Jugend (eBook)

Teil 2 der Kopenhagen-Trilogie
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
154 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2639-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jugend -  Tove Ditlevsen
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Das Porträt einer jungen Frau, die furchtlos und entschieden ins Leben zieht.

'Ein Mädchen kann nicht Dichter' werden, hatte der Vater zu Tove gesagt. In 'Jugend' zeichnet Tove Ditlevsen das Porträt einer jungen Frau, die ihren eigenen Weg geht - kraftvoll, wild, lebendig erzählt. Im Kopenhagen der 1930er stürzt sich Tove voller Energie ins Leben. Mit 14 Jahren verlässt sie die Schule, beginnt ohne weitere Ausbildung eine Reihe von kleinen Jobs anzunehmen, arbeitet als Dienstmädchen und Bürogehilfin, sie schlägt sich durch. Sie lernt Herrn Krogh, einen älteren wunderlichen Antiquar kennen, der ihr immer wieder Bücher leiht. Mit 17 zieht Tove bei den Eltern aus, geht tanzen und die Möglichkeit, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, rückt in greifbare Nähe.

'Von atemberaubender Intensität und Schönheit. Aus dem Staub ihres Lebens leuchtet dieses Werk.' Elke Heidenreich, Spiegel Online.

'Eine Stimme, deren Kraft wie Dynamit ist.' The Times Literary Supplement.

'Das Porträt einer Frau, die ihr Leben entschieden zu ihrem eigenen macht. Ein Leben, so frei und ungestüm, ich bin versunken in Tove Ditlevsens Büchern.' Nina Hoss.

'Eine monumentale Autorin.' Patti Smith.

'Großartig, von hypnotischer Qualität.' The New York Times.

'Tove Ditlevsens Kopenhagen-Trilogie, so viel steht jetzt schon fest, ist eines der großen literarischen Ereignisse des Jahres.' Süddeutsche Zeitung.

'Was Autorinnen wie Annie Ernaux, Rachel Cusk und Deborah Levy heute tun, hat Tove Ditlevsen schon vor über 50 Jahren getan. Autobiographisches Schreiben, vor dem man sich verneigen möchte. Endlich, endlich ist Ditlevsens Trilogie auf Deutsch zu lesen!' Emilia von Senger, She said.



Tove Ditlevsen (1917-1976), geboren in Kopenhagen, galt lange Zeit als Schriftstellerin, die nicht in die literarischen Kreise ihrer Zeit passte. Sie stammte aus der Arbeiterklasse und schrieb offen über die Höhen und Tiefen ihres Lebens. Heute gilt sie als eine der großen literarischen Stimmen Dänemarks und Vorläuferin von Autorinnen wie Annie Ernaux und Rachel Cusk. Die 'Kopenhagen-Trilogie' mit den drei Bänden 'Kindheit', 'Jugend' und 'Abhängigkeit' ist ihr zentrales Werk, in dem sie das Porträt einer Frau schafft, die entschieden darauf besteht, ihr Leben nach den eigenen Vorstellungen zu leben. Die 'Kopenhagen-Trilogie' wird derzeit in sechzehn Sprachen übersetzt. Ursel Allenstein, 1978 geboren, studierte Skandinavistik und Germanistik in Frankfurt und Kopenhagen. Sie ist Übersetzerin aus dem Dänischen, Schwedischen und Norwegischen von u.a. Christina Hesselholdt, Sara Stridsberg und Johan Harstad. Für ihre Übersetzungen wurde sie vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Jane-Scatcherd-Preis der Ledig-Rowohlt-Stiftung.

