Große Elbstraße 7 - Liebe in dunkler Zeit (eBook)

Roman

(Autor)

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2021 | 2. Auflage
480 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2674-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Große Elbstraße 7 - Liebe in dunkler Zeit -  Wolf Serno
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Die große Hamburg-Saga.

Jahre des Leids - Jahre der Liebe. In ihrem Haus an der Großen Elbstraße versucht Vicki zur Haiden der Not zu trotzen. Die Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre trifft auch sie; zudem hat sie ihre Arbeit im Krankenhaus Eppendorf wegen einer Krankheit aufgeben müssen. Das Leben scheint nichts mehr für sie bereitzuhalten. Doch plötzlich kehrt ihr Bruder Benno mit seiner Tochter Florence aus New York zurück. Voller Eifer machen die drei sich daran, das alte Haus zu renovieren. Florence, die in den USA Medizin studiert hat, findet auch einen fähigen Architekten, in den sie sich obendrein verliebt. Doch Aron ist Jude, und auch in Hamburg kommen die Nazis mit aller Gewalt an die Macht ...

Das Schicksal einer Hamburger Familie von den dreißiger Jahren bis zum Ende des Krieges. Von dem Bestsellerautor Wolf Serno.



Wolf Serno war, bevor er begann, Romane zu schreiben, viele Jahre erfolgreich als Werbetexter und als Dozent tätig. Mit 'Der Wanderchirurg' gelang ihm ein internationaler Bestseller. Er lebt mit seiner Frau und zwei Hunden in Hamburg und Nordjütland. Im Aufbau Taschenbuch Verlag ist von ihm der erste Band der Hamburg-Saga: 'Große Elbstraße 7 - Das Schicksal einer Familie' lieferbar.

Kapitel 1


Florence Haiden hätte nicht gedacht, dass Hamburg sie so grau empfangen würde. Sie stand an der Reling des Passagierdampfers Albert Ballin und beobachtete, wie das große Schiff sich langsam an den Landungsbrücken vorbeischob und weiter in Richtung Überseebrücke glitt. Eine Woche Atlantiküberquerung lag hinter ihr, und trotz der späten Oktobertage war das Wetter überwiegend freundlich gewesen. Und nun dieser Nieselregen!

Flo zog die Kapuze ihres Capes fester ins Gesicht und beschloss, sich nicht die Laune verderben zu lassen. Immerhin kehrte sie an jenen Ort zurück, an dem sie vor fünfunddreißig Jahren geboren wurde. Ein Ort, über den sie jedoch nicht viel wusste. Ein paar Postkarten hatte sie gesehen, die das Rathaus, die Reeperbahn und das Eingangstor von Hagenbeck’s Tierpark zeigten, ein paar Erzählungen ihres Vaters hatte sie gehört, die von den alten Zeiten auf St. Pauli handelten, und ein paar Briefe hatte sie gelesen, die von ihrer Tante Vicki stammten. Das war schon alles. Gegen New York schien Hamburg ein trübes Nest zu sein.

Tante Vicki war auch der Grund, warum Dad und sie die Überfahrt nach Deutschland angetreten hatten. Doktor Viktoria Dreyer, wie Tante Vicki eigentlich hieß, ging es sehr schlecht, nachdem ihr Mann Hannes vor nicht einmal drei Monaten an einem Myokardinfarkt gestorben war. Die Trauer um den geliebten Gatten hatte ihr jeden Lebensmut genommen. Sie ist nur noch Haut und Knochen. Will niemanden mehr sehen! Benno, du musst unbedingt kommen! So stand es in dem Telegramm, das Willi Höller, ein alter Freund der Familie, vor vierzehn Tagen an Flos Vater geschickt hatte.

Ein Räuspern hinter Flos Rücken riss sie aus ihren Gedanken.

Sie wandte sich um und erblickte Frederik Rosen. Rosen war ein Mann Mitte vierzig, blond wie ein Wikinger, mit einem tätowierten Anker auf dem Unterarm. Er kam aus Hirtshals in Nordjütland, wo seine Familie seit Generationen Fischfang betrieb. »Ich wollte mich nur rasch von Ihnen verabschieden und Ihnen alles Gute wünschen«, sagte er.

»Das ist nett von Ihnen, Frederik. Alles Gute auch für Sie.«

»Tja, dann …« Rosen zögerte. Er machte Anstalten, sie zu umarmen, unterließ es aber. Stattdessen gab er ihr förmlich die Hand. »Ich muss noch ein paar Sachen packen. Leben Sie wohl, Flo. Ich werde Sie nie vergessen.« Hastig entfernte er sich.

