer mehr Zuschauer fotografierten mit ihren Handys und lachten dabei, als handelte es sich um ein Videospiel.

Was war nur mit den Menschen los?

Sirenen kündigten endlich Feuerwehr und Polizei an. Zufrieden beobachtete Weber, wie Uniformierte den Tatort großräumig absperrten. Sie hielten Gaffer ab, die Sperrungen zu umgehen, und befragten Zeugen. Polizisten filmten die Umgebung, genauso wie Journalisten und Privatleute. Das war nicht zu verhindern, was Weber erneut wütend werden ließ. Doch der Täter kam immer an den Tatort zurück, dachte er. Wichtiges Zeugenmaterial, das nach Auffälligkeiten gesichtet werden musste. Jede Menge Befragungen standen an. Wo konnte er helfen? Er war ebenfalls Augenzeuge, wenn auch kein Kommissar mehr.

Jemand berührte ihn. »Ferdinand, du solltest zum Krankenwagen, dich verarzten lassen. Du blutest.«

Weber drehte sich verwirrt um. »Mir geht es gut, ich habe nichts abbekommen.« Er sah in ein bekanntes Gesicht. Sein Freund bei der Polizeiinspektion...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-95428-711-0 / 3954287110
ISBN-13 978-3-95428-711-6 / 9783954287116
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