Eins


Ich blieb nur einen Tag an meinem ersten Arbeitsplatz. Morgens ging ich um halb acht von zu Hause los, um überpünktlich dort zu sein, denn am Anfang müsse man sich Mühe geben, meinte meine Mutter, die in sämtlichen Haushalten, wo sie in ihrer Jugend eine Stelle angenommen hatte, selbst nie über den Anfang hinausgekommen war. Ich trug das Festtagskleid für die Zeit nach der Konfirmation, das Tante Rosalia für mich genäht hatte. Es war aus hellblauer Wolle und vorne gerafft, weshalb ich darin nicht ganz so platt aussah wie sonst. Ich ging im dünnen, grellen Sonnenschein die Vesterbrogade entlang und fand, dass alle Menschen frei und glücklich aussahen. Sobald sie die Haustür in der Pile Allé passiert hatten, die mich gleich verschlucken würde, wurde ihr Gang tänzerisch leicht, als wohnte das Glück irgendwo auf der anderen Seite des Valby Bakke. Im dunklen Flur roch es so stark nach Angst, dass ich fürchtete, Frau Olfertsen könnte es auch bemerken und denken, ich hätte diesen Geruch ins Haus gebracht. Mein Körper und meine Bewegungen waren steif und beklommen, während ich ihrer flatterhaften Stimme lauschte, die mir tausend Dinge erklärte und zwischen den Erklärungen wie eine leere Spule weiterlief, in einem ununterbrochenen Strom von nichts und wieder nichts plappernd – dem Wetter, ihrem Sohn, wie groß ich doch für mein Alter sei. Sie fragte, ob ich eine Schürze dabeihätte, und ich zog die meiner Mutter aus meiner leeren Schultasche. Sie hatte neben der Naht ein Loch, denn irgendetwas war immer mit ihren Sachen, und der Anblick rührte mich. Meine Mutter schien weit weg, und ich würde sie erst in acht Stunden wiedersehen. Ich befand mich unter Fremden, die mich lediglich als eine Person ansahen, deren Arbeitskraft sie jeden Tag für eine bestimmte Anzahl von Stunden und für einen bestimmten Lohn gekauft hatten. Der ganze Rest von mir war einerlei. Als wir in die Küche gingen, kam der kleine Junge in seinem Schlafanzug angerannt. »Guten Morgen, Mami«, flötete er liebreizend, schmiegte sich an das Bein seiner Mutter und warf mir einen feindseligen Blick zu. Die Dame des Hauses befreite sich behutsam und sagte: »Das ist Tove, sag ihr fein Guten Tag!« Zögernd streckte er mir seine Hand hin, und als ich sie ergriff, sagte er drohend: »Du musst alles machen, was ich dir sage, sonst erschieße ich dich.« Die Mutter lachte laut, dann zeigte sie mir ein Tablett mit einer Teekanne und Tassen und bat mich, das Getränk zuzubereiten und ins Wohnzimmer zu bringen. Sie nahm den Jungen an der Hand und trippelte auf ihren hohen Absätzen mit ihm dorthin. Ich kochte das Wasser und goss es in die Teekanne, auf deren Boden die Teeblätter lagen. Ich war mir nicht sicher, ob das korrekt war, weil ich noch nie Tee getrunken oder zubereitet hatte. Ich stellte fest, dass die Reichen Tee tranken und die Armen Kaffee. Dann drückte ich mit dem Ellenbogen die Türklinke hinunter und trat ins Wohnzimmer, wo ich erschrocken stehen blieb. Frau Olfertsen saß auf dem Schoß eines Mannes namens Onkel William, dessen Existenz ich völlig vergessen hatte, und auf dem Boden lag Toni, der Junge, und spielte mit einer Eisenbahn. Die Hausherrin sprang hastig auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu schreiten, so dass ihre weißen Arme das Sonnenlicht in kleine grelle Blitzlichter zerschnitten. »Seien Sie so gut und klopfen Sie an, bevor Sie zur Tür hereinkommen«, fauchte sie. »Ich weiß ja nicht, wie Sie das kennen, aber bei uns ist es so üblich, und daran sollten Sie sich besser gewöhnen. Gehen Sie noch einmal hinaus!