Wir konnten auch anders (eBook)

Spiegel-Bestseller
Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
488 Seiten
Blessing (Verlag)
978-3-641-26712-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir konnten auch anders -  Annette Kehnel
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Unser wirtschaftliches Denken - über Konsum, Kapital, Profit - stammt aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Und ist unbrauchbar geworden.

Wie die Historikerin Annette Kehnel anhand lebendig erzählter Beispiele deutlich macht: Ein Blick auf die vormoderne Geschichte der Menschheit offenbart Anregungen für unsere Zukunft jenseits von Gewinnstreben und Eigennutz. Renaissance-Architekten, die Baustoffrecycling betrieben, Crowdfunding für die Brücke in Avignon, nachhaltige Fischerei am Bodensee, Second-hand-Märkte in Paris und Reparaturberufe in Frankfurt in Zeiten, als Kreislaufwirtschaft eine Selbstverständlichkeit war.

Teilen, tauschen und nachhaltig handeln: Eine Reise in unsere Vergangenheit, die Lust auf Veränderung macht.

  • Teilen, Tauschen, Schenken und Recyceln - wir konnten auch schon anders - Geschichte, die Lust auf Veränderung weckt!
  • »Dieses Buch öffnet die Augen für eine enkeltaugliche Zukunft, die wir alle schon einmal hatten!« (Dr. Eckart von Hirschhausen)
  • Ausgezeichnet mit dem NDR-Sachbuchpreis


Prof. Dr. Annette Kehnel studierte Geschichte und Biologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, am Somerville College Oxford und an der LMU München. Ihr Promotionsstudium am Trinity College Dublin widmete sie der Erforschung irischer Klostergemeinschaften und arbeitete dann an der TU Dresden, wo sie sich im Jahr 2004 habilitierte. Seit 2005 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mannheim. Sie hat zahlreiche Veröffentlichungen zu ihren Forschungsschwerpunkten Kultur- und Wirtschaftsgeschichte und der historischen Anthropologie vorgelegt. Wie man Nachhaltigkeit selbstverständlich und nutzbringend lebt, erfuhr Annette Kehnel bereits in ihrem Elternhaus, einem südbadischen Winzerhof, der schon mit ökologischen Standards arbeitete, als Bio noch lange kein Alltagsbegriff war.

Einleitung

Wir stehen an einer Zeitenwende. Die Begrenztheit der Ressourcen, das Ende der Konsumgesellschaft, wachsende Ungleichheit, Globalisierung, digitale Beschleunigung, Klimawandel und schließlich die zunehmende politische Verunsicherung der Menschen, vor allem in den wirtschaftlich reichsten Ländern der Erde, versetzen uns in einen Zustand kollektiver Ratlosigkeit. Politik und Wirtschaft versuchen, Lösungen aufzuzeigen. Populisten predigen allerorten radikale Schlussstriche und suchen das Heil in einer national säuberlich sortierten Welt. Hie und da wird verhaltene Kapitalismuskritik vernehmbar. Andere setzen auf den technisch-medizinischen oder auf den digitalen Fortschritt. Was tun? Angesichts dieser Entwicklungen, die allesamt wenig Aussicht auf Lösungen und noch viel weniger Aussicht auf Zukunft bieten? Es muss sich was ändern. Das ist allen klar.

Die Konzepte der Moderne haben ausgedient

Warum gehen uns trotz hektischer Suche nach Lösungen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts allmählich die Ideen aus? Weil wir die Probleme der Zukunft mit Konzepten der Moderne lösen wollen. Moderne klingt zwar noch immer fortschrittlich und innovativ, doch ist diese Moderne historisch betrachtet mittlerweile mehr als zwei Jahrhunderte alt. Das bedeutet, wir wollen die Herausforderungen des frühen 21. Jahrhunderts mit Konzepten lösen, die im späten 18. und 19. Jahrhundert entwickelt wurden. Konzepte, die den Aufstieg in die sogenannte Moderne ermöglichten. Die Zauberformel damals hieß: Fortschritt, Wachstum, Wohlstand.

