Jazz persönlich -  Jörn Scheer

Jazz persönlich (eBook)

Kleine Geschichte einer großen Leidenschaft

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
156 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-7896-3 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
4,49 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Jazz, das größte Geschenk der Vereinigten Staaten von Nordamerika an die übrige Welt, ihren schwarzen Bürgern sei Dank, wird hier wie dort nur von einer Minderheit gewürdigt. Jörn Scheer ist dieser Musik seit seinem 16. Lebensjahr verfallen und beschreibt hier, wie es dazu kam und was daraus wurde, und gibt nebenbei einen kurzweiligen Überblick über den Jazz von den Anfängen bis in unsere Tage.

Jörn Scheer, geb. 1941 in Hamburg, war Professor für Medizinische Psychologie an der Universität Gießen und lebt jetzt wieder in seiner Vater- & Mutter-Stadt, wo er sich neben literarischen und (jazz-) musikalischen Aktivitäten für die Psychologie der Persönlichen Konstrukte engagiert. Web: www.joern-scheer.de

What is this thing called Jazz?

(Nicolas Gardel)2

Was hat Sie denn damals für den Jazz eingenommen?

Ich denke, neben dem Musikalischen die Lebendigkeit. Klassische Musik kam uns steif vor, man ging in Schlips und Kragen ins Konzert, es fehlte jede Fröhlichkeit, jede sichtbare emotionale Bewegtheit. Wie damals der Wiener Musik-Kabarettist Georg Kreisler sang: Aber die Gelehrten / saßen bei Konzerten / vieles, was sie herten / das hat sie nur schläfrig g'macht. Wenn man Jazz hörte, konnte man sich bewegen, man konnte dabei reden, sich austauschen, man war nicht zu feierlichem Ernst verurteilt. Hinzu kam, daß Jazz offensichtlich hier und jetzt improvisiert wurde (also „produziert“), während klassische Musik bekanntlich „reproduziert“ wird. Distanzierung vom Geschmack der Elterngeneration war sicher auch dabei.

Und Jazz war die Musik der Schwarzen, der unterdrückten Amerikaner; „Negro Spirituals“ und Blues, zur Gitarre gesungen, gehörten dazu. Alles in allem war es zweifellos ein eher gefühlsmäßiger Bezug – wie wahrscheinlich immer, wenn es um Musik geht. Aber diese Musik sprach Emotionen in besonderer Weise an, jedenfalls bei uns: Musik, die „in jedes Bein geht“, die einen mit den Fingern schnippen läßt, also auch eine psychophysische Wirkung hat.

Läßt sich das auch an objektiven Charakteristika der Musik festmachen?

Es hat möglicherweise etwas mit dem „Swing-Rhythmus“ zu tun. Fast alle sonstige Musik wird „gerade“ gespielt, ob es sich um klassische Musik handelt, um Rock'n'Roll, um lateinamerikanische Musik oder um die Pop-Musik von heute: eine Achtel-Note ist eine Achtel-Note, und eine Viertel-Note ist eine Viertel-Note. Im swingenden Jazz ist das anders: Von je zwei Achtel-Noten wird grundsätzlich die erste länger, etwa doppelt so lang gespielt wie die jeweils nächste, so daß ein impliziter „Triolen-Effekt“ entsteht: das erste Achtel entspricht den ersten zwei Schlägen einer Triole, das zweite dem dritten Schlag. Diese „triolische Phrasierung“ wird nicht ausdrücklich notiert, sondern ist quasi selbstverständlich. Wenn man sie hervorheben will, z. B. in Big Band-Arrangements, wird sie so bezeichnet:

Im alten Jazz, also im New Orleans- und Dixieland-Stil, war dieses Phänomen noch deutlicher und klang fast so wie eine synkopierte Note, wie sie üblicherweise als „punktiert“ bezeichnet wird: dann stehen die Längen der beiden Achtel-Noten im Verhältnis von 3:1 zueinander. Daher die übliche Rede von den vielen „Synkopen“ im Jazz. Diese Phrasierung wird aber im modernen Jazz als „zickig“ empfunden. Ich glaube, daß die „triolische Phrasierung“ ganz entscheidend für den psychophysischen Effekt ist, der Leute wie mich im Jazz so anspricht. Es gibt aber sicher auch etwas auf der „harmonischen“ Ebene, also etwas, was mit den Harmonien (im musikalischen Sinne) zu tun hat: Als mein Studienfreund Uwe Mortensen und ich regelmäßig nach Mitternacht die Voice of America Jazz Hour mit Willis Conover hörten und anschließend Coltrane auflegten, begeisterte uns z. B. in dem Stück Alabama 3 eine ganz bestimmte Stelle, die eigentlich nur ein abwärts verlaufendes Intervall zwischen zwei Tönen war. Später habe ich diese Stelle dann als verminderte Quinte identifiziert, also die – im Bebop Jazz – sagenumwobene „flatted fifth“. In Andrew Hills Elegie Dedication 4 gibt es eine ähnlich anrührende Stelle in einem Tenorsaxophon-Solo von Joe Henderson, die wir uns immer wieder anhören konnten, ein abwärts aufgelöster Dreiklang mit übermäßigen Intervallen.

Wenn das in den 50er Jahren offenbar viele junge Menschen angesprochen hat, so hat das aber anscheinend bei vielen nicht angehalten!