« Sie deutete auf die Tür, und ich stellte verwirrt das Tablett ab und verließ das Zimmer. Aus irgendeinem Grund versetzte es mir einen Stich, dass sie mich siezte. Das hatte ich noch nie erlebt. Als ich den Flur erreicht hatte, rief sie: »Und jetzt klopfen Sie an!« Ich tat es. »Herein!«, ertönte es. Diesmal saßen die Hausherrin und der wortkarge Onkel William auf verschiedenen Stühlen. Die Demütigung trieb mir die Schamesröte ins Gesicht, und ich beschloss auf der Stelle, dass ich keinen von ihnen ausstehen konnte. Das half ein bisschen. Nachdem sie ihren Tee getrunken hatten, gingen sie beide ins Schlafzimmer und zogen sich um. Dann verließ Onkel William das Haus, nachdem er Mutter und Kind die Hand gegeben hatte. Ich war anscheinend niemand, von dem man sich verabschieden musste. Die Dame überreichte mir eine lange, maschinengeschriebene Liste mit Tätigkeiten, die ich zu verschiedenen Tageszeiten erledigen sollte. Anschließend verschwand sie wieder im Schlafzimmer und kehrte mit einem harten und strengen Ausdruck im Gesicht zurück. Mir fiel auf, dass sie stark geschminkt war und eine künstliche Frische ohne Lebendigkeit ausstrahlte. Vorher war sie in meinen Augen hübscher gewesen. Sie kniete sich hin und küsste den noch immer spielenden Jungen, stand auf, nickte mir kaum merklich zu und verschwand zur Haustür hinaus. Das Kind erhob sich augenblicklich, zupfte an meinem Kleid und blickte mich schmeichlerisch an. »Toni will Sardellen haben«, sagte er. Sardellen? Ich war sprachlos, wusste aber im Grunde nichts über die Essgewohnheiten von Kindern. »Das darfst du nicht. Hier steht …«, ich studierte den Zeitplan, »10 Uhr: Brotsuppe für Toni, 11 Uhr: ein weichgekochtes Ei und eine Vitamintablette, 13 Uhr …« Er hatte keine Lust, sich die Fortsetzung anzuhören. »Hanne hat mir immer Sardellen gegeben«, unterbrach er mich ungeduldig, »alles andere hat sie selbst gegessen, das kannst du genauso machen.« Hanne musste meine Vorgängerin gewesen sein, und auch ich sah mich außerstande, eine Menge Essen in ein Kind hineinzustopfen, das nichts als Sardellen haben wollte. »Na gut«, sagte ich, schon weitaus besser aufgelegt, nachdem die Erwachsenen gegangen waren. »Wo stehen denn die Sardellen?« Er kletterte auf einen Küchenstuhl, holte ein paar Konservenbüchsen herunter und kramte auch einen Dosenöffner aus einer Schublade hervor. »Aufmachen«, befahl er gierig und reichte mir beides. Ich öffnete eine Büchse und setzte ihn, wie er es verlangte, auf den Küchentisch. Dann ließ ich eine Sardelle nach der anderen in seinem aufgesperrten Mund verschwinden, und als keine mehr übrig waren, bat er darum, zum Spielen in den Hof gehen zu dürfen. Ich half ihm beim Anziehen und schickte ihn die Küchentreppe hinunter. Vom Fenster aus würde ich ihn beaufsichtigen können. Jetzt musste ich putzen. Einer der Punkte lautete: »Mit dem Kehrgerät über die Teppiche.