Diese drei Ziele haben uns als Leitmaximen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Handelns weit nach vorne gebracht. Die Industrialisierung, die Französische Revolution, der Nationalstaat und die Demokratie haben das Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts modern gemacht. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam ein unverhoffter Nachschlag. Die Moderne bescherte den von zwei Weltkriegen arg verwundeten Menschen einen nie da gewesenen Wirtschaftsboom, getragen von einem rasanten Wachstum des Konsums und von der Erfindung der Wegwerfgesellschaft. Die westlichen Industrienationen wurden in einen Aufstiegstaumel namens Wirtschaftswunder versetzt und versuchen seither – wie Junkies –, diesen Zustand zu halten beziehungsweise immer wieder aufs Neue herzustellen. Das gelang während der letzten Jahrzehnte zwar ganz gut, doch seit einiger Zeit verdirbt uns die Rechnung den Spaß: Mikroplastik im Meer, Glyphosat in den Lebensmitteln, CO2 in der Atmosphäre, und das alles irreversibel und mit globalen Konsequenzen. Statt uns diesem Sachverhalt zu stellen, wollen wir lieber einfach noch mal »alles wie früher«, und bitte mit allem. Das war doch so schön. Sitzen da wie übellaunige Kinder vor der leeren Bonbontüte. Wir wollen einfach mehr! Etwas anderes fällt uns nicht ein, etwas anderes als noch mehr Wachstum und noch mehr Wohlstand.

Wir sind im 19. Jahrhundert stecken geblieben. Das Koordinatensystem unserer Lösungsansätze ist fast 200 Jahre alt. Ein Koordinatensystem, das hervorragend geeignet war zum Beispiel zur Modellierung optimaler Wertschöpfungsstrategien, zur Bestimmung maximaler Ausbeute vorhandener Ressourcen oder zur Berechnung von Kapitalrenditen. Allerdings scheitern wir damit, wenn wir vor Problemen jenseits von Profitmaximierung stehen.

Homo oeconomicus – der verzweifelte Held der Moderne

Eine Schlüsselrolle in dieser Geschichte spielt der »Homo oeconomicus«, der rationale Agent und Nutzenmaximierer, die Vorstellung, dass Menschen immer und in erster Linie auf ihren eigenen Nutzen bedacht seien. Zwar handelt es sich dabei lediglich um ein Modell, um einen fiktiven Akteur in Formeln, mit denen wirtschaftliche Zusammenhänge erklärt werden sollen. Überdies ist das Modell vom Nutzenmaximierer eine sehr späte Erfindung der modernen Wirtschaftswissenschaften, es wurde erst mit der sogenannten Rational Choice Theory in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts zum Dogma erhoben. Doch hat die Heiligsprechung des »Eigennutzens« ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Denn in der Populärversion der von Charles Darwin und Herbert Spencer entwickelten Evolutionstheorie wurde Eigennutzen oft mit Selektionsvorteil verwechselt. Die Fähigkeiten zur Anpassung an die Umwelt, zur geschickten Ausbeutung verfügbarer Ressourcen und zur Überbietung der Konkurrenz wurden als Erfolgsfaktoren der Evolution missverstanden. Wettbewerb und Kampf ums Dasein waren plötzlich biologische Tatsachen. Wer da nicht mithalten konnte, den sortierte die Natur einfach aus. Und was für den Evolutionsbiologen die natürliche Auslese, wurde in den Wirtschaftstheorien die unsichtbare Hand des Marktes, nämlich jene unverfügbare Macht, die alles regelt und so den altmodischen moralischen Ballast vormoderner Gesellschaften überflüssig machte. Beide Konzepte fügten sich nahtlos zu einem modernen Ganzen zusammen, das den rationalen Nutzenmaximierer zum preisgekrönten (in der Regel männlichen) Mitarbeiter, nein vielmehr zum Chef, zum CEO der Moderne erhob.

Das Problem ist nur: Das 19. Jahrhundert ist längst vorbei. Die Errungenschaften der Moderne sind zweifelsohne grandios und sollen in keiner Weise geschmälert werden. Was nun, nach 200 Jahren Wachstum, Fortschritt und Wohlstand, dringend ansteht, ist ein Realitätscheck. Wir müssen uns der Herausforderung stellen und die Prämissen der Moderne auf ihre Gegenwartstauglichkeit und insbesondere ihr Potenzial zur Lösung der Probleme des 21. Jahrhunderts überprüfen.

Angst vor Veränderung

Man könnte auch von einer kollektiven Entwicklungsverweigerung sprechen. Und in einem solchen Fall muss es irgendwie gelingen, jene Knoten zu lösen, die für das Festhalten an überkommenen Vorstellungen und Regeln verantwortlich sind. Die Erkenntnis, dass diese zwar für eine bestimmte Phase sehr nützlich, vielleicht sogar überlebenswichtig waren, nun aber überflüssig geworden sind, wäre völlig ausreichend. In der Regel ist es ein dicht verwobenes Geflecht aus diffusen Ängsten, insbesondere der Angst vor Veränderung. Was hilft? Ein erster Schritt wären Selbsterkenntnis, Einsicht, die Änderung der Blickrichtung – und irgendwann taucht der Wunsch nach Veränderungen auf. Horizonterweiterung heißt das Zauberwort, die Mobilisierung der Vorstellungskraft in Richtung Zukunft.