Flo blickte ihm nach. Dass sie ihn kennengelernt hatte, war mehr einem Zufall zu verdanken, da Rosen eine Kabine Zweiter Klasse gebucht hatte, während sie und ihr Vater eine Suite bewohnten. Doch am dritten Tag der Überfahrt hatte ein Shuffleboard-Turnier für die Passagiere der Ersten Klasse stattgefunden, das aus Mangel an Teilnehmern mit Fahrgästen aus den unteren Decks komplettiert worden war. Darunter war auch Frederik Rosen gewesen.

Gleich zu Beginn hatte er sie gebeten, ihn Frederik zu nennen, da sie bei dem Spiel ein Zweierteam bildeten.

Sie hatte nichts dagegen gehabt. »Ich werde Flo gerufen, Flo wie Florence.«

»Mein Beruf ist übrigens ähnlich wie der Ihre.«

»Woher kennen Sie meinen Beruf?«, hatte sie gefragt.

»Ich muss gestehen, ich habe einen Kellner bestochen, damit er herausfindet, wie Sie heißen. Der Rest war einfach: Aus der Passagierliste geht hervor, dass eine gewisse Florence Haiden den amerikanischen Doktorgrad hat und Augenärztin ist.«

»Dann haben Sie auch herausgefunden, dass mein Vater Kunstmaler ist?«

»Das habe ich. Aber der Name Benno Haiden war mir schon vorher ein Begriff. Er ist ein berühmter Mann.«

»Und Sie? Sind Sie auch Ophtalmologe?«

»O nein!« Frederik hatte gelacht. »Ich bin Epithetiker. Ich habe mich auf die Anfertigung künstlicher Augen spezialisiert. Man kann sie aus Glas, Porzellan, Gummi oder Metall herstellen, je nachdem. Ziel ist immer, das Ergebnis so natürlich wie möglich aussehen zu lassen.«

»Wie interessant.«

»Ach, nicht der Rede wert. Allerdings sind in den letzten Jahren einige Beiträge über meine Arbeiten in der Fachliteratur erschienen, weshalb ich einen Ruf an die Augenklinik des Universitätskrankenhauses Eppendorf erhielt. Eine große Ehre. Ich werde dort Leiter der Prothesenwerkstatt sein. Darf ich fragen, was Sie nach Hamburg führt?«

»Ein Verwandtenbesuch«, hatte Flo vage geantwortet und war froh gewesen, dass sie in diesem Augenblick aufgefordert wurde, mit dem Cue ihren ersten Disk zu schießen. Der Anlass, warum sie und ihr Vater unterwegs waren, ging niemanden etwas an.

Bei dem Turnier hatten sie und Frederik den zweiten Platz belegt, was der Däne mit einem eiskalten Aalborg Akvavit in der Bordbar begießen wollte.

»Lieber nicht«, hatte Flo gesagt. »Ich trinke eigentlich nie Schnaps.«

»Aber heute ist ein besonderer Tag, weil wir uns kennengelernt haben!«

Der Barkeeper hatte gefragt, ob der Dame vielleicht mit einem Cocktail gedient sei, und die Karte überreicht. Darauf stand: Probieren Sie unsere beliebte White Lady für RM 2,50, Angebot gilt nur während der Passage New York – Hamburg, 18. bis 24. Oktober 1934.

»Nein, danke. Wenn schon, dann einen Whisky.«

»Darf es eine bestimmte Marke sein?«

»Ja, ich nehme einen Cutty Sark.«

»Für den Herrn auch einen?«

»Ich schließe mich an.«

»Cheers und Skål!« Während sie tranken, hatte Frederik wissen wollen, warum sie als Amerikanerin einen schottischen Whisky bevorzuge.

»Das ist eine eigene Geschichte.«

»Ich verstehe. Würden Sie mir die Geschichte bei unserem nächsten Treffen erzählen?«

»Es ist besser, wenn wir uns nicht wieder treffen, Frederik.«

»Warum nicht, Flo?«

»Ich bin noch nicht so weit. Ich muss Abstand gewinnen.«

Er hatte ihre Hand genommen und gefragt: »Abstand, wovon?«

Sie hatte ihm die Hand entzogen. »Bitte nicht. Es tut mir leid. Auch das ist eine eigene Geschichte.«

Danach war Flo ihm noch ein paar Mal begegnet. Ob der Zufall dabei eine Rolle spielte oder ob Absicht dahintersteckte, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie ihn nett fand, aber nicht in ihn verliebt war. Und sie war keineswegs sicher, jemals wieder lieben zu können.