« Ich holte das schwere Ungetüm hervor und bugsierte es auf den großen roten Teppich im Wohnzimmer. Versuchsweise schob ich es über ein paar Flusen, die allerdings nicht verschwinden wollten. Ich schüttelte das Gerät ein wenig und fummelte am Mechanismus herum, woraufhin sich der Deckel öffnete und ein Haufen Dreck auf den Teppich rieselte. Es gelang mir nicht, das Gerät wieder zusammenzubauen, und da ich nicht wusste, wohin mit dem Dreck, schob ich ihn mit dem Fuß unter den Teppich und trampelte ein wenig darauf herum, um den Haufen zu verteilen. Nach all diesen Strapazen war es bereits zehn Uhr, und ich hatte Hunger. Ich aß die erste von Tonis Mahlzeiten und stärkte mich mit ein paar Vitamintabletten. Dann folgte der nächste Punkt: »Alle Möbel mit Wasser abbürsten«. Verwundert starrte ich erst auf den Zettel, dann auf die Möbel ringsherum. Das schien merkwürdig, aber so war es hier wohl üblich. Ich nahm eine Bürste mit schönen harten Borsten, ließ einen Eimer mit kaltem Wasser volllaufen und begann erneut im Wohnzimmer. Ich scheuerte energisch und gründlich, bis ich die Hälfte des Flügels bearbeitet hatte. Erst in dem Moment dämmerte mir, dass etwas haarsträubend schiefgelaufen war. Die Bürste hatte auf der feinen, glänzenden Oberfläche hunderte feiner Risse hinterlassen, und ich wusste nicht, wie ich sie wieder zum Verschwinden bringen sollte, bis die Dame des Hauses nach Hause kam. Die Furcht kroch über meine Haut wie kalte Schlangen. Ich nahm den Zettel und las erneut: »Alle Möbel mit Wasser abbürsten.« Wie ich die Anweisung auch drehte und wendete, sie blieb unmissverständlich und nahm den Flügel nicht aus. Galt er womöglich gar nicht als Möbel? Inzwischen war es dreizehn Uhr, und Frau Olfertsen würde um siebzehn Uhr wiederkommen. Ich verspürte eine so brennende Sehnsucht nach meiner Mutter, dass ich keine weitere Zeit verlieren konnte. Hastig zog ich mir die Schürze über den Kopf, rief aus dem Fenster nach Toni und behauptete, wir würden jetzt in ein paar Spielzeugläden gehen. Er kam sofort hoch, und ich zog ihm Jacke und Schuhe an und stürzte so eilig mit ihm die Vesterbrogade hinab, dass er kaum mithalten konnte. »Wir gehen jetzt zu meiner Mutter«, erklärte ich atemlos, »und essen Sardellen.« Meine Mutter war sehr erstaunt, mich schon so früh wiederzusehen, doch als wir hereingekommen waren und ich ihr von dem zerkratzten Flügel erzählte, brach sie in Gelächter aus. »Um Himmels Willen«, sagte sie, »hast du den Flügel wirklich mit Wasser abgebürstet? Oh nein, wie kann man nur so dumm sein!« Dann wurde sie plötzlich ernst. »Hör mal«, sagte sie, »es hat keinen Zweck, dass du noch mal dorthin zurückgehst. Wir finden sicher eine andere Stelle für dich.« Ich war dankbar, aber nicht besonders verwundert. So war sie, und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte auch Edvin seine Lehrstelle wechseln dürfen. »Ja«, sagte ich, »aber was ist mit Vater?« »Ach«, sagte sie, »dem erzählen wir einfach die Geschichte mit Onkel William, so was kann dein Vater nicht gut ertragen.« Wir gerieten in eine ausgelassene Stimmung wie in alten Tagen, und als Toni weinend nach Sardellen verlangte, nahmen wir ihn mit in die Istedgade und kauften ihm zwei Büchsen. Um kurz vor vier brachen meine Mutter und der Junge wieder zu Frau Olfertsen auf, wo meine Mutter auch...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2021
Reihe/Serie Die Kopenhagen-Trilogie
Übersetzer Ursel Allenstein
Sprache deutsch
Original-Titel Ungdom
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Annie Ernaux • Arbeiterklasse • Aufwachsen • Dänemark • Entdeckung • Familie • Frau • Freiheit • Jugend • Karl Ove Knausgard • Konventionen • Kopenhagen • Leben • Lebensmut • Liebe • Patti Smith • Rachel Cusk • Schriftstellerin • Sehnsucht • Selbstbestimmt • unmittelbar • Weiblich
ISBN-10 3-8412-2639-6 / 3841226396
ISBN-13 978-3-8412-2639-6 / 9783841226396
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