Vergleichen wir die Situation mit der eines Künstlers oder einer Künstlerin: In den vergangenen 200 Jahren hat die Menschheit mit großem Fleiß, in bewundernswerter Konzentration und unter Aufbringung ganz erheblicher Opfer an der Moderne gearbeitet. Nun ist es Zeit, endlich einmal wieder aufzuschauen. Zurückzutreten. Den Blick auf das Gesamtkunstwerk, das da entstehen soll, freizugeben. Erst dann sieht die Künstlerin – in unserem Fall also die Menschheit –, wie sich die vielen einzelnen Details zu einem Ganzen zusammenfügen. Auch sieht sie, wo der Pinsel neu angesetzt werden kann. Wenn es uns gelingt, eine Vorstellung von unserer Zukunft zu entwickeln, wissen wir, wie wir jetzt handeln sollten. Die Lust zum Weitermalen kommt zurück.

Abstand gewinnen. Zurücktreten. Sich trennen. Den Pinsel mal aus der Hand legen. Eine neue Perspektive wählen. All das sind notwendige Voraussetzungen zur Entwicklung neuer und zukunftsfähiger Konzepte für das 21. Jahrhundert.

Historischer Weitblick statt gegenwartsfixierter Kurzsichtigkeit ist gefragt

Was mir als Historikerin immer wieder auffällt, ist die Kurzsichtigkeit der Gegenwart. Sie ist eines der größten Hindernisse dabei, sich Distanz zugunsten der Zukunft zu verschaffen. Kennzeichnend dafür sind die vielen Bilder der Vergangenheit, die im kollektiven Bewusstsein herumgeistern. Wie eine Wolke schwebt das unausgesprochene Gesetz der linearen (Höher-)Entwicklung in unseren Köpfen.

Was fällt uns ein, wenn wir darüber nachdenken, wie die Menschen früher im Lauf der Geschichte gelebt haben? Sofort entsteht das Bild vom Aufstieg der Menschheit aus der Steinzeithöhle in den Renaissancepalast und von dort direkt in unsere komfortablen Eigenheime mit Badewanne und Internetanschluss. Ähnlich die Vorstellung von Wirtschaft. Richtig angefangen hat das mit der Wirtschaft ja angeblich erst vor Kurzem, mit der industriellen Revolution. Natürlich haben die Menschen schon immer Waren getauscht und gehandelt. Aber erst mit der Erfindung des Kapitalismus und der industriellen Revolution ging es dann wirklich zur Sache. Und – so dann gleich der nächste Sprung – außerdem gibt es zum Kapitalismus keine Alternative. Sowohl die sozialistischen als auch die faschistischen Planwirtschaften sind bekanntlich gescheitert, und wie es aussieht, ist von außereuropäischen Wirtschaftsmodellen auch nicht viel zu erwarten: Also müssen wir uns notgedrungen für die nächsten Jahrhunderte irgendwie mit dem Kapitalismus arrangieren.

Aus historischer Perspektive sind solche Aussagen Kennzeichen extremer Kurzsichtigkeit und Gegenwartsfixierung. Vielleicht kommt ein tüchtiger Schuss Selbstüberschätzung hinzu. Weiter ein Mangel an Vorstellungskraft. Und schließlich die Angst, sich aus der eigenen Komfortzone hinauszubegeben. Die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es anderswo, zum Beispiel früher – also in der Vergangenheit – oder später – also in der Zukunft – ganz anders war oder sein könnte. Anders, und dennoch gut.

Was wir brauchen, sind neue Vorstellungen von der Zukunft. Die Konzepte der vergangenen 200 Jahre, der sogenannten Moderne, waren grandios, und sie haben weit getragen. Viele Versprechen der Moderne wurden...

Erscheint lt. Verlag 24.5.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alternative Lebenskonzepte • Antikapitalismus • eBooks • Frühe Neuzeit • Gebrauchtwaren • Geschichte • Kapitalismus • Mittelalter • Ökonomie • Recycling • Second Hand • Sharing Economy • Tauschhandel • Umweltschutz
ISBN-10 3-641-26712-9 / 3641267129
ISBN-13 978-3-641-26712-4 / 9783641267124
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