Das ist richtig. Vor allem die weiteren Entwicklungen des Jazz über Dixieland und Swing (in der anderen Bedeutung des Wortes, die den Jazz der 30er Jahre bezeichnet) hinaus hat viele, die sich damals für den sog. Oldtime-Jazz begeisterten, nicht interessiert. Das spricht dafür, daß die Dixieland-Begeisterung der 50er Jahre vor allem ein soziales Phänomen war. Insofern war Jazz als Gegenstand eines musikalischen Interesses immer, und ist es bis heute, ein Minderheiten-Programm – übrigens auch in den Vereinigten Staaten. In den letzten 50 Jahren hat es unter meinen Freunden und Freundinnen auch immer nur sehr wenige gegeben, die sich wirklich für Jazz interessiert haben. Dabei sind jene nicht mitgerechnet, die sich für Jazz-Musiker begeisterten, die das (angebliche) musikalische Ghetto verlassen und zeitweise breitere Resonanz gefunden hatten: typischerweise Louis Armstrong in den 50er Jahren, Oscar Peterson in den 60ern, Chick Corea und Keith Jarrett in den 70ern, Jan Garbarek in den 80ern, und später z. B. der Buena Vista Social Club mit seinen kubanischen Senioren.

Wenn Familientradition für die Entstehung der Jazzbegeisterung keine Rolle gespielt hat, war es vielleicht im Gegenteil die Abgrenzung von den Eltern?

Eigentlich nicht. Meine Eltern haben es mir eher schwer gemacht mit der Abgrenzung. Als sie Anfang der 50er Jahre erstmals einen Plattenspieler gekauft hatten – das war damals noch nicht selbstverständlich –, schlossen sie sich einem Plattenclub an: der Concert Hall-Gesellschaft, die klassische Musik vertrieb. Diese hatte auch eine Jazz-Abteilung, die Jazztone Society, und als meine Eltern merkten, daß der Junge sich für Jazz interessierte, bestellten sie für ihn zu Weihnachten 1957 auf gut Glück ein paar Platten aus dem Katalog: ich besitze sie noch heute – eine LP mit dem Lionel Hampton Sextet (mit Lucky Thompson) von 1954, eine mit dem – heute weitgehend vergessenen – Wolfgang Lauth Quartet5 und eine Sammelplatte mit je einem Titel von Sidney Bechet, Rex Stewart, Jack Teagarden, Buck Clayton, Red Norvo, Woody Herman, Charlie Parker, Coleman Hawkins, Erroll Garner, Art Tatum, also ein bunter Querschnitt von fast allem, was bis damals im Jazz Rang und Namen hatte. Was sie nicht ahnten, war, daß sie damit meiner systematischen Beschäftigung mit dem Jazz die entscheidende Grundlage gegeben hatten...

Meine ersten LPs: Louis Armstrong, Bessie Smith,
Lionel Hampton

Hat denn diese Beschäftigung mit dem Jazz noch Raum gelassen für andere Musikformen?

Durchaus. Klassische Musik hat für mich allerdings nie die Bedeutung gewonnen, die sie für andere Menschen mit einem ähnlichen „bildungsbürgerlichen“ Hintergrund hat, eher noch „präklassische“ und, wie erwähnt, postklassische Musik. Daneben habe ich mich immer für Volksmusik (natürlich nicht: „volkstümliche“ Musik) oder Volks-„Kunst“-Musik interessiert, wie Flamenco, balkanische und jüdische bzw. israelische Musik, Chansons á la Georges Brassens, Juliette Gréco (die gerade 93jährig verstorben ist) und ähnliches. Aber keine andere Musikform hatte für mich je den Stellenwert, den der Jazz in (fast) allen seinen Varianten bis heute hat.

Doin‘ the thing (Horace Silver6)

Hat diese Begeisterung in all den Jahren nicht dazu geführt, selbst diese Musik praktisch ausüben zu wollen?

Seltsamerweise nicht. In meinen jugendbewegten Jahren hatte ich mir zwar das Gitarrespielen soweit selbst beigebracht, daß ich uns beim Singen von deutschen, holländischen, schwedischen, jüdischen und anderen Volksliedern am Lagerfeuer und bei ähnlichen Gelegenheiten begleiten konnte. Das heißt, ich konnte Noten lesen und beherrschte die elementaren Akkordfolgen in den gebräuchlicheren Tonarten, die dazu nötig sind. Aber ich habe nie daran gedacht, selbst Jazz zu spielen. Vielleicht fand ich es zu schwierig oder von mir zu anmaßend, wenn ich es versucht hätte. Vielleicht hat auch der Klavierunterricht dazu beigetragen, den ich mit 13, 14 zwei Jahre lang hatte: er bestand im wesentlichen aus Tonleitern und Czerny-Etüden... Jedenfalls habe ich in den nächsten 30 Jahren Jazz nur gehört, allerdings ausgiebigst, und, wie man so sagt, mit allen Poren eingesogen.

Wie ist es denn dann dazu gekommen, daß Sie so viele Jahre später dann doch ein Instrument gelernt und angefangen haben, Jazz zu machen?

Dazu hat es einiger Umwege bedurft. Um die Mitte der 80er Jahre begann ich ohne besonderen Anlaß zu überlegen, was für ein Instrument denn eigentlich zu mir „passen“ könnte – ganz ohne bewußte praktische Intentionen: das Altsaxophon fiel mir dazu ein. Nur ganz theoretisch, und wie sollte man den Kauf eines solchen, recht teuren Gerätes rechtfertigen, wenn man dann möglicherweise gar nichts damit anfangen kann? Dann lieh mir mal Freund Peter Rieker sein Altsaxophon und zeigte mir, wie man darauf spielt. Das klappte, ich suchte mir einen Lehrer, kaufte mir ein...

Erscheint lt. Verlag 12.11.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik
ISBN-10 3-7526-7896-8 / 3752678968
ISBN-13 978-3-7526-7896-3 / 9783752678963
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mathematische Theorie musikalischer Intervalle und historischer …

von Karlheinz Schüffler

eBook Download (2023)
Springer Berlin Heidelberg (Verlag)
49,99