Ein Zittern ging durch den riesigen Schiffsleib. Die Albert Ballin hatte die Überseebrücke fast erreicht. Auf den Planken der hohen Stahlbogenkonstruktion drängten sich die Menschen unter einem Wald von Regenschirmen. Flo schaute aus nach Willi Höller, der das Telegramm an ihren Vater geschickt hatte und sie abholen wollte.

Plötzlich klopfte ihr eine Hand auf die Schulter.

Flo fuhr herum. Ihr Vater stand da. »Mein Gott, hast du mich erschreckt, Dad!«

Benno lächelte vielsagend. »Ich bin’s nur. Hast du deinen Verehrer, diesen blonden Wikinger, erwartet?«

»Frederik ist nicht mein Verehrer.«

»Ist er es nicht? Na ja, jedenfalls glänzt er durch Abwesenheit. Hast du Willi schon entdeckt?«

»Wie denn, ich sehe nur Regenschirme.«

Benno kniff die Augen zusammen und spähte in die Menschenmenge. »Dahinten, bei dem Zeitungskiosk, da steht einer, der seinen Schirm dauernd in die Luft stößt. Das könnte er sein. Ob er uns erkannt hat?«

»Ich weiß nicht.«

Benno formte die Hände zu einem Trichter und brüllte, ohne sich um die anderen Passagiere zu kümmern: »Willi, bist du’s? Hummel, Hummel!«

»Mors, Mors!« erklang die Antwort aus der Ferne. Der Schirm tanzte noch heftiger auf und nieder.

»Er ist es!« Benno winkte. »Bis gleich!«

Er nahm Flo bei der Hand. »Komm unter Deck, wir verlassen das Schiff. Der Kabinensteward hat sich schon um die Koffer gekümmert. Bin gespannt, wie sich Hamburg unter den Füßen anfühlt.«

»Ich auch«, sagte Flo.

***

Trotz seiner fünfundachtzig Jahre war Willi Höller immer noch eine imposante Erscheinung. Er war eins neunzig groß und hatte dichtes schlohweißes Haar, das an den Seiten in einen mächtigen Vollbart überging. »Ich glaub, es pieselt nicht mehr«, sagte er. »Wurde auch höchste Zeit.« Er klappte den Schirm zu und gab ihn der zierlichen älteren Frau an seiner Seite. »Halt mal.«

Die Frau hieß Vira. Sie war mit Willi weder verheiratet noch verwandt, aber beide standen sich sehr nahe. Früher hatte sie im Glückskeller gearbeitet, einem Bordell, das Willi in den zwanziger Jahren während der großen Inflation verkaufen musste, weil kaum ein Freier mehr in der Lage gewesen war, den »Losverkäuferinnen« viele Milliarden Reichsmark für einen Besuch zu bezahlen.

Heute besaß Willi nur noch die Kneipe direkt nebenan, die offiziell Höller’s Hölle hieß, doch von jedermann auf dem Kiez nur Hölle genannt wurde. Die Hölle lag an der Nordseite des Spielbudenplatzes und war in den bewegten Zeiten um die Jahrhundertwende Anlaufstelle und Rettungsanker für neugierige Reeperbahnbummler, gestrandete Matrosenliebchen und verfolgte Sozialdemokraten gewesen. Sie hatte gute und schlechte Jahre überstanden und war genauso sturmerprobt wie die Gäste, die bei ihr ein und aus gingen. In all der Zeit hatte Willi wie ein Fels in der Brandung hinter dem Tresen gestanden, aber in den letzten Monaten wollten die Knie nicht mehr so recht, weshalb er auf einem hohen Stuhl saß, dem »Ansitz«, wie er ihn nannte, während Vira für ihn den Laden schmiss.

...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2021
Reihe/Serie Geschichte einer Hamburger Arztfamilie
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerika • Augenheilkunde • Drittes Reich • Entartete Kunst • Felix Jud • Hamburg • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Holocaust • Judenverfolgung • Klinikum Eppendorf • Kunstmaler • Medizin • Nazis • Reichskristallnacht • Sankt Paui • Wolf Serno • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-2674-4 / 3841226744
ISBN-13 978-3-8412-2674-7 / 9783841226747
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